Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.11.2008
LSG NRW: lebensmittel, juristische person, flugplatz, ärztliche behandlung, arbeitsamt, altersrente, garage, verfügung, werkstatt, gehilfe
Landessozialgericht NRW, L 8 R 236/05
Datum:
26.11.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 8 R 236/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 55 (39) RJ 250/04
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom
09.11.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch
im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist ein Anspruch auf Altersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten
im Ghetto Kaunas, Reichskommissariat Ostland (RKO) in der Zeit von August 1941 bis
September 1943.
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Der am 00.00.1930 in Kaunas, Litauen, geborene jüdische Kläger ist jüdischen
Glaubens und lebt seit November 1945 in Palästina bzw. Israel. Von Geburt an war er
zunächst litauischer Staatsangehöriger, später nahm er die israelische
Staatsangehörigkeit an. Er ist als Verfolgter des Nationalsozialismus gem. § 1 Abs. 1
Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt.
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In dem seinerzeitigen Entschädigungsverfahren gab der Kläger im Antrag auf den
Ersatz von Schaden an Freiheit vom 08.03.1950 seinen Aufenthalt im Ghetto Kaunas für
die Zeit vom 15.07.1941 bis 12.07.1944 an. Anschließend sei er bis zum 24.04.1945 in
das Konzentrationslager Kaufering verbracht und schließlich im Mai 1945 in der Nähe
von Bad Tölz befreit worden. In Lazaretten in Bad Tölz und dann in Geretsried habe er
stärkende Behandlung bekommen und sei, sobald die Transportfähigkeit herbeigeführt
worden sei, mit seinem Vater nach Italien und von dort aus zusammen mit seiner Mutter
nach Israel ausgewandert.
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Das Verfolgungsschicksal des Klägers beschrieb auch der Zeuge J L, geb. am
00.06.1930 in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 09.01.1966: Er (der Zeuge) sei mit
dem Kläger während der ganzen Verfolgungszeit im engsten Kontakt gewesen. Im
Ghetto Kaunas hätten sie ganz nahe voneinander gewohnt, der Kläger auf der C-straße
00. Sie hätten auch in derselben Garage und denselben Werkstätten in einem großen
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Haus, der Kläger in der (dortigen) Holzdrechselei gearbeitet. Außer diesen Arbeiten (in
den Werkstätten) hätten sie auch eine Reihe anderer Zwangsarbeiten verrichten
müssen, wie z. B. verschiedene Erdarbeiten auf dem Flugplatz. Der Kläger habe auch in
der Garage schwere Lasten tragen müssen, und in der Holzdrechselei habe er an der
Maschine schwere Arbeit in gebückter Haltung stundenlang verrichten müssen. Alle
diese Arbeiten hätten selbst die Kräfte eines gut genährten Kindes überstiegen, sie (der
Kläger und der Zeuge) seien im Ghetto aber von ihrem 11. bis zum 14. Lebensjahr
gewesen. In den letzten zwei Jahren der Ghettohaft hätten sie gehungert und sie hätten
nur vollkommen zugrundegerichtete Kleidung gehabt und furchtbar unter der Kälte
gelitten.
Ähnlich schilderte auch der Kläger in seiner eidlichen Erklärung vom 27.04.1966 die
Gegebenheiten während seines Ghettoaufenthaltes: "Schon im Ghetto wurde ich zu
schwerer Zwangsarbeit gezwungen und auch nachts wurde ich zur Arbeit, insbesondere
zu Lasten tragen angehalten. Ich litt unter Hunger, wohnte (in) unhygienischen
Wohnungsbedingungen, litt schwer unter der Kälte und der Feuchtigkeit. Oft war ich
erkältet mit Fieber und litt an Halsschmerzen. An eine ärztliche Behandlung war nicht zu
denken. Ich wurde auch oft geschlagen und mit Drohungen zur Eile bei der Arbeit
angetrieben. Schon im Ghetto war ich zu Haut und Bein abgemagert, litt an
Bauchschmerzen und Rückenschmerzen, oft an Brechreiz und ständig an
Kopfschwindel und Kopfschmerzen ...". Eine konkrete Arbeitstätigkeit im Ghetto,
insbesondere in den Ghettowerkstätten, erwähnte er in dieser Erklärung nicht. Auch im
Antrag "Schaden an Körper und Gesundheit" vom 27.04.1966 wurde eine
entsprechende Tätigkeit des Klägers im Ghetto nicht beschrieben.
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Am 09.12.2002 stellte der Kläger Antrag auf Gewährung von Altersrente aufgrund von
Ghettobeitragszeiten. Im Kurzantrag, unterzeichnet am 25.11.2002, gab er zum
Stichwort "Arbeitsplätze" 1. Garage im Rahmen der großen Werkstätten in L-Straße und
2. Holzdreher in denselben Werkstätten an. Diese Angaben ergänzte er im Fragebogen
für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des Gesetzes
zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG): Er
habe im Ghetto Kaunas von 08/1941 bis 09/1943 innerhalb des Ghettos in der Werkstatt
in der L-Straße 00 gearbeitet. Hierbei sei er nicht bewacht worden, der Arbeitseinsatz
sei freiwillig durch eigene Bemühungen zustande gekommen, er habe sich hierzu an
das Arbeitsamt beim Judenrat gewandt. Er sei anfangs Gehilfe eines Mechanikers und
nachher Holzdrechsler gewesen und habe ca. 10 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit
sei in Naturalien entlohnt worden; die Frage nach Barlohn blieb unbeantwortet. Für die
Tätigkeit habe er vom Arbeitsamt zusätzliche Lebensmittel bekommen.
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Im Verfahren erhielt die Beklagte ferner von der Jewish Claims Conference (JCC)
Zwangsarbeiter Fonds die Information, dass der Kläger entsprechende
Entschädigungen erhalten habe. Sie zog die Entschädigungsakten bei und lehnte das
Begehren des Klägers mit Bescheid vom 07.10.2003 ab. In der Erklärung vom
23.05.2003 habe er angegeben, in der Zeit von August 1941 bis September 1943 im
Ghetto Kaunas innerhalb des Ghettos in einer Werkstatt als Gehilfe eines Mechanikers
und später als Holzdrechsler gearbeitet und hierfür Lebensmittelkarten erhalten zu
haben. Nach einer Zeugenaussage im damaligen Entschädigungsverfahren habe er
(aber) im Ghetto Kaunas "Zwangsarbeit" unter strenger Bewachung leisten müssen.
Außer diesen Arbeiten habe er nach der Aussage des Zeugen L verschiedene
Erdarbeiten auf dem Flugplatz verrichtet. Alle Arbeiten hätten seine Kräfte überstiegen.
Es sei (daher) nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er im Ghetto Kaunas eine "freie"
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entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe.
Hiergegen legte der Kläger am 15.10.2003 Widerspruch ein. Die aus den im
Erklärungen im Entschädigungsverfahren jetzt gezogenen Schlüsse seien nicht
zutreffend. Es sei ihm vielmehr schon im August 1941 gelungen, durch eigene
Bemühungen durch das Arbeitsamt beim Ältestenrat der jüdischen Ghettogemeinde
Kauen die Genehmigung zu bekommen, innerhalb des Ghettos in den großen
Werkstätten (Garagen) in der L-Straße 00 zu arbeiten. Einige Monate sei er dort als
Gehilfe eines Mechanikers, nachher als Holzdrechsler beschäftigt gewesen. Diese
Tätigkeiten habe er aus eigenem Willensentschluss ununterbrochen bis zur
Liquidierung des Ghetto im September 1943 ausgeübt. Als Lohn habe er vom
Arbeitsamt zusätzliche Lebensmittelkarten und verschiedene Sachbezüge erhalten.
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Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2004 zurück.
Auch die ergänzenden Erklärungen des Klägers im Widerspruchsverfahren könnten an
den im Bescheid dargestellten rechtlichen Wertungen nichts ändern. Denn die
ausgeübte Beschäftigung müsse - trotz der Freiheitsbeschränkungen im allgemeinen
Lebensbereich - aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen und gegen
Entgelt ausgeübt worden sein. Im vorliegenden Fall sei ein Beschäftigungsverhältnis
aus eigenem Willensentschluss im Ghetto Kaunas auch nicht überwiegend
wahrscheinlich; vielmehr bestünden begründete Zweifel. Insofern würde auf die
Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen.
10
Dagegen hat der Kläger am 23.08.2004 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf (SG)
erhoben. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren
erneu-ert und ergänzt, dass die Beschäftigung aufgrund einer zweiseitigen
Vereinbarung zustande gekommen sei. Die eine Seite sei das Arbeitsamt beim Judenrat
als Vermittler der Ghettohäftlinge, die andere Seite ein Vertreter des Vorstandes der
großen Werkstätten gewesen. Seine Tätigkeit in der Werkstatt habe ohne jeglichen
Zwang stattgefunden, es sei eine Beschäftigung aus freiem Willensentschluss gegen
Entgelt - zusätzliche Lebensmittelkarten, Sachbezüge, Gutscheine gewesen -. Die
Arbeiten am Flugplatz Aleksotas habe er erst nach Auflösung des Ghettos Kaunas, das
bedeute ab September 1943, als Zwangsarbeiten ausgeführt.
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Der Kläger hat schriftlich beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, ihm Kläger unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides
vom 07.10.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2004 Beitragszeiten
nach dem ZRBG zur deutschen Rentenversicherung anzuerkennen für eine Tätigkeit im
Ghetto Kowno und hiernach laufende Rentenleistungen zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie sich insbesondere auf ihren Bescheid und den
Widerspruchsbescheid bezogen.
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Das SG hat im Verfahren die Unterlagen der JCC beigezogen und die Klage mit Urteil
vom 09.11.2005 abgewiesen. Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger gegen Entgelt tätig
geworden sei. Er habe im Rentenverfahren angegeben, dass er bei ca. 10-stündiger
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Tätigkeit in Naturalien entlohnt worden sei und vom Ghettoarbeitsamt zusätzliche
Lebensmittelkarten bekommen habe. Im Widerspruchs- und Klageverfahren habe er
ohne nähere Konkretisierung darauf hingewiesen, neben den Lebensmittelkarten noch
verschiedene Sachbezüge erhalten zu haben. Bei dieser Art der Entlohnung handele es
sich nur um ein Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft, wie es gerade typisch für
Zwangsarbeitsverhältnisse sei. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die
Coupons in einer solchen Menge und Regelmäßigkeit gewährt worden seien, dass sie
zum Umfang und Art der geleistetet Arbeit noch in einem angemessenen Verhältnis
gestanden hätten. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Coupons nur zum
unmittelbaren kurzfristigen Gebrauch durch den Kläger selbst, also zu seiner eigenen
Verpflegung ausgegeben worden seien. Zudem habe der Kläger auch an keiner Stelle
behauptet, dass ihm die Lebensmittelgutscheine über den täglichen Bedarf hinaus zur
freien Verfügung, etwa zum Tausch zur Verfügung gestanden hätten. Sofern er, ohne
dies näher zu spezifizieren, angebe, er habe auch verschiedene Sachbezüge, sowie
zusätzliche Lebensmittel erhalten, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn
im Rahmen der Beweiswürdigung diese Angaben mit einbezogen würden, ließen sich
daraus nach wie vor keine hinreichend sicheren Schlussfolgerungen zum konkreten
Umfang, Wert und zur Menge der Gegenleistung für die erbrachten Arbeiten ziehen. Die
Glaubhaftmachung des Erhalts erheblicher, die Versicherungspflicht begründender
Sachbezüge lasse sich auf diese Angaben nicht stützen. Der Anspruch scheitere bereits
an der nicht vorliegenden Entgeltlichkeit der Tätigkeit, so dass es nicht mehr darauf
ankomme, ob der Kläger die behauptete Beschäftigung im streitgegenständlichen
Zeitraum lediglich innerhalb des Ghettos in den Werkstätten oder aber auch außerhalb
des Ghetto auf dem Flugplatz Aleksotas ausgeübt habe.
Gegen das dem Kläger am 17.11.2005 zugestellte Urteil hat er am 05.12.2005 Berufung
erhoben. Er bezieht sich zur Begründung insbesondere auf seinen erstinstanzlichen
Vortrag und führt unter Auswertung des BSG-Urteils vom 14.12.2006, Az. B 4 R 29/06,
zu den allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen des ZRBG aus. Ferner behauptet er,
er habe monatlich zweimal zusätzlich Lebensmittelkarten, wöchentlich eine Essenskarte
und zwei Milchkarten sowie monatlich einmal Gutscheine, die mit Namensnennung nur
von dem Empfänger persönlich in speziellen Ghettoläden gegen Lebensmittel und
andere Ware umgetauscht werden konnten, als Gegenleistung für die geleistete Arbeit
erhalten.
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Der Kläger beantragt,
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entsprechend den zur Vorinstanz gestellten Klageanträgen in kostenfälliger Aufhebung
der angefochtenen Entscheidung zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verweist auf ihr Vorbringen im Verfahren der ersten Instanz und hält im übrigen die
Entscheidungsgründe des Urteils des SG für zutreffend.
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Auf detaillierte schriftliche Fragen des Gerichts hat der Kläger im Mai 2008 u.a.
mitgeteilt: "Ich habe gearbeitet in den großen Werkstätten in L-Straße 00 innerhalb des
Ghettos. Mein Vater und ich haben uns alleine bemüht die Arbeit zu bekommen. Wir
wollten eine Arbeitsstelle haben, um nicht deportiert zu werden. Ich wurde nie bewacht
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und ich ging alleine zu der Arbeit die innerhalb des Ghetto war. Auch während der
Arbeit bin ich nie bewacht worden. Ich wurde gut behandelt, es gab keine
Misshandlungen dort. Ich erhielt Naturalien und Coupons sowie warmes Essen.
Manchmal habe ich Naturalien nach Hause mitgenommen. Außer Lebensmitteln habe
ich an der Arbeit Coupons erhalten", er könne sich aber nicht erinnern wie oft er solche
erhalten habe. Außerhalb der Arbeiten habe jede Familien vom Ältestenrat
Lebensmittelcoupons erhalten. Es habe ganz wenig Pferdefleisch, gefrorene Kartoffeln
und wenig Brot gegeben. Sein Vater und er hätten die ganze Zeit im Ghetto gearbeitet:
sein Vater beim deutschen Arbeitsamt, seine Mutter außerhalb des Ghettos in einer
Haferflockenfabrik.
Der Senat hat außerdem die Zeugen Dr. T T und J L schritlich befragt. Auf ihre Angaben
wird Bezug genommen.
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Außerdem hat der Senat ein schriftliches Gutachten über die konkreten Verhältnisse in
Ghetto Kaunas eingeholt, das der Sachverständige Dr. Tauber unter dem 19.11.2007
erstattet hat. Auf den Inhalt wird Bezug genommen. Der Senat hat zudem das Gutachten
des Sachverständigen Dr. Tauber, erstellt für den Senat zum Az. L 8 R 287/06, zum
Gegenstand auch des vorliegenden Verfahrens gemacht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Akten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der
angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger
daher nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Zahlung von Altersrente.
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Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (z.B. Urteil vom
06.06.2007, L 8 R 54/05, sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente
allein aus dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI), ohne dass das
Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG)
eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil vom
26.07.2007, B 13 R 28/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr. 4, aA BSG, Urteil vom 14.12.2006, B
4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr. 3). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente
kann daher im Fall der Klägerin nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz
Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch)
anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; BSG, Urteil
vom 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17).
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Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65.
Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf
die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und
Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei
finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung,
wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist, oder
als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur
"Versicherten", d.h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht
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haben (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1, m.w.N.).
Der Kläger hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten
zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht, oder dem
Reichsversicherungsgesetz Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind
(§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Abs. 1 SGB VI), oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1
Satz 2 SGB VI). Solche Beitragszeiten bestehen hier weder nach § 2 Abs. 1 ZRBG,
noch nach Vorschriften des Fremdrentenrechts.
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Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von
Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die
Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom
Deutschen Reich besetzten, oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat und dort eine
Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner
darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der
sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft
gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Gesetz zur Regelung der
Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung
[WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem
Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbare Beweismittel erstrecken
sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, d.h. mehr für als gegen sie spricht, wobei
gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom
08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
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Insoweit ist auch glaubhaft, dass der Kläger sich in der Zeit von August 1941 bis
September 1943 zwangsweise im Ghetto Kaunas, das in Litauen, und damit in einem
vom Deutschen Reich besetzten Gebiet lag, aufgehalten und die von ihm dargestellten
Tätigkeiten "in der Garage" wie auch in der Holzdrechselei ausgeübt hat. Der
Ghettoaufenthalt und die Tätigkeiten sind vom Kläger während des gesamten (Renten-
)Verfahrens konstant und ohne Widersprüche beschrieben worden. Der Kläger selbst
hat die Tätigkeiten im Entschädigungsverfahren zwar nicht erwähnt, dafür aber der
Zeuge L, der sowohl auf eine Beschäftigung in der "Garage" als auch in der
Holzdrechselei in seiner schriftlichen Erklärung vom 09.01.1966 hingewiesen hat. Im
Übrigen sind die angegebenen Beschäftigungen auch vom Sachverständigen Tauber
im eingeholten Sachverständigengutachten für historisch wahrscheinlich im Sinne einer
guten Möglichkeit erachtet worden, wobei der Gutachter allerdings von der Möglichkeit
einer geregelten Arbeit in den Ghettowerkstätten erst ab Januar 1942 (nach Beginn der
so genannten "ruhigen Phase" des Ghettos) ausgegangen ist.
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Nach den historischen Erkenntnissen sind im Übrigen parallel zu den Tätigkeiten in den
großen Ghettowerkstätten durchaus auch "Zwangsarbeiten" auf dem Flugplatz
Aleksotas vorstellbar. Nach den Erkenntnissen des Sachverständigen Dr. Tauber,
denen der Senat ohne Bedenken folgt, war es üblich, dass der Judenrat der Stadt die für
den Flugplatz Aleksotas zu stellenden Arbeitskräfte wegen der Schwere der zu
verrichtenden Tätigkeiten regelmäßig austauschte und Verfolgte vielfach nur wenige
Tage hintereinander zur Arbeit auf dem Flugplatz verpflichtet wurde, so dass sie in der
übrigen Zeit einer anderen regelmäßigen Arbeit nachgehen konnten. Dr. Tauber hat in
seinem in der vorliegenden Streitsache erstatteten Gutachten aber auch der Vortrag des
Klägers, er sei erst im Herbst 1943 (endgültig) nach Aleksotas gekommen, für historisch
möglich gehalten. Dementsprechend ist es nicht fernliegend, dass sich die
Beschreibung katastrophaler Arbeitsbedingungen, einschließlich von körperlichen
35
Züchtigungen, in der Erklärung des Zeugen L im Entschädigungsverfahren
(ausschließlich) auf die Tätigkeiten des Klägers auf dem Flugplatz Aleksotas bezogen
hat.
Aus dem beigezogenen Sachverständigengutachten von Dr. Tauber ergibt sich darüber
hinaus die Existenz eines Ghettos in Kaunas von Mitte August 1941 bis zumindest
August 1943, wobei er das Entstehen des Konzentrationslagers Kaunas erst auf
Oktober 1943 datiert, so dass die Existenz des Ghettos bis einschließlich September
1943 (wie vom Kläger indirekt dargestellt) nicht unwahrscheinlich ist.
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Der Kläger ist schließlich als Verfolgter des BEG anerkannt, womit außer Zweifel steht,
dass sein Aufenthalt im Ghetto erzwungen war. Auch an einer Tätigkeitsaufnahme aus
eigenem Willensentschluss bestehen keine durchgreifenden Zweifel. Hierzu hat der
Sachverständige Dr. Tauber in seinem Gutachten vom 09.11.2007 aufgezeigt, dass
gerade für 10- bis 11-jährige im Ghetto keine Arbeitsverpflichtung bestand, was eine
Tätigkeitsaufnahme aus eigenem Willensentschluss gut möglich erscheinen lässt.
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Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Denn der Senat sieht es demgegenüber nicht
als glaubhaft im Sinne überwiegender Wahrscheinlichkeit an, dass die darstellte
Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG ausgeübt worden
ist.
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Der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG beschriebene Typus der Beschäftigung nach dem Vorbild
des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist auch durch das
Merkmal der Entgeltlichkeit von der nicht von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG erfassten
Zwangsarbeit abzugrenzen ist. Danach ist neben der Aufnahme und Ausübung der
Arbeit aus eigenem Willensentschluss auch die Gewährung eines Entgelts erforderlich,
das nach Art und Höhe eine versicherungspflichtige Beschäftigung begründen kann
(Senat, Urteil vom 21.11.2007, L 8 R 98/07; sozialgerichtsbarkeit.de). Maßgebend
hierfür sind die Kriterien, die das BSG in seiner so genannten Ghetto-Rechtsprechung
(vgl. BSG, Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15; vom
21.04.1999 B 5 RJ 48/98 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 16; vom 14.07.1999, B 13 RJ
75/98 R, aaO.) entwickelt hat (vgl. hierzu im einzelnen BSG Urteil vom 07.10.2004,
aaO.; Senatsurteile vom 21.11.2007; 12.12.2007, L 8 R 187/07; 28.01.2008, L 8 RJ
139/04; jeweils aaO.).
39
Die im Zusammenhang mit Streitigkeiten nach dem ZRBG auftretenden Fallgruppen
sind dabei zunächst wie folgt systematisieren: Die Gewährung von Entgelt in der
ortsüblichen Währung, von Ghettogeld oder zum Tausch bestimmten Bezugsscheinen
ist Entgelt in Sachen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG, soweit ihr Umfang zumindest 1/6 des
ortsüblichen Arbeitsentgelts für ungelernte Arbeiter (-innen) übersteigt. Bei der
Gewährung von Sachbezügen ist dagegen zu unterscheiden: Übersteigen die
Sachbezüge (insbesondere Verpflegung, Unterkunft und Kleidung) nicht das Maß freien
Unterhalts, d.h. derjenigen wirtschaftlichen Güter, die zur unmittelbaren Befriedigung der
notwendigen Lebensbedürfnisse des Einzelnen erforderlich sind, liegt kein Entgelt vor.
Bei Lebensmitteln kommt es darauf an, ob sie nach Art und Umfang des Bedarfs
unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden. Wird das Maß des
persönlichen Bedarfs hingegen überschritten, und werden die Lebensmittel zur freien
Verfügung gewährt, ist von Entgelt auszugehen. Das ist insbesondere dann der Fall,
wenn glaubhaft gemacht wird, dass gewährte Lebensmittel auch den Bedarf eines
Angehörigen sicherstellen. Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw.
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Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, z.B. der glaubhaften
Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem
Sachverständigengutachten, oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest,
so kann ein entsprechender Umfang im Einzelnen als glaubhaft gemacht angesehen
werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein
Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend
mitversorgt worden ist. Ohne Bedeutung ist es dagegen, ob die Lebensmittel unmittelbar
in Naturalien gewährt worden sind, oder ob die Betroffenen Lebensmittelcoupons
erhalten haben, die sie gegen Lebensmittel eintauschen konnten.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist ausgehend von den eigenen Angaben des
Klägers, bestätigt durch die schriftlichen Mitteilungen der Zeugen Dr. T T und J L
anzunehmen, dass er allenfalls ein (warmes) Essen, Naturalien und Coupons, jedoch
kein Bargeld erhalten hat. Von den Naturalien hat er (nur) manchmal etwas mit nach
Hause mitnehmen können. Bezüglich der - in Naturalien bzw. auf die Coupons -
erhaltenen Lebensmittel kann nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt
werden, dass sie nach dem vorbestimmten Maß zur beliebigen Verfügung geeignet
gewesen, d. h. über den unmittelbaren Bedarf des Klägers hinausgegangen sind. Der
Kläger selbst hat zu Art und Menge der erhaltenen Lebensmittel keine genaueren
Angaben gemacht. Auch die Zeugen konnten sich an bestimmte Mengen nicht mehr
erinnern, so dass es für eine maßgebliche Mitversorgung Dritter keine hinreichenden
Anhaltspunkte gibt. Eine in diesem Sinne maßgebliche Mitversorgung, insbesondere
der Eltern des Klägers, war auch nicht nötig, da diese selbst einer Tätigkeit nachgingen,
für die sie vergleichbare Gegenleistungen erhalten haben werden. Der Vater des
Klägers war die ganze Zeit über bei dem dortigen "Arbeitsamt" beschäftigt, die Mutter
des Klägers hat nach den klägerischen Angaben außerhalb des Ghettos in einer
Haferflockenfabrik gearbeitet. Im Übrigen lassen sich dem Vortrag des Klägers keine
gegenteiligen Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen, dass ihm auf die Coupons
lediglich die Lebensmittel zuteil wurden, die im Ghetto Arbeitende über die auch den
Nichtarbeitenden zustehende Verpflegung hinaus allgemein erhielten. Die insoweit
bekannten und auch von Dr. Tauber in den beigezogenen Gutachten referierten
Nahrungsmittelmengen von beispielsweise 700 Gramm zusätzlichen Brotes, 125
Gramm Fleisch und 25 Gramm Fett pro Woche für arbeitende Ghettobewohner sind
indessen auch eingedenk der bekannten Hungerbedingungen nicht geeignet gewesen,
mehr als nur den aktuellen Bedarf an Nahrung zu decken.
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Bargeldzahlungen eines etwaigen "dritten" Arbeitgebers des Klägers an den Judenrat,
die lassen sich ebenfalls nicht feststellen. Wird die Darstellung des Klägers zu Grunde
gelegt, dass er bezüglich seiner Tätigkeiten keine schuldrechtsähnliche Vereinbarung
mit den Werkstätten oder deren Verwalter getroffen habe, sondern (wenn überhaupt)
eine solche zwischen dem Judenrat auf der einen und dem Vertreter des Vorstandes der
großen Werkstätten auf der anderen Seite zustande gekommen sei, ist im
Umkehrschluss daraus abzuleiten, dass der Kläger bezüglich seiner eigenen Person
lediglich ein schuldrechtliches Verhältnis zum Judenrat sieht, der im Verhältnis zu den
großen Werkstätten dann gleichsam wie ein Verleiher von Arbeitskräften aufgetreten
wäre, diesen Arbeitskräfte zur Verfügung stellte und als der eigentliche "Arbeitgeber"
des Klägers agierte. Von einer "Arbeitgeberstellung" des Judenrates wäre
demgegenüber erst recht auszugehen, wenn man annimmt, dass die großen
Werkstätten in der L-Straße nicht originär durch den Judenrat betrieben wurden. Für
diese Sichtweise spricht, dass ein externer Betreiber der Werkstätten, wie eine
bestimmte Firma, in den Gutachten nicht benannt worden ist. Dr. Tauber erwähnt
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lediglich den Werkstattverwalter Q. Dafür, dass dieser allerdings für eine wirtschaftlich
handelnde juristische Person agierte, gibt es keine Hinweise. Mindestens ebenso gut
möglich ist, dass er lediglich die Abwicklung von externen Aufträgen durch die
Werkstätten koordinierte. So wird im Gutachten insbesondere auch von
Sonderaufträgen an die großen Werkstätten gesprochen. Beide Interpretationen der
Verhältnisse lassen daher nur den Schluss zu, dass die jüdische Ghettoverwaltung der
"Arbeitgeber" des Klägers war und deshalb für Lohnzahlungen eines Dritten an diese
Verwaltung für die Tätigkeiten des Klägers kein Raum bleibt. Infolgedessen kann
dahingestellt bleiben, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Zahlung Dritter an den
Judenrat als Entgeltzahlungen im Sinne des ZRBG angesehen werden können.
Dass der Kläger Lebensmittelcoupons erhalten hat, führt zu keinem für ihn günstigeren
Ergebnis. Wie der Senat bereits im Einzelnen dargelegt hat, ist die Ausgabe von
Lebensmittelkarten oder -coupons unter Ghettobedingungen als Gewährung von
Sachbezügen und nicht als Geldleistung anzusehen (Senat Urteil vom 28.01.2008, L 8
RJ 139/04). Hinweise darauf, dass der Kläger Wertgutscheine oder Coupons erhalten
hat, die etwas anderes verbrieften als die auf ihnen bezeichnete Lebensmittelmenge,
bestehen im vorliegenden Fall nicht. Im Gegenteil hat er selbst vorgetragen, die
erhaltenen Coupons habe man in den dafür vorgesehenen Geschäften im Ghetto
"umtauschen" können, wobei in seinen eigenen Erklärungen jeweils nur von
Lebensmitteln die Rede ist. Insbesondere gibt es nach den Antworten des Klägers auf
die verschiedenen Fragebögen aber auch aus seinem freien Vortrag keine
Anhaltspunkte, dass er Wertmarken erhalten hätte, auf denen - allein oder zusätzlich -
ein Nominalwert in Rubel zur Bestimmung der Wertigkeit aufgedruckt war.
Infolgedessen kann dahingestellt bleiben, ob - wie der Sachverständige Dr. Tauber
mutmaßt - solche Rubelgutscheine im Ghetto Kaunas im Umlauf gewesen sind, wann
und in welchem Ausmaß dies der Fall gewesen ist und ob man hierfür andere Waren als
Lebensmittel erhalten konnte.
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Der Kläger kann sich weiter nicht mit Erfolg darauf berufen, für das Merkmal einer
Beschäftigung "gegen Entgelt" in Sachen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG reiche es aus,
dass er für seine Arbeitsleistung einen Rechtsanspruch auf Entgelt gehabt habe, auch
wenn dieses letztendlich nicht gezahlt worden sei. Der Senat hat bereits im Einzelnen
dargelegt, aus welchen Gründen diese Rechtsauffassung auch dann unzutreffend ist,
wenn örtliche Lohnordnungen eine Bezahlung der Arbeitskräfte vorgesehen haben, die
indessen unterblieben ist (Urteil vom 03.09.2008, L 8 R 220/07 und L 8 R 265/07;
jeweils www.sozialgerichtsbarkeit.de). Infolgedessen kann dahingestellt bleiben, ob die
allgemeine Anordnung für die Einheimischen Arbeiter im öffentlichen Dienst und in der
Wirtschaft vom 21.11.1941 (Verordnungsblatt des Reichskommissars für das Ostland
vom 25.11.1941, Seite 75), die Vorschriften über Lohnzahlungen an die genannten
Arbeitskräfte enthielt, ihrer konkreten Ausgestaltung nach einen individuellen
Lohnanspruch des Klägers begründen sollte.
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Die von dem Kläger im Ghetto Kaunas verrichtete Arbeit kann auch nicht nach den
Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. §§ 15, 16 Fremdrentengesetz
(FRG) i.V.m. § 20 WGSVG bzw. § 17 a FRG, oder § 12 WGSVG als
Versicherungszeiten angerechnet werden.
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Die Arbeit des Klägers in Kaunas unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen. Im
Reichskommissariat Ostland galten diese nicht für Personen, die - wie der Kläger - nicht
die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001, B 13 RJ
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59/00 R zum so genannten Generalgouvernement). Eine Anrechnung als
Versicherungszeit kann sich daher allein nach den §§ 15, 16 FRG i.V.m. § 20 WGSVG
bzw. 17 a FRG richten. Eine Anrechnung als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG kommt
indes nicht in Betracht, weil eine Beitragsentrichtung zu einem nichtdeutschen Träger
der gesetzlichen Rentenversicherung nicht glaubhaft gemacht und von dem Kläger gar
nicht behauptet worden ist. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 FRG sind bereits
deshalb nicht erfüllt, da - wie oben bereits ausgeführt worden ist - ein nach deutschem
Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht
im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden kann. Auch § 16 FRG greift nicht zu
Gunsten des Klägers ein, da die vom ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht nach dem
01.03.1957 geltenden Bundesrecht (§§ 1227 und 1228 RVO nF.) Versicherungspflicht in
der gesetzlichen Rentenversicherung begründet hätten, wenn sie im Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden wären und nicht
nach vollendetem 17. Lebensjahr verrichtet worden sind. Da nicht im Sinne einer
Glaubhaftmachung festgestellt werden kann, dass der Kläger eine
rechtenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, liegen die
Voraussetzungen des § 12 WGSVG ebenfalls nicht vor.
Weitere - von dem Kläger mit der vorliegenden Klage ohnehin nicht geltend gemachte -
Beitragszeiten, die zum Anspruch auf Zahlung von Regelaltersrente führen könnten,
sind nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG. Anlass die Revision gemäß § 160
Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, hat nicht bestanden. Der Angelegenheit kommt
keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn zu den anzuwendenden gesetzlichen
Begriffen sind schon mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, die
ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung geben (vgl. BSG SozR 3-1500, § 160 Nr. 8;
BSG Beschluss vom 06.08.2008 - B 5 R 69/07 B). Es liegt auch keine Divergenz in
Sachen von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Denn der Zulassungsgrund der Divergenz
verlangt, dass die anzufechtende Entscheidung einen Rechtssatz enthielte, der zu
einem abstrakten Rechtssatz einer höchstrichterlichen Entscheidung in Widerspruch
stünde. Eine solche Abweichung liegt aber insbesondere gegenüber der Entscheidung
des BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R - nicht vor, da die dort vorgenommene
Definition von Rechtsbegrifflichkeiten wie des freien Willensentschlusses und der
Entgeltlichkeit im Sinne des ZRBG keine für die dortige Entscheidung tragenden
Rechtssätze sind. Die Entscheidung befasst sich mit den Begrifflichkeiten lediglich in
einem sogenannten obiter dictum (mit ähnlicher Argumentation BSG, Beschluss vom
06.08.2008, B 5 R 69/07 B).
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