Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 01.08.2005

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Landessozialgericht NRW, L 19 B 21/05 AS ER
Datum:
01.08.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 21/05 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 10 AS 42/05 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 03.05.2005 wird zurückgewiesen.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfenen hat (Beschluss
vom 17.05.2005), ist unbegründet.
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Angesichts der von der Antragstellerin mittlerweile vorgelegten außerordentlichen
Kündigung ihres Mietverhältnisses und der darin ausgesprochenen
Räumungsaufforderung könnte die vom Sozialgericht noch verneinte Eilbedürftigkeit
vorliegen (vgl.: die Rechtsprechung des OVG NW, etwa Beschluss vom 16.03.2000, 16
B 308/00, FEVS, 52,24 ff., das bereits bei bevorstehender Kündigung und
Räumungsklage einen Anordnungsgrund angenommen hat).
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Zur Überzeugung des Senats fehlt vorliegend aber ein Anordnungsanspruch.
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Denn die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf höhere als die ihr mit Bescheiden vom
30.11.2004, 30.03.2005, 11.04.2005, 19.04.2005 bewilligten Unterkunfts- und
Heizungskosten. Insbesondere steht ihr der tatsächlich aufgewendete Kaltmietzins nicht
nach § 22 Abs. 1 SGB II (Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitslose) zu. Nach §
22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen nämlich nur erbracht, soweit diese angemessen sind.
Weitere nach der Besonderheit des Einzelfalls erforderliche Aufwendungen sind nach §
22 Abs. 1 Satz 2 SGB II allein bei Fehlen einer Preiswerteren Unterkunftsalternative zu
übernehmen, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate.
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Mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu § 3 Abs. 1 Satz 2
Regelsatzverordnung in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BSHG (Zusammenfassung und
weitere Nachweise im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.04.2005, - 5 C
15/04) sind bei der Beurteilung der Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine
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Unterkunft die örtlichen Verhältnisse zunächst insoweit maßgeblich, als auf die im
unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des
Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser
tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspanne zu ermitteln ist. Diese Prüfung muss die
Frage einschließen, ob dem Leistungsempfänger im Bedarfszeitraum eine andere
bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist
bzw. war. Besteht eine derartige Unterkunftsalternative nicht, ist die tatsächliche Miete
zu übernehmen. Sonach ist die angemessene Höhe der Unterkunftskosten als Produkt
aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem
nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro m² zu ermitteln
("Produkttheorie", Bundesverwaltungsgericht, a.a.O. sowie das zugrundeliegende Urteil
des OVG NW vom 15.03.2004, - 12 A 714/03 -, info also 2005, 37 ff.; ZFSH/SGB 2005,
155 ff.).
Nach diesen Maßstäben sind die von der Antragsgegnerin ihrer Bewilligung zugrunde
gelegten 297,- Euro nicht zu beanstanden. Diese Zahl entspricht dem Produkt aus der -
in Anlehnung an das Wohnungsbindungsrecht - für Alleinstehende (noch) als
angemessen anzusehenden Wohnfläche von 45 m² (5.71 a) der
Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz, Runderlass des Ministeriums
für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport vom 08.03.2004 Ministerialblatt NW vom
10.05.2002 Nr. 23) und dem nach den örtlichen Verhältnissen am Wohnort der
Antragstellerin als (noch) angemessen anzusehenden Kaltmietzins von 6,60 Euro je m²
(45 x 6,60 = 297,-).
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Den als noch angemessen anzusehenden Mietzins hat die Antragsgegnerin zutreffend
unter Auswertung des für den Raum Köln geltenden Mietspiegels mit 6,60 Euro je m²
bestimmt. In welcher genauen Höhe Aufwendungen für eine Unterkunft nach den
Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Mietpreissituation auf dem
maßgeblichen regionalen Wohnungsmarkt angemessen sind, ist eine Frage der
tatrichterlichen, auf den Einzelfall bezogenen Bewertung der für den jeweiligen
Wohnungsmarkt zur Verfügung stehenden Informationen, die nicht durch Einsatz der für
die Bemessung des Wohngeldes bestimmten Höchstbeträge ersetzt werden kann
(Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31.08.2004, - 5 C 8/04 -, NJW 2005, 310 ff.).
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Im Kölner Mietspiegel für nichtöffentlich geförderte Wohnungen nach dem Stand von Juli
2004, bei dem es sich um einen sog. "einfachen" Mietspiegel ohne die Indizwirkung aus
§ 558d BGB hinsichtlich der maßgeblichen ortsüblichen Vergleichsmiete handelt, finden
sich Wohnungen in mittlerer Wohnlage bei Ausstattung mit Heizung, Bad, WC und einer
Größe um 40 m² in der Spanne von 5,40 bis 7,- je m² bei bis 1960 bezugsfertigen
Gebäuden auch in sehr guter Wohnlage noch in der Spanne von 5,95 bis 7,45 Euro. Im
Mietspiegel der Gruppe 2 (Wohnungen die bis 1975 bezugsfertig wurden) liegt die
Spanne für Wohnungsgrößen um 40 m² in mittlerer Wohnlage und mit der genannten
Ausstattung bei 6,40 bis 8,30 Euro. Hiernach wird die Antragstellerin nicht auf die
Inanspruchnahme qualitativ unzumutbaren Wohnraumes verwiesen, die auch nach der
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum BSHG unzulässig war
(Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.05.1996, - 5 C 14/95 -, BVerwGE 101, 194 ff.).
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Die Antragstellerin hat einen - den angemessenen Bedarf übersteigenden - besonderen
Bedarf nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht glaubhaft gemacht. Er ergibt sich zunächst
nicht aus besonderen gesundheitlichen Verhältnissen der Antragstellerin. Die ist zwar
nach dem vorgelegten Attest des Dr. N vom 16.01.2004 auf trockenen Wohnraum
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angewiesen ist (weswegen er einen Umzug aus der wohl feuchten Wohnung
befürwortete). Trockener Wohnraum entspricht aber dem Standard. Die von der Klägerin
genutzte Wohnung scheint hiervon abzuweichen. Ein an den angemessenen Bedarf
übersteigender Bedarf ergibt sich auch nicht (mehr) unter dem Gesichtspunkt der
fehlenden Verfügbarkeit preiswerteren Wohnraumes. Nach den vom Senat eingeholten
Auskünften des Haus- und Grundbesitzervereines, der Vereinigung von Haus-,
Wohnungs- und Grundeigentümern, des Mietervereines und des Amtes für u.a.
Wohnungsversorgung mag insbesondere im öffentlich geförderten Wohnungsmarkt eine
teilweise angespannte Bedarfslage bei Einpersonenwohnungen bestanden haben bzw.
noch bestehen. Einheitlich werden jedoch die Chancen der Antragstellerin, eine
adäquate angemessene Wohnung in dem Zeitraum seit der erstmaligen Aufforderung
durch den (seinerzeit zuständigen) BSHG Träger im August 2003 zu finden, als
realistischer angesehen. Der Senat sieht keine Veranlassung, eine hiervon
abweichende eigene Einschätzung abzugeben. Insbesondere belegen nämlich die von
der Klägerin vorgelegten Bewerbungslisten und Zeitungsausrisse nebst zugehörigen
Kommentaren nicht, dass es ihr unmöglich gewesen ist bzw. noch ist, angemessenen
Wohnraum zu erhalten. Welche Anforderungen an diesen Nachweis zu stellen sind,
richtet sich nicht nur nach dem Verhältnissen am örtlichen Wohnungsmarkt sondern
zudem nach den besonderen, Beschaffung neuen Wohnraumes u. U. erschwärenden
Verhältnissen des Leistungsempfängers (Bundesverwaltungsgericht; Urteil vom
30.05.1996, a.a.O., OVG NW, Beschluss vom 17.03.1999, - 16 A 1546/98 -).
Persönliche Erschwernisgründe sind von der Antragstellerin nicht dargetan und sie sind
auch nicht ersichtlich. Insbesondere stellt es kein Vermittlungshindernis dar, dass die
Klägerin auf öffentliche Leistungen angewiesen ist. Denn im Gegensatz zur Rechtslage
nach dem BSHG werden Unterkunftskosten nach dem SGB II nicht mehr direkt an die
Vermieter ausgezahlt (Ausnahme nach § 22 Abs. 4 SGB II).
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Die Klägerin hat nicht belegt, das es ihr, bezogen auf ihr zumutbare Unterkünfte
bezogen auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin, den Raum der
Stadt Köln, seit August 2003 unmöglich gewesen ist, eine angemessene Unterkunft zu
finden. Denn sie hat ihre bisherige Suche nach den vorgelegten Unterlagen auf eine
Auswahl Innen stadt nahe begehrter Wohnlagen (insbesondere Sülz, Ehrenfeld,
Lindenthal) beschränkt, während jeglicher Nachweis von Bemühungen um Wohnraum
in preiswerten Stadtgebieten wie einigen nördlichen Stadtteilen oder rechts des
Rheines fehlt.
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Die Antragstellerin hat zudem jegliche Bemühungen um öffentlich geförderten und
regelmäßig gegenüber den frei finanzierten Wohnungsbau preiswerteren Wohnraum
unterlassen, ja sie hat nicht einmal dafür gesorgt, regelmäßig im Besitz eines
Wohnberechtigungsscheines als der wichtigsten Zugangsvoraussetzungen zu solchem
Wohnraum zu sorgen.
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Von der Verfügbarkeit angemessenen Wohnraumes ist daher (weiterhin) auszugehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.
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Eine Beschwerde gegen diese Entscheidung an das Bundessozialgericht ist nicht
zulässig, § 177 SGG.
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