Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.05.1997

LSG NRW (stationäre behandlung, behandlung, ambulante behandlung, krankenkasse, notwendigkeit, allgemeine bedingungen, verhältnis zwischen, medizinische indikation, klinik, patient)

Landessozialgericht NRW, L 16 Kr 183/96
Datum:
15.05.1997
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 16 Kr 183/96
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 4 Kr 45/94
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 31.07.1996 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt
auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das
Berufungsverfahren.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob die Beklagte die Kosten der stationären Behandlung des bei ihr
versicherten xxxxx xxx (im folgenden: Versicherter) in der Klinik der Klägerin auch für
die Zeit vom 15.09. bis 24.09.1992 zu übernehmen hat.
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Der Versicherte wurde wegen einer aktiven offenen Lungen-Tbc im Lungenkrankenhaus
xxxxxxxxx stationär vom 22.07. bis 03.08.1992 behandelt. Aus disziplinarischen
Gründen wurde er in die Klinik der Klägerin verlegt. Die Beklagte erteilte zunächst
Kostenzusagen für die Zeit vom 03.08. bis 14.09.1992. Am 21.09.1992 beantragte die
Klägerin die Kostenübernahme für die Zeit bis 20.10.1992. Sie begründete die
Notwendigkeit eines weiteren stationären Aufenthalts mit Ansteckungsfähigkeit und
Notwendigkeit zur Überwachung der Medikamenteneinnahmen. Am 24.09.1992 wurde
der Versicherte auf seinen dringlichen Wunsch entlassen. Zwei Tage zuvor hatte ein
Röntgen-Thorax-Befund eine "eindrucksvolle Rückbildung der Infiltrationen im li. Ober-
und Mittelfeld" gezeigt; in den Tomogrammen war eine "deutliche Verkleinerung der
vorbestehenden großen Zerfallshöhlen" zur Darstellung gekommen; mikroskopisch
konnten keine Erreger mehr nachgewiesen werden (Entlassungsbericht der Klinik der
Klägerin vom 24.09.1992).
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Mit Schreiben vom 02.10.1992 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme vom
15.09.1992 an ab: Aufgrund des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Bundesseuchengesetz
(BSeuchG) seien die Kosten für die Durchführung von Schutzmaßnahmen nach § 37
aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten, soweit nicht anderweitige gesetzliche Vorschriften
Dritte verpflichteten, Kosten zu tragen. Die Notwendigkeit von stationärer
Krankenhausbehandlung richte sich allein nach medizinischen Gesichtspunkten. Sie
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hänge davon ab, ob die für den Versicherten angezeigte Behandlung ausschließlich mit
den Mitteln und Einrichtungen eines Krankenhauses durchgeführt werden müsse. Die
Weiterbehandlung des Versicherten sei jedoch dem Grunde nach ambulant möglich
gewesen; eine Überwachung der Medikamenteneinnahme rechtfertige nicht eine
derartige kostenintensive Leistung. Im übrigen könne die Ansteckungsfähigkeit und die
damit verbundene Isolierung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
gehen. Kostenträger für die stationäre Unterbringung zum Zwecke einer Absonderung
im Sinne des § 37 BSeuchG sei das Land.
Die Klägerin wies erläuternd darauf hin, daß aus seuchenhygienischen Gründen bei der
massiv ansteckungsfähigen Tbc. keine ambulante Therapie in Betracht gekommen sei.
Erst 2 Tage vor der Entlassung habe das Resistogramm der Tbc-Keime vorgelegen. Da
somit eine Effektivität der Therapie anzunehmen gewesen sei und das Röntgenbild
einen Rückgang gezeigt habe, sei der Versicherte trotz des großen Restrisikos bei
immer noch bestehenden Zerfallshöhlen nach Hause entlassen worden. Eine frühere
Entlassung sei bei der eingeschränkten Kooperation des Versicherten und den
fehlenden Befunden unverantwortlich gewesen.
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Die Beklagte weigerte sich gleichwohl, die Kosten für die Behandlung für die Zeit vom
15.09. bis 24.09.1992 zu übernehmen. Zwar handele es sich bei der Tbc. um eine
behandlungsbedürftige Krankheit; jedoch sei keinesfalls erforderlich, daß der Patient
zum Entlassungszeitpunkt ein Tbc.-negatives Sputum aufweisen müsse; nach der
stationären Anbehandlung könne ambulant weiter therapiert werden.
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Am 08.02.1994 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, der
stationäre Aufenthalt sei erforderlich gewesen, um eine Krankheit zu behandeln. Die
Dauer der Krankenhausbehandlung im Sinne der medizinischen Notwendigkeit
unterliege allein dem Verantwortungsbereich des Krankenhauses, so daß die Beklagte
an die Beurteilung der Krankheit durch die Ärzte gebunden sei. Die Klägerin hat
ergänzend auf eine Stellungnahme von Dr. Nxxxxxxx (Gesundheitsamt der Stadt
Wxxxxxxxx) vom 15.04.1993 Bezug genommen, in der aufgrund des Initialbefundes und
der bestehenden Begleitumstände die stationäre Behandlung des Versicherten bis zum
24.09.1992 aus ärztlicher Sicht als dringend erforderlich angesehen worden ist.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die stationäre Behandlung des Mitgliedes
xxxxx xxx für den Zeitraum vom 15.09. bis 24.09.1992 zu übernehmen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist bei ihrer Auffassung geblieben, daß keine Notwendigkeit für eine stationäre
Krankenhausbehandlung bestanden habe. Sie hat insoweit auf eine medizinische
Stellungnahme der beratenden Ärztin des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung (MDK) Nordrhein, Dr. Kxxxxxx-Sxxxxx, vom 29.06.1994
verwiesen. Danach habe die Behandlung auch unter ambulanten Bedingungen erfolgen
können; eine stationäre Behandlung habe nur aus seuchenhygienischen bzw.
Compliance-Gründen stattgefunden. In derartigen Fällen könne auf eine stationäre
Behandlung verzichtet werden, wenn sichergestellt sei, daß die Umgebung des
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Patienten vor einer Ansteckung sicher sei und daß der Patient die notwendigen
Medikamente regelmäßig und zuverlässig einnehme.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen
Sachverständigengutachtens von dem Arzt für Pneumologie und Allergologie, Dr.
Wxxxxxxxxx. Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten vom 25.03.1995 Bezug
genommen.
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Das Sozialgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 31.07.1996 verurteilt, der Klägerin
die Kosten der stationären Behandlung des Versicherten für den Zeitraum vom 15.09.
bis 24.09.1992 im erstattungsfähigen Umfang zu erstatten. Es ist - insbesondere
aufgrund des Gutachtens von Dr. Wxxxxxxxxx - zum Ergebnis gelangt, daß eine
stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen bis zum 24.09.1992 erforderlich
war. Nach Auffassung des Sozialgerichts ist es unschädlich, daß auch
seuchenhygienische Gründe einem früheren Beginn der ambulanten Behandlung
entgegen gestanden haben. Solange aus medizinischen Gründen eine stationäre
Behandlung notwendig sei und während dieses Zeitraums auch seuchenhygienische
Gründe vorlägen, die einer Entlassung aus stationärem Aufenthalt entgegenstünden, sei
die Krankenkasse verpflichtet, die Kosten der stationären Behandlung zu übernehmen.
Dies gelte selbst dann, wenn seuchenhygienische Gründe neben der medizinischen
Notwendigkeit weiterer stationärer Behandlung im Vordergrund stünden. Desweiteren
hat sich das Sozialgericht damit auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen
ein Anspruch des Krankenhauses auf Kostenübernahme gegen die öffentliche Hand
nach dem BSeuchG entstehe. Das Gericht hat die Auffassung vertreten, daß nur
aufgrund eines Absonderungsbeschlusses gemäß § 37 BSeuchG ein solcher Anspruch
bestehen könne. Die Krankenkasse könne ihre grundsätzliche Kostenerstattungspflicht
nur beenden, wenn sie einen Absonderungsbeschluß herbeiführe. Da sie einen solchen
nicht veranlaßt habe, obwohl ihr dies möglich gewesen wäre, habe sie die Kosten der
stationären Behandlung bis zum 24.09.1992 zu übernehmen.
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Gegen das am 26.09.1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.10.1996 Berufung
eingelegt. Sie folgert aus der Feststellung von Dr. Wxxxxxxxxx, daß erst dann, wenn
klinische Befunde eine eindeutige Besserung zeigten und alle verabreichten
Medikamente wirksam seien (Resistenzbestimmung), der Patient ohne Gefährdung für
seine Umgebung aus stationärer Behandlung entlassen werden könne, daß diese
Aussage lediglich die Notwendigkeit seuchenhygienischer Maßnahmen und nicht die
Notwendigkeit eines medizinischen stationären Aufenthaltes betreffe. Sodann wehrt
sich die Beklagte gegen die Aussage des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil, daß
ohne einen Absonderungsbeschluß auch eine eventuell vorliegende objektive
Notwendigkeit zur Isolierung nicht die Kostentragungspflicht nach dem BSeuchG
auslöse. Sie meint, daß ein willkürliches Unterlassen eines Antrags nach § 37 BSeuchG
nicht zu Lasten der Krankenversicherung gehen könne. Ebenso wenig könne der
Krankenversicherungsträger, um Kosten zu sparen, gezwungen werden, Anträge nach §
37 BSeuchG zu stellen oder darauf hinzuwirken.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31.07.1996 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verweist auf das nach ihrer Auffassung zutreffende erstinstanzliche Urteil.
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Der Senat hat ergänzende Stellungnahmen von Dr. Nxxxxxxx (Gesundheitsamt der
Stadt Wxxxxxxxx) vom 27.01.1997 und von der Klinik der Klägerin vom 29.01.1997
eingeholt, auf die verwiesen wird.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten und der Klägerin, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht erhoben und deshalb zulässig. Sie ist
jedoch nicht begründet.
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Die Rechtsbeziehungen der Beteiligten gestalten sich nicht im Über- und
Unterordnungsverhältnis, sondern basieren auf vertraglicher Grundlage. Die Klage ist
daher als echte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz - SGG) zulässig (vgl.
BSG, Urteil vom 21.08.1996 - 3 RK 2/96 m.w.N.).
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Krankenhausbehandlung wird dem Versicherten gegenüber von der Krankenkasse als
Sachleistung erbracht (§§ 2 Abs. 2 Satz 1, 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5,
39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - SGB V). Der Leistungsanspruch des
Versicherten und ihm korrespondierend die Leistungspflicht der Krankenkasse kann nur
durch zugelassene Krankenhäuser erfüllt werden (§§ 39 Abs. 1 Satz 2, 108 SGB V).
Zugelassene Krankenhäuser sind Hochschulkliniken im Sinne des
Hochschulförderungsgesetzes, Krankenhäuser, die in den Krankenhausplan eines
Landes aufgenommen worden sind (Plankrankenhäuser) oder Krankenhäuser, die
einen Versorgungsvertrag abgeschlossen haben (§ 108 SGB V). Als akademisches
Lehrkrankenhaus der Universität Dxxxxxxxxx zählt die Klinik der Klägerin zu den
Hochschulkliniken im Sinne des Hochschulförderungsgesetzes, da sie eine Einrichtung
der Universität Dxxxxxxxxx ist, die in der Anlage zum Hochschulförderungsgesetz
aufgeführt ist. Insofern kommt es auf den Abschluß eines Versorgungsvertrages, den
das Sozialgericht unterstellt, nicht an (vgl. § 109 Abs. 1 Satz 2 SGB V).
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Die grundsätzliche Zahlungsverpflichtung der Beklagten ist - unabhängig von einer
Kostenzusage - unmittelbar durch die Inanspruchnahme der Sachleistung
"Krankenhausbehandlung" entstanden. Ob der Vergütungsanspruch dabei nur soweit
wie der Behandlungsanspruch des Versicherten gegen die Beklagte reicht, kann
dahinstehen, weil der Versicherte einen Behandlungsanspruch erworben hatte. Der im
Gesetz global zugesagte (Rahmen-)Anspruch des Versicherten auf
Krankenhausbehandlung wird durch die Entscheidung des Krankenhausarztes über die
Aufnahme erstmalig und durch die jeweils geplanten und durchgeführten
Behandlungsschritte fortlaufend konkretisiert und erfüllt, so daß die Krankenkasse
aufgrund des Sachleistungsprinzips verpflichtet ist, den Versicherten von den dadurch
entstandenen Aufwendungen freizustellen (BSG, Urteil vom 21.08.1996 - 3 RK 2/96).
Die Krankenhausbehandlung wird - in der Regel - vom zugelassenen Vertragsarzt
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verordnet und vom zugelassenen Krankenhaus auf ihre Notwendigkeit überprüft (§ 39
Abs. 1 Satz 2 SGB V). Wie bei der ambulanten Behandlung dem Vertragsarzt (vgl.
BSGE 73, 271, 278 ff. = SozR 3 - 2500 § 13 Nr. 4), kommt im Bereich der
Krankenhausbehandlung dem Krankenhausarzt eine "Schlüsselstellung" zu. Denn das
zugelassene Krankenhaus und dessen Ärzte sind aufgrund des Sachleistungsprinzips
gesetzlich ermächtigt, mit Wirkung für die Krankenkasse über die Aufnahme sowie die
erforderlichen Behandlungsmaßnahmen und damit konkludent auch über den
Leistungsanspruch des Versicherten zu entscheiden; die Krankenkasse ist dann
grundsätzlich an diese Entscheidung gebunden (BSG, Urteil vom 23.04.1996 - 1 RK
20/95 = SozR 3 - 2500 § 39 Nr. 3; Urteil vom 21.08.1996 - 3 RK 2/96). Das gilt auch für
die Dauer des stationären Aufenthalts, wenn der Versicherte die (weitere) Leistung als
eine solche der Krankenkasse in Anspruch nimmt. Einwendungen der Krankenkasse
gegen die Fortsetzung der Behandlung können den durch die bereits erbrachte Leistung
konkretisierten und gleichzeitig erfüllten Anspruch des Versicherten nicht in Frage
stellen. Künftige durch Konkretisierung seitens des Krankenhauses entstehende (Sach-
)Leistungsansprüche kann die Krankenkasse nur dadurch verhindern, daß sie ihre
Einwendungen dem Versicherten vor der Leistungserbringung mitteilt oder mitteilen
läßt. Solange die Krankenkasse - wie im vorliegenden Fall - schweigt, werden die dem
Versicherten erbrachten Leistungen grundsätzlich als von ihr erbracht angesehen; ob
sie oder der Krankenhausträger letztlich dafür einzustehen hat, ist in deren Verhältnis
zueinander, nicht aber im Verhältnis zwischen Versichertem und Krankenkasse zu
entscheiden (BSG, Urteil vom 23.04.1996 - 1 RK 20/95 = SozR 3 - 2500 § 39 Nr. 3).
Mit ihrer Entscheidung, den Versicherten auch in der Zeit vom 15.09. bis 24.09.1992
vollstationär zu behandeln, hat die Klinik der Klägerin nicht die gesetzlich und
vertraglich gezogenen Grenzen überschritten. Die allgemeinen Voraussetzung einer
Krankenhausbehandlung zu Lasten der Krankenversicherung ergeben sich aus § 39
SGB V und dem zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen und dem
AOK-Landesverband Rheinland sowie anderen Krankenkassen-Landesverbänden und
Krankenkassen geschlossen Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V - Allgemeine
Bedingungen der Krankenhausbehandlung - vom 30.01.1992 (im folgenden: Vertrag).
Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung, wenn die Aufnahme nach
Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch
teilstationäre, vor- und nachstationäre und ambulante Behandlung einschließlich
häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Die Krankenhausbehandlung umfaßt
im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im
Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der
Versicherten im Krankenhaus notwendig sind (§ 39 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V). Gemäß
§ 5 des Vertrages liegt die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung u.a.
insbesondere nicht vor,
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- wenn ambulante Behandlung ausreicht,
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- wenn sich ein chronischer Krankheitszustand mit den besonderen medizinischen
Mitteln eines Krankenhauses nicht mehr beeinflussen läßt,
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- bei ausschließlich sozialen Erwägungen,
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- bei einer Unterbringung allein aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
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Zur Verweildauer bestimmt § 9 des Vertrages, daß die Krankenhausbehandlung zu
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beenden ist, wenn sie aus medizinischen Gründen nicht mehr notwendig bzw. eine
andere Maßnahme zweckmäßig ist. Der Anspruch der Klägerin ist begründet, weil die
vollstationäre Behandlung des Versicherten auch in der Zeit vom 15.09. bis 24.09.1992
aus medizinischen Gründen notwendig war. Dies ergibt sich zur Überzeugung des
Senats aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Wxxxxxxxxx vom 25.03.1995.
Dieser hat dargelegt, daß die Dauer der notwendigen stationären Behandlung
ausschließlich davon abhängt, wie lange ein Patient ansteckungsfähige Tbc.-Bakterien
ausscheidet. Zwar sei relativ schnell nach Aufnahme in der Klinik die Diagnose einer
Lungen-Tbc. erstellt. Wenn dann aber die übliche Chemotherapie beginne, dauere es
im Durchschnitt etwa 4 bis 6 Wochen, bis ein Untersuchungsergebnis aus dem Auswurf
des Patienten vorliege. Erst dann könne man mit Sicherheit eine genaue Typisierung
der Krankheitskeime durchführen. Etwa 2 weitere Wochen dauere es dann, bis das
Ergebnis der Resistenzprüfung vorliege. Erst jetzt, also nach ungefähr 6 bis 8 Wochen,
könne man genau sagen, ob die verabreichten Medikamente auch wirksam seien. Im
Fall des Versicherten wurde am 04.08.1992 eine Bronchialspülung durchgeführt. Das
Untersuchungsergebnis lag am 07.09.1992, die Resistenzprüfung am 17.09.1992 vor.
Dem behandelnden Arzt lag das Resistenzergebnis am 22.09.1992 vor, an diesem Tag
wurde der Versicherte auch geröntgt und am 24.09.1992 entlassen. Die Frage, ob der
Versicherte bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte entlassen werden können,
beantwortet der Sachverständige dahin, daß möglicherweise eine frühere
Röntgenaufnahme schon eine Besserung der tuberkulösen Veränderungen gezeigt
hätte; damit hätte man aber im mer noch nicht sagen können, daß die angewandte
Chemotherapie für den Versicherten optimal gewesen wäre; man hätte dies nur
vermuten können. Erst nach Vorlage der Resistenzprüfung habe man sicher sein
können, eine effektive Behandlung durchgeführt zu haben. Zusammenfassend kommt
der Sachverständige zum Ergebnis, daß ab dem 15.09.1992 noch folgende
therapeutische Maßnahmen notwendig waren: Zur Krankheitserkennung regelmäßige
Laboruntersuchungen, um Nebenwirkungen der Chemotherapie rechtzeitig erkennen zu
können; zur Heilung weitere Chemotherapie. Zur Sicherung des Behandlungszieles - so
der Sachverständige - hätte für den Zeitraum vom 15. bis 24.09.1992 eine ambulante
Behandlung nicht ausgereicht.
Die hiervon abweichende Auffassung der beratenden Ärztin des MDK Nordrhein, Dr.
Kxxxxxx-Sxxxxx, auf die sich die Beklagte stützt, vermochte den Senat nicht zu
überzeugen. Dr. Wxxxxxxxxx hat sich ausführlich mit den von der Klinik der Klägerin
mitgeteilten Daten befaßt und zur Verweildauer der Behandlungsbedürftigkeit einer
Lungen-Tbc. im Krankenhaus eingehend mit der Fachliteratur auseinandergesetzt. Dem
vermag Frau Dr. Kxxxxxx-Sxxxxx in ihrer Stellungnahme vom 29.06.1994 nur
Vermutungen entgegenzustellen. Nach ihrer Auffassung "erscheint" eine stationäre
Behandlung bei schweren Zweiterkrankungen notwendig. Sie meint, daß in Fällen, in
denen die stationäre Behandlung nicht wegen der körperlichen Verfassung des
Patienten selbst notwendig ist, auf eine stationäre Behandlung verzichtet werden könne.
Sie schränkt dies jedoch dahin ein, daß die Umgebung des Patienten vor einer
Ansteckung sicher und im übrigen gewährleistet sein muß, daß der Patient die
notwendigen Medikamente regelmäßig und zuverlässig einnimmt. Wie Dr. Wxxxxxxxxx
meint auch Dr. Kxxxxxx-Sxxxxx, daß die Zeitdauer der stationären Behandlung vom
Verlauf im Einzelfall abhängig gemacht werden muß. Sofern die Mykobakterien im
Einzelfall für die gewählte Medikamentenkombination sensibel sind, sei mit einer
raschen Besserung der Beschwerden innerhalb von Wochen zu rechnen; sofern jedoch
eine Mykobakterienresistenz gegenüber der gewählten primären
Medikamentenkombination besteht, könnten - so Dr. Kxxxxxx-Sxxxxx - Wochen bis zur
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Feststellung des fehlenden Ansprechens der Krankheitserscheinungen bzw. zum
Eintreffen der Sensilibitätsprüfung und einem Wechsel auf andere Medikamente
vergehen. Die sodann vertretene Auffassung von Dr. Kxxxxxx-Sxxxxx, daß das Ergebnis
der Sensibilitätsprüfung nicht in jedem Fall unter stationären Bedingungen abgewartet
werden müsse, da bei einer guten Besserung der klinischen Symptomatik von einer
Sensibilität der Tuberkelbakterien für die gewählte Medikamentenkombination
auszugehen sei, überzeugt nicht. Damit stellt sich die beratende Ärztin in Widerspruch
zu ihrer eigenen zuvor vertretenen Auffassung. Denn die Zeitdauer der stationären
Behandlung kann gerade nur vom Verlauf des Einzelfalls abhängig gemacht werden
und nicht von einem Verlauf, wie er im Regelfall vielleicht erwartet werden kann. Wenn
Dr. Wxxxxxxxxx dem gegenüber konkret aufgezeigt hat, welche therapeutische
Maßnahmen ab dem 15.09.1992 sowohl zur Krankheitserkennung als auch zur Heilung
noch erforderlich waren, so hat er damit schlüssig die medizinische Notwendigkeit einer
stationären Behandlung begründet.
Solange aus medizinischen Gründen eine stationäre Behandlung notwendig ist, besteht
die Verpflichtung der Krankenkasse, die Kosten der stationären Behandlung zu
übernehmen. Dies gilt auch dann, wenn während dieses Zeitraums auch
seuchenhygienische Gründe vorliegen, die einer Entlassung aus stationärem Aufenthalt
entgegenstehen, und sogar dann, wenn die seuchenhygienische Gründe im
Vordergrund stehen. Nur dann, wenn keine medizinische Indikation für eine stationäre
Behandlung mehr besteht, aber wegen des Infektionsrisikos Maßnahmen nach dem
BSeuchG erforderlich sind, endet der Anspruch des Versicherten auf stationäre
Behandlung nach § 39 SGB V und endet der Anspruch des Krankenhauses auf
Erstattung der Behandlungskosten gegenüber der Krankenkasse, in der der Patient
versichert ist.
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Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann die Krankenkasse ihre grundsätzlich
bestehende Kostenerstattungspflicht nicht erst dadurch beenden, daß sie einen
Absonderungsbeschluß nach § 37 BSeuchG herbeiführt. Weder setzt ein
Kostenanspruch nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSeuchG gegen die öffentliche Hand
den Erlaß einer Anordnung nach § 37 BSeuchG voraus (BVerwG, Urteil vom
02.03.1977 - I C 36.70 = USK 7720), noch läßt allein die zwangsweise Unterbringung in
einem Krankenhaus aufgrund einer Absonderungsanordnung die Leistungspflicht der
Krankenkasse entfallen (BSG, Urteil vom 23.06.1971 - 3 RK 68/70 = USK 71129). Das
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat sich in der Entscheidung vom 02.03.1977
(a.a.O.) mit der Kostenlast anläßlich eines stationären Krankenhausaufenthaltes befaßt,
wenn für diesen seuchenhygienische und/oder medizinische Gründe in Betracht
kommen. Es hat unter Berufung auf die Rechtsprechung einiger
Oberverwaltungsgerichte als sachgerechten Maßstab für die Zuordnung der
Krankenhauskosten bestimmt: Ist die gelegentlich eine Absonderung (auch wenn diese
nicht förmlich angeordnet ist) durchgeführte stationäre Behandlung schon aus
medizinischen Gründen erforderlich gewesen, fallen die Krankenhauskosten als
Heilbehandlungskosten in die Last der Krankenversicherung; ist dagegen eine
stationäre Behandlung in medizinischer Sicht nicht nötig gewesen, handelt es sich um
Absonderungskosten zu Lasten der öffentlichen Hand. Es kommt also entscheidend auf
die Behandlungsziele an. Dieser Auffassung, die auch der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.1971 - 3 RK 68/70 = USK
71129; Urteil vom 12.11.1985 - 3 RK 33/84 = SozR 2200 § 184 Nr. 28 = USK 85163;
Urteil vom 24.01.1990 - 3 RK 7/89 = USK 9015), schließt sich der Senat an. Da - wie
ausgeführt - in der Zeit vom 15.09. bis 24.09.1992 jedenfalls auch medizinische Gründe
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die Notwendigkeit einer stationären Behandlung des Versicherten begründet haben,
trägt nach den vorstehenden Grundsätzen die Beklagte die Kosten des stationären
Aufenthalts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, die Revision zuzulassen, da die
Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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