Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.06.2006

LSG NRW: schule, versicherungsschutz, berufliche tätigkeit, unterbrechung, pause, unfallversicherung, transport, obhut, verfassungskonforme auslegung, ärztliche behandlung

Landessozialgericht NRW, L 4 U 65/05
Datum:
09.06.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 4 U 65/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 16 U 323/04
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
07.07.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten der Klägerin
werden auch im Berufungsverfahren nicht erstattet. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt die Anerkennung des Verkehrsunfalls vom 07.05.2004 als
Arbeitsunfall.
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Die 1957 geborene Klägerin ist alleinerziehend und lebt mit ihrem 1992 geborenen
Sohn I1 in einem gemeinsamen Haushalt in der I-straße 00, 00000 C. Ihr Sohn I1
besucht die Q-Schule in T. Im Schuljahr 2003/04 dauerte der Schulunterricht montags,
mittwochs und freitags von 8.00 bis 16.00 Uhr sowie dienstags und donnerstags von
8.00 bis 13.00 Uhr. Zur Schule fuhr I1 morgens mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Wegen
der ungünstigen Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen T und dem
Heimatort bei der nachmittags Wartezeiten von 1 bis 2 Stunden entstanden, hatte die
Klägerin mit dem Ehepaar D, deren Tochter T die gleiche Schule besuchte, verabredet,
dass das Ehepaar D die beiden Kinder montags, mittwochs und freitags von der Schule
abholte. Die Klägerin übernahm den Fahrdienst dienstags und donnerstags.
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Die Klägerin war als Sachbearbeiterin in der Abteilung Technischer Dienst des F,
Standort C, Q Weg 00, 00000 C beschäftigt. Zu ihrem Aufgabenkreis gehörten
fristgebundene Arbeiten. Die monatliche Arbeitszeit der Klägerin wurde wegen eines
erhöhten Arbeitsanfalls ab Mai 2004 - längere Abwesenheit einer Arbeitskollegin - von
35 auf 38,5 Stunden erhöht. Seit dem 01.01.2004 galt eine Dienstvereinbarung zur
Flexibilisierung der Arbeitszeit. Nach deren § 2 erfolgte die Erledigung der dienstlichen
Angelegenheiten während einer Rahmenzeit von montags bis freitags von 6.00 Uhr bis
19.00 Uhr. Innerhalb der Rahmenarbeitszeit leisteten die Mitarbeiter die vereinbarte
Arbeitszeit (§ 2.2). Die wöchentliche Sollarbeitszeit entsprach der tarifvertraglich
vereinbarten Arbeitszeit. Die Verteilung der Sollarbeitszeit erfolgte grundsätzlich auf 5
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Arbeitstage von montags bis freitags. Dies entsprach pro Arbeitstag jeweils 1/5 der
vertraglichen festgelegten Wochenarbeitszeit (7,7 Stunden für Vollzeitbeschäftigte) (§
6.2). Die Sollarbeitszeit und die tägliche Arbeitszeit sowie Abweichungen davon wurden
auf einem persönlichen allgemeinen Zeitkonto erfasst und arbeitstäglich berechnet. In
einem Zeitkontostand von minus 20 bis plus 50 Arbeitsstunden konnte ein Mitarbeiter
grundsätzlich eigenverantwortlich im Einvernehmen mit dem Arbeitsteam disponieren.
Eine vorherige Information des unmittelbaren Vorgesetzten war sicher zu stellen (§ 7.1).
Die Regelung des § 12 über "persönliche Abwesenheitszeiten" sah vor, dass Mitarbeiter
zu Erledigung persönlicher Angelegenheiten unter Berücksichtigung von § 2 und § 3 der
Dienstvereinbarung nach Abstimmung im Arbeitsteam bei entsprechender Zeiterfassung
das Betriebsgelände verlassen konnten. Die persönlichen Abwesenheitszeiten waren
keine Arbeitszeiten. Ausgenommen von dieser Regelung war eine ärztliche
Behandlung, wenn diese während der Servicezeit erfolgen musste (§ 12).
Am Montag, den 03.05.2004 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am Dienstag, den
04.05.2004, erlitt ihr Sohn I1 einen Schulunfall. Wegen der Betreuung des Sohnes war
die Klägerin in der Zeit vom 04.05. bis 06.05.2004 von der Arbeit freigestellt. Am
07.05.2004 fuhr die Klägerin ihren Sohn und das Kind T zur Schule. Sie hatte mit dem
Ehepaar D vereinbart, die Kinder am Nachmittag von der Schule abzuholen, da das
Ehepaar D verhindert war. Die Zeitnachweisliste weist für den 05.05.2005 folgende
Eintragungen auf:
5
" 8:09 - 10:19 Arztbesuch 10:19 - 11:35 12:00 - 15:35."
6
Gegen 15.35 unterbrach die Klägerin in Absprache mit dem Zeugen Dr. I, ihrem
Abteilungsleiter, die Arbeit. Sie holte die beiden Kinder von der Schule ab, setzte das
Kind T vor ihrem Elternhaus ab und fuhr mit ihrem Sohn I1 zur Wohnung. Sie trug den
Schulranzen ihres Sohnes in die Wohnung und verließ sogleich wieder die Wohnung,
um zur Arbeitsstätte zurückzufahren. Der Sohn I1 blieb allein zu Hause. Als die Klägerin
gegen 16.35 Uhr auf der B 477 mit ihrem PKW vor einer roten Ampel hielt, fuhr ein
anderer PKW ungebremst von hinten auf. Die Klägerin erlitt eine Distorsion der
Halswirbelsäule sowie eine Prellung der linken Hand, des Thorax und des rechten
Unterschenkels (Durchgangsarztbericht von Dr. X vom 10.05.2004). Sie ist seit dem
Unfall durchgehend arbeitsunfähig.
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In der Unfallanzeige vom 03.06.2004 gab die Klägerin an, dass sie zum Unfallzeitpunkt
ihre Pause habe beenden und ihre Arbeit wieder aufnehmen wollen. Sie sei mit ihrem
Pkw in Richtung F/C gefahren, als ihr von hinten ungebremst ein Pkw aufgefahren sei.
Sie habe ihren Sohn von der Schule abgeholt, ihn zu Hause abgesetzt und sei
angeschnallt direkt weiter in Richtung C gefahren. Sie sei keinen Umweg gefahren, um
ihren Sohn von der Schule abzuholen. Auf der Hinfahrt sei sie über C, Niederaußem,
Büsdorf, Fliestedden nach T gefahren. Auf der Rückfahrt sei sie von T über Fliestedden,
Büsdorf und Niederaußem in Richtung C gefahren. Sie habe ihren Sohn an der
gemeinsamen Wohnung abgesetzt und sei auf direktem Weg zum F gefahren, um noch
bis 19.00 Uhr zu arbeiten. Durch Bescheid vom 24.06.2004 lehnte die Beklagte die
Anerkennung des Unfalls vom 07.05.2004 als Arbeitsunfall nach § 8 Sozialgesetzbuch
Siebtes Buch (SGB VII) ab. Der Weg der Klägerin stelle keinen unter
Versicherungsschutz stehenden Weg nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dar. Wege in
Pausen seien nicht schon deswegen versichert, weil Pausen notwendiger Bestandteil
der Arbeit seien, sondern der Zweck des Weges sei entscheidend. Eigenwirtschaftliche
Wege seien nicht versichert. Am Unfalltag habe die Klägerin in der Pause ihren Sohn
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von der Schule abgeholt, damit dieser nicht zwei Stunden am Bahnhof auf eine
Fahrgelegenheit warten müssen. Dieser Zweck des Weges während der Pause sei
allein den privaten Interessen der Klägerin zuzuordnen und stehe in keinem
Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch mit der Begründung ein, sie habe um 15.35
Uhr ihre Arbeit unterbrochen und eine erneute Pause eingelegt, um ihren Sohn von der
Schule abzuholen und nach Hause fahren zu können. Die Pause sei von ihrem
Arbeitgeber bewilligt worden, da sie im Anschluss an die Pause noch dringende
Tagesgeschäfte habe erledigen müssen. Gegen 16.45 Uhr habe sie ihre Arbeit beim F
wieder aufnehmen wollen, sei aber gegen 16.40 Uhr auf dem Rückweg durch den Unfall
daran gehindert worden. Sie sei der Auffassung, dass der Versicherungsschutz nach § 8
Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII zu ihren Gunsten eingreife. Sie sei alleinerziehend und
müsse ihren Sohn zweimal in der Woche von der Schule abholen. Am 28.10.2004 wies
die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII greife
nicht ein. Der Unfall habe sich zwar auf einen direkten Weg der Klägerin zum Ort der
Tätigkeit ereignet, ein innerer Zusammenhang zwischen dem Weg und der versicherten
Tätigkeit sei aber nicht gegeben. Die Unterbrechung der Arbeit weise keinen inneren
Zusammenhang zur Tätigkeit auf. Die Klägerin habe ihre Arbeit nicht unterbrochen, um
ihre Arbeitskraft wieder zu stärken, sondern um ihrem 12-jährigen Sohn die Wartezeit
auf öffentliche Verkehrsmittel zu ersparen. Dieses Verhalten sei rein eigenwirtschaftlich.
Es hätten keine betrieblichen Gründe vorgelegen, die diese Fahrt erfordert hätten. Der
Unfall habe sich nicht auf einem Weg zum Neubeginn der Tätigkeit ereignet. Die
Klägerin habe deutlich ihren subjektiven Willen erklärt, ihre Arbeit nur kurz zu
unterbrechen, um ihren Sohn nach Hause fahren zu können. Sie habe ihre Arbeitsstätte
mit dem Stempel einer "Pause" verlassen und zuvor mit ihrem Arbeitgeber besprochen,
sofort wieder zur Arbeitsstätte zurückzukehren. Die eingelegte Unterbrechung der Arbeit
habe nur den Zeitraum umfasst, den die Wege zur Schule - zu ihrer Wohnung - zur
Arbeitsstätte erfordert hätten. Sie habe ihren Sohn nur kurz abgesetzt und sei sofort
weitergefahren. Der Weg könne auch nicht als Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 a
SGB VII angesehen werden. Ein Versicherungsschutz scheitere schon daran, dass der
Sohn der Klägerin nicht fremder Obhut anvertraut worden sei, sondern allein in der
elterlichen Wohnung zurückgeblieben sei.
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Mit der am 26.11.2004 erhobenen Klage hat die Klägerin die Anerkennung des Unfalles
vom 07.05.2004 als Arbeitsunfall. Sie hat dargelegt, es liege keine Unterbrechung der
Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen Gründen vor, sondern die Unterbrechung weise
einen inneren Zusammenhang zur Tätigkeit auf. Sie habe vor der Aufnahme der Arbeit
am 07.05.2004 ihren Sohn zur Schule gefahren, weil dieser unfallbedingt etwas
gehbehindert gewesen sei. Sodann habe sie um 8.09 Uhr die Arbeit aufgenommen. Ihre
Mittagspause habe sie in der Zeit von 11.35 Uhr bis 12.00 Uhr genommen. Sie habe
beabsichtigt, am 07.05.2004 bis ca. 15.30 Uhr zu arbeiten, anschließend ihren Sohn
zusammen mit einem anderen Kind von der Schule abzuholen und ihren Sohn zu
Hause zu betreuen. Ihr Vorgesetzter habe sie jedoch an diesem Tag gebeten, zur Arbeit
zurückzukommen und Mehrarbeit zu leisten. Wegen eines lang andauernden Ausfalles
einer Kollegin sowie ihrer Abwesenheit an den Tagen zuvor sei ein Arbeitsengpass
entstanden gewesen. Sie habe sich damit unter der Maßgabe einverstanden erklärt,
zuvor ihren Sohn von der Schule in T abholen und nach Hause fahren zu können.
Hiermit habe sich ihr Vorgesetzter einverstanden erklärt. Sie habe um 15.35 Uhr ihre
Arbeit nicht unterbrechen, sondern beenden und gegen 16.40 Uhr die Arbeit neu
beginnen wollen. Der Umstand, dass sie die Arbeitsstätte mit dem Stempel "Pause"
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verlassen habe, bedeute nicht, dass sie auch tatsächlich eine Pause genommen habe.
Sie habe trotz Beendigung ihrer Arbeit im Rahmen der Arbeitszeiterfassung "Pause"
einstempeln müssen, weil Leerzeiten am selben Tag stets nur mit "Pause" gestempelt
werden könnten. Gegen die Annahme einer Pause spreche, dass sie an diesem Tag
bereits ihre Hauptpause in der Zeit von 11.35 Uhr bis 12.00 Uhr genommen habe. Hätte
sie tatsächlich geplant, nachmittags eine erneute Pause zu nehmen, dann hätte sie ihre
Hauptpause auch erst nach Mittag genommen, um die Arbeitszeit durch eine weitere
Pause nicht unnötig zu verkürzen. Auch der Umstand, dass zum Unfallzeitpunkt um
16.40 Uhr über eine Stunde vergangen gewesen sei, spreche gegen die Annahme,
dass sie lediglich eine Pause genommen habe. Der Unfall sei auf der Fahrt von ihrer
Wohnung zum F, also auf dem unmittelbaren Weg zum Ort der Tätigkeit nach § 8 Abs. 2
Nr. 1 SGB VII erfolgt und damit ein Arbeitsunfall im Sinne dieser Vorschrift. Selbst wenn
von einer Unterbrechung der Tätigkeit ausgegangen werde, genieße sie
Versicherungsschutz, weil die Unterbrechung der Tätigkeit wegen des Transports ihres
Sohnes aus betrieblichen Gründen erforderlich gewesen sei. Ansonsten wäre sie nicht
bereit und in der Lage gewesen, die von ihrem Vorgesetzten erbetene Mehrarbeit zu
erbringen. Ohne diese von ihrem Vorgesetzten gewünschte und genehmigte
Unterbrechung hätte sie ihre Arbeit ansonsten beendet. Da sie gleichzeitig mit dem
Transport ihres Sohnes auch eine private Tätigkeit verrichtet habe, liege eine
sogenannte gemischte Tätigkeit vor. Ihren Sohn hätte sie auf jeden Fall von der Schule
abgeholt und nach Hause gefahren. Die erneute Hinfahrt zum F sei hingegen nur auf
rein betriebliche Veranlassung erfolgt und habe damit wesentlich den betrieblichen
Interessen gedient.
Die Beklagte hat dargelegt, die Unterbrechung der Tätigkeit, habe im ureigenen
persönlichen Interesse der Klägerin gelegen. Aus diesem Grunde könne auch nicht von
einer sogenannten gemischten Tätigkeit ausgegangen werden.
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Durch Urteil vom 07.07.2005 hat das Sozialgericht (SG) Köln die Klage abgewiesen.
Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.
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Gegen das am 18.07.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.08.2005 Berufung
eingelegt. Sie verfolgt ihr Begehren weiter und wiederholt im wesentlichen ihr
Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Ergänzend trägt die Klägerin vor, dass
der Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchtst. a SGB VII gegeben sei. Am
Unfalltag sei ihr Sohn nicht wegefähig gewesen. Es sei ihm aufgrund der
Knieverletzung nicht möglich gewesen, den Rückweg von der Schule, der mit einem
Umsteigen und einer Wartezeit von ca. einer Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln
verbunden gewesen sei, allein zurückzulegen. Er habe ihrer besonderen Betreuung
bedurft. Sie sei am 07.05.2004 aus beruflichen Gründen an der Betreuung ihres Sohnes
gehindert gewesen. Wegen der fehlenden Wegefähigkeit des Sohnes stelle die Schule
eine "fremde Obhut" im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchtst. a SGB VII dar. Eine
unmittelbare Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII scheitere allerdings
daran, dass sie ihren Sohn nicht "wegen ihrer beruflichen Tätigkeit" fremder Obhut
anvertraut bzw. wieder abgeholt habe. Denn ihr Sohn sei schulpflichtig gewesen.
Deswegen habe sie ihn zur Schule gebracht und von dort wieder abgeholt. Jedoch sei
eine analoge Anwendung des § 8 Abs.2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII geboten. Nach dem
Wortlaut des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII sei die versicherte Tätigkeit auf das
Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit
abweichenden Weges, um Kinder von Versicherten, die mit ihren in einem
gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer beruflichen Tätigkeit fremder Obhut
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anzuvertrauen, beschränkt. Der Gesetzgeber stelle demnach nur die Eltern unter
Versicherungsschutz, die ihre Kinder u.a. wegen ihrer beruflichen Tätigkeit fremder
Obhut anvertrauen und aus diesem Grund vom unmittelbaren Weg von und nach dem
Ort der Tätigkeit abweichen. Dies müsse auch für die Gruppe von Eltern gelten, die - wie
sie selbst - ihre berufliche Tätigkeit nur unterbrächen, um ihr betreuungsbedürftiges Kind
von einem fremden Ort - vorliegend der Schule - abzuholen, nach Hause zu befördern
und dabei auf dem Hinweg von der Arbeit oder auf dem Rückweg von der Arbeit
verunfallten. Wenn die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes darin bestehe, dass es
Wege im allgemeinen Straßenverkehr nicht alleine zurücklegen könne, müsse der mit
dem Transport des Kindes verbundene Weg der Eltern von und zum Ort des
Transportes ebenfalls unter Unfallversicherungsschutz fallen. Es verstoße gegen den
Gleichheitssatz des Art. 3 Grundgesetz (GG), wenn das Zurücklegen des von einem
unmittelbaren Weg nach und vom Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um ein
wegen der beruflichen Tätigkeit aufsichtsbedürftiges Kind fremder Obhut anzuvertrauen,
dem Versicherungsschutz unterfalle, aber ein Weg während einer Unterbrechung der
Arbeit, um ein betreuungsbedürftiges Kind von einem fremden Ort abzuholen und nach
Hause zu transportieren, nicht versichert sei.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.07.2005 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 24.06.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28.10.2004 zu verurteilen, das Unfallereignis vom
07.05.2004 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin habe sich
unstreitig auf einen unmittelbaren Weg vom Wohnort zur Arbeitsstätte befunden, als sie
am 07.05.2004 gegen 16.35 Uhr verunglückt sei. Es läge kein versicherter Weg im
Sinne des § 8 Abs. 2 SGB VII vor. Der von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII geforderte
ursächliche Zusammenhang sei nicht gegeben, da der wesentliche Zweck für das
Zurücklegen des Weges am 07.05.2004 eigenwirtschaftlich und nicht betrieblich bedingt
gewesen sei. Es habe keinerlei betriebliches Interesse an der Unterbrechung der Arbeit
vorgelegen, da jeder andere den Fahrdienst des Sohnes hätte übernehmen können.
Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verletzungen des Sohnes sei auch ein Fahren
mit öffentlichen Verkehrsmitteln und die Hinnahme von Wartezeiten möglich gewesen.
Es habe für die Klägerin keine dringende Notwendigkeit bestanden, selbst zu fahren.
Ebenso liege kein Versicherungsfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII vor. Zum
einen sei die Begleitung des Sohnes nicht zwingend erforderlich gewesen, zum
anderen fehle es an dem Verbringen in fremde Obhut. Der Sohn sei keinem Dritten
zugeführt worden, der ihn betreuen sollte, sondern er sei schlicht nach Hause gefahren
worden, was auch jeder andere oder ein Taxidienst hätte leisten können. Es sei auch
kein Umweg gefahren worden, um eine Fremdbetreuung sicher zu stellen, sondern es
sei eigens ein Weg zurückgelegt worden, um den Sohn zu Hause abzusetzen. Eine
Betreuung habe nicht stattgefunden und habe auch nicht stattfinden sollen. Insofern
habe sich der Tagesablauf auch nicht von den vorangegangenen Fragen
unterschieden, an denen der Sohn entweder mit dem Bus gefahren oder von den Eltern
einer Schulgefährtin zu Hause abgesetzt worden sei. Die Klägerin sei quasi nur eine
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Schleife gefahren, um ihren Sohn zu transportieren, in dem sie das Büro verlassen, den
Sohn abgeholt, zu Hause abgesetzt habe und wieder zurückgefahren sei. Ein solcher
Fahrdienst entspreche nicht dem Schutzgedanken der gesetzlichen Unfallversicherung.
Im Erörterungtermin vom 06.01.2006 hat der Senat die Klägerin zum Tagesablauf am
07.05.2004 befragt und den Zeugen Dr. I vernommen. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 06.01.2006 Bezug
genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte ist nicht verpflichtet,den
Verkehrsunfall vom 07.05.2004 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Bei dem Verkehrsunfall
am 07.05.2004 handelt es sich weder um einen Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB
VII noch nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII.
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Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer
den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit
(versicherte Tätigkeit). Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist auch das Zurücklegen des
mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von
dem Ort der Tätigkeit eine versicherte Tätigkeit.
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Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist, dass das Verhalten, bei
dem sich der Unfall ereignet hat, in einem inneren (sachlichen) Zusammenhang mit der
Betriebstätigkeit steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten
Tätigkeit zurechnen. Der innere Zusammenhang ist gegeben, wenn das Zurücklegen
des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw. nach Beendigung dieser
Tätigkeit dem Erreichen der Wohnung oder eines dritten Ortes dient. Bei der
Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden
Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zur
welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist
wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten
betrieblichen Tätigkeit bzw. zum Weg zur oder von der Arbeitsstätte gehört. Maßgeblich
ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, wie sie insbesondere durch objektive
Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG, Urteil vom 28.04.2004, - B 2 U 20/03 R -
m. w. N. ). Fehlt es an einem inneren Zusammenhang scheidet der Versicherungsschutz
selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die die
Versicherte auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (BSG,
Urteil vom 09.12.2003, - B 2 U 23/03 R - ).
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Vorliegend besteht kein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit
und dem von der Klägerin am 07.05.2004 zurückgelegten Wege. Dahinstehen kann, ob
die Klägerin bei der Unterbrechung der versicherten Tätigkeit am Unfalltag gegen 15.35
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Uhr ihre Tätigkeit beendet hatte und sie ihre Arbeit gegen 17.00 Uhr neubeginnen wollte
oder ob es sich bei der Unterbrechung der Arbeit um eine Pause bzw. um eine
persönliche Abwesenheitszeit im Sinne von § 12 der Dienstvereinbarung handelte.
Denn unter § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII fallen nicht nur Wege, die vor Beginn und nach
Ende der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, sondern auch mehrfache Wege,
sofern sie mit der Tätigkeit in einem inneren Zusammenhang stehen. Vom
Versicherungsschutz ausgeschlossen sind Wege, die wesentlich eigenwirtschaftlichen
Zwecken dienen und mit der versicherten Tätigkeit nur im losen Zusammenhang stehen.
Denn der Gesetzgeber hat den Versicherten nicht schlechthin auf jedem Weg nach und
von dem Ort der Tätigkeit unter den Schutz der Unfallversicherung stellen wollen (BSG,
Urteil vom 28.06.1984, - 2 RU 13/83 -).
Nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme beabsichtigte die Klägerin bei
Aufnahme der versicherten Tätigkeit am 07.05.2004 um 8.09 Uhr, ihre Tätigkeit gegen
15.30 Uhr zu beenden, um ihren Sohn I1 und seine Klassenkameradin T nach
Unterrichtsende um 16.00 Uhr von der Schule abzuholen, da sie wegen einer
Verhinderung des Ehepaares D den Fahrdienst übernommen hatte. Eine
Wiederaufnahme der Arbeit plante die Klägerin zunächst nicht. Aufgrund eines erhöhten
Arbeitsanfalls in ihrer Abteilung erklärte sich die Klägerin später auf Bitten ihres
Vorgesetzten bereit, die Arbeit nach dem Transport ihres Sohnes von der Schule nach
Hause wieder aufnehmen. Die Klägerin unterbrach deshalb um 15.35 Uhr ihre
versicherte Tätigkeit, holte die beiden Kinder von der Schule ab, setzte zunächst das
Kind T und anschließend ihren Sohn I1 zu Hause ab, hielt sich kurz in der Wohnung auf
und verunfallte auf dem Weg von der Familienwohnung zur Arbeitsstätte. Der Transport
des Sohnes von der Schule nach Hause ist zu den Maßnahmen der Begleitung von
aufsichtsbedürftigen Kinder im Straßenverkehr zu rechnen. Dabei handelte es sich um
eine sonstige Verrichtung des täglichen Lebens, die den eigenwirtschaftlichen
Interessen der Klägerin diente. Denn die Klägerin war aufgrund der ihr obliegenden
Personensorge nach § 1626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gehalten, sicherzustellen,
dass ihr minderjähriger Sohn, insbesondere in Hinblick auf die nach ihren eigenen
Angaben beeinträchtigte Wegefähigkeit, den Schulweg sicher zurücklegen konnte.
Ebenso ist die Zusage der Klägerin gegenüber dem Ehepaar D wegen dessen
Verhinderung ausnahmsweise an einem Freitag den Fahrdienst für die beiden Kinder
zu übernehmen, ihrem persönlichen Lebensbereich zuzurechnen. Die Sicherstellung
der Transportes ihres 12 jährigen Sohnes, der zum Unfallzeitpunkt das 14. Lebensjahr
noch nicht vollendet hatte und daher noch zu den aufsichtsbedürftigen Kindern
gerechnet werden kann (siehe Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII Rz. 223), auf
dem Schulweg durch die Organisation einer Fahrgemeinschaft, bei der sich die Eltern
abwechseln, diente aber auch den betrieblichen Interessen des Arbeitgebers der
Klägerin. Denn die Klägerin war durch die Organisation einer Fahrgemeinschaft in der
Lage, ihre Arbeitszeit an den Tagen, an denen sie für den Transport der Kinder nicht
zuständig war, in Hinblick auf die flexible Arbeitszeit, insbesondere unter
Berücksichtigung des Arbeitsanfalls, variabel zu gestalten. Sonstige Verrichtungen des
täglichen Lebens, die gleichzeitig sowohl den eigenwirtschaftlichen Interessen der
Versicherten als auch den betrieblichen Interessen des Arbeitgebers dienen können,
sind aber grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich der Versicherten und nicht der
versicherten Tätigkeit zuzurechnen und stehen nach der gefestigten Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil vom 07.09.2004, - B 2 U 35/03 R - m. w. N.)
nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, auch wenn sie mittelbar der
Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis dienen. Der Gesetzgeber hat
nicht ausdrücklich angeordnet, dass Wege, die dem Transport von aufsichtsbedürftigen
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Kindern dienen, in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen werden.
Der Gesetzgeber bejaht zwar, dass ein betriebliches Interesse an der Unterbringung von
aufsichtsbedürftigen Kindern besteht, um die Berufstätigkeit von Eltern zu ermöglichen,
hat aber den Versicherungsschutz in § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VII nicht auf den
ausschließlich zum Zweck des Wegbringens oder Abholens eines aufsichtsbedürftigen
Kindes unternommenen Weg erweitert, sondern einen solchen Weg nur dann in den
Versicherungsschutz miteinbezogen, wenn er mit einem Weg zwischen der Wohnung
und dem Ort der Tätigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII verbunden ist (BSG,
Urteil vom 21.12.1977, - 2 RU 49/77 -; Urteil vom 28.04.2004, - B 2 U 20/03 R -).
Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Versicherungsschutz bei an sich
eigenwirtschaftlichen Verrichtungen bejaht werden, wenn die Gesamtumstände dafür
sprechen, dass das unfallbringende Verhalten dem nach den Regeln der gesetzlichen
Unfallversicherung geschützten Bereich zuzurechnen ist. Dies wird bei Verrichtungen
angenommen, die während der Dienstzeit bzw. beim Zurücklegen des Betriebsweges
oder des Weges zum oder vom Ort der Tätigkeit unerwartet notwendig gewesen sind,
um weiterhin eine betriebliche Arbeit verrichten bzw. den Weg zurücklegen zu können
(zusammenfassend: BSG, Urteil vom 07.09.2004, - B 2 U 35/03 R - m. w. N.). Dies ist
vorliegend nicht Fall. Die Notwendigkeit, den Transport der beiden Kindern von der
Schule nach Hause zu übernehmen, trat für die Klägerin während der Arbeitszeit nicht
unerwartet auf, sondern die Klägerin wusste schon bei Arbeitsaufnahme, dass sie die
Arbeit gegen 15.30 Uhr beenden musste, um die Kinder abzuholen. Des weiteren hatte
sie Kenntnis davon, dass wegen der Abwesenheit einer Kollegin es in ihrer Abteilung zu
einem erhöhten Arbeitsanfall kam und sie musste aufgrund ihrer unvorgesehenen
Abwesenheit in der Zeit vom 03.05 bis zum 06.05.2004 mit einem erheblichen
Arbeitsrückstand rechnen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Arbeitgeber am
07.05.2004 ein Interesse daran hatte, dass die Klägerin die Rückstände in ihrer
Abteilung abarbeitete und dazu ihre Tätigkeit nach dem Transport ihres Sohnes wieder
aufnahm. Dies ergibt sich aus den Bekundungen des Vorgesetzten der Klägerin, des
Zeugen Dr. I. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach eigenen Angaben je
nach Arbeitsanfall auch an den Wochentagen, an denen sie regelmäßig den Fahrdienst
übernahm - Dienstag und Donnerstag -, ihre Tätigkeit nach dem Transport der Kinder
wieder aufnahm, so dass es sich bei der Situation am 07.05.2004 um keinen
Ausnahmefall handelte.
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Es ist unerheblich, dass der Verkehrsunfall nicht auf der Hinfahrt von der Arbeitstätte zur
Familienwohnung, sondern auf der Rückfahrt zur Arbeitstätte geschah, und dass die
Klägerin auf diesem Teilstück der Fahrt die Arbeitstätte erreichen wollte. Durch die
Unterbrechung der versicherten Tätigkeit war der gesamte Weg der Klägerin vom
Verlassen der Arbeitstätte bis zum erneuten Erreichen der Arbeitstätte vom
Versicherungsschutz ausgenommen. Ein zu eigenwirtschaftlichen Zwecken dienender
Weg, der zur Unterbrechung des Versicherungsschutzes führt, ist als Einheit zu
behandeln; was für den Hinweg zum Ort einer dem versicherten Lebensbereich nicht
zuzurechnenden Tätigkeit gilt, ist auch für den Rückweg maßgeblich. Der Rückweg teilt
das Schicksal des Hinwegs (siehe BSG, Urteil vom 14.12.1999, - B 2 U 3/99 R -).
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Da die Klägerin - wie bereits ausgeführt - sich auf einem nicht mit der versicherten
Tätigkeit zusammenhängenden Weg befand und nur kurz den häuslichen
Lebensbereich aufsuchte, um dort einen eigenwirtschaftlichen Zweck, nämlich das
Verbringen ihres Sohnes in die Familienwohnung zu verfolgen, um anschließend den
Weg in Richtung zum Ort der versicherten Tätigkeit fortzusetzen, handelt es sich um
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einen einheitlich zu beurteilenden Weg. Dieser diente einheitlich überwiegend einem
eigenwirtschaftlichen Zweck, wobei der häusliche Bereich entgegen der Auffassung der
Klägerin keinen Endpunkt im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII bildete (vgl. BSG,
Urteil vom 29.02.1984, - 2 RU 73/82 -).
Die Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit um 15.35 Uhr war auch wesentlich. Der
sich aus der versicherten Tätigkeit ergebende Versicherungsschutz besteht nur dann
während einer privaten Zwecken dienenden Unterbrechung fort, wenn die
Unterbrechung zeitlich und räumlich nur ganz geringfügig ist und einer Verrichtung
dient, die "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt wird. Sie darf nach
natürlicher Betrachtungsweise und in Würdigung der gesamten Umstände des
Einzelfalles nur zu einer geringfügigen Unterbrechung der versicherten Verrichtung
geführt haben (BSG, Urteil vom 12.04.2005, - B 2 U 11/04 R - ). Eine Unterbrechung der
Betriebstätigkeit für 10-15 Minuten wird nicht mehr als geringfügig angesehen (siehe
BSG, Urteil vom 20.02.2001, - B 2 U 6/00 R - ). Vorliegend war die Unterbrechung
sowohl räumlich als auch zeitlich erheblich, da die Klägerin über einen Umweg -
Abholen des Sohnes im Ort T - zu ihrer Wohnung fuhr und von dort zurückkehrte, und
sie ihre berufliche Tätigkeit um mehr als 15 Minuten unterbrach.
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Bei dem Geschehnisablauf handelte es sich auch nicht um eine gemischte Tätigkeit, bei
deren Ausübung trotz der privaten Zielsetzung ein Versicherungsschutz besteht (vgl.
BSG, Urteil vom 12.04.2005, - B 2 U 11/04 R -). Eine gemischte Tätigkeit liegt vor, wenn
eine Verrichtung nicht trennbar sowohl unversicherten als auch versicherten Zwecken
dient. Versicherungsschutz bei einer gemischten Tätigkeit besteht, wenn sie dem
Unternehmen zwar nicht überwiegend, aber doch wesentlich zu dienen bestimmt ist.
Entscheidendes Kriterium hierfür ist, ob die Tätigkeit hypothetisch auch dann
vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Dies ist vorliegend
nicht der Fall. Denn die Klägerin hätte nach ihrem eigenen Vorbringen ihre berufliche
Tätigkeit nicht unterbrochen, wenn sie nicht ausnahmsweise wegen der Verhinderung
des Ehepaares D ihren Sohn und seine Klassenkameradin von der Schule abholen
musste.
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Die Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII greift zu Gunsten der Klägerin nicht
ein. Danach sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des von einem
unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen
Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen
Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. Nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII ist nicht
der ausschließlich zum Zweck des Wegbringens oder Abholens eines Kindes
unternommene Weg versichert, sondern der Weg muss eine Kombination aus
Arbeitsweg nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII und Wegbringen bzw. Abholen des Kindes
(Weg-Abweichung) darstellen. Der Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a
SGB VII erstreckt sich nur auf die Wege-Abweichung, also auf die Abweichung vom
unmittelbaren Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII Ort der Tätigkeit (BSG, Urteil
vom 28.04.2004, - B 2 U 20/03 R -; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche
Unfallversicherung, § 8 Rz. 13.7). Der Verkehrsunfall der Klägerin geschah nicht auf
dem Weg von der Arbeitsstätte zur Schule bzw. von der Schule zur Familienwohnung,
der eine Abweichung von dem unmittelbaren Weg von der Arbeitstätte zur
Familienwohnung im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII darstellt, sondern auf dem Weg
von der Familienwohnung zur Arbeitsstätte. Dieses Wegstück ist vom Schutzbereich
des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII nicht erfasst. Auch stellt der Schulbesuch keine
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fremde Obhut im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII dar (siehe Ricke in
Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII Rz. 223c).
Ein Versicherungsschutz der Klägerin lässt sich auch nicht durch eine analoge
Anwendung oder eine verfassungskonforme Auslegung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a
SGB VII begründen. Als Ausnahmevorschrift, die den Versicherungsschutz in der
unechten gesetzlichen Unfallversicherung ausweitet, ist § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB
VII eng auszulegen. Der Versicherungsschutz wird durch die Regelung des § 8 Abs. 2
Nr. 2 Buchst. a SGB VII nur auf Umwege von dem nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII
versicherten Weg ausgedehnt, den die Beschäftigte mit ihren aufsichtsbedürftigen
Kindern zurücklegt, die sich typischerweise allein noch nicht sicher im heutigen
Straßenverkehr bewegen können und zu selbständigen Zurücklegung dieser Wege
nicht in der Lage sind, so dass diese Begleitung zur Erreichung des erstrebten Zwecks -
Verbringung in die fremde Obhut oder Abholung daraus - zwingend erforderlich ist
(BSG, Urteil vom 28.04.2004, - B 2 U 20/03 R -). Er weitet den Versicherungsschutz
nicht dahingehend aus, dass unmittelbare Wege von Versicherten von und zur Arbeit,
die im wesentlichen eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen, vom Versicherungsschutz
erfasst werden.
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Ein Verstoß der Bestimmungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1und Nr. 2 Buchst. a SGB VII gegen
den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht erkennbar. Ein solcher
Verstoß ist gegeben, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen
Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine
Unterschiede von solcher Art und solchen Gewicht bestehen, dass sie die
Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BSG, Urteil vom 28.04.20004, - B 2 U 20/03
R - m. w. N. ). Entgegen der Auffassung der Klägerin werden Versicherte, die einen
nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII unversicherten Weg zurückzulegen, um den Transport
eines aufsichtsbedürftigen Kindes zu sichern, nicht gegenüber Versicherten, die nach §
8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII auf einen Ab- oder Umweg von einem nach § 8 Abs. 2
Nr. 1 SGB VII versicherten Weg wegen der Eigenart der transportierten Person
versichert sind (siehe BSG, Urteil vom 28.04.2004, - B 2 U 20/03 R -), ungleich
behandelt. Die Ausweitung des Versicherungsschutzes in § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a
SGB VII knüpft an das Zurücklegen eines versicherten Weges an und regelt nur den
Versicherungsschutz auf einen Ab-/Umweg von einem versicherten Weg für einen
bestimmten Zweck. Die Bestimmung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VII begründet
keinen nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII geforderten inneren Zusammenhang zwischen
dem Zurücklegen des Weges und der betrieblichen Tätigkeit. Das Anknüpfen an das
Zurücklegen eines versicherten Weges für die Ausweitung des Versicherungsschutzes
stellt einen hinreichenden Grund für die Ungleichbehandlung dar, insbesondere in
Hinblick auf die Freiheit des Gesetzgebers, Sachverhalte generalisierend, typisierend
und pauschalierend zu regeln sowie die Tatsache, dass der Schutzbereich der
gesetzlichen Unfallversicherung durch die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf
Wegeunfälle in § 8 Abs. 2 SGB VII erheblich ausgedehnt wurde.
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Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b SGB VII bestand zum
Unfallzeitpunkt ebenfalls nicht. Der Versicherungsschutz erstreckt sich nach dieser
Vorschrift ebenfalls nur auf die Abweichung von einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII
versicherten unmittelbaren Weg. An einem versicherten unmittelbaren Weg fehlt es
jedoch aus den zuvor dargelegten Gründen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil der Senat der Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung beimisst.
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