Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.08.2001
LSG NRW: daten, rentner, meldung, krankenversicherung, finanzkraft, krankenkasse, anhörung, rente, krankengeld, anteil
Landessozialgericht NRW, L 5 KR 166/00
Datum:
28.08.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 166/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 19 KR 84/99
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 12 KR 17/01 R
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln
vom 28.02.2000 geändert und unter Zurückweisung der weitergehenden
Berufung der Tenor wie folgt gefasst: Der Bescheid vom 11.02.1999
(Rechtskreis Ost) wird insoweit aufgehoben, als in die Berechnung des
Ausgleichsbetrags die Korrektur des Beitragsbedarfs für das Jahr 1994
eingeflossen ist. Die Beklagte wird insofern zur Neubescheidung
verpflichtet. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Kosten
sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klage richtet sich gegen den Bescheid, mit dem im Rahmen des
Risikostrukturausgleichs für den Rechtskreis Ost der Jahresausgleich für das
Kalenderjahr 1997 (einschließlich einer Korrektur des Beitragsbedarfs für die Jahre
1994 bis 1996) sowie die Abrechnung der Beiträge der Krankenversicherung der
Rentner (KVdR) festgestellt worden ist.
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Durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21.12.1992 (BGBl. I, 2266) ist ab
01.01.1994 ein kassenartübergreifender Risikostrukturausgleich (RSA) eingeführt
worden. Mit dem Ausgleich der finanziellen Auswirkungen der unterschiedlichen
Risikostrukturen der Krankenkassen sollen eine gerechtere Beitragsbelastung der
Versicherten erreicht und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen
abgebaut werden (BT-Drucks. 12/3608, S. 117). Die Finanzsituation jeder
Krankenkasse soll möglichst unabhängig von ihrer konkreten Risikostruktur gestaltet
werden.
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Das gesetzliche Konzept (§ 266 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 267 Abs. 2 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB V)) sieht die Berücksichtigung der finanziellen Auswirkungen
folgender risikobestimmender Faktoren vor: die beitragspflichtigen Einnahmen der
Mitglieder, die Anzahl der Familienversicherten, die Morbidität, die indirekt über die
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Faktoren Alter, Geschlecht und Invalidität (Bezug von EU-/BU-Rente und Rente wegen
verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit) der Versicherten erfasst wird, sowie die
Art der Anspruchsberechtigung auf Krankengeld. Einnahme- und
Ausgabenunterschiede, die nicht auf diese Faktoren zurückzuführen sind, sind nicht
ausgleichsfähig (§ 266 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Kern des RSA ist ein Vergleich von Beitragsbedarf und Finanzkraft einer Krankenkasse
(§ 266 Abs. 2 Satz 1 SGB V). In dem Beitragsbedarf drückt sich die individuelle
Risikobelastung einer Krankenkasse hinsichtlich der Leistungsausgaben aus, während
ihre Finanzkraft die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen ihrer Mitglieder im
Vergleich zu den durchschnittlichen beitragspflichtigen Einnahmen aller Krankenkassen
widerspiegelt.
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Da nicht die tatsächlichen Ausgaben einer Krankenkasse, sondern nur die auf den
genannten Faktoren beruhende Risikobelastung ausgeglichen werden soll, werden
durchschnittliche Pro-Kopf-Ausgaben für jede der nach Alter (90 Altersgruppen) und
Geschlecht differenzierten Versichertengruppen, die jeweils nochmals unterteilt werden
nach Versicherten mit und ohne Bezug einer EU-/BU-Rente sowie nach Bestehen und
Beginn eines Krankengeldanspruchs (vgl. im einzelnen § 2 Risikostruktur-
Ausgleichsverordnung (RSAV)), ermittelt (standardisierte Leistungsausgaben, § 266
Abs. 2 Satz 3 SGB V). Dabei werden satzungsmäßige Mehr- und Erprobungsleistungen
sowie Ermessensleistungen (mit Ausnahme der Anschlussheilbehandlung) nicht
berücksichtigt (§§ 266 Abs. 4 SGB V, 4 RSAV); ebenso sind Verwaltungsausgaben
grundsätzlich nicht ausgleichsfähig. Die auf die Versicherten in den einzelnen RSA-
Versichertengruppen ("RSA-Zellen") entfallenden Leistungsausgaben werden in einer
besonderen Datenerhebung ermittelt (§ 267 Abs. 3 SGB V). Die Pro-Kopf-Ausgaben
werden in Verhältniswerte umgerechnet, die zeigen, in welcher Relation die Ausgaben
aller Krankenkassen je Versicherten in den jeweiligen Versichertengruppen zu den Pro-
Kopf-Ausgaben aller Krankenkassen je Versicherten in allen Versichertengruppen
stehen (§ 5 Abs. 1 RSAV). Mit Hilfe der Verhältniswerte und des aus den
Jahresrechnungen bzw. der Versichertenstatistik der Krankenkassen bekannten
durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgabewertes aller Kassen und aller Versicherten wird
dann die Höhe der standardisierten Pro-Kopf-Leistungsausgaben in jeder
Versichertengruppe ermittelt (vgl. im einzelnen § 6 RSAV).
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Der Beitragsbedarf einer Krankenkasse ergibt sich aus der Multiplikation der Zahl der für
jeden Tag ihrer Kassenzugehörigkeit einer der Versichertengruppe zugeordneten
Versicherten mit den entsprechenden standardisierten Leistungsausgaben und der
Addition dieser Ausgaben für alle Versicherten. Zur Ermittlung der Finanzkraft werden
die kassenspezifischen beitragspflichtigen Einnahmen mit dem bundeseinheitlichen
Ausgleichsbedarfssatz multipliziert (§ 266 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Der
Ausgleichsbedarfssatz entspricht dem Verhältnis der Beitragsbedarfssumme aller
Krankenkassen zur Summe aller beitragspflichtigen Einnahmen (Satz 3 a.a.O.), gibt also
an, wie hoch der Anteil der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sein muss, um die im RSA
berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben finanzieren zu können.
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Beitragsbedarf und Finanzkraft werden schließlich gegenübergestellt. Reicht die
Finanzkraft einer Kasse zur Finanzierung der standardisierten Leistungsausgaben nicht
aus, erhält sie eine Ausgleichszahlung aus dem RSA, während umgekehrt eine Kasse,
deren Finanzkraft ihren Beitragsbedarf übersteigt, die Differenz in den RSA einzahlen
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muss (§ 266 Abs. 3 Satz 4 SGB V). Die Summe aller Zahlungsansprüche und -
verpflichtungen ergibt Null.
Der angefochtene Bescheid vom 11.02.1999 weist nach Korrekturen einen
Gesamtbeitragsbedarf von 36.154.779,07 DM aus.
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U.a. verminderte er sich aufgrund einer Korrektur des Beitragsbedarfs aus den Jahren
1994 - 1996 (Anlage 2 zum Bescheid): Im Jahresausgleich 1997 stellte die Beklagte den
Beitragsbedarf für die Jahre 1994, 1995 und 1996 neu fest und zwar aufgrund von
Korrekturen der Versicherungszeiten sowie einer Korrektur der Verhältniswerte für die
Jahre 1995 und 1996. Dabei ergab sich für die Klägerin eine Ausgleichsverpflichtung für
die zurückliegenden Jahre in Höhe von 11.997,03 DM. Die Beklagte verteilte die
Fälligkeit der auf die Korrekturjahre entfallenden Ausgleichszahlungen auf die
Jahresausgleiche 1997 bis 1999. Das im Jahresausgleich 1997 fällige Drittel beläuft
sich auf 3.999,01 DM (Position 2 des Bescheides) und mindert entsprechend den
Beitragsbedarf der Klägerin.
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Die Finanzkraft betrug 44.660.378,51 DM, so dass sich eine Ausgleichsverpflichtung
von 8.505.599,44 DM ergab. Abzüglich der geleisteten Abschlagszahlungen verblieb
ein Ausgleichsbetrag von 179.306,88 DM. Die Abrechnung der KVdR-Beiträge führte zu
einer Forderung von 44.842,64 DM, so dass der Ausgleichsbetrag insgesamt (Position
20 des Bescheides) 134.464,24 DM betrug.
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Die Klägerin hat am 12.03.1999 Klage erhoben. Sie hat die angefochtenen Bescheide
schon deshalb für rechtswidrig gehalten, weil es an der nach § 35 Abs. 1 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) gebotenen Begründung fehle. Gerade angesichts der
Kompliziertheit der Materie sei eine ausreichende Begründung der Beklagten
erforderlich, die vor allem hinsichtlich der Datengrundlage Klarheit schaffe.
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Die Klägerin hat darüber hinaus vor allem die Datengrundlagen des Jahresausgleichs
1997 bemängelt. Die gemeldeten Versicherungszeiten seien nicht valid, insbesondere
die Grundbereinigung der Familienversichertenverzeichnisse sei unzureichend
vorgenommen und geprüft worden. Die Beklagte treffe insoweit eine eigene
Untersuchungs- und Ermittlungspflicht.
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Auch nach der Durchführung der Prüfungen der Aufsichtsbehörden seien die
Datengrundlagen mangelhaft. Nach den Feststellungen der Prüfdienste seien bei ca. 5
% der geprüften Fälle die Voraussetzungen der Familienversicherung nicht oder nicht
ordnungsgemäß nachgewiesen gewesen. Die Prüfungen seien den Kassen etwa drei
Wochen vorher angekündigt worden. Diese hätten 1000 Fälle benennen dürfen, aus
denen die Prüfer dann 220 Fälle ausgesucht hätten. Somit sei eine Nachbearbeitung
der gemeldeten Fälle möglich gewesen. Tatsächlich sei es wohl zu solchen
Nachbearbeitungen gekommen, weil es bei einzelnen Kassen zu keinerlei
Beanstandungen gekommen sei, was bei dem Massengeschäft der
Krankenversicherung realitätsfremd sei. Die Klägerin hat ferner gerügt, bei den
Prüfungen seien keine repräsentativen Stichproben aus dem tatsächlich vorhandenen
Gesamtbestand gezogen worden, so dass aus den Stichproben keine sicheren
Rückschlüsse auf die Qualität des Gesamtversichertenbestandes hätten gezogen
werden können. Wenn gleichwohl bei den Prüfungen zahlreiche Unkorrektheiten
festgestellt worden seien, stelle sich die Frage, wie das Prüfungsergebnis bei
unangemeldeter Prüfung mit repräsentativen Stichproben ausgesehen hätte.
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Die dem Jahresausgleich 1997 zu Grunde liegenden Verhältniswerte seien
unzutreffend. Als Beispiel sei die ungewöhnlich hohe Steigung der Verhältniswerte in
der Versichertengruppe der 65-jährigen mit Anspruch auf EU/BU-Rente zu nennen.
Gleiches gelte für die Entwicklung der Profilverläufe für die EU/BU-Rentner.
Leistungsausgaben seien zum Teil nicht Stichprobenversicherten zugeordnet worden.
Ferner werde die Veränderung der Relation der Zahl der EU/BU-Rentner zu der Gruppe
der übrigen Versicherten durch eine rückwirkende Gewährung von Rente nicht
berücksichtigt. Es gebe folglich Zeiten, in denen spätere EU/ BU-Rentner noch als
Nicht-Rentner geführt worden seien und Leistungen bezogen hätten, obwohl sie "an
sich" schon Rentner gewesen seien. Folglich habe bei einer rückwirkenden Korrektur
der Versicherungszeiten auch eine entsprechende Korrektur der Leistungsvolumina vor
der Berechnung der Verhältniswerte erfolgen müssen, weil sonst die
Leistungsinanspruchnahme durch EU/BU-Rentner unterschätzt werde. Ebenso sei die
pauschale Zuordnung der Krankengelderstattungen von 60 % auf die Gruppe der
EU/BU-Rentner und zu 40 % auf die übrigen Versichertengruppen falsch, weil bei
Korrekturverfahren für bereits abgeschlossene Vorjahre aufgrund der dann gestiegenen
Zahl von Versicherten mit Rentenbezug davon auszugehen sei, dass der Anteil an
Erstattungen für den EU/BU-Anteil wesentlich größer geworden sei.
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Die Klägerin hat außerdem kritisiert, dass sogenannten Anwartschaftsversicherte bei
der Meldung der Versicherungszeiten nicht berücksichtigt werden dürften. Folglich
müsse gleiches auch bei den Beitragseinnahmen gelten.
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Grundsätzlich hat sie gegen den RSA vorgebracht, dass er seinen ursprünglichen
Zweck, den Wettbewerb zwischen den Kassen zu ermöglichen und
Wettbewerbsverzerrungen auszugleichen, durch die "erhebliche Kostenlast"
konterkariere und einzelne Krankenkassen in Schwierigkeiten geraten seien. Er diene
in seiner jetzigen Form offensichtlich nur noch der "Subventionierung" insbesondere der
AOK. Die vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 11.11.1999 zum
Länderfinanzausgleich aufgestellten Grundsätze, dass das Ausgleichsverfahren nicht zu
einer Nivellierung und Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge der Länder führen dürfe,
sei auf den RSA übertragbar. Es sei rechtlich nicht nachvollziehbar, dass
"Empfängerkassen" einen niedrigeren Beitragssatz als "Zahlerkassen" haben könnten
und dass durch den RSA "die eigene Leistungsfähigkeit gegenüber den
minderleistungsfähigen Empfängerkassen nivelliert" werde.
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Das BVA hat die Auffassung vertreten, es seien weder eine Anhörung noch eine
Begründung erforderlich gewesen, da es sich bei den RSA- Bescheiden um typische
Massenverwaltungsakte handele. Eine Begründung sei aus Gründen der
Verwaltungspraktikabilität auch nicht erforderlich gewesen. Die Datengrundlage der
Bescheide sei transparent. Die rückwirkende Korrektur der Verhältniswerte für die Jahre
1995 und 1996 sei nach dem in der Anlage 10 der Vereinbarung der Spitzenverbände
mit deren mehrheitlicher Zustimmung durchgeführt worden. Die erforderliche
Transparenz werde durch die Mitwirkung des die Klägerin vertretenden Verbandes
sichergestellt.
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Die Prüfungen der Versicherungszeiten seien nach einheitlichen Kriterien durchgeführt
worden. Die Kassen seien vor der Prüfung aufgefordert worden, Prüflisten von
Versicherten mit einem vorgegebenen Geburtstag vorzulegen. Ab dem 1000.
Versicherten hätten sie dann die Liste abbrechen dürfen. Aus dieser Liste sei dann
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durch die Prüfer die Auswahl erfolgt. Der Zeitraum von zwei bis drei Wochen zwischen
Ankündigung und Prüfung sei zu kurz für eine Nachbearbeitung gewesen. Angesichts
der begrenzten Ressourcen der Prüfdienste seien repräsentative Stichproben nicht
möglich gewesen, weil sonst eine Prüfung aller Kassen nicht möglich gewesen sei. Die
Prüfungen hätten jedoch flächendeckend einzelkassenbezogene und somit
systembedingte Fehler in Form unzureichender organisatorischer oder EDV-
technischer Vorkehrungen zur korrekten Führung der
Familienversichertenverzeichnisse aufgedeckt. Repräsentative Ergebnisse seien auch
nur notwendig gewesen, wenn die Beanstandungsquote Grundlage für eine
Hochrechnung zur Korrektur der Verzeichnisse gebildet hätte, was jedoch nicht der Fall
gewesen sei. Soweit ein gewisser "Bodensatz" nicht vollständig nachgewiesener
Versicherungsverhältnisse bestehe, sei dieser unerheblich, da er bei allen Kassen
vorhanden sein müsse. Die von der Klägerin zitierten Prüffeststellungen bezögen sich
auf Einzelfälle, sie hätten zur Stornierung von Versicherungszeiten bei den betroffenen
Kassen geführt und die daraus resultierenden Beitragsbedarfskorrekturen seien im
Jahresausgleich 1997 für die Vorjahre durchgeführt worden. Sie - die Beklagte - treffe
bei der Feststellung der Versicherungszeiten keine Amtsermittlungspflicht; insoweit hat
die Beklagte auf den Senatsbeschluss vom 14.04.1997 - L 5 SKR 5/97 - verwiesen.
Zu den gerügten Unplausibilitäten der Verhältniswerte insbesondere bei der Gruppe der
65-jährigen EU/BU-Rentner hat das BVA ausgeführt, insoweit handele es sich um das
bekannte Problem der "Randwertproblematik". Versicherungszeiten würden ab dem 65.
Lebensjahr strikt der Versichertengruppe der Nicht-EU/BU-Rentner zugerechnet. Wenn
sie als Stichprobenversicherte noch mit der alten Krankenversicherungskarte den Arzt
aufsuchten, würden die Leistungsausgaben der Versichertengruppe der EU/BU-Rentner
zugeordnet, was im Ergebnis zu überhöhten pro-Tag-Ausgaben in der Altersklasse der
65-jährigen EU/BU-Rentner führe. Weitaus gewichtiger in der entgegengesetzten
Verteilungswirkung sei jedoch das Problem, dass EU/BU-Renten rückwirkend bewilligt
würden. Insoweit würden zwar im Nachhinein Versicherungszeiten der
Versichertengruppe der EU/BU-Rentner zugeordnet, während diese Versicherten mit
einer Versichertenkarte als Nicht-Rentner Leistungen in Anspruch genommen hätten.
Dies führe zur Ermittlung der pro-Kopf-Ausgaben für EU/BU-Rentner, die systematisch
zu niedrig seien. Die finanzielle Benachteiligung der Empfängerkassen - insbesondere
Ortskrankenkassen und die Bundesknappschaft versicherten überdurchschnittlich viele
EU/BU-Rentner - aufgrund des Tatbestandes sei bekannt, sei aber mangels
konsensfähiger Lösungsmöglichkeiten von diesen bis lang hingenommen worden.
Soweit die Ansicht vertreten werde, der überhöhte Randwert bei den 65-Jährigen sei zu
kappen, indem man ihn durch den deutlich niedrigeren Wert für 64-Jährige ersetze, sei
dies unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit nicht sachgerecht. Die
geforderte Kappung bedeute im Ergebnis, dass der den 65-Jährigen nicht mehr
zuzurechnende Beitragsbedarf umverteilt werde auf alle Versichertengruppen, wobei
den Versichertengruppen der Nicht-Rentner hiervon wegen der stärkeren Besetzung am
meisten zugeteilt würden. Dies bedeute, dass generell Beitragsbedarf vom EU/BU-
Bereich in den Nicht-EU/BU- Bereich umverteilt würde. Die Randwertproblematik könne
nur sachgerecht dahingehend gelöst werden, dass der überhöhte Beitragsbedarf für die
65-Jährigen vollständig der Versichertengruppe der EU/BU-Rentner zugerechnet werde.
Was die Frage der Berücksichtigung der Krankengelderstattungen anbelange, weise
tatsächlich die Satzart 40 für Vorjahre im Regelfall mehr Versichertentage mit EU/BU-
Rentnern auf als die originären Jahresmeldungen, weil inzwischen Rentenverfahren
abgeschlossen seien. Trotzdem sei die pauschale Quote von 60 zu 40 richtig, weil sich
nur die Zahl der Versichertentage erhöhe, nicht aber die dem Bereich EU/BU
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zugerechneten Krankengeldausgaben. Im Übrigen ergäbe sich bei einer höheren
Zurechnung der Krankengelderstattung auf den Rentnerbereich eine sachlich nicht
gerechtfertigte Besserstellung der Kassen, die einen geringen Anteil an EU/BU-
Rentnern hätten, weil die ohnehin zu niedrigen pro-Tag-Werte für EU/BU- Rentner bei
erhöhter Zurechnung von Erstattungen weiter gesunken wären.
Was die Zuordnung von Leistungsausgaben anbelange, führe der Umstand, dass
Leistungsausgaben für Stichprobenversicherte wegen einer falschen
Krankenversicherungskarte nicht erfasst werden, zu verminderten pro-Tag- Ausgaben
für Stichprobenversicherte, wobei sich durch die Hochrechnung auf die
Grundgesamtheit dadurch auch verminderte pro-Tag-Werte für alle Versicherten
ergäben. Eine nicht ordnungsgemäße Versorgung mit Krankenversicherungskarten
entstehe vornehmlich in zwei Fällen: a) der Versicherte werde rückwirkend zum EU/BU-
Rentner oder b) der Versicherte werde 60 Jahre alt und habe an einem der 11
zusätzlichen Tage Geburtstag, die nach der Vereinbarung der Spitzenverbände für
Versicherte ab 65 Jahren aufgeführt werden. Auch im Fall b) komme es wiederholt zu
einer nicht zeitgerechten Ausgabe der richtigen Krankenversicherungskarte. Insoweit
liege die Verantwortung für eine ordnungsgemäße und zeitgerechte Kartenausgabe bei
den Krankenkassen. Die identifizierbaren Schwachstellen ließen sich an den pro-Tag-
Werten nachvollziehen, tatsächlich seien die pro-Tag-Werte der EU/BU- Rentner zu
niedrig ausgewiesen, ähnliches ergebe sich für die Altersklasse der 60-Jährigen, in
denen der pro-Tag-Wert unter dem Wert der 59- und 61-Jährigen liege. Beides gehe
vornehmlich zu Lasten der Empfängerkassen im RSA. Eine einvernehmliche
rechnerische Lösung sei in beiden Fällen an den Zahlerkassen gescheitert, die von der
Korrektur negativ betroffen seien.
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Hinsichtlich der Berücksichtigung der Anwartschaftsversicherungen hat das BVA
erwidert, dass diese Versicherten keine Leistungen in Anspruch nähmen und somit
auch keine Ausgaben verursachten. Andererseits bedeuteten die von ihnen gezahlten
Beiträge eine Erhöhung der Finanzkraft der betreffenden Kasse, die weit über die
zusätzlichen Verwaltungsausgaben hinausgehe, so dass ihre Berücksichtigung auf der
"Einnahmenseite" sachgerecht sei.
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Die Behauptung der Klägerin, der RSA habe sein Ziel verfehlt,
Wettbewerbsverzerrungen abzubauen, treffe nicht zu. Dabei wies die Beklagte darauf
hin, dass der RSA keineswegs eine Subventionierung der AOK bedeute, da auch 113
Betriebs- und 110 Innungskrankenkassen "Empfängerkassen" seien.
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Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 28.02.2000 den Bescheid vom 11.02.1999
insoweit aufgehoben, als der Bescheid eine Beitragsbedarfskorrektur für die Vorjahre
enthält. Es hat gemeint, die rückwirkende Korrektur des Beitragsbedarfes stehe im
Ermessen des BVA. Die erforderliche Ermessensbetätigung habe die Beklagte aber
nicht vorgenommen. Auch die Entscheidung über die Fälligkeit der aus den
Beitragskorrekturen für die Jahre 1994 - 1996 folgenden Ausgleichsbeträge sei
fehlerhaft, weil die Beklagte auf die einzelnen Kassen bezogene
Ermessenserwägungen habe anstellen müssen. Im Übrigen hat das SG die Klage
abgewiesen.
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Im Berufungsverfahren rügt die Klägerin auch die unterbliebene Anhörung vor Erlass
des angefochtenen Bescheides. § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X greife nicht ein, weil es sich
nicht um gleichartige Regelungen in den Bescheiden handele, da den Bescheiden kein
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einheitlicher Sachverhalt zugrunde liege. Die Vorschrift sei nur einschlägig, wenn ein
genereller typischer Sachverhalt betroffen sei, der keine nähereren individuellen
Festlegungen erfordere. Ferner hält die Klägerin unverändert wegen der Komplexität der
Materie eine Begründung für erforderlich.
Materiellrechtlich rügt sie weiterhin die defiziente Datenbasis. Sie bestreitet die
Repräsentativität der Stichprobe und meint, auch bei der Auslegung des § 267 Abs. 3
Satz 3 SGB V müsse von dem fachwissenschaftlichen Begriff der Repräsentativität
ausgegangen werden, da der Gesetzgeber ausdrücklich ein repräsentatives Ergebnis
gewollt habe. Soweit den Spitzenverbänden die Regelung der Einzelheiten zum
Stichprobenverfahren übertragen worden sei, sei ihr Handlungsspielraum durch den
gesetzlichen Auftrag, eine optimale Datenbasis zu schaffen, begrenzt. Der Gesetzgeber
habe gesicherte Daten angestrebt und eine breite Datenbasis gewollt. Der gesetzlich
genannte Stichprobenumfang von 10 % sei davon abhängig gemacht worden, dass
tatsächlich die relativen Abweichungen vergleichbar seien. Die vereinbarte
Stichprobenauswahl verstoße daher gegen höherrangiges Recht. Die Beklagte habe
darüber hinaus ihre Amtsermittlungspflicht verletzt, sie sei auch im Rahmen der
Datenerhebung verpflichtet, Fehlerquellen in der Vereinbarung der Spitzenverbände zu
beseitigen. Dieser Verpflichtung sei sie nicht enthoben, weil das Gesetz bzw. der
Verordnungsgeber den Spitzenverbänden keine Prüfungspflicht auferlegt hat. Eine
andere Auslegung sei mit Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar. Zwar seien
verfassungsrechtlich Typisierungen zulässig, eine derartige grobe Typisierung, wie sie
der RSA vornehme, sei jedoch nicht gerechtfertigt, zumal wenn von wissenschaftlicher
Seite Einwände gegen das Verfahren vorgebracht würden.
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Nach Auffassung der Klägerin beruht der RSA auf sachwidrigen Maßstäben. Insoweit
weist sie darauf hin, dass nach gutachtlichen Äußerungen sowohl das Morbiditätsrisiko
wie der Regionalbezug zu berücksichtigen seien. Ferner sei das im Bereich der
Vergütung der ambulanten ärztlichen Versorgung bestehende Kopfpauschalensystem
im RSA nicht hinreichend berücksichtigt, so dass es zu einer nicht sachgerechten
Belastung einzelner Krankenkassen komme. Die von den Kassen vereinbarten
Kopfpauschalen seien unterschiedlich hoch. Beim RSA werde aber nicht der
tatsächliche Leistungsbedarf berücksichtigt, sondern nur der durchschnittliche GKV-
Wert angerechnet. Das System spiegele daher nicht den tatsächlichen Leistungsbedarf
der Versichertengruppen wieder. Außerdem sei zu beanstanden, dass das Krankengeld
wie eine Sachleistung berücksichtigt worden sei; der besonderen Eigenart des
Krankengeldes als einer einkommensabhängigen Leistung werde damit nicht
Rechnung getragen. Grundlohn starke Krankenkassen müssten wegen der höheren
beitragspflichtigen Einnahmen ihrer erwerbstätigen Mitglieder höhere
Krankengeldzahlungen leisten. Die höheren beitragspflichtigen Einnahmen würden
aber durch den RSA weitgehend nivelliert und stünden somit nicht mehr zur
Finanzierung der höheren Krankengeldzahlungen zur Verfügung. Ferner rügt die
Klägerin im Anschluss an die Ausführungen der BKK BMW im Parallelverfahren L 5 KR
164/00 die Verfassungswidrigkeit des RSA und sieht einen Verstoß gegen das EG-
Wettbewerbsrecht.
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Zur Auffassung der Beklagten, die Jahresausgleichsbescheide könnten wegen Fehlern
in der Datengrundlage nach der Regelung des § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V nicht
aufgehoben werden, weil insoweit nur eine Korrektur im Bescheid des Folgejahres zu
erfolgen habe, meint die Klägerin, diese Regelung betreffe nur Einzelfehler, nicht aber
massive Datenungereimtheiten. Die vom BVA vertretene Rechtsauffassung sei mit
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Artikel 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar, der auch für sie gelte.
Soweit das Sozialgericht den Bescheid aufgehoben hat, pflichtet die Klägerin der
Auffassung bei, dass die Beklagte bei der Beitragskorrektur zur Ausübung von
Ermessen verpflichtet gewesen sei und im Zusammenhang mit der Entscheidung über
die Fälligkeit der sich aus der Korrektur ergebenden Ausgleichsbeträge auch auf die
einzelnen Kassen bezogene Zumutbarkeitserwägungen hätte anstellen müssen.
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Die Klägerin beantragt,
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1. das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.02.2000 zu ändern und den Bescheid vom
11.02.1999 (Rechtskreis Ost) in vollem Umfang aufzuheben, 2. die Berufung der
Beklagten vom 06.09.2000 zurückzuweisen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.02.2000 zu ändern und die Klage in vollem
Umfang abzuweisen.
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Zum Berufungsvortrag der Klägerin weist die Beklagte zur Frage der Anhörung und der
Begründung der Bescheide darauf hin, dass Milliarden von Einzeldaten in die
Berechnung eingingen. Es sei objektiv gar nicht möglich, im Einzelnen die wesentlichen
oder erheblichen Gründe darzulegen. Die Erfüllung der formalen Anforderungen der
Klägerin bedeute faktisch, dass der Jahresausgleich innerhalb der Frist undurchführbar
sei.
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Zum Stichprobenverfahren führt das BVA aus, der Gesetzgeber habe den Begriff
"Repräsentativität" nicht im statistisch-wissenschaftlichen Sinne verstanden. Vielmehr
sei der Begriff im Kontext der übrigen Normen und der Zielsetzung des RSA zu sehen.
Wenn das Gesetz ein 10-prozentiges Maximum der Stichprobe vorgebe und den
Spitzenverbänden die Regelung der näheren Einzelheiten überlasse, sei das danach
beschlossene Stichprobenverfahren repräsentativ im Sinne des Gesetzes. Wenn
tatsächlich der Gesetzgeber eine optimale Datenerhebung gewollt hätte, hätte er ein
bestimmtes Stichprobenverfahren oder einen Stichprobenumfang fest vorgegeben. Das
BVA treffe auch keine Amtsermittlungspflicht im Bereich der Datenerhebung. Soweit die
Sachwidrigkeit der Maßstäbe des RSA gerügt werde, sei darauf hinzuweisen, dass zwar
in den Gutachten Schlüsse aus gewonnenen Erfahrungen gezogen würden, die
Verbesserungsvorschläge der Gutachter bedeuteten aber nicht, dass das bisherige
RSA-Verfahren rechtswidrig oder gar verfassungswidrig sei. Was das Verhältnis von
RSA und Kopfpauschalen bei der ärztlichen Vergütung anbelange, sei dies eher ein
Problem der Ersatzkassen, die historisch bedingt höhere Pauschalen zahlten. Letztlich
handele es sich um eine unwirtschaftliche Verhaltensweise, die durch den RSA
lediglich aufgedeckt worden sei, aber in dessen Rahmen nicht berücksichtigt werden
könne.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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A. I. Die Anfechtungsklage ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht §
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266 Abs. 6 Satz 7 SGB V der Zulässigkeit nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift
werden sachliche und rechnerische Fehler in den Berechnungsgrundlagen, die nach
Abschluss der Ermittlung der Werte festgestellt werden, erst beim nächsten
Ausgleichsverfahren nach den dafür geltenden Vorschriften berücksichtigt. Weder
Wortlaut noch Entstehungsgeschichte oder Sinn und Zweck der Regelung sprechen für
den Ausschluss der Anfechtbarkeit der Jahresausgleichsbescheide durch diese
Vorschrift.
Der Wortlaut beschränkt den Anwendungsbereich der Regelung auf die Feststellung
sachlicher oder rechnerischer Fehler in den Berechnungsgrundlagen. Er betrifft somit
nur "Einzelfehler" wie bei spielsweise unzutreffende Versicherungszeiten oder Fehler
bei der Ermittlung der Leistungsausgaben. Soweit grundsätzliche konzeptionelle
Mängel des RSA-Verfahrens geltend gemacht werden, wie etwa hier das vereinbarte
Stichprobenverfahren oder fehlende Ermittlungen der Beklagten zur Beseitigung
angeblicher Defizite bei der Datengrundlage, kann die Vorschrift schon deshalb nicht
eingreifen, weil diese grundsätzlichen Mängel auch den Ausgleichsverfahren in den
Folgejahren anhaften würden.
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Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift stützt die Ansicht der Beklagten nicht.
Das Ausgleichsverfahren ist in Anlehnung an das Verfahren bei der Durchführung des
früheren Finanzausgleichs in der KVdR geregelt worden (BT-Drucks. 12/3608, S. 118).
§ 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V entspricht fast wörtlich der früheren Regelung des § 272
Abs. 2 Satz 4 SGB V a.F. Deren Vorgängervorschrift § 393b
Reichsversicherungsordnung (RVO) enthielt eine entsprechende Bestimmung nicht.
(Allerdings sah schon die KVdR-Ausgleichsverordnung vom 20.12.1977 (BGBl. I, 3140)
in § 13 Abs. 4 vor, dass das BVA nach Abschluss des Jahresausgleichs bekannt
gewordene Unrichtigkeiten in den Berechnungsgrundlagen beim nächstmöglichen
Schlussausgleich zu berücksichtigen habe.) Die Einfügung der Regelung durch das
Gesundheitsreformgesetz wurde vom Gesetzgeber damit begründet, nachträglich
festgestellte sachliche und rechnerische Fehler sollten nicht zu einer Korrektur
abgeschlossener Ausgleichsverfahren führen, sondern im nächsten Jahresausgleich
berücksichtigt werden. Eine Neufeststellung der Finanzierungsanteile der
Krankenkassen in abgeschlossenen Verfahren sei nicht vertretbar, da auch bei
kleineren Korrekturen sämtliche Finanzierungsanteile der am Ausgleich beteiligten
Krankenkassen neu berechnet werden müssten (BT-Drucks. 11/2237, S. 230). Diese
Ausführungen enthalten keinen Hinweis darauf, dass eine Anfechtung der im Rahmen
der Ausgleichsverfahren ergehenden Bescheide ausgeschlossen werden sollte.
Vielmehr spricht der nach der Begründung mit der Regelung verfolgte Zweck dafür, dass
nur die Bereinigung von "Einzelfehlern" geregelt werden und insoweit die sonst in Frage
stehende Korrektur nach §§ 44, 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)
ausgeschlossen werden sollte. § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V ist insoweit im
Zusammenhang mit dem "Jährlichkeitsprinzip" des § 266 Abs. 1 SGB V zu sehen. Da
der Jahresausgleich bis zum Ende des auf das Ausgleichsjahr folgenden
Kalenderjahres durchgeführt werden muss (§ 19 Abs. 5 RSAV in der Fassung der
1.RSA-ÄndVO vom 17.07.1996, BGBl. I, 1004), hat er ggf. auf der Basis der bis dahin
verfügbaren Daten zu erfolgen. Insoweit stellt § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V das Korrektiv
für die zeitliche Gebundenheit des Jahresausgleichs dar, die unter Umständen dem
Erhalt "besserer" Daten entgegensteht. Fehler, die erst nach Abschluss der Ermittlungen
feststehen, werden dann - ohne dass das "alte" Ausgleichsverfahren wieder aufgerollt
wird - im nächsten Jahresausgleich berücksichtigt.
40
A. II. Soweit die Jahresausgleichsbescheide Korrekturen des Beitragsbedarfs für frühere
Ausgleichsjahre enthalten, sind diese Korrekturen ausschließlich Gegenstand des diese
Bescheide betreffenden Verfahrens. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) greift insoweit
nicht ein. Korrekturen des Beitragsbedarfs für Vorjahre wirken sich nur auf den
Beitragsbedarf des jeweiligen Ausgleichsjahres aus; sie sind lediglich ein
Rechnungsposten bei der Feststellung des aktuellen Beitragsbedarfs. Die
Neuberechnung des Beitragsbedarfs für vorangegangene Jahre ändert nicht den bereits
durchgeführte Jahresausgleich, vielmehr ist nach § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V eine
vorzunehmende Korrektur Bestandteil der Regelung im späteren Ausgleichsverfahren.
Dies gilt auch für die Änderung der Verhältniswerte für die Jahre 1995 und 1996 nach §
25 Abs. 3 RSAV (eingefügt durch die 1. RSA-ÄndVO vom 17.07.1996, BGBl. I, 1024),
die nicht wie die Fehlerkorrektur nach § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V durch die
Wiederholung der jeweiligen Jahresausgleichsverfahren, sondern im Jahresausgleich
1997 erfolgen soll (s. die Begründung der 1. RSA- ÄndVO, BR-Drucks. 403/96, S. 20).
Somit ist einerseits die in der Anlage 2 der Bescheide vom 11.2.1999 festgestellte
Neuberechnung des Beitragsbedarfs für die Jahre 1994 -1996 Gegenstand dieses
Verfahrens und nicht der diese Ausgleichsjahre betreffenden Klagen. Andererseits sind
evtl. in späteren Jahresausgleichen vorgenommene Korrekturen für 1997 nicht in dieses
Verfahren einzubeziehen.
41
B. I. Die Bescheide sind nicht aus formellen Gründen rechtswidrig. Weder war vor Erlass
der Bescheide eine Anhörung der Klägerin (§ 24 SGB X) noch eine Begründung
hinsichtlich der Berechnung des Ausgleichsbetrages (§ 35 Abs. 1 SGB X) erforderlich.
42
1. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Konzeption des RSA bestehen bereits Zweifel
an der Anwendbarkeit der genannten Vorschriften. Die Ausgestaltung des RSA-
Verfahrens weicht deutlich von der dem Verwaltungsverfahrensrecht
zugrundeliegenden Kozeption ab und stellt sich als Sonderordnung für diesen Bereich
dar.
43
Sowohl bei der Erhebung als auch bei der Auswertung der Daten sind die
Krankenkassen bzw. die sie repräsentierenden Spitzenverbände in das Verfahren
eingebunden. Die Versicherungszeiten werden von den Krankenkassen erhoben und
von den Spitzenverbänden nach Überprüfung auf Vollständigkeit und Plausibilität an
das BVA weiter geleitet (§ 2 Abs. 4 Satz 1, 2 RSAV in der Fassung der 1. RSA- ÄndVO).
Bei erkennbaren erheblichen Fehlern kann das BVA nur nach Anhörung der betroffenen
Spitzenverbände oder der Krankenkassen die Versicherungszeiten des Vorjahres
verwenden (Satz 5 a.a.O.). Die Ermittlung der Leistungsausgaben nach § 267 Abs. 3
SGB V erfolgt auf der Grundlage eines von den Spitzenverbänden nach § 267 Abs. 7 Nr.
1 SGB V vereinbarten Verfahrens. Auch die Ergebnisse dieser Datenerhebung werden
von den Kassen dem BVA über ihre Spitzenverbände zugeleitet, wobei diese wiederum
zuvor auf Vollständigkeit und Plausibilität zu prüfen haben (§ 5 Abs. 4 Sätze 1 und 2
RSAV). Auch bei der Auswertung dieser Daten wirken die Spitzenverbände mit. Eine
Verbesserung der Stichprobenergebnisse durch statistische Verfahren, Erhebungen
oder wissenschaftlicher Analysen darf nur im Einvernehmen mit den Spitzenverbänden
erfolgen (§ 5 Abs. 3 in der Fassung der 2. RSA-ÄndVO vom 22.10.1997 (BGBl. I, 2494);
nach der zuvor geltenden Fassung der 1. RSA-ÄndVO entschied zwar das BVA nach
Anhörung der Spitzenverbände über die Erforderlichkeit der Verbesserung der
Stichprobenergebnisse, hatte aber einen einheitlichen Vorschlag der Spitzenverbände
zur Verbesserung zu berücksichtigen). Bei der Ermittlung der Verhältniswerte kann das
BVA im Einvernehmen mit den Spitzenverbänden von den Berechnungsvorgaben des §
44
5 Abs. 1 Satz 1 RSAV abweichen, sofern dadurch eine Verbesserung der
Verhältniswerte erreicht wird (Satz 2 a.a.O. in der Fassung der 2. RSA-ÄndVO).
Schließlich hatte das BVA vor der Entscheidung über eine eventuelle Korrektur der
Verhältniswerte für die Ausgleichsjahre 1994 bis 1996 die Spitzenverbände anzuhören
und war sogar an deren einheitlichen Vorschlag gebunden (§ 25 Abs. 3 Sätze 1, 2
RSAV in der Fassung der 2. RSA-ÄndVO). Auch bei Entscheidungen im monatlichen
Ausgleichsverfahren muss es die Spitzenverbände anhören (§§ 7 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs.
1 Satz 2, 14 Abs. 4 Satz 3 RSAV) bzw. kann im Einvernehmen mit den Verbänden von
Vorgaben der RSAV abweichen (§§ 9 Abs. 3 Satz 2, 13 Abs. 2 Nr. 3 RSAV). Schließlich
erfolgt die Bekanntmachung der für die Berechnung der Ausgleichsbeträge
erforderlichen Werte durch Mitteilung gegenüber den Spitzenverbänden, die ihrerseits
verpflichtet sind, diese unverzüglich an die Krankenkassen, für die sie zuständig sind,
weiterzuleiten (§ 15 RSAV).
Die Gesamtschau der Bestimmungen macht auch deutlich, dass ein ständiger
Informationsfluss hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen gegenüber den
Spitzenverbänden gewährleistet ist. Diese haben im Rahmen ihrer Unterstützungspflicht
ihre Mitglieder zu informieren (§ 217 Abs. 2 Nr. 1 SGB V): Bei den Verbänden der
Ersatzkassen besteht diese Pflicht unmittelbar gegenüber den betroffenen
Krankenkassen (§ 212 Abs. 5 SGB V), während bei den Orts-, Betriebs- und
Innungskrankenkassen diese Information über die jeweiligen Landesverbände erfolgt
(arg. § 212 Abs. 1 SGB V), die ihrerseits gegenüber den Mitgliedskassen eine
entsprechende Pflicht zur Unterrichtung trifft (§ 211 Abs. 2 Nr. 1 SGB V). Somit ist eine
ständige Information der Krankenkassen über ihre Verbände gewährleistet (was nicht
zuletzt die diversen von den klagenden Krankenkassen in den Verfahren vor dem Senat
eingereichten Verbandsrundschreiben belegen). Sinn und Zweck des
Anhörungsrechtes, nämlich Überraschungsentscheidungen zu vermeiden und das
Vertrauensverhältnis zwischen Behörde und Bürgern zu stärken (BSG SozR 1300 § 24
Nr. 9) wird damit hinreichend Rechnung getragen; von der - auch praktisch nicht
möglichen - individuellen Anhörung aller am RSA beteiligten Krankenkassen vor Erlass
der Ausgleichsbescheide durfte bei der Ausgestaltung des RSA-Verfahrens abgesehen
werden. Angesichts des bei den Kassen vorauszusetzenden Kenntnisstandes ist eine
über allgemeine Erläuterungen hinausgehende Begründung der Berechnung des
Ausgleichsbetrags auch nicht erforderlich.
45
2. a) Selbst wenn man § 24 SGB X grundsätzlich für anwendbar hielte, wäre eine
Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X nicht erforderlich gewesen.
Massenverwaltungsakte i.S.d. Vorschrift liegen vor, wenn es sich um schematische
Entscheidungen handelt, die zu derselben Zeit ergehen, auf derselben Rechtsgrundlage
beruhen und in Art, Form und Inhalt im wesentlichen gleich sind (vgl. von Wulffen in:
Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, SGB X, 3. Aufl., § 24
Rdn. 14). Die angefochtenen Bescheide erfüllen diese Voraussetzungen. Die für den
Ausgleich maßgeblichen Parameter sind in §§ 10 bis 12 RSAV geregelt. Die Ermittlung
der Werte erfolgt einheitlich für alle Kassen, Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens
ergeben sich aus den den Krankenkassen bekannten Vereinbarungen der
Spitzenverbände nach § 267 Abs. 7 Nr. 1 SGB V. Individuelle Verhältnisse einer Kasse
sind nur insoweit von Belang, als die Finanzkraft durch Anwendung des GKV-weiten
Ausgleichsbedarfssatzes auf der Grundlage ihrer beitragspflichtigen Einnahmen
berechnet und der Beitragsbedarf durch Anwendung der für die einzelnen RSA-
Versichertengruppen ermittelten standardisierten Leistungsausgaben auf ihre konkrete
Versichertenstruktur ermittelt wird. Insofern werden Rechte der Krankenkassen lediglich
46
von einer für alle identischen Rechtsänderungsformel (vgl. dazu BSGE 69, 247, 249)
berührt.
§ 24 Abs. 2 SGB X stellt das Absehen von der Anhörung zwar in das Ermessen der
Behörde, angesichts der tatsächlichen Unmöglichkeit, in dem zur Verfügung stehenden
Zeitrahmen alle etwa 600 am RSA beteiligten Kassen individuell anzuhören, bestand für
die Beklagte jedoch keine Alternative.
47
b) Aus den gleichen Gründen würde eine Begründung der Bescheide jedenfalls gem. §
35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X nicht erforderlich sein. Im Übrigen könnte nach § 42 Satz 1 SGB
X das Fehlen einer Begründung nicht zur Aufhebung der materiell zutreffenden
Bescheide führen.
48
II.
49
Die Bescheide entsprechen im wesentlichen den gesetzlichen Bestimmungen.
Insbesondere durfte der Jahresausgleich auf der Grundlage der übermittelten Daten
berechnet werden.
50
1. a) Die Beklagte hat den Bescheiden zu Recht die von den Krankenkassen
gemeldeten und von den Spitzenverbänden nach Überprüfung auf Plausibilität
weitergeleiteten Versicherungszeiten zu Grunde gelegt.
51
aa) Die Rüge der Klägerin, die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, die
Versicherungszeiten auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen bzw. von den
Krankenkassen den Nachweis der Meldungen der Familienversicherten zu verlangen,
geht fehl, weil eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten nicht bestand. Nach dem
Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelung ist insoweit weder § 20 Abs. 1 SGB
X anwendbar noch lässt sich § 266 Abs. 3 Satz 5 SGB V eine entsprechende Pflicht des
BVA entnehmen.
52
Gemäß § 267 Abs. 2 SGB V erheben die Krankenkassen die Zahl der Mitglieder und der
Familienversicherten in den Versichertengruppen nach § 2 RSAV. Schon vor
Einführung des RSA hatten sie nach § 288 SGB V ein Versicherungsverzeichnis zu
führen, wobei ihnen hinsichtlich der Familienversicherten § 289 SGB V auferlegt, vor der
Eintragung den Beginn der Versicherung festzustellen. Da bekannt war, dass die
Verzeichnisse insoweit unzulänglich waren, ist mit dem GSG zudem in § 10 Abs. 6 SGB
V eine Meldepflicht der Mitglieder auch hinsichtlich Änderungen der für die
Familienversicherung relevanten Verhältnisse eingeführt worden. Zudem sind die
Spitzenverbände verpflichtet worden, ein einheitliches Meldeverfahren mit einheitlichen
Vordrucken zu vereinbaren (Satz 2 a.a.O.), das die Kassen zu beachten haben (s. jetzt
Einheitliches Meldeverfahren zur Durchführung der Familienversicherung (MeldeVf- FV)
vom 01.07.1998).
53
Die nach § 267 Abs. 2 SGB V erhobenen Daten werden über die Spitzenverbände
gemäß § 267 Abs. 4 SGB V (in der Fassung des Arbeitsförderungsreformgesetzes vom
24.03.1997, BGBl. I, 594) i.V.m. § 3 Abs. 4 RSAV (in der Fassung der 1. RSA-ÄndVO)
dem BMA zugeleitet. Die Spitzenverbände sind verpflichtet, die Daten dem BVA binnen
4 Wochen nach Prüfung auf Vollständigkeit und Plausibilität vorzulegen (§ 3 Abs. 4 Satz
2 in der Fassung der 1. RSA- ÄndVO), sie haben nach Satz 3 a.a.O. dabei auch das
Ergebnis ihrer Prüfung mitzuteilen. § 3 Abs. 4 Satz 2 RSAV in seiner ursprünglichen
54
Fassung vom 03.01.1994 sah noch eine Frist von zwei Wochen vor. Die Verlängerung
auf vier Wochen durch die 1. RSA-ÄndVO ist damit begründet worden, es werde die
Pflicht der Spitzenverbände konkretisiert, die von den Krankenkassen erhobenen Daten
vor Weiterleitung zu prüfen. Hierzu gehöre auch, bei festgestellten Unvollständigkeiten,
Fehlern oder Unplausibilitäten eine umgehende Korrektur der Daten durch die
Krankenkassen zu veranlassen. Dadurch werde die Mitverantwortung der Verbände der
Krankenkassen für die Vollständigkeit und Plausibilität der von den Krankenkassen
gelieferten Daten klargestellt (BR-Drucks. 403/96, S. 11).
Die genannten Bestimmungen fordern somit vom BVA kein eigenes Tätig werden.
Während nach § 20 Abs. 1 SGB X die zuständige Behörde den
entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln hat, ohne an das
Vorbringen der Beteiligten gebunden zu sein, besteht beim RSA-Verfahren eine
"Bringschuld" der Krankenkassen bzw. der Spitzenverbände. Soweit in § 266 Abs. 6
Satz 3 SGB V und § 19 Abs. 1 RSAV die Formulierung "ermitteln" gebraucht wird,
bedeutet dies nicht, dass damit eine Ermittlungspflicht i.S.d. § 20 Abs. 1 SGB X
begründet werden soll. Während nach dieser Vorschrift das "Ermitteln" den
entscheidungserheblichen Sachverhalt betrifft, bezieht sich die Formulierung sowohl in
§ 266 Abs. 6 Satz 3 SGB V wie in § 19 Abs. 1 RSAV nur auf das Ermitteln des
Beitragsbedarfs und der Finanzkraft bzw. auf die in § 19 Abs. 1 RSAV genannten Werte.
Diese werden aber auf der Grundlage der mitgeteilten Daten festgestellt.
55
Ebensowenig lässt sich § 13 RSAV etwas für die Geltung des
Amtsermittlungsgrundsatzes entnehmen. Nach seinem klaren Wortlaut regelt die Norm
nur die "Berechnungen" des BVA. Wenn in diesem Zusammenhang das BVA den
Berechnungen gemäß Nr. 3 a.a.O. "die nach § 267 Abs. 4 SGB V übermittelten
Ergebnisse" zugrundezulegen hat, spricht dies sogar gegen die Annahme einer
Amtsermittlungspflicht (so auch Schäfer, SGb 1998, 516, 517). Bestätigt wird dieses
Ergebnis durch die Neufassung des § 3 Abs. 4 RSAV durch die 1. RSA-ÄndVO. Es
wurde nicht nur der Zeitraum für die Prüfung der übermittelten Daten durch die
Spitzenverbände verlängert, in Satz 5 wurde zudem für das BVA die Möglichkeit
geschaffen, von den übermittelten Daten bei offensichtlichen Fehlern abzuweichen,
wenn Korrekturen nicht mehr möglich sind. Diese Regelung zeigt zum einen, dass das
BVA nicht verpflichtet ist, von Amts wegen die "richtigen" Daten zu ermitteln, zum
anderen, dass das Jahresausgleichsverfahren auf der Grundlage der verfügbaren
bestmöglichen Datenbasis durchgeführt werden soll (ebenso Schäfer, a.a.O.).
56
Aus § 266 Abs. 5 Satz 3 SGB V ergibt sich nichts anderes. Nach dem eindeutigen
Wortlaut der Vorschrift kann das BVA lediglich "zum Zwecke der einheitlichen
Zuordnung und Erfassung der ( ...) Daten" (also nicht: zur Überprüfung der gemeldeten
Daten) über die Geschäfts- und Rechnungsergebnisse hinaus weitere Auskünfte und
Nachweise verlangen. Wenn tatsächlich § 20 SGB X anwendbar wäre, hätte es der
Regelung nicht bedurft, so dass das BVA nur zu dem genannten Zweck tätig werden
kann. Dies bestätigt auch die Entstehungsgeschichte der Norm. § 266 Abs. 5 Satz 3
SGB V entspricht fast wörtlich der für das frühere KVdR-Ausgleichsverfahren geltenden
Vorschrift des § 272 Abs. 2 Satz 2 SGB V (in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung).
Die gegenüber der Vorgängervorschrift des § 393b RVO neue Regelung wurde im GRG
damit begründet, sie konkretisiere das Verfahren und bestimme, welche Kompetenzen
das BVA bei der Durchführung des KVdR-Ausgleichs habe (BT-Drucks. 11/2237, S.
230). Der Gesetzgeber ging also offenkundig von der Unanwendbarkeit des § 20 Abs. 1
SGB X aus. Die Begründung des GSG zu § 266 Abs. 5 SGB V deutet nicht darauf hin,
57
dass mit § 266 Abs. 5 Satz 3 SGB V eine weitergehende Ermittlungspflicht des BVA
begründet werden sollte. Vielmehr heisst es in der Gesetzesbegründung lediglich, zu
der Aufgabe des BVA, den RSA durchzuführen, gehöre die Ermittlung der für die
Berechnung der Ausgleichsansprüche und -verpflichtungen notwendigen Rechenwerte
(BT-Drucks. 12/3608, S. 118) Die Begründung geht also ebenfalls davon aus, dass die
"Ermittlungen" des BVA auf der Grundlage der mitgeteilten Daten zu erfolgen haben.
Zwar wird zu § 3 Abs. 3 RSAV in der Begründung der Verordnung unter Hinweis auf §
266 Abs. 5 Satz 3 SGB V ausgeführt, es werde davon ausgegangen, das BVA nehme
seine Möglichkeiten zur Überprüfung der Meldungen der Familienversicherten wahr
(BR-Drucks. 611/91, S. 46). Wie dargelegt, bieten die gesetzlichen Vorschriften aber
keinen Anhalt für insoweit bestehende "Möglichkeiten". Da eine ausdrückliche
gesetzliche Kompetenz des BVA fehlt, kommt nur in Betracht, die Kassen im Wege der
Rechtsaufsicht zur Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben anzuhalten. Das BVA ist aber
nach § 90 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nur Aufsichtsbehörde für die
bundesunmittelbaren Versicherungsträger, während die landesunmittelbaren
Krankenkassen der Aufsicht der jeweiligen Landesbehörden unterstehen (§ 90 Abs. 2
SGB IV). Soweit die Krankenkassen die für die Versichertenverzeichnisse geltenden
Vorschriften nicht beachten, insbesondere die für Familienversicherten geforderten
Meldungen nicht kontrollieren, liegen Rechtsverletzungen vor, denen (nur) mit
aufsichtsrechtlichen Mitteln (§ 89 SGB IV) begegnet werden kann (vgl. auch Schneider,
Der Risikostrukturausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1994, S. 223).
Insoweit kann das BVA als RSA-Behörde im Verhältnis zu landesunmittelbaren
Krankenkassen nur Hinweise an die zuständige Aufsichtsbehörde geben und diese zum
Eingreifen auffordern.
58
Die Aufgaben hinsichtlich der Datenerhebung sind so verteilt, dass die Krankenkassen
in eigener Verantwortung die Versicherungszeiten erheben und die Spitzenverbände
diese nach Überprüfung und ggf. Korrektur an die Beklagte weiterleiten. Diese hat
lediglich die Möglichkeit, die Daten bei offensichtlichen Fehlern nach Rücksprache mit
den Spitzenverbänden oder der Krankenkasse mit einem Sicherheitsabschlag durch die
des Vorjahres zu ersetzen. Die ordnungsgemäße Führung der
Versichertenverzeichnisse durch die Krankenkassen, die Voraussetzung für die
Meldung zutreffender Versicherungszeiten ist, haben im Rahmen der Aufsichtspflicht die
jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden zu kontrollieren.
59
Der Senat sieht sich in seiner Auffassung durch den Entwurf eines Gesetzes zur Reform
des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung (BT-Drucks.
14/6432) bestätigt. Der Entwurf sieht in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b Doppelbuchst. bb die
Einfügung einer Nr. 11 in § 267 Abs. 7 SGB V vor, wonach der Verordnungsgeber jetzt
auch ermächtigt werden soll, "die Prüfung der von den Krankenkassen mitzuteilenden
Daten" durch das BVA zu regeln. Nach der Gesetzesbegründung (a.a.O., S. 13) soll
diese Befugnis des Verordnungsgebers dazu beitragen, die Qualität der den
Berechnungen im RSA zu Grunde gelegten Daten weiter zu verbessern. Dem
Gesetzesvorhaben kann somit entnommen werden, dass das BVA z.Zt. noch nicht die
Möglichkeit einer Kontrolle der Daten hat.
60
bb) Die o.g. Vorgaben sind eingehalten worden. Die Krankenkassen sind verpflichtet
worden, rückwirkend ab 01.01.1994 eine Grundbereinigung der
Familienversichertenverzeichnisse vorzunehmen. Die Aufsichtsbehörden von Bund und
Ländern haben auf der Grundlage eines einheitlichen Kataloges im zweiten Halbjahr
61
1997 Prüfungen durchgeführt, die auch die Kontrolle der zentral von den
Bundesverbänden entwickelte Software einschloss (vgl. Polascek, KrV 1997, 103, 106;
s.a. Jahresbericht 1997 des BVA, Prüfdienst Krankenversicherung, S. 19 ff.). 1998
erfolgte eine Überprüfung der Grundbereinigung unter Zugrundelegung eines von den
Prüfdiensten des Bundes und der Länder abgestimmten Prüfleitverfahrens (vgl. das
Schreiben des BVA an die Spitzenverbände und die Aufsichtsbehörden vom
20.07.1998, Anlage 10 zum Schriftsatz vom 28.05.1999). Die Vorstände der
Krankenkassen mussten den Abschluss der Grundbereinigung sowie die Behebung der
bei den Prüfungen festgestellten Mängel gegenüber dem BVA bestätigen.
Soweit vor dem Jahresausgleich 1997 die Grundbereinigung der Familienversicherten
noch nicht bei allen Kassen abgeschlossen war bzw. bei den Prüfungen festgestellte
Mängel noch nicht behoben waren, durfte die Beklagte die Jahresausgleiche gleichwohl
auf der Grundlage der gemeldeten Versicherungszeiten durchführen. Wie oben
dargelegt, obliegt die Überprüfung der korrekten Führung der
Versicherungsverzeichnisse allein den Aufsichtsbehörden. Das BVA hat nur nach § 3
Abs. 4 Satz 5 RSAV eine Ersetzungsbefugnis. Von dieser kann es aber nur bei
Feststellung erheblicher Fehler Gebrauch machen, also nicht schon dann, wenn - etwa
wegen der nicht abgeschlossenen Grundbereinigung - nur Fehler möglich sind.
Außerdem könnte das BVA nur von den Daten des Vorjahres ausgehen, die mit dem
gleichen "Mangel" der nicht abgeschlossenen Grundbereinigung behaftet wären. Eine
Verschiebung des Jahresausgleichsverfahrens bis zur Ermittlung "richtiger"
Versicherungszeiten schied demgegenüber aus: Gemäß § 266 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist
der Ausgleich jährlich durchzuführen. Wie jetzt § 19 Abs. 5 RSAV (eingefügt durch die 2.
RSA-ÄndVO) ausdrücklich bestimmt, bedeutet "jährlich" bis zum Ende des auf das
Ausgleichsjahr folgenden Kalenderjahrs. Dass der Gesetzgeber von der Durchführung
des RSA im Folgejahr ausgegangen ist, zeigt die durch das 2. GKV-
Neuordnungsgesetz (2. GKV-NOG) vom 23.06.1997 (BGBl. I, 1520) zum 01.07.1997
novellierte Regelung des § 221 SGB V (wieder gestrichen mit Wirkung zum 01.01.1999
durch das GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz (GKV-SolG) vom 19.12.1998 (BGBl. I,
3853)). Die in § 221 Abs. 1 SGB V damalige Fassung angeordnete
Zuzahlungserhöhung bei Beitragssatzerhöhungen entfiel nach Abs. 4, wenn sich der
Beitragssatz allein wegen Zahlungsverpflichtungen aufgrund des RSA änderte. Da
insoweit nach Abs. 4 Satz 2 auf Änderungen der Verpflichtungen zwischen den
Haushaltsjahren abgestellt wurde, liegt auf der Hand, dass die regelmäßige jährliche
Durchführung des RSA vorausgesetzt wurde. Für die zeitnahe Durchführung des
Ausgleichsverfahrens spricht auch der Gesichtspunkt der Planbarkeit der Haushalte.
Die monatlichen Abschlagszahlungen erfolgen auf der Grundlage von Schätzungen und
vorläufigen Werten, sind also mit Unsicherheiten behaftet. Daher ist auf der Grundlage
der endgültigen Jahresrechnungsergebnisse ein Ausgleich erforderlich, der immer
genauer als die monatlichen Abschläge sein wird. Ein Hinausschieben bis zum
Vorliegen "besserer" Daten würde die Kassen im Unklaren lassen, ob und ggf. in
welchem Umfang auf sie Verpflichtungen zukommen oder ihnen An sprüche zustehen.
Zu Recht wird in der Begründung zu § 19 Abs. 5 RSAV darauf hingewiesen, ohne
Berücksichtigung des Jährlichkeitsgrundsatzes könne es für die Kassen zu erheblichen
Kalkulationsunsicherheiten kommen (BR-Drucks. 686/97, S. 23). Daher ist auf der
Grundlage der zum Zeitpunkt der Ermittlungen erreichbaren bestmöglichen Datenbasis
der Ausgleich durchzuführen; ggf. erforderlich werdende Korrekturen sind im späteren
Ausgleichsverfahren vorzunehmen.
62
cc) Die Kritik der Klägerin an den durchgeführten Prüfungen gibt dem Senat keinen
63
Anlass, die Tragfähigkeit der Daten für das Ausgleichsverfahren zu verneinen. Bereits
im Jahresbericht 1997 des BVA ist ausgeführt worden, die Prüfdienste der
Krankenversicherung seien überzeugt, dass das Datenfundament des RSA "absolut
tragfähig" sei, wenn die Krankenkassen die bei den Prüfungen zu Tage getretenen
Schwachstellen und Defizite beseitigten (S. 27). Ungeachtet des zwischen den
Krankenkassen herrschenden Wettbewerbs muss davon ausgegangen werden, dass
die Krankenkassen als öffentlich-rechtliche Körperschaften auf Beanstandungen der
Aufsichtsbehörden reagieren. Das Ergebnis der 1998 durchgeführten zweiten
Schwerpunktprüfung der Prüfdienste hat jedenfalls kein Ergebnis erbracht, das
grundsätzlich diese Annahme widerlegt. Bei den Kassenarten lag die Fehlerquote im
Bereich von 2,36 % (Ersatzkassen) bis 3,86 % (Innungskrankenkassen). Die
abweichende Quote der Betriebskrankenkassen beruhte auf "Ausreissern" durch
einzelne Kassen. Die Prüfdienste gelangten zu dem Ergebnis, der von den Prüfungen
ausgegangene Druck habe wesentlich dazu beigetragen, dass die Krankenkassen ihre
Pflichten in Sachen Familienversicherung erfüllt hätten. Zugleich wurden weitere
Prüfungen angekündigt (so die Veröffentlichung der Ergebnisse der Prüfungen, die das
Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen für alle Prüfdienste mit Schreiben vom
04.01.1999 versandt hat, Anlage 11 zum Schriftsatz vom 28.05.1999).
In der Begründung der 3. RSA-ÄndVO vom 22.12.2000 wird zwar die Verlängerung der
Aufbewahrungsfrist des § 3 Abs. 7 RSAV von sieben auf neun Jahre wie folgt
begründet: Andernfalls könnten alle das Ausgleichsjahr 1994 betreffenden Daten ab
01.01.2001 vernichtet werden, zur Zeit hätten aber noch nicht alle Krankenkassen die
Grundbereinigung ihrer Versichertenbestände ordnungsgemäß abgeschlossen (BR-
Drucks. 753/00, S. 8). Zugleich wird aber auch auf die das Jahr 1994 betreffenden
Gerichtsverfahren verwiesen, aufgrund derer sich noch Korrekturen der
Versicherungszeiten von 1994 ergeben könnten. Der Begründung lässt sich nicht
entnehmen, dass die Grundbereinigung in nennenswertem Umfang noch nicht
abgeschlossen war. Die Beklagte hat zudem vorgetragen, dass Krankenkassen wegen
der Mängel, die sich bei den Prüfungen gezeigt hätten, angehalten worden seien, ihren
Bestand auf vergleichbare Fälle zu untersuchen und ggf. Versicherungszeiten zu
stornieren. Da sich die Kassen dieser Verpflichtung für das Jahr 1994 durch Vernichtung
ihrer Daten ab 01.01.2001 hätten entziehen können, sei zur Vorbeugung die
Aufbewahrungsfrist verlängert worden. Die Begründung der 3. RSA-ÄndVO stützt somit
nicht die Behauptung der Klägerin, die Daten seien hinsichtlich der Versicherungszeiten
weiterhin nicht valid.
64
Soweit die Klägerin den Wert der Prüfungen bezweifelt, weil der Umfang der geprüften
Versicherungsverhältnisse nicht statistischen Anforderungen an die Repräsentativität
entsprochen habe, hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass hinsichtlich des
Stichprobenumfangs eine Repräsentativität im statistischen Sinne nicht angestrebt
worden sei, weil eine Hochrechnung der Fehler auf den Gesamtbestand nicht
beabsichtigt gewesen sei. Ebenso leuchtet ein, dass der Umfang der Stichproben bei
grossen Kassen relativ geringer sein konnte, um einen verlässlichen Einblick in die
Umsetzung der bestehenden Vorgaben zu erhalten. Wenn die Klägerin rügt, die
Prüfungen seien vorher angekündigt und deshalb untauglich gewesen, so ist darauf
hinzuweisen, dass die Vorankündigung von Prüfungen der gängigen Praxis der
Aufsichtsbehörden entspricht. Eine Vorankündigung ist beispielsweise auch bei der
Prüfung von Arbeitgebern nach § 28p SGB IV vorgeschrieben (§ 1 Abs. 1 Satz 2
Beitragsüber wachungsverordnung). Soweit die Krankenkassen aufgefordert worden
waren, Listen von bis zu 1000 Familienversicherten mit einem bestimmten Geburtstag
65
zu erstellen, aus denen dann die konkret zu prüfenden Fälle benannt worden sind, so
beeinträchtigt auch dies nicht den Wert der Prüfungen. Es liegt auf der Hand, dass
Unterlagen für die Prüfungen vorbereitet werden mussten. Gleichzeitig ist es
unwahrscheinlich, dass die Nachbearbeitung aller "Listenfälle" in der zur Verfügung
stehenden Zeit von zwei bis drei Wochen bis zur Prüfung möglich gewesen wäre. Die
Beklagte hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche gezielte
Nachbearbeitung bei der Prüfung aufgefallen wäre. Im übrigen muss auch in diesem
Zusammenhang betont werden, dass kein Anlass besteht, grundsätzlich von einer
vorsätzlichen Manipulation oder Missachtung von Vorschriften durch eine öffentlich-
rechtliche Körperschaft auszugehen. Die diesbezüglich von den klagenden
Krankenkassen geäusserten Vermutungen dürften eher die Frage nach dem
Selbstverständnis der Selbstverwaltungskörperschaften aufwerfen.
Der Senat verkennt nicht, dass "richtige" Daten hinsichtlich der Versicherungszeiten von
grösster Bedeutung sind, weil die Versicherungszeiten nicht nur auf der Kassenebene
über den Beitragsbedarf bestimmen, sondern auch bei der Ermittlung der
standardisierten Leistungsausgaben eine wesentliche Rolle spielen. Entgegen
Verlautbarungen klagender Kassen hat der Senat keineswegs eine nachgewiesene
Fehlerquote von 5 % gebilligt. Dass Fehler in diesem Umfang vorliegen, wird von den
klagenden Kassen nur behauptet, belegen kann dies niemand. Wie oben dargelegt,
geben die Ergebnisse der Prüfungen keinen Anlass für diese Annahme. Dass im
Massengeschäft der GKV Fehler unterlaufen und daher sich unter den gemeldeten
Versicherungszeiten auch unzutreffende Angaben befinden, kann nicht bezweifelt
werden und dürfte für alle Krankenkassen zutreffen. Insoweit enthält § 266 Abs. 6 Satz 7
SGB V eine ausreichende Korrekturmöglichkeit. Entscheidend ist, ob über solche
Einzelfehler hinaus systematische Defizite vorliegen, die auf Vorsatz oder (bewusster)
Nachlässigkeit der Krankenkassen beruhen. Hierfür sieht der Senat keine konkreten
Anhaltspunkte. Wenn Erklärungen von Vorständen, dass die bei Prüfungen
aufgedeckten Defizite und Schwachstellen beseitigt seien, nicht ausreichen würden,
also unterstellt werden müsste, dass die Krankenkassen Gesetz und Rechtmissachten,
wäre die Selbstverwaltung der Krankenversicherung in Frage zu stellen.
66
c) Die Bescheide sind auch nicht wegen Mängel der Datengrundlage hinsichtlich der
Leistungsausgaben rechtswidrig. Die Beklagte durfte und musste ihren Berechnungen
die nach dem von den Spitzenverbänden vereinbarten Verfahren erhobenen Daten
zugrundelegen.
67
aa) Auch die Ermittlung der Leistungsausgaben hat der Gesetzgeber im wesentlichen in
die Hände der Krankenkassen und ihrer Verbände gelegt. Nach § 267 Abs. 3 Sätze 1, 2
SGB V erheben die Krankenkassen in Abständen von längstens drei Jahren unterteilt
nach Alter, Geschlecht und EU-/BU-Rentnerstatus die ausgleichsfähigen
Leistungsausgaben und Krankengeldtage. Satz 3 erlaubt für die Datenerhebung auch
für die Region und Kassenart repräsentative Stichprobenerhebungen im Bundesgebiet
oder in einzelnen Ländern, wobei Satz 4 den Gesamtumfang der Stichproben auf
maximal 10 % der in der GKV Versicherten begrenzt. Das Nähere über
Erhebungsumfang, Auswahl der Regionen und das Stichprobenverfahren haben die
Spitzenverbände zu vereinbaren (§ 267 Abs. 7 Nr. 1 SGB V). Auch in diesem
Zusammenhang trifft somit das BVA nur die Pflicht zur Überprüfung der Daten auf
Plausibilität und Stichhaltigkeit sowie Möglichkeit einer eventuellen Verbesserung der
Stichprobenergebnisse (§ 5 Abs. 3 RSAV), wobei allerdings dieses Abweichen von den
Ergebnissen der Stichprobenerhebungen wiederum nur im Einvernehmen mit den
68
Spitzenverbänden möglich ist. Einzelheiten der Stichprobenerhebung und des
Hochrechnungsverfahrens werden dagegen von den Spitzenverbänden festgelegt.
In der ab 01.05.1993 geltenden Vereinbarung (Vereinbarung 93) hatten die
Spitzenverbände in §§ 4 bis 7 das Verfahren zur Ermittlung der Leistungsausgaben
vereinbart. Während für das Krankengeld eine Vollerhebung erfolgt (§ 7 Abs. 4 der
Vereinbarung), sind für die anderen Leistungsbereiche (Ärzte, Zahnärzte,
Krankenhäuser, Apotheken, sonstige Leistungserbringer) Stichproben zu ziehen. In
diese Stichprobe werden alle Versicherten einbezogen, die an bestimmten Tagen
geboren sind, wobei unterschiedliche Auswahlsätze gelten: Bei Versicherten bis zum
Alter von 59 Jahren, die keine EU-/BU-Rente beziehen, 11 Tage von 365 Tagen im
Rechtskreis West und 18 Tage im Rechtskreis Ost (Anlage 2), ab Vollendung des 60.
Lebensjahres 18 Tage im Rechtskreis West und 36 Tage im Rechtskreis Ost (Anlage 3).
Bei Beziehern von EU-/BU-Rente werden im Rechtskreis West alle Tage der Monate
März, Mai und September und im Rechtskreis Ost der Monate Januar, März, Mai, Juli,
September und November einbezogen (Anlage 4). Der Auswahlsatz aller Versicherten
beträgt damit im Rechtskreis West 3,3 %, im Rechtskreis Ost 8,4 %, wobei im
Rechtskreis West der Stichprobenumfang bei unter 60-jährigen Nicht-EU-/BU-Rentnern
1,9 %, bei den über 60-Jährigen 4,9 % und bei EU-/BU-Rentnern 25,2 % erreicht (vgl.
Glanz/Rogalski, BKK 1997, 65, 66).
69
An diesem Stichprobenkonzept haben die Spitzenverbände auch in der Neufassung der
Vereinbarung vom 26.05.1997, die ab 01.01.1998 galt (Vereinbarung 97), festgehalten
(s. die dortige Anlage 2). Die Spitzenverbände haben allerdings in § 6 Abs. 1 Satz 2 in
der Vereinbarung ihre Absicht bekundet, je nach dem Stand des
Datenträgeraustausches für die Hauptleistungsbereiche Vollerhebungen zu
vereinbaren. Ferner ist zur Verbesserung der Ermittlungen eine Hochrechnung auf der
Ebene der einzelnen Kassen vorgesehen worden, während zuvor eine Berechnung auf
der Ebene der Kassenart erfolgte (vgl. im einzelnen Spadzinski, KrV 1997, 226, 228 f).
70
Der auf das Gutachten von Kricke/Männer ("Repräsentativität der Stichprobenerhebung
im Risikostrukturausgleich", 1998; im folgenden: Kricke/Männer) gestützte Einwand der
Klägerin, die vereinbarte Stichprobe sei aufgrund des Stichprobenumfangs und der
Mängel in der Datenerhebung sowie der nicht korrekten Abgrenzung der
Grundgesamtheit nicht repräsentativ, greift nicht. Zwar mag unter dem Blickwinkel der
statistischen Methodenlehre die "Repräsentativität" in Frage stehen, die rechtliche
Bewertung wird jedoch von dieser Kritik nicht berührt.
71
§ 267 Abs. 3 Satz 3 SGB V kann nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber ein
repräsentatives Stichprobenverfahren im Sinne der statistischen Wissenschaft
vorausgesetzt hat. Dagegen spricht schon, dass nach Satz 4 a.a.O. ein
Stichprobenumfang von maximal 10 % aller Versicherten festgelegt worden ist, ohne
dass erkennbar wäre, dass diesem Wert statistik-theoretische Überlegungen
zugrundelagen. Das wird auch daran deutlich, dass selbst nach Kricke/Männer ein
Stichprobenumfang von 10 % in einzelnen Untergliederungen keinen aus ihrer Sicht
ausreichenden Stichprobenumfang garantieren könnte und zum Teil sogar
Vollerhebungen notwendig wären (S. 50, Ziff. 4; in dem für den IKK-Bundesverband
erstatteten Gutachten von Buchner/Güther/von der Heyde/Müller/Wasem "Stichproben
konzept, Hochrechnungsverfahren und Verwendung von aktuellen Verhältniswerten für
vorangegangene Ausgleichsjahre im Risikostrukturausgleich der GKV in der
Bundesrepublik Deutschland, 1999" (im folgenden: Buchner u.a.), wird zwar der
72
Berechnungsweise von Kricke/Männer zum notwendigen Umfang der Stichproben in
diesem Punkt widersprochen, jedoch bleibt es dabei, dass bei dem von Kricke/Männer
vorausgesetzten Genauigkeitsanspruch die Stichprobenumfänge die im Gesetz
genannte Grenze weit übersteigen würden, S. 20 ff.).
Mit der Vorschrift des § 267 Abs. 3 Satz 3 SGB V sollte vielmehr gleichermaßen
Gesichtspunkten des Datenschutzes, des Verwaltungsaufwandes und der
Ausgleichsgerechtigkeit Rechnung getragen und ein Mittelweg eingeschlagen werden
(vgl. Schneider, a.a.O., S. 179). Neben der Genauigkeit der Daten hatte der Gesetzgeber
vorallem die Begrenzung des Verwaltungsaufwands im Blick (vgl. BT-Drucks. 12/3608,
S. 118). Letzteres drückt sich auch darin aus, dass eine Datenerhebung nur alle drei
Jahre vorgeschrieben wird (§ 267 Abs. 3 Satz 1 SGB V) und die Stichproben sogar auf
einzelne Regionen und Kassenarten begrenzt sein dürfen (Satz 3 a.a.O.). Dabei hat der
Gesetzgeber den Spitzenverbänden aufgegeben, das Nähere über ein geeignetes
Stichprobenverfahren (einschließlich des Erhebungsumfangs) zu regeln. Angesichts der
Komplexität und Vielschichtigkeit der Materie ist es ein sinnvolles und sachgerechtes
Vorgehen, die Sachkunde der Verbände fruchtbar zu machen und auf den
Interessenausgleich durch die Beteiligung aller Kassenarten zu setzen. Von daher ist
ein nach § 267 Abs. 7 Nr. 1 SGB V vereinbartes Verfahren im Rechtssinne
repräsentativ, wenn es die Datenerhebung unter Berücksichtigung von
Verwaltungsaufwand und Ausgleichsgerechtigkeit regelt und sich damit innerhalb des
den Spitzenverbänden insoweit eingeräumten Gestaltungsspielraums bewegt.
Zusätzlich ist zu beachten, dass mit der Datenerhebung "Neuland" betreten wurde und
Erfahrungen gesammelt werden mussten. Insoweit muss sowohl den Spitzenverbänden
wie dem BVA zugebilligt werden, das Verfahren zu erproben und auf der Basis der
gewonnenen Erkenntnisse schrittweise zu verbessern.
73
bb) Das von den Spitzenverbänden vereinbarte und praktizierte Verfahren wird den
gesetzlichen Anforderungen gerecht. Die Vereinbarung der Spitzenverbände geht über
die gesetzlichen Mindestvorgaben insoweit hinaus, als die Erhebungen zum einen
bundesweit und zum anderen jährlich vorgenommen werden. Grundsätzlich ist der
Stichprobenplan nach seiner Konzeption auch geeignet, ein repräsentatives Bild der
Grundgesamtheit zu ermöglichen (so Buchner u.a., S. 18).
74
Allerdings wird auch bemängelt, die Stichprobe sei wegen zu geringer Auswahlsätze
und dadurch zu breiter Konfidenzintervalle für den RSA nur "bedingt" geeignet (a.a.O.,
S. 24). Diese Feststellung geht aber von der Überprüfung der Varianzverhältnisse bei
den Krankenhausausgaben auf der Basis der Daten der Klägerin durch Kricke/Männer
aus. Insoweit hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass der von
Kricke/Männer ausgewählte Krankenhausbereich die größte Varianz der Ausgaben für
einzelne Versicherte aufweist, so dass in diesem Bereich die theoretische Möglichkeit
von Standardfehlern am größten ist. Rückschlüsse auf andere Hauptleistungsbereiche
verbieten sich daher. Da die Krankenhausausgaben nur einen Teil der in die
standardisierten Leistungsausgaben einfließenden Ausgaben ausmachen, ist somit
bereits auf der Ebene der standardisierten Leistungsausgaben und Verhältniswerte eine
geringere Breite des Konfidenzintervalles zu erwarten. Für die von Buchner u.a. (S. 83)
vorgeschlagene Reduktion der Zahl der Versichertengruppen u.a. durch eine stärkere
Altersaggregation wäre ohnehin eine Änderung des § 2 Abs. 3 Satz 1 RSAV
erforderlich.
75
Was die Ausschöpfungsquoten anbelangt, die durch unzureichende Meldungen der
76
Leistungserbringer bedingt sind (sog. non-response-Problem), räumen Kricke/Männer
(S. 14) ein, dass systematische Fehler nicht zu befürchten seien, wenn die
Nichtmeldenden als Zufallsauswahl aus den ausgewählten Stichprobeneinheiten zu
betrachten seien, wenn also nicht anzunehmen sei, dass zwischen dem Meldeverhalten
und der Fragestellung ein Zusammenhang bestehe. Insoweit ist offenkundig, dass die
Bereitschaft der Leistungserbringer zur Meldung mangels eigener Interessen nicht an
Alter, Geschlecht etc. der Stichprobenversicherten gebunden ist. Dies machen auch die
unterschiedliche Ausschöpfungsquoten der einzelnen Kassen deutlich, obwohl kein
Leistungserbringer nur Versicherte einer Kasse oder Kassenart behandeln wird.
Nach den gewonnenen Erfahrungen haben die Spitzenverbände zur Verbesserung der
Stichprobenergebnisse in der Vereinbarung 97 eine Hochrechnung auf der
Einzelkassenebene vereinbart, durch das erhebungstechnische Verzerrungen
abgefangen werden sollen. Insoweit wird allerdings im Gutachten von Buchner u.a. (S.
29 ff.) gerügt, dass die Stichproben in den einzelnen Versichertengruppen bei kleineren
Krankenkassen zu klein und daher die auf Zufallseinflüs se zurückführbaren
Schwankungen "kaum" tolerierbar seien. Ferner halten sie die Grenzen der
Ausschöpfungsquoten für die Einbeziehung einzelner Krankenkassen in das
Hochrechnungsverfahren für problematisch (a.a.O. S. 28 f.). Als Verbesserung
empfehlen sie - neben der Vergrößerung der Auswahlsätze - vor der Hochrechnung auf
Kassenebene ein weiteres Glättungsverfahren. Welche Auswirkungen sich aufgrund der
kritisierten Punkte für die Berechnung der standardisierten Leistungsausgaben ergeben,
können die Gutachter allerdings nicht sagen. Mit Recht weist die Beklagte darauf hin,
dass nur eine - zur Zeit offenbar technisch noch nicht machbare - Vollerhebung Auskunft
darüber geben könnte, inwiefern Krankenkassen durch das gegenwärtige Verfahren
benachteiligt oder begünstigt werden. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der
Durchführung eines RSA und der Schwierigkeiten der Schaffung einer
realitätsgerechten Datengrundlage muss den Spitzenverbänden zugestanden werden,
dass sie das Verfahren zur Ermittlung der Leistungsausgaben schrittweise optimieren.
Die zitierte Kritik kann daher nur Anlass für eine Überprüfung und ggf.
Weiterentwicklung des Stichproben verfahrens bzw. für einen möglichst raschen
Übergang zu einer Vollerhebung sein, berührt aber nicht die Rechtmäßigkeit der
Bescheide, die auf den nach den vereinbarten Verfahren erhobenen Daten beruhen.
77
In der ab 01.01.1999 geltenden Neufassung der Vereinbarung haben die
Spitzenverbände bereits die Grenzen für die Einbeziehung der Krankenkassen in das
Hochrechnungsverfahren geändert. Während vorher die Bandbreite der zugelassenen
Ausschöpfungsquote 5 bis 195 % betrug (Anlage 6 Nr. 3 a.F.), was Buchner u.a. als zu
große und ungleiche Schwankungsbreiten kritisiert haben (S. 82), ist sie jetzt auf 50 bis
150 % reduziert worden (Anlage 6 Nr. 4 n.F.). Für das Erhebungsjahr 1998 ist ein
Verfahren zur Behandlung von Ausreißern mit der Festlegung ggf. anstelle der
Stichprobenergebnisse einzusetzender Schwellenwerte für die einzelnen
Leistungsbereiche festgelegt worden (Anlage 6 Nrn. 3, 5). Ferner ist auch im Rahmen
der Plausibilitätsprüfung die Überprüfung der Stichprobenzusammensetzung verfeinert
worden (Anlage 5 B 1 d).
78
cc) Auch die weiteren Einwände gegen die Ermittlung der standardisierten
Leistungsausgaben hält der Senat nicht für überzeugend.
79
Soweit es um die fehlerhafte bzw. unterbliebene Zuordnung von Leistungsausgaben zu
einer der Versichertengruppen geht, was vorallem wegen des veränderten
80
Stichprobenumfangs für die Gruppe der 60-Jährigen ohne Bezug einer EU-/BU-Rente
gilt, liegt die Verantwortung für eine nicht der Vereinbarung der Spitzenverbände
entsprechende zeitgerechte Ausgabe der richtigen Krankenversicherungskarte bei den
Krankenkassen. Im Übrigen ist insoweit eine Beschwer der Klägerin nicht erkennbar:
Die Problematik wirkt sich - wie die Beklagte zu Recht vorgebracht hat - vornehmlich zu
Lasten der sogenannten Empfängerkassen aus (was einleuchtet, da sie
überdurchschnittlich viele ältere Versicherte haben dürften). Die Klägerin hat auch nicht
geltend gemacht hat, dass sie aufgrund ihrer Versichertenstruktur benachteiligt werde.
Hinsichtlich der überhöhten Pro-Tag-Werte für 65-jährige EU-/BU-Rentner (sogenannte
"Randwertproblematik") hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass eine
Kappung des Bedarfs für diese Gruppe unter dem Gesichtspunkt der
Verteilungsgerechtigkeit nicht sachgerecht ist. Bei Verteilung des nicht mehr dieser
Gruppe zu rechenbaren Beitragsbedarfs auf alle Versichertengruppen würde nämlich
aufgrund der starken Besetzung der Versichertengruppen der Nicht-Rentner diesen der
größte Bedarf zugeteilt, so dass im Ergebnis Beitragsbedarf aus dem EU-/BU-Bereich
umverteilt würde. Dies würde gegen die Zielsetzung des RAS verstoßen,
unterschiedliche Risikostrukturen auszugleichen.
81
Bei der Frage der Zurechnung von Leistungen bei rückwirkender Gewährung von EU-
/BU-Rente ist ebenfalls eine Beschwer der Klägerin nicht erkennbar. Wenn es bislang
nicht möglich ist, synchron zur rückwirkenden Zuordnung der Versichertenzeiten auch
die Leistungsinanspruchnahme zu berücksichtigen und für eine rechnerische Korrektur
ein Konsens der Spitzenverbände nicht gefunden werden konnte, geht auch dies allein
zu Lasten der "Empfängerkassen" mit überdurchschnittlichem Anteil von EU-/BU-
Rentnern. Zu diesen Kassen dürfte die Klägerin nicht zählen, sie hat auch nicht geltend
gemacht, überdurchschnittlich viele EU-/BU-Rentner zu versichern.
82
Soweit die Erstattung von Krankengeldzahlungen nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 3, 50 SGB V,
um die nach § 266 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB V die berücksichtigungsfähigen
Leistungsausgaben zu mindern sind, gemäß Anlage 7 der Vereinbarung der
Spitzenverbände pauschal im Verhältnis 60 zu 40 auf die Gruppen der EU-/BU-Rentner
und der sonstigen Versicherten aufgeteilt wird, wird diese Aufteilung von Buchner u.a.
(Seite 57) für Originalläufe des RSA ausdrücklich als sachgerecht eingeschätzt. Die
Gutachter halten lediglich bei Korrekturläufen für zurückliegende Ausgleichsjahre
wegen der anzunehmen den gestiegenen Zahl von EU-/BU- Rentnern eine höhere
Quote zu Lasten dieser Gruppe für zutreffender. Die Verwendung realitäts näherer
Ausgleichsfaktoren wird von ihnen aber nur bei gleichzeitiger Verschiebung von
Leistungsvolumina von der Gruppe der Nicht-EU-/BU-Rentner hin zur Gruppe der EU-
/BU-Rentner gefordert, während sie die Beibehaltung der Aufteilungsquote als
folgerichtig bezeichnen, wenn diese von ihnen befürwortete Anpassung der
Leistungsvolumina nicht erfolgt. Das gegenwärtig nach § 12 Abs. 8 der Vereinbarung
der Spitzenverbände praktizierte Verfahren bei der Korrektur von Versicherungszeiten
führt ohnehin zu einer Benachteiligung der Kassen, die überdurchschnittlich viele EU-
/BU-Rentner versichern. Würde man nun trotz der Regelung in § 12 Abs. 8 der
Vereinbarung beim Krankengeld die Quote der Erstattung zu Lasten der EU-/BU-
Rentner erhöhen, würden sich die Leistungsausgaben für diese Gruppe entsprechend
mindern mit dem Ergebnis einer entsprechenden Profilverflachung, so dass die
Benachteiligung der Kassen mit einem überdurchschnittlichen Anteil von EU-/BU-
Rentnern in ihrem Bestand noch vergrößert würde.
83
Die Berücksichtigung von Krankengeld (und Mutterschaftsgeld) wie Sachleistungen im
RSA mag zwar systematisch nicht zutreffend sein, weil diese Leistungen im Gegensatz
zu den Sachleistungen einkommensabhängig sind, so dass grundlohnstarke Kassen
insoweit benachteiligt werden, als sie pro Krankengeldbezugstag ein höheres
Krankengeld zu zahlen haben. Aufgrund der Einkommensabhängigkeit der Beiträge
stehen diesen höheren Leistungsverpflichtungen allerdings auch grundsätzlich höhere
beitragspflichtige Einnahmen und damit höhere Beitragseinnahmen dieser Kassen
gegenüber. Im RSA werden deren Grundlohnvorteile nur zu rund 92 % abgeschöpft, so
dass immer noch ein gewisser Anteil zur Finanzierung des (höheren) Krankengeldes
zur Verfügung steht. Vor allem aber gibt es zahlreiche Einflussfaktoren, die speziell
grundlohnstarke Krankenkassen in Bezug auf die Krankengeldhäufigkeit entlasten und
dem Effekt der systematisch falschen Berücksichtigung des Krankengeldes im RSA
entgegenwirken. Nach den Feststellungen in dem vom BMG eingeholten Gutachten von
IGES/Cassel/Wasem "Zur Wirkungsweise des Risikostrukturausgleichs in der
gesetzlichen Krankenversicherung", Endbericht vom 15.02.2001 (im Folgenden:
Endbericht) (Seite 172) liegt es sogar nahe, dass diese Faktoren deutlich die Nachteile
der grundlohnstarken Kassen überkompensieren. Sie kommen daher zu dem Schluss,
wenn man den systematisch falschen Einkommensbezug durch eines der von ihnen
diskutierten Modelle isoliert beseitigen, die anderen Wirkungsfaktoren jedoch
unberücksichtigt lassen würde, würden sich die bereits bestehenden Unterschiede in
Bezug auf die relative Krankengeld-Ausgabeposition und die daraus resultierenden
Beitragssatzverzerrungen tendenziell noch vergrößern. Für die übrigen Einflussfaktoren
fehle aber gegenwärtig hinreichend empirisches Wissen bzw. das vorliegende Wissen
eigne sich nicht unmittelbar zur Berücksichtigung im RSA (Seite 174). Von daher ist es
sachgerecht, wenn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RSAV bzw. der Anlage 1 zu § 1 der
Vereinbarung der Spitzenverbände das Krankengeld wie Sachleistungsausgaben
erfasst und berücksichtigt wird.
84
b) Ebensowenig greifen die weiteren Einwände der Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit
des Ausgleichsverfahren durch.
85
Hinsichtlich der Vergütung der ambulanten ärztlichen Versorgung trifft zwar zu, dass
insoweit eine Asymmetrie zwischen RSA und dem System der ärztlichen Vergütung
besteht, als die Vergütung nach mitgliederbezogenen Kopfpauschalen erfolgt und die
Kassen unterschiedlich hohe Pauschalen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen
vereinbart haben. Von daher können wegen der Anrechnung eines durchschnittlichen
GKV-Betrages im RSA in diesem Bereich die tatsächlichen Ausgaben einer
Krankenkasse über ihrem Teil-Beitragsbedarf liegen. Davon abgesehen, dass die
Klägerin nicht vorgetragen hat, tatsächlich in diesem Sinne betroffen zu sein, würde
jedoch die Berücksichtigung der tatsächlichen Leistungsausgaben der Logik des RSA
widersprechen, der auf das durchschnittliche Ausgabenniveau abstellt, um Anreize für
wirtschaftliches Handeln zu geben. Wenn die Vergütungssysteme nicht (mehr) die durch
die unterschiedliche Versichertenstruktur hervorgerufenen Unterschiede in der
Leistungsinanspruchnahme abbilden, bedeutet dies nicht, dass der RSA entsprechend
anzupassen wäre. Soweit aufgrund der historischen Entwicklung speziell im
Ersatzkassenbereich höhere Kopfpauschalen vereinbart worden sind, die früher aus
den höheren beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder finanziert werden konnten,
während nunmehr die höhere Finanzkraft einer Krankenkasse weitgehend abgeschöpft
wird, so dass die tatsächlichen Ausgaben der Ersatzkassen in diesem Bereich über dem
angerechneten Beitragsbedarf liegen, ist insoweit die Lösung im Vertragsbereich zu
suchen und gegebenenfalls insoweit gesetzgeberisches Handeln erforderlich (s.
86
Ballast, ErsK 2000, 139, 142; vgl. zur Problematik auch Endbericht, Seite 58 ff.).
Die Berücksichtigung der Beiträge sogenannter Anwartschaftsversicherter bei der
Ermittlung der Finanzkraft einer Krankenkasse ist sachgerecht, auch wenn
Versicherungszeiten für diese Versicherten nicht gemeldet werden dürfen. Da diese
Versicherten keinen Leistungsanspruch besitzen und somit keine Ausgaben
verursachen, kann für sie - über die Versicherungszeiten - auch kein Beitragsbedarf
angerechnet werden. Umgekehrt stärken aber die von ihnen zu leistenden Beiträge die
finanzielle Position einer Kasse, so dass folgerichtig diese Beiträge auch in die
Ermittlung der Finanzkraft einfließen müssen.
87
2. Die Neuberechnung des Beitragsbedarfs für die Jahre 1995 bis 1996 (Anlage 2 der
Bescheide vom 11.02.1999) und die Fälligstellung von einem Drittel des Betrages im
Jahresausgleich 1997 (Position 2 der Bescheide) sind rechtmäßig. Fehlerhaft ist allein
die Korrektur des Beitragsbedarfs für das Ausgleichsjahr 1994, die ausschließlich auf
der Neuberechnung des Beitragsbedarfs auf der Grundlage der korrigierten
Versicherungszeiten beruht.
88
Die Neuberechnung des Beitragsbedarfs erfolgte zum einen auf der nach der
durchgeführten Grundbereinigung der Versicherungsverzeichnisse vorgenommenen
Korrektur der Versicherungszeiten (a), zum anderen hinsichtlich der Ausgleichsjahre
1995 und 1996 auf einer zusätzlichen Korrektur der Verhältniswerte (b).
89
a) aa) Rechtsgrundlage der Korrektur der Versicherungszeiten ist § 266 Abs. 6 Satz 7
SGB V bzw. § 3 Abs. 5 RSAV (in der Fassung der 2. RSA-ÄndVO), der das Verfahren
konkretisiert. Entgegen der Auffassung des SG ist der Beklagten insoweit kein
Ermessen eingeräumt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V
"hat" das BVA festgestellte Fehler beim nächsten Jahresausgleich zu berücksichtigen.
Auch hinsichtlich der Durchführung der Korrekturen besteht kein Ermessensspielraum.
Es liegt auf der Hand, dass bei Fehlern - wozu unzutreffende Versicherungszeiten
zählen - die Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben auf der Grundlage der
zutreffenden Daten vorgenommen werden muss. Insoweit haben die Spitzenverbände
auch in § 12 Abs. 8 der Vereinbarung einen einheitlichen Vorschlag zum Verfahren für
die Korrektur von Versicherungszeiten abgegeben, wonach die neu ermittelten
Versicherungszeiten mit den für das Korrekturjahr gültigen Verhältniswerten und
Leistungsausgaben zu multiplizieren sind. Auch die Annahme des SG geht fehl, § 266
Abs. 6 Satz 7 SGB V erlaube nur die Berücksichtigung von Fehlern im unmittelbar
folgenden Jahresausgleichsverfahren, so dass die Beklagte habe darlegen müssen,
warum sie mit der bis 1994 zurückreichenden Korrektur von dieser Regel abweiche.
Abgesehen davon, dass schon nicht ersichtlich ist, auf welcher Rechtsgrundlage die
Beklagte berechtigt sein sollte, Korrekturen für frühere Jahre vorzunehmen, wenn § 266
Abs. 6 Satz 7 SGB V tatsächlich nur die Berücksichtigung im unmittelbar auf das dem zu
korrigierenden Ausgleichsverfahren folgenden Ausgleichsjahr erlauben würde, trifft die
vom Sozialgericht angenommene zeitliche Begrenzung der Korrekturmöglichkeit nicht
zu. Nach der Vorschrift hat das BVA Fehler bei der Ermittlung beim "nächsten"
Ausgleichsverfahren zu berücksichtigen. Diese Formulierung kann sich nur auf das der
Feststellung des Fehlers folgende Ausgleichsverfahren beziehen, nicht aber auf das
dem Jahr des Ausgleichsverfahrens folgende Kalenderjahr. Andernfalls ergäbe sich die
schwer verständliche Konsequenz, dass nur Fehler, die in dem auf das Jahr des
Ausgleichsverfahrens folgenden Kalenderjahr festgestellt und bei der Durchführung des
Jahresausgleichs für das Ausgleichsjahr, das dem Korrekturjahr folgt, noch
90
berücksichtigt werden können, nicht aber zeitlich später festgestellte Fehler (so dass
beispielsweise das Ausgleichsjahr 1999 betreffende Fehler, die erst Ende 2000 bekannt
werden und daher im Jahresausgleichsverfahren für das Jahr 2000 nicht berücksichtigt
werden könnten, nicht mehr korrigiert werden dürften). Von daher ist die Formulierung in
§ 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V im Sinne von "nächstmöglich" zu verstehen (entsprechend
der Formulierung in § 13 Abs. 4 der KVdR- Ausgleichsverordnung vom 20.12.1977).
bb) Die rückwirkende Korrektur der Versicherungszeiten ist im Grundsatz nicht zu
beanstanden. Soweit die angeblich unverändert defiziente Datengrundlage hinsichtlich
der Versicherungszeiten und unterbliebene Ermittlungen der Beklagten bemängelt
werden, ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Unzutreffend ist auch die
Auffassung, die Beklagte habe bei allen Krankenkassen, die nicht sofort vor dem
Jahresausgleichsverfahren 1994 eine Grundbereinigung der Familienversicherten
durchgeführt hätten, die entsprechenden Versicherungszeiten auf "Null" setzen müssen,
weil diese nicht durch die von § 3 Abs. 3 S. 2 RSAV geforderten "zeitnahen" Meldungen
belegt seien. Dabei wird vorausgesetzt, die "Zeitnähe" einer Meldung beziehe sich auf
den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Meldung des Versicherten
bzw. der letzten Aktualisierung der Meldung und dem Zeitpunkt der Meldung der
Versicherungszeit. Soweit mit Änderungen in den für die Familienversicherung
wesentlichen Verhältnissen zu rechnen sei - was bei Kindern ab Vollendung des 15.
Lebensjahres und Ehegatten grundsätzlich zutreffe - sei eine jährlich aktualisierte
Meldung des Mitglieds bzw. Familienversicherten vor Meldung einer entsprechenden
Versicherungszeit im Rahmen des RSA erforderlich, damit die geforderte "Zeitnähe"
vorliege. Daten, die nicht durch entsprechend zeitnahe Meldung belegt seien, dürften
nicht in den RSA einfließen. Dabei könne eine Meldung, die rückwirkend für einen zu
rückliegenden Erhebungszeitpunkt beigebracht werde, nicht in diesem Sinne zeitnah
sein, da der Erhebungszeitpunkt für das betreffende Ausgleichsjahr den letzten
Zeitpunkt markiere, bis zu dem die Meldung vorgelegen haben müsse, um als zeitnah
bezeichnet werden zu können.
91
Diese Auffassung läuft im Ergebnis auf eine Sanktion für eine unterbliebene formelle
Prüfung der Versicherungszeiten unabhängig von der materiellen Richtigkeit hinaus, da
alle Krankenkassen, die nicht vor dem Ausgleichsverfahren für das Jahr 1994 die
Grundbereinigung der Familienversicherten vorgenommen hatten, auch für die
Folgejahre keine Versicherungszeiten für Familienversicherte hätten melden dürfen,
deren Versicherung vor Durchführung der Grundbereinigung bereits bestand. Weder § 3
Abs. 3 Satz 2 RSAV noch sonstige Normen bieten Anhaltspunkte für diese Auffassung.
Schon grundsätzlich ist dieser Auslegung des § 3 Abs. 3 Satz 2 RSAV zu
widersprechen. Der Wortlaut der Vorschrift spricht gegen die zitierte Interpretation des
Begriffs der zeitnahen Meldung. Weder lässt sich das Wort "zeitnah" in einen zeitlichen
Zusammenhang mit der Meldung der Versicherungszeit für den RSA bringen, noch ist
ersichtlich, dass Satz 2 auch die Meldung hinsichtlich des Weiterbestandes der
Familienversicherung regelt. Der erste Halbsatz des Satz 2 betrifft ausschließlich den
Beginn der Versicherungszeit der Versicherten nach § 10 SGB V. Daran
anschließendspricht der zweite Absatz davon, dass der "Zeitpunkt" durch eine zeitnahe
Meldung zu belegen sei. Auch wenn in den im zweiten Halbsatz genannten Vorschriften
der §§ 10 Abs. 6, 289 Satz 2, 3 SGB V auch Meldungen zum Fortbestand der
Versicherung bzw. zur Änderung des Status geregelt sind, kann sprachlich das Wort
"zeitnah" nur auf das Wort "Zeitpunkt" bezogen werden und dieses knüpft seiner seits
ausschließlich an den im ersten Halbsatz geregelten Beginn der Versicherungszeit an.
Es ist also somit lediglich der Beginn der Versicherungszeit durch eine zeitnahe
92
Meldung zu belegen. Das Ende der Versicherung wird dann in Satz 3 geregelt. Die
Begründung zu § 3 RSAV ist unklar und vermittelt keine weitergehenden Erkenntnisse.
Es heißt dort, die Vorschrift definiere den Beginn und das Ende einer Versicherungszeit,
bei Familienversicherten sei sie durch eine formelle Meldung zu belegen. Da die Höhe
der Ausgleichsansprüche oder -verpflichtungen von der Zahl der versicherten
Familienangehörigen beeinflusst werde, müsse die Familienversichertenstatistik einer
Krankenkasse auf überprüfbaren und aktuellen Informationen beruhen. Es wird davon
ausgegangen, dass die Krankenkassen die entsprechenden Meldungen der
Versicherten fortlaufend aktualisierten. Eine interne Prüfung der Meldungen "sollte"
jährlich erfolgen und bei Anhaltspunkten für eine mögliche Änderung der
Versicherungsverhältnisse eine erneute Meldung durch den Versicherten veranlasst
werden (BR-Drucks. 611/93, S. 46). Die Begründung geht letztlich am Wortlaut der
Vorschrift vorbei, die eher vagen Ausführungen deuten sogar eher darauf hin, dass der
Verordnungsgeber selbst davon ausgegangen ist, dass in § 3 Abs. 3 RSAV eine
entsprechende Verpflichtung der Krankenkassen nicht geregelt wird. Die Auffassung
von Schneider (a.a.O., Seite 198), die Begründung gebe Hinweise für die Ausfüllung
des unbestimmten Rechtsbegriffs "zeitnah", da sie deutlich mache, dass sich die
Vorgabe der Zeitnähe auf den zeitlichen Abstand zwischen dem Erhebungszeitpunkt
und dem Zeitpunkt der Meldung bzw. der letzten Aktualisierung der Meldung beziehe, ist
nicht nachvollziehbar. Ebenso überzeugt die Annahme, dass § 3 Abs. 3 Satz 2 RSAV
auch Meldungen hinsichtlich des Fortbestandes der Familienversicherung betreffe.
Die Forderung, dass vor der Meldung von Versicherungszeiten der Bestand der
Familienversicherung zu prüfen und bei Zweifeln auch eine entsprechende Meldung zu
fordern sei, mag sachgerecht sein. Dementsprechend haben die Spitzenverbände
nunmehr gemäß § 10 Abs. 6 Satz 2 SGB V in dem Einheitlichen Meldeverfahren zur
Durchführung der Familienversicherung in der Fassung vom 01.07.1998 in Nr. 3.4
grundsätzlich eine jährliche Bestandspflege vorgeschrieben, die nur für bestimmte
Personengruppen, bei denen von unveränderten Verhältnissen ausgegangen werden
kann, nicht gilt. Die Formulierung des § 3 Abs. 3 Satz 2 RSAV gibt für die Verpflichtung
einer entsprechenden Bestandspflege nichts her. Der Verordnungsgeber hat lediglich
den Beginn der Versicherungszeit und die insoweit erforderliche Meldung geregelt, nicht
aber verlangt, dass das Bestehen einer Familienversicherung durch zeitnahe
Meldungen belegt sein muss.
93
Selbst wenn man der Auffassung folgen würde, dass § 3 Abs. 3 Satz 2 RSAV zeitnahe
Meldungen auch für das weitere Vorliegen der Voraussetzungen für die
Familienversicherung verlangt und die Zeitnähe sich auf den zeitlichen
Zusammemhang mit der Meldung der Versicherungszeiten im RSA bezieht, lägen im
Übrigen auch bei einer nachträglichen Überprüfung der Familienversicherung und dem
Nachweis der Voraussetzungen die geforderten "zeitnahen" Meldungen vor. Da die
Korrektur der Versicherungszeiten nicht zu einem Wiederaufrollen des
abgeschlossenen Jahresausgleichsverfahrens führt, sondern eine sich aufgrund der
Korrektur ergebende Änderung des Beitragsbedarfs im aktuellen Ausgleichsverfahren
berücksichtigt wird, liegt bezogen auf den Zeitpunkt dieses Ausgleichsverfahrens eine
zeitnahe Meldung vor. Ob die beigebrachten Unterlagen tatsächlich den durchgehenden
Bestand der Familienversicherung belegen, ist eine davon zu unterscheidende Frage.
94
cc) Die für das Ausgleichsjahr 1994 durchgeführte Korrektur der Versicherungszeiten ist
jedoch deshalb fehlerhaft, weil entsprechend § 12 Abs. 8 der Vereinbarung 97 sich die
Korrekturen auf die Versicherungszeiten beschränkt haben und die sich aus der
95
erheblichen Reduzierung der Versicherungszeiten ergebenden Auswirkungen auf die
Verhältniswerte unberücksichtigt geblieben sind.
Die Grundbereinigung der Versicherungszeiten hat für 1994 eine Reduzierung des
Versichertenbestandes von rund 600.000 "Köpfen" ergeben. Da in erster Linie bei den
Familienversicherten Fehler festzustellen waren, verteilen sich die Effekte der
Grundbereinigung nicht gleichmäßig über alle Versichertengruppen, sondern betreffen
vor allem die Gruppe der 15- bis 25-Jährigen. Die Korrektur der Versicherungszeiten
führt somit zu einer Verschiebung der relativen Anteile der Versichertengruppen zur
Gesamtzahl der Versicherten, was für das Stichprobenverfahren von Bedeutung ist. Da
der Pro-Kopf-Wert der Stichprobenversicherten mit den dahinterstehenden
Versichertenzahlen gewichtet wird, wird bei Verwendung der unkorrigierten
Versicherungszeiten zur Ermittlung der Leistungsausgaben pro RSA-
Versichertengruppe ein nicht mehr gültiger Divisor verwendet, je nach Abweichung
werden die Ausgaben durch zu viele oder zu wenige Versicherte geteilt. Von daher wird
sowohl im Gutachten von Buchner u.a. (S. 53) als auch in dem von der Klägerin
eingeholten Gutachten der IGES GmbH "Methodenentwicklung zur Abschätzung
alternativer Korrekturverfahren der Beitragsbedarfe 1996 im RSA-Jahresausgleich",
April 2000, (im Folgenden: IGES-Gutachten) (S. 29) eine Neubestimmung der
Verhältniswerte durch Neuberechnung der Stichprobenversichertenzeiten in der Satzart
41 gefordert. Diese Forderung gilt jedenfalls für wesentliche Änderungen in den
Versicherungszeiten.
96
Es leuchtet ein, dass eine erhebliche Reduzierung von Versicherungszeiten, die
schwerpunktmäßig bestimmte Altersgruppen betrifft, als wesentliche + Korrektur zu
bezeichnen ist und dass sie Auswirkungen auf die Verhältniswerte haben kann. Die
Beklagte hätte daher entweder auf dem von den Gutachtern vorgeschlagenen Weg oder
in anderer sachgerechter Weise die Auswirkungen der Korrektur der
Versicherungszeiten auf die Verhältniswerte berücksichtigen müssen. Das von den
Spitzenverbänden in § 12 Abs. 8 vereinbarte Verfahren kann vor dem Hintergrund der
im RSA-Verfahren anzustrebenden Ausgleichsgerechtigkeit dann nicht maßgebend
sein, wenn wesentliche Korrekturen der Versicherungszeiten vorliegen, aufgrund derer
Änderungen hinsichtlich der Verhältniswerte zu erwarten sind. Die Beklagte hat auch
keine Gesichtspunkte - wie etwa einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand oder
die technische Unmöglichkeit der rückwirkenden Generierung von Stichprobendaten für
das Jahr 1994 - genannt, die einer entsprechenden Korrektur auch der Verhältniswerte
entgegengestanden hätten. Soweit bei der Anfügung des Satz 3 in § 25 Abs. 3 RSAV
durch das GKV-SolG der Gesetzgeber eine Änderung der Verhältniswerte für 1994 nicht
für erforderlich gehalten hat (BT- Drucks. 14/157, S. 35), bezieht sich diese Äußerung
nur auf eine durch die zwischenzeitlich erreichte Verbesserung der Datengrundlagen im
Leistungsbereich mögliche Korrektur der Verhältniswerte, sie betrifft aber nicht die hier
erörterte Frage der Auswirkung der Korrektur der Versicherungszeiten auf die
Verhältniswerte des betreffenden Ausgleichsjahres.
97
Dieser Fehler bei der Korrektur der Versicherungszeiten betrifft nicht das Ausgleichsjahr
1995 und 1996. Zwar ergab die Grundbereinigung auch für diese Jahre eine
Reduzierung der Zahl der Versicherten um 750.000 bzw. 650.000 Versicherte. Für diese
Jahre sind neben den Versicherungszeiten aber auch die Verhältniswerte korrigiert
worden. Die Beklagte ist insofern entsprechend der Anlage 10 der Vereinbarung 97
vorgegangen und hat die Verhältniswerte für 1995 und 1996 auf der Grundlage der
Stichproben-Pro-Tage-Werte des Jahres 1997 berechnet. Mit diesem Vorgehen wird
98
das Problem der verfälschten Pro-Tage-Werte aus den Stichproben für 1995 und 1996
umgangen, weil in den Meldungen für 1997 sowohl bei den Versicherungszeiten
(Satzart 40) wie den Leistungsausgaben (Satzart 41) die gestrichenen Versicherten
nicht enthalten sind. Buchner u.a. (S. 53) räumen daher ein, dass das Vorgehen der
Beklagten sachgerecht sei, sofern nichts gegen die Verwendung der Werte aus dem
Jahre 1997 spreche (dazu sogleich unten).
b) Die Korrektur der Verhältniswerte für 1995 und 1996 ist rechtmäßig, insbesondere
durfte die Beklagte die Korrektur auf der Basis der Daten aus 1997 durchführen.
99
aa) Rechtsgrundlage für die Korrektur ist § 25 Abs. 3 RSAV. Diese Vorschrift ist weder
wegen fehlender Ermächtigung nichtig noch verstößt sie gegen das im
Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Verbot der Rückwirkung.
100
(1) § 266 Abs. 7 SGB V ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), u.a.
das Nähere über die Ermittlung der Werte gemäß Abs. 5 (Ziff. 1 a.a.O.) und das
Verfahren um die Durchführung des Ausgleichs (Ziff. 6 a.a.O.) durch Rechtsverordnung
zu regeln. Diese Vorschrift genügt rechtsstaatlichen Anforderungen an Inhalt und
Ausmaß einer Ermächtigung und bildet eine hinreichende Grundlage für die fragliche
Regelung. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der
erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Der Gesetzgeber hat Tendenz und
Programm der Rechtsverordnung so weit zu umreissen, dass deren Ziel richtung und
möglicher Inhalt feststehen. Es genügt allerdings, wenn sich die Bestimmtheit mit Hilfe
allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lässt (BVerfGE 58, 257, 277; 85, 97,
105). Die Anforderungen an die Bestimmtheit hängen von den Besonderheiten des
jeweiligen Regelungsgegenstandes sowie der Intensität der Maßnahme ab. Geringere
Anforderungen an die Bestimmtheit sind bei vielgestaltigen Sachverhalten zu stellen;
gleiches gilt bei Eingriffen mit weniger schwerwiegenden Auswirkungen (vgl. BVerfGE
58, 257, 278; s.a. Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl., Art. 80 Rdn. 12).
101
Der Gesetzgeber hat sich auf die Regelung der grundlegenden Fragen, nämlich der
Zielsetzung des RSA (§ 266 Abs. 1 Satz 2 SGB V), der Festlegung der maßgeblichen
Ausgleichsparameter und der Grundzüge der Datenerhebungen beschränkt. In diesem
Rahmen hat der Verordnungsgeber die Einzelheiten des RSA-Verfahrens zu regeln.
Angesichts der Vielschichtigkeit und Komplexität der Materie konnte und brauchte der
Gesetzgeber Einzelheiten nicht festzulegen, zumal mit dem RSA Neuland betreten
wurde und Erfahrungen gesammelt werden mussten, die ggf. ein rasches Reagieren
erforderten. Die Überantwortung der Regelungskompetenz an die Exekutive ist auch
angesichts des Umstandes, dass der RSA nur eine geringe grundrechtliche
Eingriffsintensität aufweist (vgl. unten III. 1e) unbedenklich. Unter Berücksichtigung
dieser Aspekte sind an die Bestimmtheit der Ermächtigung keine allzu hohen
Anforderungen zu stellen.
102
Das vom Verordnungsgeber nach § 266 Abs. 7 SGB V festzulegende RSA-Verfahren
hat einerseits Ausgleichsgerechtigkeit anzustreben, so dass die Werte das
Ausgabegeschehen möglichst realitätsgerecht abbilden und ihre Festsetzung auf einer
möglichst gesicherten Datengrundlage erfolgt. Andererseits soll aber das
Ausgleichsverfahren jährlich, d.h. bis zum Ende des auf das Ausgleichsjahr folgenden
Kalenderjahres durchgeführt werden (§ 266 Abs. 1 Satz 1 SGB V), was bedeuten kann,
dass trotz einer möglicherweise nicht völlig zufriedenstellenden Datenbasis ein
Ausgleich erfolgt. In einer solchen Situation muss der Verordnungsgeber die Möglichkeit
103
haben, wenigstens nachträglich eine Verbesserung der Datenlage zu berücksichtigen.
Es entspricht der Logik des § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V, dass nachträglich bekannt
gewordene Erkenntnisse, die bereits durchgeführte Jahresausgleiche betreffen, in
einem folgenden Ausgleichsverfahren berücksichtigt werden.
Daher umfasst die Ermächtigung zur Ermittlung der Werte nach ihrem Zweck auch die
Befugnis, eine Korrektur dieser Werte vorzusehen, wenn dies aufgrund gewonnener
Erfahrungen und Verfahrensverbesserungen zu einem - gemessen an den Zielen des
RSA - verbesserten Ausgleich führt. Dabei widerspricht eine Korrektur der
Verhältniswerte für drei zurückliegende Ausgleichsjahre nicht der Regelung des § 266
Abs. 6 Satz 7 SGB V, da - wie oben dargelegt - diese Korrekturmöglichkeiten nicht nur in
dem zeitlich unmittelbar auf den zu korrigierenden Ausgleich folgenden Ausgleich
besteht. Insoweit kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass § 25 Abs. 3 RSAV vor
dem Hintergrund der 1994 und 1995 ermittelten Ausgaben profile auf Wunsch der
Spitzenverbände in die RSAV eingefügt worden ist (Spadzinski, KrV 1997, 226, 228).
Unbedenklich ist die durch die Änderung des § 25 Abs. 3 RSAV durch die 2. RSA-
ÄndVO erfolgte Verschiebung der Korrekturen in das Ausgleichsjahr 1997 und der
Erweiterung der Korrekturmöglichkeit auch für das Jahr 1996. Das mit der Vereinbarung
1997 modifizierte Hochrechnungsverfahren, das als wesentlicher Bestandteil zur
qualitativen Verbesserung der Ausgabenprofile anzusehen war (vgl. Spadzinski, a.a.O.),
kam erst 1998 zur Anwendung, so dass aufgrund der anzunehmenden weiteren
Verbesserung der Datenbasis es geboten war, die Korrekturen erst nach Vorliegen
dieser Daten vorzunehmen.
104
(2) § 25 Abs. 3 RSAV verletzt nicht das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), weil in
der angeordneten Korrektur der Verhältniswerte eine unzulässige Rückwirkung zu
sehen wäre.
105
Eine echte Rückwirkung (soweit der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts statt von
echter und unechter Rückwirkung von Rückwirkung und tatbestandlicher
Rückanknüpfung spricht, BVerfGE 72, 200, 241, ist der Unterschied nur
terminologischer Natur, vgl. Pieroth, JZ 1990, 279, 281) liegt vor, wenn das Gesetz
nachträglich ändernd in einen abgewickelten, der Vergangenheit angehörenden
Tatbestand eingreift (BVerfGE 57, 361, 391; 72, 175, 196). Tatbestand meint dabei nicht
Elemente des Sachverhalts, sondern bereits entstandene Rechtsfolgen (vgl. Pieroth,
a.a.O.; s.a. BVerfGE 72, 200, 241 f.). Schon von daher gehen Erwägungen, dass die
fraglichen Haushaltsjahre abgeschlossen gewesen seien, an der Sache vorbei: Hier
geht es nur darum, inwiefern § 25 Abs. 3 RSAV die an die Ergebnisse des
Haushaltsjahres anknüpfende rechtliche Bewertung im Rahmen des RSA nachträglich
verändert hat. Dabei kann die Vorschrift schon des halb nicht als Eingriff in den Bestand
einer ursprünglich geltenden Rechtsfolgenlage angesehen werden, weil keine
Änderung der durchgeführen Jahresausgleichsverfahren erfolgt, sondern lediglich im
Rahmen des das Ausgleichsjahr 1997 betreffenden Verfahrens für die Vergangenheit
eine Neubewertung des Beitragsbedarfs stattfindet und dieser Betrag als
"Rechnungsposten" in die Feststellung des Beitragsbedarfs des Ausgleichsjahres 1997
eingeht. Darüberhinaus bestand jeweils vor Durchführung der
Jahresausgleichsverfahren 1994 bis 1996 die Korrekturmöglichkeit, so dass die
Jahresausgleiche, wenn auch nicht rechtlich, so doch faktisch unter dem Vorbehalt einer
"Änderung" standen. Die durch die 1. RSA-ÄndVO eingefügte Fassung des § 25 Abs. 3
RSAV, die eine Korrektur der Verhältniswerte für 1994 und 1995 im Jahresausgleich
von 1996 vor sah, datiert vom 17.07.1996, während der endgültige Jahresausgleich
106
1994 sowie der Jahresausgleich 1995 - wie dem Senat aus dem Parallelverfahren L 5
KR 109/99 bekannt ist - mit Bescheiden vom 04.12.1996 erfolgte. § 25 Abs. 3 RSAV
wurde durch die 2. RSA-ÄndVO am 22.10.1997 geändert, also bevor der den
Jahresausgleich 1996 betreffende Bescheid vom 04.12.1997 erging. Soweit in § 25 Abs.
3 RSAV eine Regelung mit unechter Rückwirkung zu sehen sein sollte, wäre diese
Regelung im Hinblick auf den verfolgten Zweck einer Verbesserung der
Jahresausgleiche und der damit verbundenen größeren Ausgleichsgerechtigkeit
zulässig, zumal angesichts der skizzierten Rechtsentwicklung schutzwürdiges
Vertrauen der Krankenkassen auf den Bestand der Gesetzeslage nicht entstehen
konnte.
bb) Auch die Korrektur der Verhältniswerte stand entgegen der Auffassung des SG nicht
im Ermessen der Beklagten. Zwar "kann" nach § 25 Abs. 3 Satz 1 in der Fassung der 2.
RSA-ÄndVO das BVA eine Korrektur vornehmen, wobei der Verordnungsgeber bei der
Einführung des Abs. 3 durch die 1. RSA-ÄndVO auch davon ausgegangen ist, dass die
Entscheidung über die Durchführung der Korrektur nach pflichtgemäßem Ermessen zu
treffen sei (BR-Drucks. 403/96, S. 21). Dieses Ermessen war allerdings schon damals
begrenzt, da nach Satz 2 a.a.O. das BVA an einen einheitlichen Vorschlag der
Spitzenverbände gebunden ist, also entsprechend dem Vorschlag zu verfahren hat. Die
den Bescheiden vom 11.02.1999 zugrundeliegende Fassung des § 25 Abs. 3 RSAV
geht auf die Änderung durch Art. 5 Nr. 1a GKV-SolG zurück, durch den Satz 3 angefügt
wurde. Schon dessen Wortlaut ("werden ... korrigiert") spricht dagegen, dass dem BVA
bezüglich des "Ob" der Korrektur ein Ermessen verbleiben sollte. Dies wird durch die
Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/157, S. 35) bestätigt: Da ein einheitlicher
Vorschlag aller Spitzenverbände zur Korrektur der Vorjahre nicht zustandegekommen
sei, solle die Berichtigung der Jahre 1995 und 1996 durch eine entsprechende
Verpflichtung des BVA gewährleistet werden. Für die Korrekturjahre 1995 und 1996
greift somit die Ermessensregelung des Satz 1 nicht ein, vielmehr ist nach Satz 3, der
als neuere Regelung der des Satz 1 vorgeht, das BVA zur Korrektur verpflichtet, wenn -
wie hier - kein einheitlicher Vorschlag der Spitzenververbände vorliegt.
107
cc) Die Beklagte durfte die Verhältniswerte für 1995 und 1996 auf der Basis der
Datenerhebung des Jahres 1997 korrigieren.
108
Soweit die Klägerin grundsätzlich in Zweifel zieht, dass die geänderten Verhältniswerte
die Gegebenheiten der Jahre 1995 und 1996 besser widerspiegeln als die in den
betreffenden Jahren verwandten, ist ihr entgegenzuhalten, dass weder im IGES-
Gutachten (S. 37) noch von Buchner u.a. (S. 58) die grundsätzliche Sinnhaftigkeit der
Korrektur der ursprünglichen Jahresergebnisse in Frage gestellt wird. Im IGES-
Gutachten (S. 44 ff.) wird auf der Grundlage der vorgeschlagenen Alternativmethode für
1996 immerhin noch eine Beitragsbedarfskorrektur von rund 196.000.000,-- DM
konzediert, wovon nur rund 34.000.000,-- DM auf die Bestandsbereinigung bei den
Familienversicherten, dagegen rund 162.000.000,-- DM auf den Verfahrenswechsel von
der Verbands- zur Einzelkassenhochrechnung (die von dem IGES-Gutachten nicht in
Frage gestellt und von Buchner u.a. (S. 87) als sinnvoll vertretbar bezeichnet wird)
entfallen. Dies zeigt deutlich, dass - wovon auch der Gesetzgeber des GKV-SolG
ausgegangen ist (BT-Drucks. 14/157, S. 35) - die Ergebnisse der Stichprobe 1997 und
das angewandte neue Hochrechnungsverfahren zu einer Verbesserung geführt hatten,
die eine Korrektur der Jahre 1995 und 1996 nahelegte.
109
Gegen die Verwendung der Daten aus 1997 wird in den Gutachten (IGES-Gutachten S.
110
19 ff.; Buchner u.a. S. 58 ff.) allerdings ein gewandt, diese Vorgehensweise setze
voraus, dass die Verhältniswerte von einem Ausgleichsjahr zum nächsten stabil seien.
Dies sei nur dann der Fall, wenn sowohl im Ausgleichsjahr wie in den Korrekturjahren
die Verteilung der Ausgaben auf die einzelnen Versichertengruppen (Profilverläufe) die
tatsächlichen Verhältnisse in dem jeweiligen Jahr, für das der Ausgleich durchgeführt
werde, widerspiegele. Diese Annahme treffe wegen der 1997 wirksam gewordenen
leistungsrechtlichen Änderungen nicht zu, da anzunehmen sei, dass sie die
Leistungsinanspruchnahme der Versichertengruppen in unterschiedliche Maße
beeinflusst hätten. Die Gutachter nennen eine Reihe von Gesetzesänderungen im
Arzneimittel-, Zahnersatz- und Krankengeldbereich, wegen der ihrer Ansicht nach von
einer Änderung der Profilverläufe auszugehen sei.
Der Senat hält diese Einwände nicht für überzeugend. Zunächst ist darauf hinzuweisen,
dass § 267 Abs. 3 Satz 1 SGB V die Ermittlung von Verhältniswerten nur in Abständen
von drei Jahren vorschreibt, der Gesetzgeber also offenbar möglichen Änderungen der
Profilverläufe keine wesentliche Bedeutung beigemessen hat. Vor allem können die
Gutachter hinsichtlich der angeblich anzunehmenden unterschiedlichen Auswirkungen
der Gesetzesänderung nur vage Vermutungen äußern; bei näherer Betrachtung sind
ihre Ausführungen nicht plausibel. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, es sei zu
unterscheiden, ob Gesetzesänderungen nur einen Niveau- oder einen Struktureffekt
hätten. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass die Absenkung der Bemessungsgrundlage für
das Krankengeld über den Niveau- auch einen Struktureffekt gehabt haben soll. Der
Wegfall von Zahnersatzleistungen für nach dem 31.12.1978 geborene Versicherte dürfte
sich praktisch nicht ausgewirkt haben, weil die Versichertengruppen bis zum 18.
Lebensjahr in den Jahren 1995 und 1996 kaum in nennenswertem Umfang
Zahnersatzleistungen in Anspruch genommen haben dürften. Inwiefern die Absenkung
der Belastbarkeitsgrenze in § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V für chronisch Kranke zu einer
Änderung der Profilverläufe geführt haben soll, ist nicht erkennbar. Die Erweiterung der
Befreiung betrifft eher die Frage des Ausgleichs für diese Personengruppe, deren
erhöhte Morbidität im gegenwärtigen RSA nicht ausgeglichen wird. Soweit Buchner u.a.
geltend machen, die Krankenhäuser hätten 1997 erstmals nicht der Budgetierung
unterlegen, so dass "davon ausgegangen werden (könne), dass der Fortfall der
Budgetierung das Leistungssteuerungsverhalten der Krankenhäuser beeinflusst habe",
werden die Gründe hierfür (etwa deutlich gestiegene Leistungsausgaben) nicht genannt.
In dem IGES- Gutachten wird demgegenüber eine zunehmende Abrechnung von Fall
pauschalen und der Übergang von allgemeinen Pflegesätzen zu
Abteilungspflegesätzen angeführt. Schon der Umfang dieses Wechsels der Abrechnung
ist nicht quantifiziert; es werden auch keine Gründe genannt, inwiefern
Versichertengruppen in unterschiedlichem Ausmaß hiervon betroffen gewesen sein
sollen. Eingeräumt hat die Beklagte, dass die Zuzahlungserhöhungen für Arzneimittel
einen Struktur effekt gehabt haben. Insoweit weist sie aber darauf hin, dass die Profile
1996 in diesem Hauptleistungsbereich wegen schlechter Ausschöpfungsquoten
profilbildender großer Krankenkassen verzerrt gewesen seien, so dass die Profile von
1997 in diesem Bereich realitätsgerechter gewesen seien.
111
Nach Auffassung des Senats belegen die Gutachten nicht, dass die von der Beklagten
gewählte Korrekturmethode nicht zu sachgerechten Verbesserungen der
Verhältniswerte für 1995 und 1996 geführt hat.
112
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Spitzenverbände auf dieses Verfahren
geeinigt hatten; es ist nur deshalb nicht nach § 25 Abs. 3 Satz 2 RSAV für die Beklagte
113
verbindlich gewesen, weil sich die Spitzenverbände nicht auf eine Korrektur der
Verhältniswerte hatten einigen können. Dies beruhte aber offenbar weniger darauf, dass
die Sachgerechtigkeit der vereinbarten Methode bezweifelt wurde, als vielmehr darauf,
dass von einer betroffenen Kassenart wegen der "Kalkulierbarkeit von
Transferzahlungen" die Übertragung des gewonnenen Erkenntniszuwachs auf
"eigentlich bereits abgeschlossene" Ausgleiche in Zweifel gezogen wurde (vgl.
Spadzinski, KrV 1999, 122, 123).
c) Die Beklagte hat auch fehlerfrei die Fälligkeit der sich aus der Neuberechnung des
Beitragsbedarfs ergebenden Beträge dahingehend bestimmt, dass in den
Jahresausgleichsverfahren 1997 bis 1999 je ein Drittel der Beträge fällig sind. Der
Auffassung des SG, die Beklagte habe bezüglich der Festlegung der Fälligkeit
"kassenindividuelle" Ermessenserwägungen vornehmen müssen, kann der Senat nicht
folgen. Rechtsgrundlage ist insoweit § 25 Abs. 4 Satz 2 RSAV (eingefügt durch das
GKV-SolG). Danach kann das BVA die Fälligkeit der auf die Korrektur entfallenden
Teile der Ausgleichszahlung im Benehmen mit den Spitzenverbänden abweichend von
§ 19 Abs. 3 RSAV bestimmen. Der Gesetzgeber hat die Regelung damit begründet, die
Verpflichtungen könnten bei einzelnen Krankenkassen zu erheblichen finanziellen
Zusatzbelastungen führen, wie von den betroffenen Krankenkassen bei der
Haushaltsplanung nicht hinreichend habe berücksichtigt werden können. Umgekehrt sei
den ausgleichsberechtigten Krankenkassen eine spürbare zeitliche Streckung der
korrekturbedingten Ausgleichsforderungen zumutbar (BT-Drucks. 14/157, S. 35). Wenn
auch in der Begründung erwähnt wird, dass Beitragssatzerhöhungen möglichst
vermieden oder begrenzt werden sollten, ergibt sich aus dieser Wendung nicht, dass
deswegen bei jeder Krankenkasse geprüft werden sollte, inwiefern eine zeitliche
Streckung der Zahlungen geboten war.
114
Vor allem sprechen die praktischen Auswirkungen gegen die vom SG vertretene
Auffassung. Unabhängig davon, dass schon rein tatsächlich das BVA die erforderliche
detaillierte Prüfung der finanziellen Situation aller am RSA beteiligten etwa 600 Kassen
nicht vornehmen könnte, spricht die Konstruktion des RSA als "Null-Summen-Spiel"
gegen individuelle Erwägungen und Entscheidungen. Da die ausgleichsberechtigten
Kassen nur das erhalten können, was die ausgleichsverpflichteten Kassen einzahlen,
wäre das Ausgleichsverfahren ohne einheitlichen Fälligkeitstermin für alle
Verpflichtungen und Forderungen nicht durchführbar. Somit sind nach § 25 Abs. 4 Satz
2 RSAV nur auf die GKV insgesamt bezogene Erwägungen zur Fälligstellung der auf
die Korrektur entfallenden Ausgleichszahlungen erforderlich. In den Bescheiden
(Erläuterungen zu Position 2) hat die Beklagte die Gründe für ihre Entscheidungen
dargelegt. Der Verteilung der Fälligkeit auf drei Jahre haben alle Spitzenverbände
zugestimmt, der VdAK hat lediglich eine andere Aufteilung dahingehend vorgeschlagen,
dass der Ausgleich für das Korrekturjahr 1994 mit dem Jahresausgleich 1997, der
Ausgleich für das Korrekturjahr 1995 mit dem Jahresausgleich 1998 und der Ausgleich
für das Korrekturjahr 1996 mit dem Jahresausgleich 1999 erfolgen solle. Die genannten
Gründe des BVA für die gewählte Drittelung der auf die Korrekturen insgesamt
entfallenden Beträge, nämlich im Interesse einer Beitragssatzstabilisierung
unterschiedliche Be- oder Entlastungen zum jeweiligen Fälligkeitstermin zu vermeiden,
sind sachgerecht und halten sich im Rahmen des eingeräumten Ermessens.
115
III. Die Vorschriften des RSA sind sowohl mit dem Grundgesetz (GG) als auch mit EG-
rechtlichen Bestimmungen vereinbar.
116
1. a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelung des RSA ergibt sich
aus Art. 74 Nr. 12 GG. Der Begriff der Sozialversicherung ist weit zu verstehen und
umfasst alles, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt (BVerfGE 87, 1,
34; 75, 108, 146, std. Rspr.). Der RSA ist Teil der Organisation der sozialen
Krankenversicherung und dient der Etablierung eines sozialen Wettbewerbs, dessen
Ziel nicht Risikoselektion und eine Marktverdrängung von Konkurrenten ist, sondern der
zu Beitragssatzgerechtigkeit beitragen soll und bei dem die Verbesserung des
Gesundheitssystems als Ganzes im Vordergrund steht (vgl. BSGE 82,78, 81f). Eine
bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit schon deshalb
notwendig, weil in der GKV landesunmittelbare und bundesunmittelbare
Krankenversicherungsträger konkurrieren und daher bundeseinheitliche
Rahmenbedingungen für diesen Wettbewerb erforderlich sind.
117
b) Die Ausgestaltung des RSA, insbesondere die weitgehende Verantwortlichkeit der
Spitzenverbände für die Ermittlung der ausgleichsrelevanten Daten ist rechtsstaatlich
unbedenklich.
118
Bei der Regelung einer so komplexen und vielschichtigen Materie wie sie der RSA
darstellt, ist dem Gesetzgeber zuzugestehen, dass er sich auf erste Reformschritte
beschränkt, um ausgehend von den gewonnenen Erfahrungen ggf. Korrekturen
vorzunehmen und das Verfahren weiterzuentwickeln (BVerfGE 89, 365, 379 f).Ferner ist
zu berücksichtigen, dass für den Gesetzgeber bei Erlass des GSG dringender
Handlungsbedarf bestand. Die Beitragssatzunterschiede - zwischen 8 bis 16,8 % (vgl.
BT-Drucks. 12/3608, S. 74) - hatten ein verfassungsrechtlich bedenkliches Ausmaß
erreicht. Zwar sind ungleiche Beitragssätze notwendige Folge eines gegliederten
Krankenversicherungssystems (vgl. BSGE 58, 134, 144), so dass angesichts der
grundgesetzlichen Freiheit des Gesetzgebers zur organisatorischen Ausgestaltung der
GKV (BVerfGE 39, 302, 315; 89, 365, 377) im Grundsatz der gegliederte Aufbau der
Krankenversicherung auch das Bestehen von Beitragssatzunterschieden rechtfertigt.
Soweit diese Unterschiede jedoch ein unangemessenes Ausmaß erreichen, ist die
Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr hinnehmbar, zumal Unterschiede in
den Leistungen angesichts desweitestgehend für alle Krankenkassen einheitlichen
Leistungskatalogs verschieden hohe Beitragssätze kaum legitimieren können (BVerfGE
89, 365, 378).
119
Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 08.02.1994 (a.a.O., S. 379) daher
eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Begrenzung der Beitragssatzunterschiede
postuliert. Vor dem Hintergrund dieses verfassungsrechtlichen Auftrags hat der
Gesetzgeber einerseits durch die Aufhebung der gesetzlichen Zuweisung großer
Versichertengruppen (vor allem der Arbeiter) an bestimmte Krankenkassen und die
Einräumung von Kassenwahlrechten den Versicherten die Möglichkeit gegeben, sich
durch Wahl einer anderen Krankenkasse der ungleichen Belastung zu entziehen.
Angesichts der durch die historische Entwicklung bedingten unterschiedlichen
Risikobelastungen der Krankenkassen sollten aber vor der ab 01.01.1996 erstmals
möglichen Kassenwahl durch den RSA möglichst gleiche Wettbewerbsbedingungen für
alle Krankenkassen geschaffen werden. Vorallem hat der Gesetzgeber den RSA als
Bedingung für einen das Solidaritätsprinzip wahrenden Wettbewerb in der GKV
angesehen (BT- Drucks. 12/3608, S. 74). Dabei war bei Beratung des GSG bekannt,
dass die Datengrundlage für die Durchführung des RSA entweder fehlte oder
unzuverlässig war. Letzteres gilt vor allem für die Versicherungszeiten der
Familienversicherten, die nunmehr Bedeutung erlangten, über die den Krankenkassen
120
bislang aber nur unzureichende Informationen vorlagen (vgl. die Begründung zur
Einführung des § 10 Abs. 6 SGB V, BT-Drucks. 12/3608 S. 76). Gänzlich fehlten
differenzierte Angaben über Grundlöhne und über die nach den Versichertengruppen
differenzierten Leistungsausgaben (a.a.O., S. 118). Da andererseits die
schnellstmögliche Umsetzung des Ausgleichsverfahrens geboten war, lag es für den
Gesetzgeber nahe, zum einen die Krankenkassen und ihre Verbände in das Verfahren
einzubeziehen und ihnen eine weitgehende Verantwortung für die Durchführung des
Verfahrens zuzuweisen. Die Einbindung des Sachverstandes insbesondere der
Spitzenverbände sowie der mit der Notwendigkeit ihrer Einigung verbundene
Interessenausgleich versprach eine reibungslosere Durchführung des RSA; zudem
entspricht die Mitverantwortung der Kassen und ihrer Verbände der Tradition der GKV.
Zum anderen sollte - auch im Interesse einer zügigen Durchführung des RSA - der
Verwaltungsaufwand für die Ermittlung der Daten begrenzt werden. Zwar hat der
Gesetzgeber wegen der mit dem Ausgleichsverfahren unter Umständen verbundenen
finanziellen Auswirkungen auf die Beitragsbelastung der Versicherten eine möglichst
solide Datenbasis für erforderlich gehalten. Gleichzeitig sollte aber auch der finanzielle
Aufwand für die Datenerhebung begrenzt werden (a.a.O., S. 118). Insoweit ist ein
Mittelweg gewählt worden, um einerseits eine hinreichende tragfähige Basis für die
Durchführung des RSA zu schaffen und andererseits den Verwaltungsaufwand zu
begrenzen.
c) Der RSA verstößt nicht gegen Grundlagen der Finanzverfassung des Grundgesetzes.
121
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach
über Finanzausgleichsverfahren in der Sozialversicherung, bei denen teils
landesunmittelbare, teils bundesunmittelbare Träger beteiligt waren, zu entscheiden
hatte, ohne dass es eventuelle finanzverfassungsrechtliche Grenzen eines solchen
Finanzverbundes problematisiert hat (vgl. BVerfGE 11, 105; 23, 12; 36, 383; s.a. St.
Weber, Die Organisation der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1995, S. 221 ff.).
122
Weder Art. 104a Abs. 1 i.V.m. Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG noch Art. 107 Abs. 2 GG lassen
sich Aussagen zur Zulässigkeit des RSA entnehmen. Beim RSA geht es allein um die
Verteilung von Sozialversicherungsbeiträgen. Diese dienen nicht der allgemeinen
Mittelbeschaffung des Staates, sondern ausschließlich der Finanzierungen der
Sozialversicherung, die Finanzmasse der Sozialversicherung ist auch rechtlich und
tatsächlich von den allgemeinen Staatsfinanzen getrennt (vgl. BVerfGE 75, 108, 148).
123
aa) Der Finanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG ist eine abschließende Regelung nur
für die Umverteilung der den Ländern nach Art. 107 Abs. 1 GG zugewiesenen
Finanzmassen (Vogel/Kirchhof in: Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Art. 107 Rdn.
145; Pieroth in Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 107 Rdn. 6). Art. 107 Abs. 1 GG regelt im
Zusammenhang mit der Verteilung des Finanzaufkommens im Bundesstaat den auf die
einzelnen Länder entfallenden Anteil ("horizontale Verteilung", vgl. BVerfGE 72, 330,
384). Der Finanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG dient der Korrektur der Ergebnisse
dieser primären Steuerverteilung (BVerfGE 86, 148, 214). Dieser sekundäre horizontale
Finanzausgleich befasst sich daher nur mit dem Ausgleich der Finanzkraft der Länder
und Gemeinden und soll die Ausgewogenheit der allgemeinen Haushalte dieser
Gebietskörperschaften sicherstellen. Angesichts der voneinander zu trennenden
Finanzmassen der Sozialversicherung und der allgemeinen Staatsfinanzen und des auf
die Umverteilung der Finanzmassen nach Art. 107 Abs. 1 GG beschränkten
Regelungsgehaltes des Art. 107 Abs. 2 GG ist ein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 2 GG
124
nicht erkennbar (ebenso St. Weber, a.a.O., S. 240; a.A. P. Kirchhof in: Schulin, HS-KV, §
53 Rdn. 48).
bb) Der RSA ist auch nicht wegen Art. 104a Abs. 1 i.V.m. Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG
unzulässig. Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG regelt ebenso wie der Art. 104a Abs. 1 GG die
Lastenverteilung für die Finanzierung von Verwaltungsaufgaben zwischen Bund und
Ländern, wobei Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG abweichend von Art. 104a GG dem Bund für
die dort genannten Bereiche die alleinige Finanzierungsverantwortung zuweist. Art. 120
Abs. 1 GG betrifft aber allein das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, er besagt
auch nichts darüber, in welchem Umfang und für welche Leistungen die
Sozialversicherungsträger Zuschüsse verlangen können (BVerfGE 11, 221, 235; s.a.
Pieroth, a.a.O., Art. 120 Rdn. 7). Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG legt somit nicht fest, dass der
Bund immer einen besonderen Zuschussbedarf der Sozialversicherungsträger selbst
tragen müsste und ihn nicht ggf. über Finanzausgleichsverfahren an die
Sozialversicherungsträger weitergeben dürfte (s. Bieback, VSSR 1993, 1, 18). Da es
kein verfassungsrechtlich festgeschriebenes, am Bundessystem orientiertes
Verteilungssystem der Finanzmittel der Sozialversicherungsträger gibt, findet Art. 104a
Abs. 1 GG weder auf Finanztransfers von landes- zu bundesunmittelbaren
Sozialversicherungsträgern noch auf Transferzahlungen zwischen landesunmittelbaren
Versicherungsträgern verschiedener Bundesländer Anwendung (St. Weber, a.a.O., S.
242).
125
cc) Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 zum
Länderfinanzausgleich (BVerfGE 101, 158) lassen sich angesichts der
unterschiedlichen Ziele von RSA und Länderfinanzausgleich keine Erkenntnisse
gewinnen. Während es bei dem Länderfinanzausgleich um die Verringerung von
Finanzkraftunterschieden unter den Ländern geht, sollen beim RSA unterschiedliche
Risikobelastungen ausgeglichen werden. Jede Krankenkasse soll durch den RSA so
gestellt werden, als habe sie eine GKV-durchschnittliche Versichertenstruktur und
durchschnittliche Beitragseinnahmen. Beitragssatzunterschiede sollen nur noch auf
einer unterschiedlichen Leistungserbringung und Effizienz der Kassen beruhen. Die
Argumentation, die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum Nivellierungsverbot
und dem Verbot einer Verkehrung der Finanzkraftrelation (vgl. a.a.O., S. 222) seien auf
den RSA insofern übertragbar, als es nicht angehe, dass "Zahlerkassen" einen höheren
Beitrag hätten als "Empfängerkassen", verkennt diese Konstruktion des RSA. Wenn die
Finanzkraft einer Kasse ihren Beitragsbedarf übersteigt, ihr Beitragssatz aber höher ist
als der einer Kasse mit umgekehrten Verhältnissen, ist dieser höhere Beitragssatz eher
Ausdruck unwirtschaftlichen Verhaltens der "Zahlerkasse" und kann nicht als Argument
gegen die Zulässigkeit der Ausgleichsverpflichtung angeführt werden.
126
d) Auf die Verletzung von Grundrechten kann sich die Klägerin nicht berufen, weil
Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht grundrechtsfähig sind.
Nach Art. 19 Abs. 3 GG sind juristische Personen in den Schutzbereich materieller
Grundrechte nur einbezogen, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien
Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist (vgl. etwa BVerfGE 75, 192, 195 f.).
Diese Voraussetzungen sind bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts
grundsätzlich nicht erfüllt, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Dies trifft auf die
Krankenkassen zu, denn diese sind dem Staat eingegliederte Körperschaften des
öffentlichen Rechts, die Aufgaben in mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen. Sie
verfügen zwar über einen - begrenzten - Raum eigenverantwortlichen Handelns, sind
aber gleichwohl nur organisatorisch verselbständigte Teile der Staatsgewalt und üben
127
der Sache nach mittelbare Staatsverwaltung aus (BVerfGE 39, 302, 313).
Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts trifft ungeachtet der
zwischenzeitlichen Rechtsentwicklung weiterhin zu. Insbesondere der durch die
Einräumung weitgehender Wahlfreiheit der Mitglieder (§§ 173, 174 SGB V) eröffnete
Wettbewerb unter den Krankenkassen bedeutet entgegen Ramsauer (NJW 1998, 481,
484) nicht, dass die Autonomie der Krankenkassen eine "neue Qualität" gewonnen
hätte. Davon abgesehen, dass auch schon zur Zeit der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts in - eingeschränktem - Rahmen Wettbewerbbestand
(nämlich zwischen Ersatzkassen und sog. "Primärkassen"), hat dieser Wettbewerb eine
andere Funktion und Bedeutung als der Wettbewerb in der gewerblichen Wirtschaft. Er
soll eine wirtschaftliche, zweckmäßige und qualitativ hochwertige Versorgung der
Versicherten fördern, wobei nicht die Marktposition der einzelnen Kasse, sondern die
Funktionsfähigkeit des Systems als Ganzes im Vordergrund steht (BSGE 82, 78, 81 f).
Das Verhältnis der Krankenkassen wird auch in diesem Bereich ausschließlich durch
öffentlich-rechtliche Normen bestimmt, Unterlassungsansprüche bei
wettbewerbswidrigem Verhalten ergeben sich allein aus dem Gebot der
Zusammenarbeit in § 86 SGB X (vgl. BGH NJW 1998, 2743, 2744).
128
Ebensowenig trägt in diesem Zusammenhang der Hinweis auf das
Selbstverwaltungsrecht der Krankenkassen und dessen Ausprägung in der Finanz- und
Haushaltsautonomie (so aber Sodan/Gast, NZS 1999, 265, 267 f.). Die Auffassung,
wegen des Selbstverwaltungsrechts könnten die Krankenkassen nicht als rein staatliche
Institution angesehen werden, übersieht, dass die Selbstverwaltung nur im Rahmen der
Gesetze besteht, sie ist - anders als das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht (Art. 28
Abs. 2 GG) - nicht grundgesetzlich garantiert (St. Weber, a.a.O., S. 282; s.a. Isensee
NZS 1993, 281, 283). Aus gesetzlich eingeräumten Befugnissen und Kompetenzen ist
daher kein Rückschluss auf eine vermeintliche Autonomie der Krankenkassen möglich.
Ebensowenig wie sich die Krankenkassen im Falle von Vereinigungen auf ihr
Selbstverwaltungsrecht berufen können (BSGE 83, 118, 122), ist dieses durch die
Auferlegung von Zahlungsverpflichtungen innerhalb der Organisation der
Krankenversicherung berührt. Die Krankenkassen nehmen am RSA in ihrer Funktion als
Träger der Krankenversicherung innerhalb eines öffentlich-rechtlichen, geregelten
Systems teil und erfüllen auch insoweit nur gesetzlich zugewiesene und geregelte
öffentliche Aufgaben. Sie sind somit in diesem Zusammenhang nicht grundrechtsfähig.
129
e) Ob der RSA an Grundrechten der Versicherten oder der Arbeitgeber zu messen ist,
kann dahinstehen, da jedenfalls eine Verletzung von Grundrechten ausscheidet.
130
aa) Es ist zunächst fraglich, ob aus dem RSA resultierende Beitragserhöhungen oder
(wegen sonst möglicher Beitragsermäßigungen) "Mehrbelastungen" wegen der Struktur
der GKV überhaupt einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Dieser Ansicht liegt die
Sichtweise zugrunde, dass die Mitglieder einer "Zahlerkasse" die Mitglieder der
"Empfängerkasse" "subventionieren", mit anderen Worten die Mitglieder über ihre
"eigentlichen" Beiträge hinaus zusätzliche Zahlungen erbringen. Diese Sichtweise wird
dem RSA deshalb nicht gerecht, weil das Gesetz nach § 1 SGB V "die"
Krankenversicherung, also die Gemeinschaft aller Versicherten, als
Solidargemeinschaft, ansieht. Statt für eine - verfassungsrechtlich zulässige (BVerfGE
39, 302, 315; 89, 365, 377) - Einheitskasse mit einem einheitlichen Beitragssatz für alle
Versicherten hat sich der Gesetzgeber für ein gegliedertes System mit
Krankenversicherungsträgern unterschiedlicher Struktur und regional unterschiedlicher
131
Verbreitung entschieden. Ungeachtet dieser Gliederung sollen aber durch den RSA die
Solidarlasten gleichmäßig auf die Mitglieder der GKV verteilt und so
Beitragssatzgerechtigkeit erreicht werden. Der Mechanismus des Ausgleichsverfahrens
lässt sich so darstellen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder in einen
gemeinsamen Topf fließen, aus dem dann jede Krankenkasse so viele Beiträge erhält,
wie sie zur Finanzierung ihres spezifischen risikobedingten Beitragsbedarfs benötigt
(vgl. Schneider, a.a.O., S. 130). Das Bild der "Zahler-" und "Empfängerkassen" entsteht
nur deshalb, weil die Kassen zunächst die Beiträge einziehen und dann erst die
risikogerechte Verteilung erfolgt (dagegen fließen im RSA in den Niederlanden die
Beiträge in einen zentralen Fond, aus dem die Krankenkassen dann z.T.
risikoabhängige Kopfpauschalen pro Mitglied erhalten, vgl. Böcken/ Butzlaff/Esche,
Reformen im Gesundheitswesen, 2000, S. 87). "Mehrbelastungen" der Mitglieder von
"Zahlerkassen" sind daher nur Ausdruck des innerhalb der GKV bestehenden
solidarisch zu deckenden Finanzbedarfs, so dass sich verfassungsrechtlich keine
Fragen stellen können, die über die Zulässigkeit einer Pflichtmitgliedschaft in einem
gesetzlichen System hinausgehen.
bb) Hiervon abgesehen liegt eine Verletzung der in Betracht kommenden Grundrechte
nicht vor.
132
(1) Das Grundrecht der Mitglieder oder der Arbeitgeber aus Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht
berührt. Sofern die sozialversicherungsrechtliche Stellung des Mitglieds überhaupt
Eigentumsschutz genießt, greift der RSA in diese Position nicht ein, denn eventuelle
Beitragserhöhungen betreffen nicht die bereits erworbene Stellung des Mitglieds. Das
Vermögen als solches wird von Art. 14 Abs. 1 GG nicht geschützt, so dass die
Auferlegung von öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflichten den Schutzbereich des
Art. 14 Abs. 1 GG nicht berührt, sofern der Pflichtige nicht übermäßig belastet wird
(BVerfGE 11, 221, 241; 76, 130, 141; 78, 232, 243; BSG SozR 3-2500 § 6 Nr. 6; s.a.
Jarass in: Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 14 Rdn. 15 m.w.N.). Das ist hier ersichtlich nicht
der Fall.
133
(2) Ob die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG thematisch berührt ist, weil den
Beitragspflichten eine objektiv berufsregelnde Tendenz zukommt (so jedenfalls für die
Arbeitgeber Ramsauer, a.a.O., S. 485) kann offen gelassen werden. Durch die
Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen würde jedenfalls die allgemeine
Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) berührt (vgl. BVerfGE 75, 108, 154 f; 78, 232, 244).
Ein Eingriff ist im Hinblick auf die verfolgten Ziele der Schaffung gleicher
Wettbewerbsbedingungen und der Herstellung von Beitragssatz gerechtfertigt. Diese
Ziele sind verfassungsrechtlich legitim. Der Gesetzgeber war sogar verpflichtet, zur
Beseitigung übermäßiger Beitragssatzunterschiede tätig zu werden (vgl. BVerfGE 89,
365, 379).
134
Die Regelungen des RSA sind auch geeignet, die angestrebten Ziele zu fördern. Für die
Eignung genügt es, wenn der RSA sich nur als erster Schritt in die richtige Richtung
darstellt, da dem Gesetzgeber bei der Regelung eines komplexen Sachverhalts ein
zeitlicher Anpassungsspielraum zuzugestehen ist, so dass er Neuregelungen in
mehreren Stufen verwirklichen darf, um Erfahrungen zu sammeln (BVerfGE 54, 11, 37;
80, 1, 26; 85, 80, 91; 87, 1, 40f). Dass der RSA auch in seiner gegenwärtigen
Ausgestaltung in einem erheblichen Umfang dazu beiträgt, die rein
versichertenstrukturbedingten Unterschiede in den Beitragssätzen abzubauen und er
insoweit einen zentralen Beitrag zu der Chancengleichheit zwischen den miteinander
135
im Wettbewerb stehenden Krankenkassen leistet, wird in dem vom BMG eingeholten
Gutachten von IGES/Cassel/Wasem "Zur Wirkungsweise des Risikostrukturausgleichs
in der gesetzlichen Krankenversicherung", Endbericht vom 15.02.2001 (im Folgenden:
Endbericht) bestätigt (S. 31 ff.). Das Vergleichsszenario zeigt, dass ohne RSA die
Beitragssätze bei einzelnen Krankenkassen (mit rund 14 Millionen Versicherten)
deutlich über 18 % gelegen hätten (tatsächlicher durchschnittlicher Beitragssatz 13,9 %),
während umgekehrt bei anderen Kassen Beitragssätze von 7,5 %, in zwei Extremfällen
unter 3 % möglich gewesen wären (tatsächlicher durchschnittlicher Beitragssatz 12,6
%).
Der RSA ist auch erforderlich, weil ein gleichermaßen geeignetes, weniger belastendes
Mittel nicht zur Verfügung steht. Die von Ramsauer (a.a.O., S. 486 f; ihm folgend
Sodan/Gast, a.a.O., S. 273 f) vorgeschlagene Korridorlösung, bei der wegen der durch
die ausgleichsfähigen Risikofaktoren nicht erfassten Kostenfaktoren den Zahlerkassen
einen Zuschlag beim Beitragsbedarf von 5 % zugestanden wird, um dem "nicht
ausgeglichenen Kostenrisiko" angemessen Rechnung zu tragen (wobei sich auf der
anderen Seite die Zahlung an die Empfängerkassen verringern würden), stellt keine
Alternative dar. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass von dieser Lösung nicht nur die
von Ramsauer als benachteiligt angesehenen Kassen, die nur regional begrenzt in
Ballungsräumen mit hoher Versorgungsdichte tätig sind, begünstigt würden, sondern
alle Zahlerkassen (Schneider/Vieß, NJW 1998, 2702, 2704). Die Verringerung der zum
Ausgleich zur Verfügung stehenden Finanzmassen würde außerdem zu größeren
Beitragssatzunterschieden zwischen den Kassenführen, so dass das Ziel einer
Beitragssatzangleichung in geringerem Maße gefördert würde. Behauptete Mängel in
den Datengrundlagen würden sich auch in der Korridorlösung auswirken und sind daher
kein Argument für deren Vorzug als milderes Mittel.
136
Schließlich ist der RSA im Vergleich zu dem angestrebten Zweck auch ein
angemessenes Mittel, denn die mögliche Belastung des einzelnen wiegt im Vergleich
mit dem Ziel eines solidarischen Ausgleichs innerhalb der GKV weniger schwer. Wenn
der Gesetzgeber die Krankenkassen von Verfassungs wegen zu einem einzigen Träger
zu sammenfassen dürfte, womit ein "totaler" Lastenausgleich verbunden wäre, kann im
übrigen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Regelung, die bei Beibehaltung
des gegliederten Systems eine unterschiedliche Risikobelastung ausgleicht, nicht
anders beurteilt werden (vgl. insoweit BVerfGE 36, 383, 393).
137
f) Das auch bei der Regelung der Rechtsverhältnisse öffentlich-rechtlicher
Körperschaften zu beachtende objektive Willkürverbot (vgl. BVerfGE 62, 354, 370; 76,
130, 139; 78, 232, 248) ist nicht verletzt. Die Behauptung, der Gesetzgeber habe
willkürlich die ausgleichsrelevanten Risikofaktoren begrenzt (so Ramsauer, a.a.O., S.
484; ähnlich Sodan/Gast, a.a.O., S. 270), trifft nicht zu. Vielmehr gibt es für die
Beschränkung auf die indirekten Morbiditätsrisikofaktoren Alter, Geschlecht und
Invalidität vernünftige und einleuchtende Gründe.
138
Soweit gefordert wird, es müsse zusätzlich das gesteigerte Nachfrageverhalten von
Versicherten in Ballungsräumen mit hoher Versorgungsdichte, von dem auf diese
Regionen räumlich beschränkte Kassen in besonderem Maße betroffen seien,
berücksichtigt werden, ist schon zweifelhaft, ob sich empirisch ein Zusammenhang
zwischen Versorgungsdichte und Nachfrageverhalten und daraus resultierender
Belastung von Kassen belegen lässt (das räumt selbst Ramsauer, a.a.O., S. 485 ein).
Zudem handelt es sich bei dem "Regionalfaktor" um einen Faktor, der weniger
139
ausgleichswürdig als die berücksichtigten Faktoren Alter, Geschlecht und Invalidität ist,
denn eine gute Versorgung vor Ort kommt allein den betreffenden Versicherten zugute,
rechtfertigt also auch deren alleinige Belastung (so schon BSGE 58, 134, 147). Eine
unwirtschaftliche Versorgungsstruktur in Ballungsgebieten darf nach der Logik des RSA,
der Anreize zu einer wirtschaftlichen Leistungsorganisation setzen soll, im übrigen auch
nicht ausgeglichen werden; vielmehr sollen die Krankenkassen auf das Herstellen
wirtschaftlicherer Strukturen hinwirken (Schneider/ Vieß, a.a.O.; vgl. auch Endbericht, S.
183 f.).
Soweit es um das allgemeine Morbiditätsrisiko geht, hat zwar die Bestandsaufnahme
der mit dem RSA gemachten Erfahrungen ergeben, dass die Hilfsindikatoren Alter,
Geschlecht und Invalidität nicht allein ausreichen, um die Morbiditätsbelastung einer
Kasse zu erfassen. Daher wird sowohl im Endbericht (S. 69) als auch in dem von
einigen Spitzenverbänden eingeholten Gutachten von Lauterbach/Wille eine
Weiterentwicklung des RSA mit dem mittelfristigen Ziel einer direkten
Morbiditätsorientierung vorgeschlagen (s.a. BT-Drucks. 14/5681, S. 13). Die Gutachter
des Endberichts betonen aber gleichzeitig gegenüber der Kritik, dass es sich bei der
Nichtberücksichtigung des direkten Morbiditätsrisikos um einen "Geburtsfehler" des
RSA handele und dass realisierbare Alternativen zu den indirekten Indikatoren bei der
Einführung des RSA durch das GSG nicht zur Verfügung gestanden hätten. Schon die
Enquete-Kommission des Bundestages "Strukturreform der Gesetzlichen
Krankenversicherung" war in ihrem Endbericht vom 04.11.1989 nur zu dem Ergebnis
gekommen, prägend für die Versicherungs- und Risikostruktur einer Krankenkasse sei
die Altersgliederung, die geschlechtsspezifische Verteilung und die
Familienversichertenquote (BT-Drucksache 11/6380, S. 191 ff., 193). Wegen der nach
wie vor unzureichenden Datenlage haben die Gutachter einen nach Stufen gegliederten
Zeitplan für die Einführung eines morbiditätsorientierten RSA bis zum 01.01.2007
vorgeschlagen (S. 90 ff.; so jetzt auch die Einfügung eines § 268 im Entwurf eines
Gesetzes zur Reform des RSA, BT-Drucks. 14/6432, S. 4). Vor dem Hintergrund des bei
Erlass des GSG bestehenden Handlungsbedarfs und des dem Gesetzgeber bei der
Gestaltung komplexer Sachverhalte zuzugestehenden zeitlichen
Anpassungsspielraums war die Wahl der Ausgleichsfaktoren sachlich begründet.
140
2. Die Vorschriften über den RSA sind auch mit dem Europarecht vereinbar.
141
a) Der RSA ist keine verbotene Beihilfe i.S.d. Art. 92 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung
der Europäischen Gemeinschaft (EGV) in der bis 30.04.1999 geltenden Fassung (= Art.
87 der seit 01.05.1999 geltenden Fassung durch den Vertrag von Amsterdam (EG)). Der
Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der Entscheidung vom 02.07.1974 (Slg. 1974, S.
709 Rdn. 33/35) in der teilweisen Befreiung von den Soziallasten eine unzulässige
Beihilfe gesehen, wenn Unternehmen eines bestimmten Industriezweiges teilweise von
den finanziellen Lasten freigestellt werden sollen, die sich aus der normalen
Anwendung des allgemeinen Sozialversicherungssystems ergeben, ohne dass diese
Befreiung durch die Natur oder den inneren Aufbau die ses Systems gerechtfertigt ist.
Der RSA kann in diesem Sinne keine verbotene Beihilfe im Verhältnis zu solchen
Arbeitgebern sein, deren Arbeitnehmer bei "Empfängerkassen" versichert sind und die
wegen der RSA-Transferzahlungen unter Umständen einen geringeren Beitragsanteil
zu zahlen haben. Davon abgesehen, dass angesichts der Wahlfreiheit der Arbeitnehmer
diese sowohl bei "Zahler-" wie "Empfängerkassen" versichert sein können, ein
Arbeitgeber also sowohl "belastet" wie "entlastet" sein kann, ist der RSA ein integraler
Teil des deutschen Krankenversicherungssystems: Be- und Entlastungen von
142
Arbeitgebern, die sich aus der Anwendung des RSA ergeben, beruhen auf der
"normalen Anwendung des allgemeinen Sozialversicherungssystems".
b) Auch ein Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften der EG (Art. 85, 86, 90 EGV =
Art. 81, 82, 86 EG) liegt nicht vor. Da diese Normen nur das Handeln von Unternehmen
betreffen, Wettbewerbsbeschränkungen aber allenfalls aus den angefochtenen
Bescheiden folgen könnten, ist schon nicht erkennbar, inwiefern das Wettbewerbsrecht
eingreifen soll. Ferner sind Ausgleichszahlungen innerhalb des auf die Bundesrepublik
beschränkten gesetzlichen Krankenversicherungssystems nicht geeignet, den - im
Bereich der Systeme der sozialen Sicherheit gar nicht stattfindenden - Wettbewerb
innerhalb des gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen. Im übrigen sind die
Krankenkassen jedenfalls soweit es um die Durchführung der (Pflicht-)Versicherungen
und die damit zusammenhängenden Fragen geht keine Unternehmen i.S.d. genannten
EG-Vorschriften: Sie werden nach den vom EuGH in der Entscheidung "Poucet/Pistre"
(Slg. 1995, I-637 Rdn. 18) entwickelten Kriterien nicht wirtschaftlich tätig, sondern
erfüllen ausschließlich soziale Aufgaben (Heinze, BG 1995, 89, 92; Becker, JZ 1997,
534, 540; Rolfs, SGb 1998, 202, 205; Bieback, EWS 1999, 361, 362; Möller, VSSR
2001, 25, 35).
143
c) Ebensowenig liegt ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 EGV = 49
EG) vor. Die in diesem Zusammenhang genannten Entscheidungen des EuGH
"Decker" (Slg. 1998, I-1831) und "Kohll" (Slg. 1998, I-1931) sind nicht einschlägig, da
sie nur die Frage der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in einem anderen
Staat der EG betreffen. Soweit es um das grenzüberschreitende Angebot von
Versicherungen geht, sind in der Dritten Richtlinie Schadensversicherung (RL
92/49/EWG) des Rates vom 18.06.1992 (ABl. L. 228, S. 1) die
Sozialversicherungssysteme ausdrücklich von deren Geltung ausgenommen worden.
Der EuGH hat in der Entscheidung "Garcia" (Slg. 1996, I-1673) bestätigt, dass vom
Geltungsbereich dieser Richtlinie nicht nur die Träger, sondern auch die
Versicherungen und Vorgänge, mit denen sich die Träger in die sem Zusammenhang
befassen, ausgenommen worden sind. In diesem Zusammenhang hat er herausgestellt,
dass in der EG zwei Krankenversicherungsysteme existieren: ein privates System, das
der Richtlinie unterliegt und daneben ein anderes, das den Charakter eines Systems der
sozialen Sicherheit hat und vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen ist
(a.a.O. Rdnr. 12). Ferner hat er darauf hingewiesen, Systeme der sozialen Sicherheit,
die auf dem Solidaritätsgrundsatz beruhten, benötigten die Versicherungspflicht, die bei
Anwendung der Richtlinie beseitigt würde (a.a.O. Rdn. 14 f). Nach dieser Entscheidung
gilt somit im Bereich der Sozialversicherungssysteme die Dienstleistungsfreiheit
insoweit nicht.
144
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
145
Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die
Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
146