Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 04.11.2009

LSG NRW (sgg, beschwerde, antragsteller, extensive auslegung, zpo, ablehnung, mitwirkung, antrag, frist, klageverfahren)

Landessozialgericht NRW, L 7 B 331/09 AS
Datum:
04.11.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 331/09 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 31 AS 275/09 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 11.08.2009 aufgehoben. Die Sache wird
zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Antragstellers auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 31 AS 275/09 ER an das
Sozialgericht Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
1
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG)
Dortmund vom 11.08.2009 ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung begründet.
2
I.
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1. Mit Schriftsatz vom 09.07.2009 erhob der Antragsteller Klage vor dem SG Dortmund
gegen die Antragsgegnerin. Er begehrt in dem noch anhängigen Klageverfahren S 31
AS 255/09 als Auszubildender die Verurteilung der Antragsgegnerin (und dortigen
Beklagten) zur Gewährung eines angemessenen Zuschusses zu seinen
Wohnungskosten nach den Vorschriften des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II).
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Mit seiner Klageschrift vom 09.07.2009 beantragte der Antragsteller zugleich
Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens unter Beiordnung seines
Rechtsanwaltes. Hierzu fügte er seiner Klageschrift als Anlage seine von ihm
vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse (i.S.d. § 117 Abs. 2 bis 4 Zivilprozessordnung (ZPO)) vom 03.04.2009 ohne
Anlagen bei. Über diesen Antrag auf Prozesskostenhilfe hat das SG noch nicht
entschieden.
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2. Mit Schriftsatz vom 21.07.2009 begehrte der Antragsteller im anhängigen
Klageverfahren vor dem SG Dortmund einstweiligen Rechtsschutz und beantragte
zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des einstweiligen
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Rechtsschutzverfahrens. Der Vorsitzende Richter des SG verfügte die Eintragung als
einstweiliges Rechtsschutzverfahren; diesem wurde das Aktenzeichen S 31 AS 275/09
ER zugewiesen.
Nach der Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 28.07.2009 trug der Antragsteller
mit Schriftsätzen vom 06. und 07.08.2009 in der Sache weiter vor.
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Mit Beschluss vom 11.08.2009 lehnte das SG sodann den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung ab, weil der Antragsteller einen Anordnungsgrund gemäß §
86b Abs. 2 SGG nicht glaubhaft gemacht habe. Mit weiterem und mit der Beschwerde
angegriffenem Beschluss vom 11.08.2009 lehnte das SG den Antrag auf
Prozesskostenhilfe für die Durchführung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ab.
Die Gründe des Beschlusses bestehen aus folgendem Satz: "Der Antragsteller hat
seine finanziellen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht, nicht einmal die Erklärung über
die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse eingereicht." Die Beschwerde gegen
diesen Beschluss sei gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
ausgeschlossen.
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3. Gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des SG Dortmund vom
11.08.2009 hat der Antragsteller am 28.08.2009 (sinngemäß) Beschwerde erhoben. Zur
Begründung hat er vorgetragen, er habe seine Erklärung über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse bereits im anhängigen Klageverfahren eingereicht. Das
SG hätte ihm einen Hinweis erteilen müssen, wenn es dies nicht als ausreichend
erachten würde.
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II.
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Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung an
das SG Dortmund begründet.
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1. Die Beschwerde ist statthaft. Sie ist entgegen der Rechtsauffassung des SG
Dortmund nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ausgeschlossen.
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a) Nach dieser Regelung ist die Beschwerde gegen die Ablehnung von
Prozesskostenhilfe ausgeschlossen, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen
oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint hat.
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Dies hat das SG nicht getan. Denn es hat die persönlichen oder wirtschaftlichen
Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe gar nicht geprüft und damit auch nicht
verneint. Es hat seine Entscheidung vielmehr auf eine aus seiner Sicht fehlende
Mitwirkung des Antragstellers bei der Feststellung der persönlichen oder
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe gestützt.
Denn es war der Auffassung, der Antragsteller habe "seine finanziellen Verhältnisse
nicht glaubhaft gemacht".
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b) Das SG hat keine Rechtsgrundlage für seine Entscheidung benannt. Es war
möglicherweise der Auffassung, die Ablehnung der Prozesskostenhilfe auf eine
fehlende Mitwirkung des Antragstellers im Prozesskostenhilfeverfahren gemäß § 118
Abs. 2 Satz 4 ZPO (i.V.m. § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) stützen zu
können.
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Nach dieser Regelung lehnt das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab,
soweit der Antragsteller innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist Angaben über
seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht hat oder
bestimmte Fragen nicht oder ungenügend beantwortet hat.
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Diese Tatbestandsvoraussetzungen liegen hier aber erkennbar nicht vor. Denn das SG
hat dem Antragsteller eine Frist gemäß § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO nicht gesetzt. Es hat
vielmehr hinsichtlich des Prozesskostenhilfegesuchs sogleich "durchentschieden",
ohne dem Antragsteller eine Frist für eine Mitwirkung gesetzt, ohne ihn vorher angehört
und ohne ihm eine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben.
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In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird die aus Sicht des erkennenden Senats
zutreffende Rechtsauffassung vertreten, dass die Beschwerde gegen eine Ablehnung
der Prozesskostenhilfe wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers gemäß § 118
Abs. 2 Satz 4 ZPO von dem Ausschluss der Beschwerde des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG
erfasst wird (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 04.02.2009 - L
19 B 28/09 AS -; LSG NRW vom 26.01.2009 - L 7 B 370/08 AS -; LSG NRW vom
19.01.2009 - L 9 B 34/08 AL -; LSG NRW vom 09.12.2008 - L 6 B 34/08 SB -; LSG
Sachsen vom 06.08.2009 - L 3 AS 375/09 B -; LSG Berlin-Brandenburg vom 24.03.2009
- L 5 B 2025/08 AS -; LSG Baden-Württemberg vom 13.01.2009 - L 11 KR 5759/08 PKH-
B -; alle Juris). Denn die Ablehnung wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 118 Abs. 2
Satz 4 SGG ist mit der von § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG erfassten Verneinung der
persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von
Prozesskostenhilfe gleichzusetzen bzw. wird von diesem Beschwerdeausschluss erst
recht erfasst.
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Das SG hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht gemäß § 118 Abs. 2 Satz 4
SGG ablehnen können, weil es wie dargelegt dem Antragsteller nicht die hierfür
erforderliche Frist gesetzt hat. Abgesehen davon, dass das Gesetz diese Fristsetzung
ausdrücklich verlangt, bestand hierfür auch deshalb besondere Veranlassung, weil der
Antragsteller in dem nur 12 Tage vor dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren
anhängig gewordenen Klageverfahren eine vollständig ausgefüllte Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (allerdings noch ohne Anlagen)
vorgelegt hatte.
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c) Der Senat ist nicht der Auffassung, dass § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG den Rechtssatz
verlautbart, die Ablehnung von Prozesskostenhilfe könne mit der Beschwerde nur noch
dann angefochten werden kann, wenn das Gericht die Erfolgsaussichten in der
Hauptsache verneint hat, so dass sämtliche anderen Ablehnungsgründe von dem
Beschwerdeausschluss des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG erfasst würden.
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Eine derartig extensive Auslegung kann sich insbesondere nicht auf die
Gesetzesbegründung stützen. So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 172 Abs. 3
Nr. 2 SGG (BT-Drucks. 16/7716, Seite 22) zwar: "Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe
kann mit der Beschwerde nur noch angefochten werden, wenn die Erfolgsaussichten in
der Hauptsache vom Gericht verneint wurden." Doch dem folgt aber unmittelbar der
weitere Satz: "Hat das Gericht hingegen die persönlichen oder wirtschaftlichen
Voraussetzungen verneint, ist die Beschwerde gegen diese Entscheidung nicht
statthaft."
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Dies verdeutlicht, dass die Gesetzgebung bei Erlass des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG zwei
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Sachverhalte vor Augen hatte: Zum einen den Fall, dass ein SG die persönlichen oder
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe geprüft
und sodann verneint hat, und zum anderen des Fall, dass das SG die Erfolgsaussichten
in der Hauptsache verneint hat. Die Gesetzgebung ging dabei davon aus, mit diesen
beiden (und sich gegenseitig ausschließenden: "hingegen") Fällen alle Sachverhalte
erfasst zu haben, die zu einer Ablehnung von Prozesskostenhilfe führen können.
Dies ist aber nicht zutreffend. Denn die Gewährung von Prozesskostenhilfe kann unter
den gesetzlichen Voraussetzungen des § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO (i.V.m. § 73 a Abs. 1
Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ferner auch wegen fehlender Mitwirkung des
bedürftigen Rechtsschutzsuchenden abgelehnt werden. Das SG prüft in einem solchen
Fall die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von
Prozesskostenhilfe nicht und kann diese - eben wegen der fehlenden Mitwirkung - auch
gar nicht prüfen. Dieser Fall ist zur Überzeugung des Senats wie ausgeführt hinsichtlich
des Beschwerdeausschlusses gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG mit dem dort
ausdrücklich geregelten Fall wertungsmäßig zu vergleichen, in dem das SG die
persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von
Prozesskostenhilfe geprüft und sodann verneint hat.
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Bei Entscheidungen jedoch, die sich wie der mit der Beschwerde angegriffene
Beschluss des SG auf keine Rechtsgrundlage stützen (lassen), ist es zur Überzeugung
des Senats nicht zu rechtfertigen, den Beschwerdeausschluss des § 172 Abs. 3 Nr. 2
SGG auf diesen Sachverhalt zu erstrecken. 3. Der Senat hat die Sache entsprechend §
159 Abs. 1 SGG an das SG unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
zurückverwiesen. Da das SG über die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung (§ 114
ZPO) nicht entschieden hat, wollte der Senat dem nicht vorgreifen.
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4. Kosten sind im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten (§ 73a
Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).
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5. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
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