Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.06.2008

LSG NRW: erbschaft, darlehen, form, bargeld, niedersachsen, begriff, zivilprozessordnung, abgrenzung, verbindlichkeit, nachlass

Landessozialgericht NRW, L 19 B 105/08 AS
Datum:
16.06.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 105/08 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 10 (27) AS 511/07
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts
vom 28.03.2008 geändert. Der Klägerin wird für die Durchführung des
Klageverfahrens Prozesskostenhilfe ab dem 30.11.2007 bewilligt und
Rechtsanwalt E, J, beigeordnet.
Gründe:
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I.
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Die Klägerin begehrt die Gewährung von ungekürzten Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Monate
September und Oktober 2007.
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Die Klägerin ist geschieden und wohnt mit ihrer am 00.00.2005 geborenen Tochter M
zusammen.
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Seit Februar 2006 beziehen die Klägerin und ihre Tochter von der Beklagten Leistungen
nach dem SGB II, zuletzt in Höhe von 771,92 EUR monatlich (Bescheid vom
02.06.2007).
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Am 18.04.2008 wurde der Klägerin ein Betrag in Höhe von 4200,- EUR auf ihr Konto
gutgeschrieben. Bei dem Betrag von 4200,- EUR handelt es sich um eine Erbschaft aus
dem Nachlass der Großmutter der Klägerin. Einen Betrag in Höhe von 3700,- EUR
überwies die Klägerin am 30.04.2008 auf ihr Sparbuch bei der D-bank. Im August 2008
erhielt die Beklagte Kenntnis von dem Geldzufluss. Gegenüber der Beklagten gab die
Klägerin an, dass sie aus der Erbschaft einen Betrag von 3700,- EUR auf das Sparbuch
angelegt habe und 500,- EUR zwecks Tilgung eines Darlehens ihrer Eltern zur
Anschaffung von Möbeln verwandt habe.
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Durch Bescheid vom 06.08.2007, adressiert an die Klägerin, bewilligte die Beklagte der
Klägerin und ihrer Tochter als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II in
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Höhe von 115,92 EUR für die Zeit vom 01.09. bis 31.10.2007, in Höhe von 785,92 EUR
für die Zeit vom 01.11. bis zum 31.12.2007 und in Höhe von 655,92 EUR für die Zeit
vom 01.01. bis zum 29.02.2008. Aus dem beigefügten Berechnungsbogen ergibt sich,
dass die Beklagte aus dem Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von
1135,92 EUR ein Gesamteinkommen in Höhe von 1020,- EUR, das sich aus einem
sonstigen Einkommen in Höhe von 670,- EUR, Kindergeld in Höhe von 154,- EUR und
einem Unterhaltsanspruch des Kindes in Höhe von 196,- EUR zusammensetzte, abzog.
nach horizontaler und vertikaler Verteilung des Gesamteinkommens errechnete die
beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe
von 103,24 EUR und des Kindes M in Höhe von 12,68 EUR für die Monate September
und Oktober 2007.
Gegen die Anrechnung eines Einkommens von 670,- EUR für die Zeit von September
und Oktober 2007 legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie trug vor, die Beklagte sei
nicht berechtigt, die erhaltene Erbschaft als Einkommen nach § 11 SGB II ratenweise für
die Zeit vom 01.05. bis zum 30.10.2007 in Höhe von 670,- EUR monatlich anzurechnen.
Sie habe in der Vergangenheit bei ihrer Schwester Darlehen über einen Betrag von
1500,- EUR aufgenommen. Die Gewährung des Darlehens sei durch ihre Schwester vor
dem Hintergrund der zu erwartenden Erbschaft erfolgt. Es sei vereinbart gewesen, dass
diese Verbindlichkeit innerhalb eines halben Jahres nach Antritt der Erbschaft
ausgeglichen werden solle. Mitte September 2007 habe sie das Darlehen vollständig
zurückgezahlt. Von der erhaltenen Erbschaft seien die gezahlten Darlehensleistungen
in Abzug zu bringen.
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Den Widerspruch wies die Beklagte am 29.10.2007 als unbegründet zurück.
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Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und die Gewährung von Prozesskostenhilfe
beantragt.
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Durch Beschluss vom 28.03.2008 hat das Sozialgericht (SG) Dortmund den Antrag
abgelehnt. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen den am 10.04.2008 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 13. Mai 2008
Beschwerde eingelegt.
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II.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet.
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Eine Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die
Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe
nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO), wenn
die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint.
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Die von der Klägerin eingeleitete Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf
Erfolg. Hinreichende Erfolgsaussicht ist bereits dann anzunehmen, wenn eine
schwierige Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Zu der im vorliegenden
Fall entscheidungserheblichen Rechtsfrage, ob eine während des
Bewilligungszeitraums zugeflossene Erbschaft in Form von Bargeld eine einmalige
Einnahme i.S.v. § 11 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) oder ein
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Vermögen i.S.v. § 12 SGB II darstellt bzw. ob die Bestimmungen der §§ 2b, 2 Abs. 3
ALG II - V über die Anrechnung von sonstigen einmaligen Einnahmen
ermächtigungskonform (§ 13 SGB II) sind, liegt noch keine höchstrichterliche
Rechtsprechung vor.
Zwar muss Prozesskostenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die
entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die
Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe kann ungeachtet des Fehlens
einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die
Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf die
Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden,
ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann. Ist dies nicht der Fall und steht eine
höchstrichterliche Klärung noch aus, gebietet das Gebot der Rechtsschutzgleichheit die
Gewährung von Prozesskostenhilfe an eine unbemittelte Partei (vgl. BverfG, Beschluss
vom 19.02.2007, 1 BvR 1807/07, Rdz. 23 m.w.N.).
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Höchstrichterliche Entscheidungen in Hauptsacheverfahren hinsichtlich der Abgrenzung
von einmaligen Einnahmen i.S.v. § 11 Abs. 1 SGB II und Vermögen i.S.v. § 12 SGB II im
Fall des Anfalles einer Erbschaft während des Bezuges von Leistungen nach dem SGB
II und ggf. des Umfangs ihrer Berücksichtigung nach § 9 SGB II i.V.m. den Vorschriften
der ALG II - V liegen noch nicht vor. Die von der Rechtsprechung in einstweiligen
Rechtsschutzverfahren überwiegend vertretene Auffassung, dass ein einmaliger
Einkommenszufluss aus einer Erbschaft als Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II zu
werten ist und entsprechend den Vorschriften der ALG II - V bei der Ermittlung des
Bedarfs zu berücksichtigen (siehe LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom
13.08.2008, L 13 AS 237/07 ER m.w.N.), ergibt sich nicht ohne weiteres aus dem
Wortlaut des Gesetzes und der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
zum Begriff des Einkommens i.S.v. § 11 SGB II.
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Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
außerstande, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 73a SGG i.V.m. § 114
ZPO).
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. §
127 Abs. 4 ZPO).
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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