Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.09.2004
LSG NRW: medizinische indikation, verfahrensordnung, unterbrechung der verjährung, versorgung, anästhesie, vertreter, behandlung, anästhesist, diagnose, zusammensetzung
Landessozialgericht NRW, L 11 KA 58/02
Datum:
15.09.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 58/02
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 2 KA 199/01
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 6 KA 101/04 B
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 20.03.2002 wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die
außergerichtlichen Kosten des Beklagten auch im Berufungsverfahren
zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist die Feststellung eines sonstigen Schadens in Quartalen I/1996 bis IV/1996.
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Der Kläger ist als Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg in L zur vertragszahnärztlichen
Versorgung zugelassen.
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Die Beigeladenen zu 1), 6) und 7) sowie ein Mitglied des Beigeladenen zu 2)
beantragten im Jahr 1997 die Feststellung eines sogenannten sonstigen Schadens mit
der Begründung, der Kläger habe die Indikationsstellung für Narkosen bzw. deren
Vorhaltung zu weit gestellt und den Krankenkassen damit durch Hinzuziehung eines
Anästhesisten einen Schaden zugefügt.
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Der Prüfungsausschuss Köln I überprüfte 676 Behandlungsfälle des Klägers und stellte
für die streitigen Quartale des Jahres 1996 einen sonstigen Schaden in Höhe von
71.194,69 DM fest.
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Dagegen legten der Kläger und die Beigeladenen zu 6) und 7) Widerspruch ein. Der
Kläger trug vor, hinsichtlich der Feststellung eines sonstigen Schadens fehle jegliche
Begründung. Die pauschale Feststellung "Behandlung in LA möglich" werde dem
individuellen Behandlungsfall nicht gerecht. Der Prüfungsausschuss habe es versäumt,
verbindliche Kriterien aufzuzeigen, nach denen entschieden werden könne, wann eine
Anästhesieleistung indiziert sei.
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Die Beigeladenen zu 6) und 7) trugen vor, die vom Prüfungsausschuss durchgeführten
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Maßnahmen seien nicht ausreichend.
In mehreren - zum Teil internen - Sitzungen überprüfte der Beklagte die
Behandlungsfälle, hob mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.10.2001 (Beschluss
vom 08.08.2001) den Bescheid des Prüfungsausschusses teilweise auf und setzte ein
Regressanspruch für die streitigen Quartale in Höhe von 108.625,28 DM fest.
Hinsichtlich der Begründung wird auf die Ausführungen im Bescheid des Beklagten
verwiesen.
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Dagegen hat der Kläger Klage erhoben, die er im Wesentlichen wie folgt begründet hat:
Der Beschluss des Prüfungsausschusses sei im Hinblick auf die ersten drei Quartale
des Jahres 1996 bereits deshalb rechtswidrig gewesen, weil nach § 31 Abs. 3 der
Verfahrensordnung die Zustellung des Beschlusses innerhalb von 2 Jahren nach
Schluss des Kalenderjahres erfolgt sein müsse, in dem der Zahnarzt seine Abrechnung
bei der Beigeladenen zu 8) eingereicht habe. Die Quartale I/1996 bis III/1996 seien im
Jahr 1996 vom ihm abgerechnet worden, so dass die Verjährung 1997 und 1998
gelaufen sei; der Beschluss vom 14.01.1999 sei verfristet. Weiterhin rügt er die
Besetzung des Beschwerdeausschusses bei der angefochtenen Entscheidung.
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Der Beschluss des Beklagten sei auch deshalb rechtswidrig, weil an ihm Vertreter der
Zahnärzte und der Kassen mitgewirkt hätten, die jedoch nicht durchgängig an den
vorausgehenden Sitzungen des Beklagten teilgenommen hätten und damit auch nicht
hätten wissen können, was im Einzelnen geprüft und zunächst festgehalten worden sei.
Die beschlussfassenden Mitglieder des Beklagten müssten an allen Sitzungen
teilgenommen haben. Weiterhin sei die Einladung zu den Sitzungen des Beklagten
formell rechtswidrig, da eine "statistische Vergleichsprüfung" angekündigt, jedoch
tatsächlich eine Einzelfallprüfung durchgeführt worden sei. Da er zu den internen
Sitzungen des Beklagten nicht eingeladen worden sei, sei in mehrfacher Hinsicht sein
Anhörungsrecht verletzt.
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In materieller Hinsicht sei es so, dass er keine Anästhesien verordne oder zum
Anästhesisten überweise, sondern lediglich den Patienten dem Anästhesisten vorstelle.
Der Bescheid sei nicht hinreichend im Einzelfall begründet. Der Beklagte hätte im
Einzelnen darlegen müssen, warum auf dem Hintergrund der Richtlinien eine andere Art
der Schmerzausschaltung angezeigt gewesen sei. Ein Schaden könne der Beigl. zu 8)
durch die Verfahrensweise nicht entstehen. Denn die Krankenkassen zahlten jeweils
eine Gesamtvergütung mit befreiender Wirkung getrennt an die Kassenärztliche
Vereinigung Nordrhein (KVNO) und die Beigeladene zu 8). Es handele sich um
budgetierte Ziffern. Allenfalls denkbar sei eine geringere Vergütung der Anästhesisten
durch die KV NO, wenn mehr Anästhesiefälle aus dem Honorartopf der Anästhesisten
bei der KV NO bezahlt würden.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 15. Oktober 2001 aufzuheben und den
Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu
bescheiden.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat ausgeführt, sein Bescheid sei rechtsmäßig. Den Einwand der Verfristung
vermöge er nicht nachzuvollziehen. Auch die Besetzungsrüge gehe fehl.
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Die Beigeladene zu 8) hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Urteil vom 20.03.2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe vorliegend zu Recht das
Vorliegen eines sonstigen Schadens festgestellt. Es liege eine Verletzung
vertragszahnärztlicher Pflichten vor, denn eine Narkose oder Analgesie gehöre nur
dann zur vertragszahnärztlichen Versorgung, wenn eine andere Art der
Schmerzausschaltung nicht angezeigt sei. Dies bedeute, dass der Vertragszahnarzt
vorrangig mildere Mittel in Form einer Lokalanästhesie anzuwenden habe und zur
Narkose erst dann schreiten dürfe, wenn die Lokalanästhesie aus medizinisch
indizierten Gründen versage. Diese Grundsätze habe der Kläger nicht beachtet. Die mit
einem Vertragszahnarzt fachkundig besetzte Kammer schließe sich nach Durchsicht der
dem Bescheid in der Anlage beigefügten Übersichten, aus denen insoweit die Namen
der Patienten, die von dem Kläger abgerechneten Leistungsziffern des BEMA, die
gemäße Richtlinien abrechenbare Anästhesie, die vom Kläger gewählte Narkoseart, die
Diagnose des Klägers für die Abweichung und die Wertung des Beklagten hervorgehe,
der Beurteilung des Beklagten voll inhaltlich an. Der Schaden sei auch vom Kläger
kausal verursacht worden. Es sei letztlich ein Schaden bei den Krankenkassen
eingetreten. Der Kläger habe die Verletzung vertragszahnärztlicher Pflichten auch
schuldhaft begangen, denn zumindest durch den Einführungslehrgang in die
vertragszahnärztliche Tätigkeit sei er mit den Richtlinien vertraut gemacht worden.
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Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Quartale I/1996 bis III/1996 sei
eine Verjährung nicht eingetreten. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Kläger in
der mündlichen Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss persönlich anwesend
gewesen sei. In dieser Sitzung sei ihm der Beschluss mündlich bekannt gegeben
worden. Die Bekanntgabe des Beschlusses eines Gremiums der gemeinsamen
Selbstverwaltung gegenüber einen in der mündlichen Verhandlung anwesenden
Beteiligten führe dazu, dass bereits ab diesem Zeitpunkt und nicht erst nach schriftlicher
Erteilung des Bescheides - der Lauf der Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt werde. Damit
liege zugleich der für die Unterbrechung der Verjährung notwendige Erlass des
Verwaltungsaktes im Sinne von § 52 SGB X vor. Die Besetzung des beklagten
Beschwerdeausschusses sei auch nicht unzureichend gewesen. Zwar gehörten dem
Beschwerdeausschuss jeweils 4 Vertreter der Vertragszahnärzte und 4 Vertreter der
Krankenkassen an, jedoch sei er beschlussfähig, wenn mindestens 2 Vertreter der
Zahnärzte und der Krankenkassen anwesend seien. Verfahrensfehler seien auch nicht
deshalb gegeben, weil die beschlussfassenden Mitglieder des Beklagten nicht
durchgängig an allen vorhergegangenen Sitzungen, in denen Einzelfälle geprüft worden
waren, teilgenommen hätten. Eine dahingehende Verpflichtung ergebe sich nicht aus
den einschlägigen Bestimmungen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sei letztlich
auch nicht gegeben. Dem Kläger sei vorliegend im hinreichenden Umfange Gelegenheit
gegeben worden, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Ihm sei
in der ersten Sitzung des Beklagten mitgeteilt worden, dass eine Einzelfallprüfung
durchgeführt werde. Soweit die folgenden Ladungen fehlerhaft den Hinweis auf die
statistische Vergleichsprüfung enthalten hätten, sei dies unschädlich.
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Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er im Wesentlichen seinen
Vortrag aus dem Klageverfahren wiederholt. Ergänzend trägt er vor, aus dem
angefochtenen Bescheid des Beklagten sei nicht ersichtlich, dass die auch vom
Beklagten angenommenen indizierten Anästhesien (Lokalanästhesien) bei der
Berechnung des Schadens gegengerechnet worden seien.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.03.2002 abzuändern und den Bescheid
des Beklagten vom 15.10.2001 auf Grund der Sitzung vom 08.08.2001 aufzuheben,
hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Senates zu entscheiden.
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Der Beklagte und die Beigeladene zu 8) beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten L 11 KA 100/02 ER
haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf
den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird - insbesondere hinsichtlich des
Vertrages der Beteiligten - ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
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Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn der Kläger ist durch den
angefochtenen Bescheid des Beklagten nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 SGG). Dieser ist
rechtmäßig.
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Nach §§ 19, 28 der Verfahrensordnung haben die Prüfgremien auch den sonstigen
Schaden festzustellen, den ein Vertragszahnarzt infolge schuldhafter Verletzung
vertragszahnärztlicher Pflichten verursacht hat.
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Das Bundessozialgericht (BSG) hat mehrfach entschieden, dass die den Prüfgremien
von den Vertragspartnern des BMV-Ä zugewiesene Kompetenz, auch über das
Vorliegen sogenannter sonstiger Schäden zu befinden, an die den Prüfgremien
gesetzlich vorgegebene Aufgabe der "Überwachung der Wirtschaftlichkeit der
kassenärztlichen Versorgung" gebunden sei. Die Zuständigkeit der Prüfgremien hat es
damit begründet, dass die Partner des BMV-Ä berechtigt seien, ihnen eine innerhalb
des Rechtszwecks der "Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung der Kranken"
liegende Schadensfeststellungskompetenz zuzuweisen (BSGE 55, 144, 150; BSG Soz-
R 5540, § 34 Nr. 1; Soz-R 5545, § 24 Nr. 2). § 72 Abs. 2 SGB V bestimme im
Wesentlichen übereinstimmend mit der früheren Regelung des § 368 g Abs. 1 RVO,
dass die kassenärztliche Versorgung durch schriftliche Verträge der Kassenärztlichen
Vereinigungen mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln sei, dass eine
ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter
Berücksichtigung des allgemeinen Standes der medizinischen Erkenntnisse
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gewährleistet sei und die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet würden. Während
§ 72 SGB V den allgemeinen Ermächtigungsrahmen umschreibe, der den
Vertragspartnern des Bundesmantelvertrages und der Gesamtverträge vom Gesetz
vorgegeben werde, werde in § 106 Abs. 5 SGB V der Aufgabenbereich der Prüfgremien
eingehend auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit festgeschrieben. Nach § 106 Abs. 5
Satz 1 SGB V entscheide der Prüfungsausschuss auf Antrag der Krankenkasse oder
KV, ob der Vertrags(zahn)arzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und
welche Maßnahmen zu treffen sind.
In der Bestimmung des § 38 Abs. 3 BMV-Ä werde an § 106 Abs. 5 SGB V angeknüpft. §
38 Abs. 3 BMV-Ä räume nach seinem Wortlaut den Prüfungsgremien zwar eine
Zuständigkeit zur Feststellung sonstiger Schäden im umfassenden Sinne ein. Indessen
sei die Bestimmung einschränkend dahin auszulegen, dass den Prüfgremien nur eine
Schadensfeststellungskompetenz innerhalb des Rechtszwecks der Gewährleistung
einer wirtschaftlichen Versorgung der Kranken zugewiesen werde (BSG, Urteil vom
16.10.1991 - 6 RKa 32/90).
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Die vom Kläger gerügten Fehler des Verfahrens vor dem Beklagten liegen nicht vor.
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Soweit der Kläger rügt, dass an den verschiedenen - auch internen - Sitzungen des
Beklagten nicht durchgehend dieselben Ausschussmitglieder mitgewirkt haben, ist
diese Rüge nicht berechtigt. Denn - wie auch im gerichtlichen Verfahren - ist hinsichtlich
der dem Beklagten auferlegten Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung weder in den
Prüfvereinbarungen und der Verfahrensordnung noch im Sozialgesetzbuch bestimmt,
dass die bei der Beschlussfassung mitwirkenden Ausschussmitglieder auch an allen
vorherigen Sitzungen zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes
mitgewirkt haben müssen. Die rechtliche Verantwortung für die zu treffende
Entscheidung tragen allein die Ausschussmitglieder, die an der Sitzung teilgenommen
haben, in der die Entscheidung getroffen worden ist. Dabei haben sie alle vorherigen
Ermittlungen des Ausschusses zu berücksichtigen und auf Grund dieser Ermittlungen
letztlich die für sie entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen. Insoweit ist es
unerheblich, dass an der Entscheidung mitwirkende Ausschussmitglieder an
vorhergegangenen Sitzungen, in denen Teile des entscheidungsrelevanten
Sachverhaltes ermittelt worden sind, nicht teilgenommen haben. Etwas anderes kann
nur dann gelten, wenn in früheren Sitzungen "Zeugen" gehört worden sind und es für
die Entscheidung des Gremiums wesentlich auf die Glaubwürdigkeit dieser "Zeugen"
ankommt. Dies ist jedoch nicht der Fall.
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Soweit der Kläger rügt, dass bei der Entscheidung des Beklagten am 08.08.2001
lediglich zwei Vertreter der Zahnärzte und zwei Vertreter der Krankenkassen (Verbände)
mitgewirkt haben, ist auch diese Rüge unbegründet. Wie das Sozialgericht im
angefochtenen Urteil bereits zutreffend dargelegt hat, ist zu differenzieren zwischen der
Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses gemäß § 6 der Verfahrensordnung in
Verbindung mit Ziffer 2 der Übergangsregelung der Verfahrensordnung ab I/1993 und
der Bestimmung über die Beschlussfähigkeit. Während gemäß § 6 der
Verfahrensordnung in Verbindung mit Ziffer 2 der Übergangsregelung der
Verfahrensordnung ab I/1993 dem Beschwerdeausschuss jeweils vier Vertreter der
Vertragszahnärzte und vier Vertreter der Krankenkassen (Verbände) angehören, also
die grundsätzliche Zusammensetzung des Beklagten bestimmt wird, regelt § 10 der
Verfahrensordnung, wie viele Mitglieder der sogenannten Regelbesetzung mindestens
anwesend sein müssen, um eine Entscheidung zu treffen. Insoweit kommt es für die
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Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Beklagten allein darauf an, ob die in § 10 der
Verfahrensordnung bestimmte Mindestbesetzung des Beschwerdeausschusses bei der
streitigen Entscheidung eingehalten worden ist. Da der Beklagte entsprechend der
Bestimmung in § 10 der Verfahrensordnung bei der streitigen Entscheidung mit zwei
Vertretern der Zahnärzte und zwei Vertretern der Krankenkassen (Verbände) besetzt
war, ist die Entscheidung des Beklagten insoweit nicht zu beanstanden. Dabei ist es
unerheblich, dass für den Zeitraum ab dem Quartal I/1993 hinsichtlich der sogenannten
Regelbesetzung eine Änderung gegenüber dem vorherigen Zeitraum vereinbart worden
ist, dies jedoch hinsichtlich der sogenannten Mindestbesetzung unterblieben ist.
Die vom Kläger gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs ist bereits deshalb nicht
erkennbar, weil der Kläger in der Sitzung am 08.08.2001, in der der streitbefangene
Beschluss gefasst wurde, ausreichend Gelegenheit hatte, seine Bedenken und
Einwände vorzutragen und zu den Feststellungen des Beklagten sich zu äußern.
Darüber hinaus ist die entsprechende Verfahrensweise - wie sich aus der
Sitzungsniederschrift des Beklagten vom 17.05.2000 ergibt - in dieser ersten Sitzung
des Beklagten mit allen Verfahrensbeteiligten - also auch dem Kläger - einvernehmlich
vereinbart worden. Insoweit ist es ebenfalls unbeachtlich, dass der Kläger zu einzelnen
Sitzungen eine Einladung bekommen hat, die das Prüfverfahren unrichtig bezeichnet
hat. Denn dem Kläger war von der ersten Sitzung des Beklagten an die Prüfungsart
"Einzelfallprüfung" bekannt. Im Übrigen hat der Kläger in der Sitzung des Beklagten am
08.08.2001 auch keine Einwendungen gegen die Vorgehensweise des Beklagten
erhoben.
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Der Bescheid des Beklagten ist auch in materieller Hinsicht rechtmäßig.
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Der Kläger hat seine vertragszahnärztlichen Pflichten verletzt. Dies ergibt sich daraus,
dass nach B III Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die ausreichende, zweckmäßige und
wirtschaftliche zahnärztliche Versorgung für den chirurgischen Bereich bestimmt ist,
dass eine Narkose oder Analgesie nur dann zu vertragszahnärztlichen Versorgung
gehört, wenn eine andere Art der Schmerzausschaltung nicht angezeigt ist. Nach Nr. 10
Abs. 1 wird bei der chirurgischen Behandlung im Oberkiefer der Schmerz in der Regel
durch Infiltrationsanästhesie ausgeschaltet, bei größeren Eingriffen oder bei
entzündlichen Prozessen durch Leitungsanästhesie, notfalls durch Leitungs- und
Infiltrationsanästhesie. Im Unterkiefer ist die Leitungsanästhesie in der Regel angezeigt.
Dies bedeutet, dass der Vertragszahnarzt vorrangig mildere Mittel in Form einer
Lokalanästhesie anzuwenden hat und zur Narkose erst dann schreiten darf, wenn die
Lokalanästhesie aus medizinisch indizierten Gründen versagt.
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Der Kläger hat die Anästhesieleistungen schuldhaft veranlasst, obgleich hierfür eine
medizinische Indikation in den vom Beklagten festgestellten Fällen nicht vorlag. Der
Kläger verkennt, dass er alleinverantwortlich die Entscheidung zu treffen hat, ob die
zahnmedizinische Behandlung den Richtlinien entsprechend mittels Leitungs- und/oder
Infiltrationsanästhesie erfolgen kann oder aber eine andere Art der
Schmerzausschaltung erforderlich ist. Ob und inwieweit diese Richtlinien aus der
subjektiven Sicht des Klägers nicht mehr die aktuellen zahnmedizinischen
Erkenntnisstand widerspiegeln, ist irrelevant. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang
geäußerte Auffassung, dass der Anästhesist entscheide, welche Art der Anästhesie
indiziert sei, trifft zwar grundsätzlich zu, jedoch verkennt der Kläger dabei, dass allein er
als Vertragszahnarzt darüber zu entscheiden hat, ob aus zahnmedizinischen
Gesichtspunkten eine Narkose angezeigt ist. Der hinzugezogene Anästhesist hat
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demgegenüber darüber zu befinden, ob gegen die Narkose aus Sicht seines
Fachgebietes Bedenken bestehen oder Kontraindikationen vorhanden sind, der Patient
also narkosefähig ist.
Der mit einem Vertragszahnarzt fachkundig besetzte erkennende Senat stellt nach
Durchsicht der dem Bescheid in der Anlage beigefügten Übersichten fest, dass die
Beurteilung des Beklagten hinsichtlich der Erforderlichkeit der streitigen Anästhesien
vollinhaltlich zutreffend ist. Der Kläger hat in den vom Beklagten festgestellten Fällen
Anästhesien veranlasst, obgleich hierfür eine medizinische Indikation nicht vorlag.
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Der Senat hat unter fachkundiger Mitwirkung des ehrenamtlichen Richters Dr. Oehler
die Feststellungen des Beklagten anhand von Einzelfällen beispielhaft überprüft. Dabei
ist der Senat bei der Prüfung der Fälle 17 und 20 Quartal I/1996 - DAK sowie in den
Fällen 1 bis 3 im Quartal II/1996 - DAK zu der Überzeugung gelangt, dass auf Grund der
vom Kläger angegebenen Diagnose eine Anästhesieleistung nicht in Betracht kam.
Weiterhin hat sich ergeben, dass der Beklagte durchaus differenziert bei seiner Prüfung
vorgegangen ist. So hat der Beklagte bei den Behandlungsfällen 17 und 18 im Quartal
IV/1996 - BEK bei einem im Wesentlichen gleichen zahnmedizinischen Eingriff eine
differenzierte Betrachtung vorgenommen und die Anästhesie im Fall Nr. 17 wegen des
Umfanges des Eingriffes für erforderlich angesehen. Ähnlich verhält es sich bei den
Fällen Nr. 5 und 7 im Quartal II/1996 - DAK, wo der Beklagte bei einem
behandlungsunwilligen Kind wegen des Umfangs der Behandlung und bei einem
Patienten mit geistiger Behinderung trotz eines geringfügigen Eingriffes die Anästhesie
für erforderlich angesehen hat. In den Behandlungsfällen 12 im Quartal IV/1996 DAK
und 12 im Quartal III/1996 - AOK sowie im Fall 11 im Quartal III/1996 - TK und im Fall 24
im Quartal IV/1996 - BEK hat der Beklagte nach den Feststellungen des Senates
zutreffend auf Grund der Diagnose des Klägers für die Abweichung die Erforderlichkeit
einer Anästhesie verneint.
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Die differenzierte Betrachtung des Beklagten bei der angefochtenen Entscheidung zeigt
sich auch in der Beurteilung der Fälle 28 und 27 im Quartal II/1996 - AOK. In beiden
Fällen handelte es sich nach Angabe des Klägers um ein behandlungsunwilliges Kind.
Während im Fall Nr. 28 die Anästhesie auf Grund des Umfangs der
vertragszahnärztlichen Behandlung als gerechtfertigt angesehen worden ist, hat der
Beklagte im Fall Nr. 47 die Erforderlichkeit einer Anästhesie verneint, da lediglich ein
geringfügiger zahnmedizinischer Eingriff erforderlich war.
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Soweit der Kläger meint, es liege kein sonstiger Schaden vor, da allenfalls eine
Wirtschaftlichkeitsprüfung beim Anästhesisten in Betracht komme, ist dies unzutreffend.
Der Kläger hat einen Schaden verursacht, weil auf seine Veranlassung und ohne
zwingende medizinische Indikation Anästhesien vom Anästhesisten durchgeführt und
abgerechnet worden sind. Ob der betreffende Anästhesist einer
Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen wird, ist eine hiervon losgelöste Frage. Da in der
Regel nur eine statistische Vergleichsprüfung (§ 106 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative SGB V)
in Betracht kommt, ist schon offen, ob der Anästhesist überhaupt auffällig wird. Im
Übrigen wird bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung das angeforderte Honorar in der Regel
allenfalls bis auf die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis gekürzt. Damit würden
dem Anästhesisten immer noch Überschreitungen zugestanden, die weit über dem
Durchschnitt der Vergleichsgruppe liegen. Im Falle einer Wirtschaftlichkeitsprüfung ist
daher niemals konkret feststellbar, ob gerade die vom Kläger veranlassten Leistungen
gekürzt werden. Zu einem zweifachen Schadensausgleich, einerseits durch den
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Regress gegenüber dem Kläger und andererseits durch die Wirtschaftlichkeitsprüfung
beim Anästhesisten, kann es daher nicht kommen (Urteil des erkennenden Senates vom
12.03.1997 - L 11 Ka 42/96).
Der Einwand des Klägers, es sei nicht dem Beklagten, sondern allenfalls der KV
Nordrhein ein Schaden entstanden, vermag ihn ebenfalls nicht zu entlasten. Dass den
Prüfungsgremien kein Schaden entstanden sein muss, ist selbstverständlich, sie haben
einen solchen nur zuständigkeitshalber festzustellen. Ungeachtet der Frage, ob die
anästhesistischen Leistungen in den streitigen Quartalen unter einer begrenzten
Gesamtvergütung gezahlt worden sind, ist der Schaden letztlich bei den Krankenkassen
eingetreten. Dies folgt aus § 12 Abs. 1 SGB V, wonach die Krankenkassen nicht
notwendige Leistungen nicht bewilligen und damit auch nicht bezahlen dürfen. Bestätigt
wird dies durch § 106 SGB V. Die gesetzliche Anordnung, Wirtschaftlichkeitsprüfungen
durchzuführen, würde zu einem erheblichen Teil leerlaufen, wenn infolge von
Budgetierungen, Kontingentierungen oder gedeckelten Gesamtvergütungen ein
konkreter, auf den Einzelfall bezogener Schaden bei den Krankenkassen nicht
nachweisbar wäre. Letztlich kann dahinstehen, ob der Schaden bei den Krankenkassen
oder bei der KV Nordrhein entstanden ist. Die §§ 19, 28 der Verfahrensordnung
verlangen nur, dass der Zahnarzt infolge schuldhafter Verletzung vertragszahnärztlicher
Pflichten einen Schaden verursacht hat. Die Prüfgremien sind hiernach nicht
verpflichtet, im Einzelnen darzulegen, bei wem der Schaden entstanden ist (Urteil des
erkennenden Senates a. a. O.).
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Einer Gegenrechnung der vom Beklagten angenommenen indizierten Leitungs-
und/oder Infiltrationsanästhesien bedarf es deshalb nicht, weil der Kläger bei den vom
Beklagten geprüften und beanstandeten Behandlungsfällen immer auch eine
entsprechende Anästhesie abgerechnet hat.
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Letztlich ist eine Verjährung nicht eingetreten, denn § 31 Abs. 3 Verfahrensordnung
findet auf das Prüfverfahren zur Feststellung eines sonstigen Schadens keine
Anwendung. Gemäß § 19 Abs. 3 Verfahrensordnung können Anträge - von den am
Honorarverfahren nicht beteiligten Krankenkassen - innerhalb von 12 Monaten nach
Ablauf des Kalendervierteljahres gestellt werden, in dem die Krankenkasse von der
Entstehung des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat.
Da diese Kenntniserlangung durchaus erst nach mehr als 2 Jahren erfolgen kann, wäre
zwar die Antragstellung noch zulässig, aber der Anspruch bereits verjährt. Deshalb kann
insoweit nur die allgemeine Verjährungs- bzw. Verwirkungsfrist bestehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in der Fassung bis zum 01.01.2002. Die
Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
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