Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29.10.2007

LSG NRW: haftpflichtversicherung, eltern, versicherungsschutz, versicherungsnehmer, minderjähriger, beitragspflicht, verordnung, zukunft, geburt, pauschalbetrag

Landessozialgericht NRW, L 20 AS 15/07
Datum:
29.10.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 20 AS 15/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 29 AS 16/05
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 05.01.2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten werden in beiden Rechtszügen nicht erstattet. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist, ob im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGB II) Beiträge für eine von der Klägerin zu 1) abgeschlossene private
Haftpflichtversicherung vom Einkommen der Kläger zu 2) und 3) abzusetzen sind.
2
Die 1973 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter der 1995 geborenen Klägerin zu 2)
sowie des 2004 geborenen Klägers zu 3). Die Kläger beantragten erstmals am 13.
September 2004 Leistungen nach dem SGB II. Bei Antragstellung überreichte die
Klägerin zu 1) zum Nachweis ihrer Ausgaben die Ablichtung einer Beitragsrechnung der
InterRisk Versicherungen vom 13.12.2002, gerichtet an die Klägerin zu 1) als
Versicherungsnehmerin, für eine Privathaftpflichtversicherung. Mit Bescheid vom
29.11.2004 bewilligte die Beklagte für den Zeitraum 01.01.2005 bis 30.04.2005
monatliche Leistungen in Höhe von 938,10 Euro. Hierbei berücksichtigte sie auf der
Bedarfseite Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 363,10 Euro
sowie als Regelleistungen insgesamt 759,- Euro (345,- Euro + 207,- Euro + 207,- Euro).
Darüber hinaus erkannte die Beklagte einen Mehrbedarf zum Lebensunterhalt für
Alleinerziehende in Höhe von 124,- Euro an. Das Gesamteinkommen der
Bedarfsgemeinschaft wurde demgegenüber mit 308,- Euro angesetzt, wobei sich dieser
Betrag aus dem Kindergeldanspruch der Kläger zu 2) und 3) in Höhe von monatlich
jeweils 154,- Euro ergibt. Eine Einkommensbereinigung, insbesondere die
Berücksichtigung von Versicherungsbeiträgen bzw. einer Versicherungspauschale,
erfolgte nicht. Mit Widerspruch vom 17.12.2004 teilte die Klägerin zu 1) mit, die
Beitragssumme für die Haftpflichtversicherung habe sich erhöht. Nunmehr sei ein
Jahresbeitrag von 95,19 Euro zu berücksichtigen. Sie bitte um erneute Berechnung der
Leistungen. Mit Bescheid vom 22.12.2004 berechnete die Beklagte die Leistungen
3
wegen einer Mietänderung ab Januar 2005 dergestalt neu, dass für Januar 2005 ein
Betrag von 938,10 Euro, für Februar 2005 ein Betrag von 945,30 Euro und für die
Monate März und April 2005 ein Betrag von 941,70 Euro bewilligt wurde. Mit Bescheid
vom 29.12.2004 lehnte die Beklagte den "Antrag vom 17.12.2004 auf Übernahme der
Versicherungsbeiträge" zur privaten Haftpflichtversicherung vom 01.01.2005 an ab. Zur
Begründung führte sie aus, gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II seien Beiträge zu
öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese
Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen seien, vom
Einkommen abzusetzen. Voraussetzung sei in jedem Fall das Vorhandensein von
Einkommen. Das Kindergeld für die minderjährigen Kinder sei im Rahmen des SGB II
deren Einkommen. Die Klägerin zu 1) verfüge selbst über kein Einkommen, so dass
eine Absetzung der Versicherungsbeiträge nicht erfolgen könne. Mit Widerspruch vom
07.01.2005 führten die nunmehr rechtsanwaltlich vertretenen Kläger aus, wenn
Kindergeld als Einkommen dem jeweiligen Kind zugerechnet werde, müssten auch die
Beiträge für die private Haftpflichtversicherung vom Einkommen der Kinder abgesetzt
werden. Die private Haftpflichtversicherung biete Versicherungsschutz nicht nur für die
Klägerin zu 1), sondern auch für deren Kinder, die Kläger zu 2) und 3). Es könne nicht
angehen, dass den Kindern auf der einen Seite Einkommen zugerechnet werde, sie
dann aber die Verbindlichkeiten, die für sie abgeschlossen worden seien, zumindest
anteilig nicht absetzen könnten. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2005 wies die
Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte nunmehr ergänzend aus, auch die
Berücksichtigung einer Versicherungspauschale vom Einkommen der minderjährigen
Kinder komme nicht in Betracht, da dies gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 3, 1
Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-VO) nur dann möglich sei, wenn minderjährige
Hilfebedürftige nicht mit volljährigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft nach
§ 7 Abs. 3 SGB II lebten. Bei der privaten Haftpflichtversicherung handele es sich um
eine von der Klägerin zu 1) abgeschlossene Versicherung. Eine Berücksichtigung der
Versicherungsbeiträge beim Einkommen der Kinder sei daher nicht möglich.
Unerheblich sei dabei, dass der Versicherungsschutz auch die Kinder, also die Kläger
zu 2) und 3), erfasse, weil es darauf bei der Absetzung von Beiträgen nicht ankomme.
Minderjährige Kinder seien regelmäßig über die Haftpflichtversicherung ihrer Eltern
abgesichert. Dies stelle keine Besonderheit dar, so dass auch nicht von einer
diesbezüglichen Regelungslücke im SGB II ausgegangen werden könne.
Mit ihrer hiergegen am 22.07.2005 beim Sozialgericht Düsseldorf eingelegten Klage
haben die Kläger an ihrer Rechtsauffassung festgehalten.
4
Die Kläger haben ausgeführt, die Kosten für eine Familienhaftpflichtversicherung
gehörten jedenfalls bei minderjährigen Kindern zu den angemessenen Beiträgen.
Hierzu haben die Kläger auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil
vom 28.05.2003, 5 C 8.02) verwiesen.
5
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende der entscheidenden
Kammer des Sozialgerichts seiner Auffassung Ausdruck verliehen, bereits im
Bewilligungsbescheid vom 29.11.2004 hätte die Frage der Berücksichtigung der
Haftpflichtversicherung geklärt werden müssen. Daher könne eine Entscheidung nur
über den mit Bescheid vom 29.11.2004 geregelten Zeitraum vom 01.01.2005 bis
30.04.2005 ergehen.
6
Die Kläger haben beantragt,
7
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.11.2004 in der Fassung der
Bescheide vom 22.12.2004 und 29.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20.06.2005 zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung
der Beiträge für eine private Haftpflichtversicherung für den Zeitraum ab dem 01.01.2005
zu gewähren,
8
hilfsweise
9
festzustellen, dass die Beklagte bei der Bemessung für den Zeitraum ab dem
01.10.2005 die Beiträge für die private Haftpflichtversicherung weiterhin zu
berücksichtigen hat.
10
Die Beklagte hat beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12
Mit Urteil vom 05.01.2006 hat das Sozialgericht die Beklagte unter teilweiser Aufhebung
der hierzu ergangenen Bescheide verurteilt, den Klägern zusätzliche Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitssuchende in Höhe von monatlich eines Zwölftels des
Jahresbeitrages für die private Haftpflichtversicherung der Klägerin zu 1) für den
Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.04.2005 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Kindergeld für die Kläger zu 2)
und 3) sei monatlich um 1/12 des Jahresbeitrages für die private Haftpflichtversicherung
zu bereinigen. Es sei auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt worden, dass die
private Haftpflichtversicherung sinnvoll sowie dem Grunde und auch der Höhe der
hierfür gezahlten Beiträge nach angemessen sei. Soweit die Beklagte allein auf die
Versicherungsnehmereigenschaft der Klägerin zu 1) abstelle und deshalb eine
Absetzbarkeit der Beiträge vom Einkommen der Kläger zu 2) und 3) verneine, verkenne
sie sowohl das Wesen der Bedarfsgemeinschaft als auch den Sinn und Zweck des § 11
Abs. 1 S. 3 SGB II, der das Kindergeld für den Bereich des SGB II grundsätzlich den
Kindern als Einkommen zuordne. In einer Bedarfsgemeinschaft sei eine vollständige
Trennung der jeweiligen Verpflichtungen und Vermögenssphären nicht geboten. Dies
folge schon aus der wechselseitigen Zurechnung von Einkommen und Vermögen
hinsichtlich des Hilfsbedarfs in § 9 Abs. 1 und 2 SGB II. Unabhängig von der die
Pauschalen regelnden Verordnung könnten sich die Kläger direkt auf § 11 Abs. 2 Nr. 3
SGB II berufen. Diese Regelung sei durch die Pauschalregelung nicht ausgeschlossen.
Werde für eine Bedarfsgemeinschaft kein Versicherungspauschbetrag berücksichtigt,
seien vom Einkommen der Kinder jedenfalls die angemessenen Versicherungsbeiträge
abzugsfähig, deren Zahlung in ihrem unmittelbaren Interesse erfolge. Hierbei könne es
nicht auf die Versicherungsnehmerschaft innerhalb der Bedarfsgemeinschaft
ankommen, jedenfalls nicht, soweit es um Einkommen aus Kindergeld gehe. Denn § 11
Abs. 1 S. 3, der das Kindergeld als Einkommen den Kindern zuordne, sei eine bloße
Fiktion. In der übrigen Rechtsordnung sei das Kindergeld eindeutig den Eltern
zugeordnet, wie sich aus § 62 Abs. 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) ergebe. Handele
es sich um deren Einkommen, wäre es unbillig, von den Eltern zu verlangen,
Versicherungsverträge im Namen ihrer Kinder abzuschließen und diese damit mit
Verbindlichkeiten zu belasten, denen kein Einkommen gegenüber stehe. Die Klägerin
zu 1) habe sich bei Abschluss ihres Versicherungsvertrages entsprechend der
Einkommenszuordnung nach dem BSHG verhalten. Denn zu diesem Zeitpunkt hätte die
Klägerin zu 1) Einkommen im Sinne des § 76 BSHG erzielt, von dem dann nach § 76
Abs. 2 Nr. 3 BSHG auch Versicherungsbeiträge hätten abgesetzt werden können. Es
13
erscheine überaus fraglich, ob eine Umstellung der Versicherung zum 01.01.2005
wirtschaftlich gewesen wäre. Denn bei Verträgen von Eltern seien regelmäßig deren
minderjährige Kinder mitversichert. Ob dies von jedem Versicherer auch umgekehrt -
und zum gleichen Beitrag - gewährleistet werde, d.h. dass Eltern über ihre Kinder
versichert seien, erscheine fraglich. Eine Familienhaftpflichtversicherung nehme jedoch
gerade das erhöhte Risiko von Schadensfällen bei minderjährigen Kindern auf. Sie
vermeide Belastungen des Familienlebens und diene damit dem Wohl der Kinder.
Maßgeblicher Entscheidungszeitraum sei aber allein derjenige vom 01.01.2005 bis
30.04.2005, der sich aus dem vom Ausgangsbescheid vom 29.11.2004 erfassten
Bewilligungszeitraum ergebe. Eine weitergehende Regelung könne auch dem
Bescheid vom 29.12.2004, obwohl dieser keinerlei Aussagen zur Zeit seiner Geltung
mache, nicht entnommen werden. Die Berücksichtigung von
Haftpflichtversicherungsbeiträgen sei bereits im ursprünglichen Antrag auf Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitssuchende mit beantragt worden. Insofern hätten sich
auch die Bescheide vom 29.11.2004 und 22.12.2004 hierzu verhalten müssen. Da
Leistungen nur ohne Berücksichtigung der Haftpflichtversicherungsbeiträge gewährt
worden seien, sei deren Berücksichtigung abgelehnt worden. Ein eigenständiger
Regelungsgehalt komme dem Bescheid vom 29.12.2004 daneben nicht mehr zu.
Bereits in der am 28.12.2004 eingegangenen Bitte um Neuberechnung sei ein
Widerspruch zu sehen. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ermögliche auch keine
Einbeziehung von Bescheiden für die Bewilligungszeiträume ab dem 01.05.2005. Dem
hilfsweise gestellten Feststellungsantrag für die Zeit ab dem 01.10.2005 müsse wegen
der Subsidiarität der Feststellungsklage der Erfolg versagt bleiben. Bezüglich
nachfolgender Zeiträume seien ggf. Anfechtungs- und Leistungsklagen statthaft. Über
die Zulassung der Berufung hat das Sozialgericht nicht entschieden.
Gegen das ihr am 02. März 2006 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat die Beklagte
am 20.03.2006 Berufung eingelegt. Auf Hinweis des Senats, dass Zweifel an der
Zulässigkeit der Berufung bestünden, hat die Beklagte die Berufung am 11.08.2006
zurückgenommen. Am 16.08.2006 hat die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde
erhoben. Daraufhin hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 11.12.2006
zugelassen.
14
Die Beklagte hält dem Urteil des Sozialgerichts entgegen, dass hinsichtlich des
Einsatzes von Einkommen und Vermögen minderjähriger Kinder eine
Einkommensanrechnung nicht erfolge, soweit ein minderjähriges unverheiratetes Kind
wegen seines eigenen Einkommens nicht bedürftig sei. Es sei auch zu berücksichtigen,
dass Versicherungsbeiträge nicht als Bedarf anerkannt und übernommen werden
könnten, sondern eine Berücksichtigung ausschließlich als Absetzung von Einkommen
möglich sei. Maßgeblich sei die Versicherungsnehmereigenschaft der Klägerin zu 1).
Gerade bei der Mitversicherung von Kindern herrsche regelmäßig das Bewusstsein vor,
dass Versicherungsnehmer der Elternteil sei. Die Vorschrift des § 3 Nr. 1 Alg II-VO idF
bis zum 30.09.2005 sei im vorliegenden Fall bei der Frage der Anwendbarkeit des § 11
Abs. 2 Nr. 3 SGB II ohne Bedeutung. § 3 Nr. 1 Alg II-VO sei ersichtlich abschließend
hinsichtlich des Personenkreises, der eine solche Abkürzung in Anspruch nehmen
könne. Es sei daher auch nicht maßgeblich, dass in der Bedarfsgemeinschaft der Kläger
keine Pauschale beim volljährigen Hilfebedürftigen, der Klägerin zu 1), berücksichtigt
werden könne. Der Auffassung des Sozialgerichts, bei der Regelung des SGB II zur
Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen der minderjährigen Kinder handele es
sich um eine Fiktion, könne nicht gefolgt werden. Eine ausdrücklich vorgenommene
Regelung könne nicht als Fiktion gewertet werden. Abweichende Regelungen im
15
Steuerrecht seien unmaßgeblich. Auch der Hinweis auf die gegenüber den Vorschriften
des BSHG geänderte Rechtslage verfange nicht. Es bestehe kein Rechtsanspruch auf
einen unveränderten Fortbestand von im Einzelfall günstigen Regelungen. Im Übrigen
sei die Zuordnung von Einkommen aus Kindergeld im Sozialhilferecht jahrelang
umstritten gewesen. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dienten nicht dazu,
den Hilfebedürftigen vor allen Risiken des Lebens zu schützen. Auch die Auffassung
des Sozialgerichts zum Klagezeitraum sei fehlerhaft. Entgegen den Ausführungen im
Urteil enthalte der angegriffene Bescheid vom 29.12.2004 einen eigenständigen
Regelungsgehalt. Das Schreiben vom 29.12.2004 stelle einen Verwaltungsakt dar,
denn es enthalte alle hierfür nach § 31 SGB X erforderlichen Elemente. Geregelt werde
dem Grunde nach die Auffassung der Beklagten über die nicht bestehende Möglichkeit
der Absetzung von Versicherungsbeiträgen vom Einkommen der minderjährigen Kinder.
Damit werde eine nicht auf den Bewilligungszeitraum Januar bis April 2005 beschränkte
Grundentscheidung getroffen. Vielmehr stelle dies eine Teilentscheidung im Rahmen
des für den Gesamtverwaltungsakt vorgehenden Regelungsumfangs dar. Es entspreche
zudem einem verfahrensökonomischen Vorgehen, wenn bei invariablem Sachverhalt
und Streit der Beteiligten über einzelne Fragen der Leistungen lediglich diese Frage in
einem Bescheid entschieden werde, um eine gerichtliche Beilegung des Streits für die
Zukunft zu ermöglichen. Soweit diese Auffassung über das Vorliegen eines
feststellenden Verwaltungsakts nicht geteilt werde, werde die Einbeziehung der die
Folgezeiträume regelnden, bislang ergangenen Bewilligungsbescheide beantragt.
Die Beklagte beantragt,
16
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.01.2005 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
17
Die Kläger beantragen,
18
die Berufung zurückzuweisen.
19
Sie halten an ihrer Auffassung fest, dass aus der Anrechnung des Kindergeldes als
Einkommen der minderjährigen Kinder auch die Absetzung der Beiträge zu privaten
Versicherungen, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen seien, von diesem
Einkommen folge. Dies ergebe sich auch aus dem Umstand, dass nach der
Rechtsprechung nur ein Pauschalbetrag hinsichtlich der Versicherungsprämie
zugebilligt werde. Allein auf die Versicherungsnehmereigenschaft der Kindesmutter, der
Klägerin zu 1), abzustellen, widerspreche dem Charakter der Bedarfsgemeinschaft.
Dass eine Familienhaftpflichtversicherung bei minderjährigen Kindern sinnvoll sei, habe
bereits das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Wenn die
Familienhaftpflichtversicherung der gesamten Bedarfsgemeinschaft zugute komme,
dann könne nicht eine Situation herbeikonstruiert werden, in der lediglich das
Kindergeld als Einkommen berücksichtigt werde, diese Kosten aber nicht abgesetzt
werden könnten, obwohl der Gesetzgeber insoweit ausdrücklich die Absetzbarkeit
bejaht habe.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des
beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie der Prozessakten Bezug
genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
21
Entscheidungsgründe:
22
Die nach Zulassung zulässige Berufung (§§ 144, 145 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) der
Beklagten ist begründet.
23
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, den Klägern im Zeitraum vom
01.01.2005 bis zum 30.04.2005 höhere Leistungen in Höhe von monatlich einem
Zwölftel des Jahresbeitrages für die private Haftpflichtversicherung der Klägerin zu 1) zu
gewähren. Dabei ergibt sich der Streitgegenstand aus dem durch die
Ausgangsbescheide vom 29.11.2004 und 22.12.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.06.2005 (§ 95 SGG) geregelten Bewilligungszeitraum
vom 01.01.2005 bis 30.04.2005. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass
das Schreiben der Klägerin zu 1) mit der Bitte um Neuberechnung bei verständiger
Würdigung als Widerspruch gegen die Bescheide vom 29.11.2004 und 22.12.2004
auszulegen ist, und dem gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des Vorverfahrens
gewordenen Bescheid vom 29.12.2004 kein über die Ablehnung für den genannten
Zeitraum hinausgehender Regelungsgehalt zukommt. Die Einbeziehung von
Bescheiden für folgende Zeiträume gemäß § 96 SGG scheidet nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. nur BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b
AS 10/06 R), der der erkennende Senat folgt, aus.
24
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sind die Kläger durch die angefochtenen
Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Kläger haben
keinen Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II, insbesondere
besteht kein Anspruch auf Absetzung der Beiträge der von der Klägerin zu 1)
abgeschlossenen privaten Haftpflichtversicherung vom Einkommen der Kläger zu 2)
und 3). Auch die Berücksichtigung einer Versicherungspauschale kommt nicht in
Betracht.
25
Zwar ist Kindergeld gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II Einkommen minderjähriger Kinder,
soweit diese es zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigen. § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II
entspricht § 82 Abs. 1 S. 2 SGB XII. Das Bundessozialgericht (Urteil vom 07.11.2006, B
7b AS 18/06 R) hat insoweit ausgeführt, letztgenannte Vorschrift stelle in Umsetzung der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nunmehr ebenfalls klar, dass
Kindergeld als Einkommen den Minderjährigen zuzurechnen sei, soweit es bei diesen
zur Deckung des Lebensbedarfs benötigt werde. § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II und § 82 Abs. 1
S. 2 SGB XII stellten insofern Ausnahmen von dem kindergeldrechtlichen Grundsatz
dar, dass Kindergeldberechtigter im Sinne des § 62 EStG die Mutter (Klägerin zu 1)) ist
und dass das Kindergeld grundsätzlich dem Kindergeldberechtigten als Einkommen
sozialhilferechtlich zuzurechnen sei (vgl. zu alledem m.w.N. BSG, a.a.O.). Zur Regelung
des § 3 Nr. 1 Alg II-VO in der bis zum 30.09.2005 geltenden Fassung hat das
Bundessozialgericht (a.a.O.) ausgeführt, die Alg II-VO berücksichtige, dass in einer
Bedarfsgemeinschaft üblicherweise nur jeweils eine dieser Versicherungen bestehe,
deren Versicherungsschutz neben dem Versicherungsnehmer auch dessen Partner und
die haushaltsangehörigen minderjährigen Kinder erfasse. Es sei deshalb auch nicht zu
beanstanden, dass der Verordnungsgeber nicht für jeden einzelnen
Grundsicherungsempfänger eine Pauschale in Höhe von 30,- Euro gemäß § 3 Nr. 1 Alg
II-VO in der Ausgangsfassung (bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 1 in der seit dem 01.10.2005
geltenden Fassung) vorgesehen habe. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz
des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) liege nicht vor. Es bestünden vielmehr hinreichende
Gründe, minderjährige Kinder, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern oder
einem Elternteil leben, von einer Geltendmachung der Pauschale auszuschließen. Im
26
Regelfall, so etwa bei der privaten Haftpflicht- und Hausratversicherung, nähmen sie am
Versicherungsschutz teil, den die Eltern durch den Abschluss einer Versicherung
begründet hätten. Es bestünden auch keine Bedenken, dass der Fall eintreten könnte,
dass die Pauschale überhaupt keine Berücksichtigung finde. Dies sei nicht zu
beanstanden, denn dieser Pauschbetrag solle gerade keine zusätzliche den Bedarf
erhöhende Leistung darstellen, sondern nur dann in Abzug gebracht werden, wenn
auch tatsächlich ein Einkommen erzielt werde. Auch wenn das Bundessozialgericht
betont hat, dass in dem von ihm zu entscheidende Verfahren insoweit eine
abschließende Entscheidung nicht erfolgen müsse, schließt sich der Senat den
Ausführungen des Bundessozialgerichts nach eigener Überprüfung an, so dass
jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Berücksichtigung eines Pauschalbetrages die
beantragten höheren Leistungen nicht zu begründen sind.
Dem entsprechend hat die Beklagte die Beiträge der privaten Haftpflichtversicherung
nicht vom Einkommen der Kläger zu 2) und 3) abgesetzt. Gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB
II sind vom Einkommen Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder
ähnlichen Einrichtungen abzusetzen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben
oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Dem Umstand, dass eine private
(Familien-)Haftpflichtversicherung dem Grunde nach sinnvoll erscheint (Brühl in LPK-
SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 RdNr. 31 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 28.05.2003, 5
C 8/02, NDV-RD 2004, 6), kommt hingegen keine entscheidende Bedeutung zu. Auch
der Senat bezweifelt nämlich die Absetzbarkeit derartiger Versicherungsbeiträge von
etwaigem Einkommen des Versicherungsnehmers, hier also der Klägerin zu 1),
grundsätzlich nicht. Denn die Frage, welches Einkommen zu berücksichtigen ist, ist
zunächst für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft als Folge des jeweils zu prüfenden
Individualanspruchs gesondert zu betrachten. Entsprechend sind auch Absetzungen
und Einkommensbereinigungen zunächst isoliert für jedes einzelne Mitglied der
Bedarfsgemeinschaft vorzunehmen. Die Absetzbarkeit von Versicherungsbeiträgen
setzt dabei zum einen die Beitragspflicht des jeweiligen Mitgliedes der
Bedarfsgemeinschaft sowie das Vorhandensein von Einkommen voraus. Die
Beitragspflicht folgt grundsätzlich der Versicherungsnehmereigenschaft.
Versicherungsnehmerin ist, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, die Klägerin zu
1). Diese hat zwar keine Single-Haftpflichtversicherung gewählt, sondern eine -
angabegemäß nach Geburt der Klägerin zu 2) abgeschlossene -
Familienhaftpflichtversicherung, was u.U. zu einer höheren Beitragsbelastung geführt
hat. Nach den (derzeitigen) Tarifbedingungen der Versicherung der Kläger wird nach
dem gewählten XL-Konzept je nach Deckungssumme ein Jahresbeitrag von 84,- Euro,
89,80 Euro oder 103,20 Euro fällig, während entsprechender Versicherungsschutz bei
einer Single-Haftpflichtversicherung bereits für Beiträge von 63,- Euro, 67,35 Euro bzw.
77,40 Euro (alle Beiträge zzgl. Versicherungssteuer von 19 %) zu erlangen ist.
Gleichwohl ist, wie bereits dargelegt wurde, zu beachten, dass nach der
gesetzgeberischen Konzeption entsprechende Versicherungen gerade nicht auf der
Bedarfsseite zu berücksichtigen sind, sondern lediglich als Absetzungsbetrag vom
Einkommen. Zugleich macht die Tarifaufstellung deutlich, dass die Absetzung eines
Betrags von einem Zwölftel der gesamten Beitragssumme vom Einkommen der Kläger
zu 2) und 3) Versicherungsanteile der Klägerin zu 1) erfasste, die für sich betrachtet,
Beiträge mangels Einkommen nicht absetzen könnte. Die Klägerin zu 1) bzw. die
Bedarfsgemeinschaft wäre insoweit etwa gegenüber einer kinderlosen
Bedarfsgemeinschaft ohne Einkommen in nicht zu rechtfertigender Weise privilegiert.
Die grundsätzliche Privilegierung von Bedarfsgemeinschaften mit Einkommen
hinsichtlich der Absetzbarkeit bestimmter Beiträge nur vom Einkommen des als
27
Versicherungsnehmer beitragsbelasteten Mitgliedes der Bedarfsgemeinschaft ist
hingegen Ausdruck der gesetzgeberischen Gesamtkonzeption (Nichtberücksichtigung
von Beiträgen als zusätzliche Bedarfe) zu verstehen und begegnet unter
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken (vgl. hierzu bereits BVerwG,
a.a.O.). Zugleich verdeutlicht diese Betrachtung aber auch, dass der Gesetzgeber - wie
bereits im Rahmen der insoweit als Vorgängerregelung zu berücksichtigenden
Vorschrift des § 76 BSHG - in Kenntnis der grundsätzlichen Problematik, ggf. um
Anreize zur Erzielung von Einkommen zu begründen, die Absetzbarkeit an konkret
vorhandenes Einkommen gebunden hat. Darüber hinaus weist die Beklagte zu Recht
darauf hin, dass die Zielrichtung des § 3 Abs. 1 Alg II-VO mit der vom Sozialgericht
vertretenen Lösung nicht zu vereinbaren ist. Denn die Geltendmachung der höheren
Versicherungspauschale im Sinne dieser Vorschrift käme, wie bereits dargestellt, nicht
in Betracht. Über die Frage, ob auch minderjährige Hilfebedürftige in einer
Bedarfsgemeinschaft bei konkretem Nachweis eine eigene, nach Grund und Höhe
angemessene Versicherung in tatsächlich anfallender Beitragshöhe absetzen können
(vgl. die Durchführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit zum SGB II in Nr. 11.24
f.), hat der Senat nicht zu befinden.
Die durch die streitgegenständlichen Bescheide gewährten Leistungen, deren
Berechnung durch die Kläger im Übrigen nicht angegriffen wird, begegnet keinen
Bedenken hinsichtlich der berücksichtigten Bedarfe (Kosten der Unterkunft sowie
Regelleistungen zzgl. Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II)
einerseits und dem zu berücksichtigenden Einkommen (308 Euro Kindergeld)
andererseits. Der Senat hat allerdings nicht berücksichtigt, dass die Rundungsvorschrift
des § 41 Abs. 2 SGB II einen höheren Anspruch für die Monate März und April 2005 in
Höhe von 30 Cent (ausgehend von dem bewilligten Betrag von 941,70 EUR) monatlich
ergibt.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
29
Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160
Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen worden.
30