Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.05.2006

LSG NRW: anspruch auf bewilligung, verfügung, zustellung, form, beglaubigung, korrespondenz, beendigung, arbeitslosenversicherung, rechtskraft, zivilprozessordnung

Landessozialgericht NRW, L 1 B 6/06 AL
Datum:
09.05.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 1 B 6/06 AL
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 30 AL 20/06
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts
Dortmund vom 14.03.2006 geändert. Dem Kläger wird für das
Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I, I-Str.
05, M beigeordnet. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
1
Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat, ist
begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und
Beiordnung von Rechtsanwalt I ab Klageerhebung.
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Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende Erfolgsaussichten (§ 114 Satz 1
Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Im
Hinblick auf die widersprüchlichen Darstellungen der Vorgänge, die am 09.02.2005 und
danach zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und Herrn I
geführt haben, besteht noch weiterer Aufklärungsbedarf, um beurteilen zu können, ob
eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe gemäß § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch eingetreten ist.
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Auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
sind erfüllt. Der Kläger ist als Empfänger von Arbeitslosengeld II nach seinen
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der
Prozessführung aufzubringen. Der Bezug von Arbeitslosengeld II ist durch Vorlage des
Bescheides vom 19.12.2005 glaubhaft gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass sich die
wirtschaftliche Situation des Klägers im Anschluss an den Bewilligungsabschnitt (bis
31.03.2005) geändert haben könnte, bestehen nicht.
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Die - auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückwirkende - Bewilligung der
Prozesskostenhilfe kann dem Kläger nicht mit der Begründung versagt werden, er habe
seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist
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glaubhaft gemacht (§ 118 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Die Rechtsfolgen des § 118 Abs. 4 Satz 2
ZPO treten nämlich nur bei einer wirksamen Fristsetzung durch das SG ein. Hieran fehlt
es.
Die Fristsetzung ist zunächst formal rechtswidrig erfolgt. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG
sind Anordnungen zuzustellen, wenn sie eine Frist in Gang setzen und nicht verkündet
werden. Eine Anordnung in diesem Sinne ist auch die Verfügung einer Frist nach § 118
Abs. 4 Satz 2 ZPO (Düring in Jansen, SGG, 2. Aufl. [2005], § 63 Rdnr. 2). Die Zustellung
wird bewirkt, indem zumindest eine beglaubigte Abschrift der Anordnung (vgl. § 169
Abs. 2 Satz 1 ZPO) dem Adressaten in der gesetzlich vorgeschriebenen Form bekannt
gegeben wird (§ 63 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 166 Abs. 1 ZPO). Hierzu muss die
Fristsetzung vom Vorsitzenden verfügt und unterzeichnet werden. Andernfalls lässt sich
die für die Beglaubigung erforderliche Übereinstimmung der Unterschrift auf Ur- und
Abschrift nicht feststellen. Eine Paraphe auf der gerichtlichen Verfügung reicht daher
nicht (vgl. BVerwG, Beschluss v. 04.03.1993, 8 B 186/92, NJW 1994, 746; BGH, Urteil v.
09.03.1981, VIII ZR 38/80, NJW 1981, 2255; Vollkommer in Zöller, ZPO, 25. Aufl. [2005],
§ 329 Rdnr. 46; insbesondere zur Frage der Paraphe auch BGH, Urteil v. 05.03.1990, II
ZR 109/89, NJW 1990, 2389, 2390). Diesen Anforderungen genügt die Verfügung des
Kammervorsitzenden vom 28.02.2006 nicht. Es ist davon auszugehen, dass diese
Verfügung dem Kläger "auf Anordnung" bekanntgegeben worden ist. In jedem Fall ist
sie aber nicht vom Kammervorsitzenden unterzeichnet, sondern nur paraphiert worden.
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Die vom SG gesetzte Frist war darüber hinaus auch inhaltlich zu knapp bemessen. Bei
den Anforderungen an die Fristsetzung nach § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist die Funktion
der Prozesskostenhilfe zu berücksichtigen, das Gebot der Rechtsschutzgleichheit zu
verwirklichen, das für das sozialgerichtliche Verfahren aus Art 3 Abs. 1 Grundgesetz
(GG) i.V.m. Art 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgt (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.10.2003, 1 BvR
901/03, info also 2004, 23 ff.). Damit ist es unvereinbar, Fristen zu setzen, die der
Antragsteller nur unter günstigen Umständen einhalten kann. Im vorliegenden Fall ist
die Aufforderung, den aktuellen Bescheid über Arbeitslosengeld II vorzulegen, am
23.02.2006 zunächst ohne Fristsetzung ergangen. Erst mit Verfügung vom 28.02.2006,
die einen Ab-Vermerk vom 01.03.2006 trägt, ist eine Fristsetzung zum 11.03.2006
erfolgt. Die Verfügung ist dem Klägerbevollmächtigten daher frühestens am 02.03.2006
zugegangen. Zur Erledigung verblieben somit günstigstenfalls sechs Werktage,
innerhalb derer jedoch auch noch die Korrespondenz zum und vom Kläger abgewickelt
werden musste. Jedenfalls im Anwaltsprozess ist eine solche Frist angesichts der
Bedeutung der Angelegenheit für den betroffenen Beteiligten als zu knapp bemessen
anzusehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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