Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.04.2009

LSG NRW: alleinerziehende mutter, schulmaterial, eltern, schule, zuschuss, leitbild, schulbesuch, rechtskraft, zivilprozessordnung, beihilfe

Landessozialgericht NRW, L 7 B 401/08 AS
Datum:
15.04.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 401/08 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 23 AS 287/08
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Kläger zu 2) bis 6) wird der Beschluss des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.10.2008 geändert. Den Klägern zu 2)
bis 6) wird Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens
vor dem Sozialgericht Düsseldorf unter Beiordnung von Rechtsanwalt D
aus L für die Zeit ab Antragstellung bewilligt. Die Beschwerde der
Klägerin zu 1) wird zurückgewiesen. Kosten sind im
Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
1
Die Beschwerden, der Kläger zu 2) bis 6) gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG)
vom 13.10.2008 sind begründet, die Beschwerde der Klägerin zu 1) hat dem gegenüber
in der Sache keinen Erfolg.
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Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt nach § 73a Abs. 1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) voraus,
dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint sowie der Beteiligte die Kosten
der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann.
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1. Die Rechtsverfolgung der Kläger zu 2) bis 6), die die Kosten der Prozessführung nicht
aufbringen können, bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig.
Denn es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass den Klägern ein
Anspruch auf eine Beihilfe für die Anschaffung von Schulmaterial gemäß § 73 Zwölftes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zusteht.
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a) Das SG Düsseldorf hat in dem angegriffenen Beschluss vom 13.10.2008 zu Recht
ausgeführt, dass das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für das Begehren der
Kläger keine Anspruchsgrundlage bereitstellt.
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b) Nach der im Prozesskostenhilfeverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung
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ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Kläger zu 2) bis 6) mit Erfolg
einen subsidiären Anspruch auf Hilfe in sonstigen Lebenslagen gemäß § 73 SGB XII
gegen den zuständigen Sozialhilfeträger geltend machen können. Denn diese Norm
bildet eine Anspruchsgrundlage bei atypischen Bedarfslagen, die eine gewisse Nähe zu
dem speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweisen und
dadurch eine Aufgabe von besonderen Gewicht darstellen (Bundessozialgericht (BSG)
Urteil vom 25.06.2008, B 11 B AS 19/07 R(RdNr. 28) mit Verweis auf BSGE 97, 242,
249).
Das SG hat ausgeführt, dass der Schulbesuch schulpflichtiger Kindern regelmäßig eine
typische (und damit keine atypische) Bedarfslage darstellt, weil die gesetzliche
Schulpflicht grundsätzlich alle Schulkinder erfasst.
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Der Senat lässt offen, ob er sich dieser Argumentation anschließt, oder ob dagegen mit
dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.11.2008, L 3 AS 76/07) eine
Atypik deshalb zu bejahen ist, weil ein zahlenmäßig größerer Personenkreis in
besonderer Art und Weise und anders als andere Personengruppen betroffen ist. Denn
hier ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass die Bedarfsgemeinschaft aus einer
alleinerziehenden Mutter und ihren sechs Kindern besteht, von denen fünf Kinder
derzeit schulpflichtig sind. Es ist bekannt, dass zu Beginn eines Schuljahres die Eltern
für ihre schulpflichtigen Kinder Schulmaterial zu erwerben haben und ihnen dadurch
häufig nicht nur geringfügige Kosten entstehen. Reicht das Sozialgeld des Kindes in
dem betreffenden Monat aufgrund anderweitig zu deckender Bedarfe des Kindes nicht
aus, diese Kosten für das Schulmaterial zu tragen, sind die Eltern im Ergebnis
gezwungen, diese Kosten aus der eigenen Regelleistung zu bestreiten. Eine derartige
"Kompensationsmöglichkeit" entfällt bzw. minimiert sich aber, wenn eine
alleinerziehende Mutter zeitgleich Schulmaterial für fünf Kinder kaufen muss. Der
Sachverhalt ist also (jedenfalls insoweit) atypisch. Denn das SGB II geht bei dem
"Leitbild" einer Bedarfsgemeinschaft nicht von einer alleinerziehenden Mutter mit fünf
Kindern aus; auch in der Lebenswirklichkeit ist dies nicht der Normalfall. Es ist damit
nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Notwendigkeit, für fünf Kinder zeitgleich
Schulmaterial anschaffen zu müssen, eine atypische Bedarfslage im genannten Sinne
darstellt bzw. begründet.
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In der Sache wird der Prozessbevollmächtigte der Kläger seinen bisherigen
Klagevortrag jedoch zu substantiieren haben. Denn derzeit ist nicht vorgetragen, welche
Kosten die Kläger für das Schulmaterial, die offenbar allein streitig sind, tatsächlich und
konkret aufzubringen hatten. Möglicherweise wird sodann aufzuklären sein, ob die
Kläger schulintern, etwa seitens eines Fördervereins der Schule, einen Zuschuss zu
den Kosten des Schulmaterials in Anspruch nehmen können bzw. konnten, der etwaige
finanzielle Härten ggf. ausgleicht oder jedenfalls reduziert.
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c) Das SG Düsseldorf wird den Sozialhilfeträger notwendig beizuladen haben gemäß §
75 Abs. 2 Satz 2 SGG, wie dies die Beklagte zu Recht angeregt hatte.
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2. Die Beschwerde der Klägerin zu 1) ist demgegenüber nicht begründet. Denn der
subsidiäre Anspruch des § 73 SGB XII könnte allein den Klägern zu 2) bis 6) zustehen,
nicht dagegen der Klägerin zu 1) als ihrer Mutter. Auch bei einer Bedarfsgemeinschaft
handelt es sich stets und ausschließlich um Individualansprüche. Anspruchsinhaber
gemäß § 73 SGB XII können allein die Kläger zu 2) bis 6) sein.
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3. Kosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG
i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
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4. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
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