Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.10.2007

LSG NRW: umkehr der beweislast, reformatio in peius, firma, subunternehmer, beitragsnachforderung, bauarbeiten, baustelle, chef, arbeitserlaubnis, lohnfortzahlung

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 17.10.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Köln S 8 RA 127/02
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 11 (8) R 46/06
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.12.2005 abgeändert. Die Bescheide vom
19.07.2001 und 30.05.2002 werden aufgehoben, soweit Beiträge aus einer höheren Lohnsumme als 70.330,00 DM (=
35.959,60 EUR) und Beiträge zur Krankenversicherung nach dem erhöhten Beitragssatz festgesetzt worden sind. Im
Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger trägt 9/10, die Beklagte 1/10 der Kosten beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung für die Zeit vom 01.03. bis 31.03.1997 in
Gestalt eines Summenbescheides für namentlich nicht bekannte Arbeitnehmer in Höhe von 17.557,31 Euro (zuzüglich
7813,65 Euro Säumniszuschläge bis 16.01.2001).
Auf den Namen der Ehefrau des Klägers, der Beigeladenen zu 1), war ab dem 19.02.1997 ein Gewerbe "Holz- und
Bautenschutz" eingetragen. Eine entsprechende Eintragung bestand bei der Handwerkskammer L als
handwerksähnliches Gewerbe. Nach Außen trat das Unternehmen unter der Firma K Bau auf. Auf der Grundlage eines
Bauvertrages vom 07.02.1997 über die Ausführung von Maurer- und Betonarbeiten mit der Firma des Zeugen K N war
die Firma auf einem Rohbau in der H-straße 00 in L tätig. Der Bauvertrag sah die Errichtung des Rohbaus vor und
enthält eine Leistungsmengenbeschreibung. Nach einer Zusatzvereinbarung sollte der Auftraggeber, Kran,
Betonmischer, Dielen und Gerüste stellen. Tatsächlich wurde das gesamte Material (einschließlich Schaufel und
Besen) vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt. In dem Vertrag war eine Ausführungszeit von 80 Tagen vereinbart,
die Baustelle sollte mit mindestens 5 Mann besetzt sein. Die Firma K Bau hatte im fraglichen Zeitraum einen
versicherungspflichtig Beschäftigten (im Umfang von 35 bis 50 Stunden im Monat) sowie insgesamt 4 Aushilfen
(geringfügig Beschäftigte) angemeldet.
Bei einer Baustellenprüfung am 04.03.1997 wurde ein Arbeitnehmer ohne Arbeitserlaubnis angetroffen. Dieser gab an,
er sei Vollzeit beschäftigt, als Arbeitgeber nannte er den Kläger. Dieser Arbeitnehmer war als Aushilfskraft gemeldet.
Wegen der Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne Arbeitserlaubnis erging deswegen gegen die Beigeladene zu 1) ein
rechtskräftiger Bußgeldbescheid vom 17.12.1997.
Nach einer weiteren Überprüfung am 06.05.1997 wurde ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen die Beigeladene zu
1) wegen der unberechtigten selbständigen Ausübung eines Handwerks eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens
teilte der Zeuge K N mit, die Firma K Bau habe "für uns" als Hilfskolonne mit 3 bis 4 Personen gearbeitet. Er habe
ganztägig Aufsicht und Überwachung vorgenommen. Für die Arbeiten seien er sowie sein Bruder voll verantwortlich.
Die Arbeiten seien einfach gewesen und hätten überwiegend unter der Aufsicht von ihm gestanden. Aufgrund dieser
Angaben wurde wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung ermittelt. Am 26.10.1999 wurde die Wohnung der
Eheleute durchsucht. Der Kläger gab an, außer den vorgefundenen Unterlagen lägen keine weiteren vor. Die Firma der
Ehefrau habe sich seinerzeit noch in der Anfangsphase befunden, sie sei unmittelbar vor dem Auftrag gegründet
worden. Er selbst habe sich um die Abwicklung vor Ort gekümmert. Die Beigeladene zu 1) teilte bei der Anhörung zu
den beabsichtigten Erlass eines Bußgeldbescheides mit, verantwortlich für den Einsatz der Arbeitnehmer sei der
Kläger gewesen. Dieser sei der Chef der Firma. Sie sei für einen Meisterbetrieb als Subunternehmen tätig gewesen
unter der Kontrolle des Zeugen N als Meister und verantwortlicher Baupolier. Daraufhin wurde das
Ermittlungsverfahren auf den Kläger umgestellt und gegen ihn ein Bußgeldbescheid wegen illegaler
Arbeitnehmerüberlassungen mit einer Geldbuße von 6000,00 DM erlassen. Dieser Bescheid ist rechtskräftig
geworden. Auch gegen den Zeugen K N ist ein Bußgeldbescheid wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassungen ergangen
und eine Geldbuße von 13.400,00 DM festgesetzt worden. Auf den Einspruch ist diese Geldbuße mit Urteil des
Amtsgerichts Köln vom 11.10.2000 auf 3.000,00 DM verringert worden.
Die Unterlagen des gegen den Kläger ergangenen Bußgeldbescheides wurden von der Beklagten für die
Beitragsüberwachung in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht ausgewertet. Sie ging entsprechend dem
Bußgeldbescheid davon aus, dass in der Zeit von Februar bis Juli 1997 Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen
worden seien, ohne dass die hierfür erforderliche Erlaubnis vorgelegen habe. Sie ermittelte für die Zeit von Februar bis
01. Juli 1997 Nettoumsätze in Höhe von mindestens 116.486,84 DM aus der Geschäftsbeziehung zur
Bauunternehmung K N. Die Lohnkosten schätzte sie auf 2/3 dieser Umsätze = 77.580,24 DM. Hieraus errechnete sie
eine Beitragsnachforderung in Höhe von 34.339,12 DM. Auf das Anhörungsschreiben vom 21.03.2001 wies der Kläger
in seiner Stellungnahme darauf hin, die Lohnsumme sei tatsächlich gering gewesen, weil nur Aushilfen tätig gewesen
seien, die nur einige Monate gearbeitet hätten. Er habe persönlich selbst viel gearbeitet. Außerdem habe er zwei
Subunternehmer beschäftigt, an die er 5.735,60 DM bzw. 10.000,00 DM gezahlt habe. Die Beklagte meinte, ein Bezug
der insoweit vom Kläger bezeichneten Rechnungen zu den hier fraglichen Bauarbeiten sei nicht herstellbar. Mit
Bescheid vom 19.07.2007 setzte sie Beiträge in der oben genannten Höhe fest, wobei sie den erhöhten
Krankenversicherungsbeitragssatz für Arbeitnehmer ohne Anspruch auf Lohnfortzahlung zu Grunde legte. Der
Widerspruch des Klägers, mit dem er sein früheres Vorbringen wiederholte, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom
30.05.2002 zurück.
Auch der Zeuge K N ist u.a. wegen der hier in Frage stehenden Bauarbeiten als Entleiher in Anspruch genommen
worden (Beitragsbescheid vom 19.07.2001). Seine Klage hat das SG Köln mit rechtskräftigem Urteil vom 31.03.2003
abgewiesen (S 25 RA 64/02).
Unabhängig von diesem Verfahren wurden im Rahmen einer Betriebsprüfung mit Bescheid vom 11.05.1998 von der
Beigeladenen zu 1) für einen (als geringfügig beschäftigt gemeldeten) Beschäftigten
Gesamtsozialversicherungsbeiträge u.a. für den hier streitigen Zeitraum nachgefordert.
Im Klageverfahren hat der Kläger geltend gemacht, er sei der falsche Adressat des Bescheides. Inhaberin des
Betriebs sei seine Ehefrau. Entgegen der Annahme der Beklagten habe es sich nicht um einen Fall illegaler
Arbeitnehmerüberlassung gehandelt. Dass er den Bußgeldbescheid habe rechtskräftig werden lassen, beruhe auf
einem Irrtum. Er sei davon ausgegangen, dass dieser wegen der Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne
Arbeitserlaubnis erlassen worden sei. Tatsächlich habe er auf der Grundlage eines Vertrages mit der Firma N
Werkarbeiten erstellt und entsprechende Rechnungen erteilt. Die von der Beklagten geschätzte Lohnsumme sei zu
hoch. Die Beklagte habe nicht seine eigenen Leistungen sowie die der Subunternehmer berücksichtigt. Für ihn sei
mindestens ein monatlicher Betrag von 5.000,00 DM als angemessenes Entgelt abzuziehen.
Das Sozialgericht hat im Erörterungstermin vom 24.05.2004 den Kläger sowie die früheren Beigeladenen D und H
angehört und die Zeugen K und S N vernommen. Wegen des Inhalts der Angaben des Klägers bzw. der früheren
Beigeladenen sowie der Zeugen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24.05.2004 Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Dipl.-Ing. R zur Frage, wie
viele Vollzeitbeschäftigte nach den vorliegenden Unterlagen erforderlich gewesen seien, um unter den üblichen
Bedingungen der Baubranche die vertraglich übernommenen Arbeiten erbringen zu können. In seinem Gutachten vom
05.05.2005 hat der Sachverständige für die abgerechneten Leistungen einen Zeitbedarf von insgesamt 2609 Stunden
errechnet, wobei er gleichzeitig darauf hingewiesen hat, diese Zeitwerte könnten nur bei einem sehr hohen
Organisationsgrad erreicht werden. Erfahrungsgemäß sei davon auszugehen, dass die Zeitwerte in vielen Fällen
überschritten würden. Unter Zugrundelegung von 2609 Stunden hat er - unter Zugrundelegung einer 38 Stunden-Woche
- einen Einsatz von 4,29 Arbeitern errechnet.
Mit Urteil vom 19.12.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger schulde die Beiträge als Verleiher,
da ein Fall illegaler Arbeitnehmerüberlassungen vorgelegen habe. Die Schätzung der Lohnsumme durch die Beklagte
sei nicht zu beanstanden.
Mit der fristgerecht eingelegten Berufung wendet der Kläger sich gegen die Beweiswürdigung des Sozialgerichts.
Entgegen der Annahme des Sozialgerichts ergebe sich aus der Aussage des Zeugen K N nicht, dass er, der Kläger,
nicht als Unternehmer tätig gewesen sei. Im Gegenteil habe der Zeuge eine selbständige Tätigkeit bestätigt. Auch der
Bußgeldbescheid sei zu Unrecht ergangen. Die Vernehmung des Zeugen habe ergeben, dass dieser die Bedeutung
der ihm schriftlich gestellten Fragen ebenso wenig wie die Tragweite seiner Antworten erkannt habe. Das eingeholte
Gutachten sei fehlerhaft, denn der Sachverständige habe sich unzureichend mit den Unterlagen befasst. So habe er
nicht berücksichtigt, dass Subunternehmer tätig geworden seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.12.2005 abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 19.07.2001 und
30.05.2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Schätzung eines Lohnanteils von 66 2/3 % der
Rechnungssumme sei angemessen und auch im vorliegenden Fall zutreffend. Es seien keine Beträge für
Fremdleistungen abzuziehen. In der Gewinnermittlung für das Jahr 1997 seien für die Zeit vom 17.02.1997 bis
31.12.1997 Fremdleistungen in Höhe von 60.737,91 DM ausgewiesen. Diese Fremdleistungen entfielen nach dem
Journal für das 4. Quartal 1997 auf zwei Betriebe und beträfen Leistungen, die nicht in einem zeitlichen und
sachlichen Zusammenhang mit den Rohbauleistungen in der H-straße stünden.
Die Beigeladenen haben sich nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, auch hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten, wird auf
den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten und der beigezogenen Bußgeldakten (K N,
Az: BLS 00,N1, Az: xxx) und der Streitakte SG Köln Az.: S 25 RA 64/04) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist im Wesentlichen unbegründet und hat nur hinsichtlich eines geringen
Teilbetrags der Beitragsnachforderung Erfolg. Die Beklagte fordert zu Recht von ihm wegen der von Februar bis Juli
1997 durchgeführten Bauarbeiten Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach.
Der Senat kann offen lassen, ob - wie von der Beklagten angenommen - ein Fall illegaler Arbeitnehmerüberlassung
vorlag und deswegen der Kläger als Verleiher nach § 28 e Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Satz 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB IV) für die Sozialversicherungsbeiträge gesamtschuldnerisch mit dem Zeugen K N als Entleiher haftet oder ob
der Kläger als eigener Unternehmer den Auftrag mit eigenen Arbeitnehmern durchgeführt hat. In diesem Fall ergibt
sich seine Beitragsschuld in voller Höhe aus § 28 e Abs. 1 SGB IV. Da der Zeuge K N auf die gegen ihn gerichtete
Beitragsforderung nichts gezahlt hat, schuldet der Kläger auch im ersten Fall die Beiträge in voller Höhe, so dass der
Senat auf wahldeutiger Grundlage entscheiden kann.
Die Beklagte hat auch zu Recht den Bescheid gegenüber dem Kläger erlassen. Seine Rüge, er sei der falsche
Adressat, da die Ehefrau Inhaberin des Betriebes gewesen sei, geht fehl. Zwar war das Gewerbe auf den Namen der
beigeladenen Ehefrau angemeldet. Sie war aber eindeutig nur "Strohfrau", tatsächlicher Inhaber des Unternehmens
war der Kläger. Die Beigeladene zu 1) hat bei ihrer Anhörung durch das Sozialgericht selbst angegeben, sie habe das
Unternehmen deswegen angemeldet, weil sie bessere Deutschkenntnisse gehabt habe und dieser auch gar nicht habe
selbständig tätig sein dürfen. Soweit sie gleichzeitig angegeben hat, sie habe den "Eindruck" gehabt, dass sie das
Unternehmen zusammen mit ihrem Mann führe, steht dem entgegen, dass sie selbst in dem Bußgeldverfahren wegen
illegaler Arbeitnehmerüberlassung den Kläger als Chef der Firma bezeichnet hat. Die Tatsache, dass der Kläger den
daraufhin gegen ihn ergangenen Bußgeldbescheid wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassungen hat rechtskräftig
werden lassen, spricht ebenfalls dafür, dass er sich selbst als Verantwortlicher des Unternehmens angesehen hat.
Auch der vom Sozialgericht angehörte Beschäftigte H hat den Kläger als Chef der Firma bezeichnet, seine Frau sei
ihm gar nicht bekannt gewesen. Die Abwicklung des Bauvorhabens wurde allein zwischen dem Kläger und dem
Zeugen K N vorgenommen. Der Kläger hat sich zudem selbst bei seiner Anhörung vor dem Sozialgericht als "eigener
Chef mit eigenen Leuten" bezeichnet. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass er der tatsächliche Inhaber des
Unternehmens und damit der Arbeitgeber der eingesetzten Kräfte war.
Die Beklagte durfte die Beiträge als Summenbescheid nach § 28 f Abs. 2 Satz 1 SGB IV geltend machen. Eine
personenbezogene Zuordnung der Beiträge war nicht möglich, da keinerlei Unterlagen vorliegen. Nach dem Gutachten
des Sachverständigen R ist es ausgeschlossen, dass der Kläger das Bauvorhaben allein mit den angemeldeten
Beschäftigten, nämlich einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer und vier geringfügig beschäftigten Aushilfen
durchgeführt haben soll. Über darüber hinausgehende Unterlagen verfügt der Kläger nach seiner Darstellung nicht, er
hat auch im Verwaltungsverfahren keinerlei weitergehende Angaben gemacht. Mögliche Ermittlungen der Beklagten
wären offenkundig nicht erfolgversprechend gewesen, wie die Angaben der vom Sozialgericht gehörten Beschäftigten
D und H zeigen. Beide haben nämlich eine Mitarbeit nur in geringem Umfang eingeräumt und weitere Angaben nicht
machen können. Ob sie tatsächlich doch in größerem Umfang beschäftigt waren oder ob letztlich andere, nicht
bekannte Personen die Arbeiten im Wesentlichen verrichtet haben, ist offen. Angesichts fehlender Unterlagen und
mangels entsprechender Angaben des Klägers selbst im Widerspruchsverfahren durfte die Beklagte davon ausgehen,
dass eine personenbezogene Zuordnung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand möglich sei.
Auch hinsichtlich der Arbeitsentgelte liegen keine Unterlagen vor. Wie bereits erwähnt, ist es ausgeschlossen, dass
die nach den Rechnungen erzielten Nettoumsätze durch die angemeldeten Beschäftigten erzielt werden konnten. Es
müssen daher weitere, nicht bekannte Personen für den Kläger tätig geworden sein, deren Entgelte nicht bekannt
sind. Daher war die Beklagte auch zur Schätzung der Arbeitsentgelte befugt (§ 28 f Abs. 2 Satz 3 SGB IV).
Bei der Schätzung handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, bei der dem Rentenversicherungsträger kein
Ermessen eingeräumt und die gerichtlich voll überprüfbar ist (Sehnert in Hauck/Noftz, SGB IV § 28 f RdNr. 10;
KassKomm-Seewald, § 28 f SGB IV RdNr. 9). Die Schätzung ist auch keine "Bestrafung" für die Verletzung der
Aufzeichnungspflicht, sondern dient der möglichst genauen Feststellung der Beitragslast des Arbeitgebers (Krasney
NJW 1989, 1007, 1009).
Die Schätzung der Beklagten ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. Entsprechend einer allgemeinen, auf der
Rechtsprechung des BGH beruhenden (BGH NJW 1987, 786) Übung der Sozialversicherungsträger hat die Beklagte
die Lohnsumme auf 2/3 der erzielten Nettoumsätze (Rechnungsbeträge abzüglich Umsatzsteuer) geschätzt. Diese
Quote begünstigt hier den Kläger, denn da er keinerlei Materialkosten getragen hat, können die Rechnungsbeträge
ausschließlich Lohnkosten betreffen. Insofern trägt die Schätzung schon dem Einwand des Klägers Rechnung, dass
seine eigene Mitarbeit zu berücksichtigen sei. Dabei ist fernliegend, dass die abgerechneten Summen durch
überproportionale Arbeitsleistungen des Klägers erzielt worden sind. Im Gegenteil haben sowohl der Zeuge K N als
auch der Beschäftigte H bekundet, dass der Kläger nicht ständig in vollem Umfang mitgearbeitet habe. Herr H hat
vielmehr plastisch ausgesagt, man könne nicht sagen, dass der Kläger "richtig angepackt" habe.
Die Sachgerechtigkeit der Schätzmethode wird hier auch durch das eingeholte Gutachten bestätigt. Der
Sachverständige R hat für die durchgeführten Arbeiten einen Zeitaufwand von mindestens 2609 Stunden ermittelt. Der
Senat hat keine Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Berechnung. Gleichzeitig hat der Sachverständige -
einleuchtend - darauf hingewiesen, dass diese Zeitwerte nur bei einem sehr hohen Organisationsgrad erreicht werden
könnten und erfahrungsgemäß davon auszugehen sei, dass die Zeitwerte in vielen Fällen überschritten würden.
Berücksichtigt man, dass es sich hier um den ersten Auftrag des Klägers handelte, er also über keinerlei Erfahrung
mit der Organisation und Koordinierung von Bauarbeiten verfügte und er außerdem keine eingespielte Kolonne,
sondern nur ad hoc engagierte Personen einsetzte, dürfte der erforderliche Zeitaufwand um etwa 1/3 zu erhöhen sein,
so dass der Zeitbedarf für das Bauvorhaben 3470 Stunden betragen würde. Da der Kläger für Facharbeiterstunden
gegenüber der Firma N 45,00 DM pro Stunde abgerechnet hat, kann von einem Stundenlohn in Höhe von 22,50 DM
ausgegangen werden. Die Lohnsumme betrüge demnach 78.075,00 DM. Diese Überlegung zeigt, dass die
vorgenommene Schätzung der Beklagten im Ausgangspunkt sachgerecht und nicht zu beanstanden ist.
Auch hinsichtlich der zu Grunde gelegten Nettoumsätze kann der Berechnung der Beklagten gefolgt werden. Sie hat
im Schriftsatz vom 14.12.2004 erläutert, dass sie von den Rechnungssummen ausgegangen ist. Abzüge wegen
Mängeln oder einer nicht abschließenden Rechnungsprüfung sowie ein Abzug für den Sicherheitseinbehalt sind nicht,
Abzüge wegen Mengenkürzungen dagegen berücksichtigt worden. Dies ist sachgerecht, denn Kürzungen wegen
Mängeln und erst recht der Abzug für den Sicherheitseinbehalt betreffen nicht den Umfang der tatsächlich erbrachten
und den Arbeitnehmern bezahlten Arbeiten. Dass der Beklagten bei der Ermittlung der Umsätze nach diesen
Grundsätzen Fehler unterlaufen sind, ist nicht ersichtlich und auch vom Kläger nicht geltend gemacht worden.
Entgegen seiner Ansicht kann kein Abzug wegen der an die "Subunternehmer" geleisteten Zahlungen erfolgen. Dabei
kann dahinstehen, ob überhaupt die insoweit bezeichneten Rechnungen H vom 04.04.1997 über 5735,60 DM und T
vom 01.10.1997 über 10.000,00 DM sich auf das Bauvorhaben H-straße beziehen. Auch wenn man dies zugunsten
des Klägers unterstellt, ist nämlich nicht ersichtlich, dass in beiden Fällen tatsächlich Subunternehmer tätig geworden
sind, die einen Werkvertrag ausgeführt haben. Beide Rechnungen weisen nicht aus, dass ein klar abgrenzbares
Gewerk übernommen worden war, auch der Kläger hat nichts Konkretes dazu vorgetragen. Soweit die betreffenden
Personen in die Kolonne des Klägers eingegliedert waren und die gleichen Tätigkeiten wie die sonstigen Beschäftigten
des Klägers verrichtet haben, waren sie entweder als Arbeitnehmer im Betrieb des Klägers tätig oder er hatte sie an
die Firma N verliehen. In beiden Fällen sind die erfolgten Zahlungen als Arbeitsentgelt zu qualifizieren. Da auf dieses
noch keine Beiträge erhoben worden sind, ist es auch nicht von der geschätzten Lohnsumme abzuziehen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten hält der Senat aber den Abzug der Entgelte für geboten, für die schon Beiträge
gemeldet bzw. festgesetzt worden sind. Im Bescheid vom 11.05.1998 sind für den Arbeitnehmer D Beiträge
nachgefordert worden. Dass dieser Bescheid in Verkennung der tatsächlichen Inhaberschaft gegen die Beigeladene
zu 1) ergangen ist, ist unerheblich; entscheidend ist, dass er Beiträge für die im streitigen Zeitraum verrichteten
Arbeiten betrifft. Im Zeitraum 17.02. bis 15.06.1997 ist der Beitragsnachforderung ein Entgelt von 2760,00 DM
zugrundegelegt worden. Da somit aus diesem Entgelt schon Beiträge festgesetzt worden sind, kann es nicht
nochmals für die hier streitige Beitragsnachforderung berücksichtigt werden. Gleiches gilt für die Entgelte, die für den
als versicherungspflichtig beschäftigt gemeldeten Herrn H gemeldet worden sind. Auch aus diesem Entgelt sind
schon Beiträge erhoben worden. Dabei ist es unerheblich, ob die nachgewiesenen Beiträge tatsächlich gezahlt worden
sind. Wenn insoweit noch Außenstände bestünden, wären diese beizutreiben; entscheidend ist demgegenüber, dass
insoweit Beitragsansprüche wegen der Beschäftigung des Arbeitnehmers H schon festgestellt sind. Dass dieser
"kaum" auf der Baustelle gearbeitet haben soll, wie die Beklagte meint, weil der Kläger gegen Beitragsrückstände mit
Ansprüchen auf Ausgleichszahlungen wegen Lohnfortzahlung für diesen Arbeitnehmer aufgerechnet hat, ist nicht
nachvollziehbar. Davon abgesehen, dass schon zweifelhaft erscheint, ob Aufrechnungen in den Monaten August und
Oktober 1997 überhaupt die streitbefangene Zeit bis 01.07.1997 betreffen, ist das Argument, der Arbeitnehmer sei
praktisch nicht auf dem Bau erschienen, fernliegend. Er ist bei der Baustellenüberprüfung am 06.05.1997 angetroffen
worden. Dass der Kläger über sonstige "Kleinaufträge" verfügte, die üblicherweise von Teilzeitbeschäftigten erledigt
werden, ist fernliegend, denn nach seinem eigenen Bekunden handelte es sich hier um sein ersten und seinerzeit wohl
auch einzigen Auftrag. Daher ist es eher plausibel, dass der Arbeitnehmer H ausschließlich auf der Baustelle H-straße
eingesetzt war. Die Beklagte missversteht auch die Regelung des § 28 f Abs. 2 Satz 5 SGB IV, wenn sie meint,
verbleibende Zweifel gingen zu Lasten des Klägers, der nachweisen müsse, dass der gemeldete Arbeitnehmer
tatsächlich auf der Baustelle gearbeitet habe. Die Beklagte verkennt insoweit, dass sie die Rechtmäßigkeit ihrer
Schätzung zu beweisen hat. Der Umkehr der Beweislast bezieht sich nur auf das Verfahren nach § 28 f Abs. 2 S. 5
SGB IV. Nur soweit ein Summenbescheid rechtmäßig ergangen ist, trägt der Arbeitgeber im Widerrufsverfahren die
objektive Beweislast für die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht und den Nachweis der Höhe der
Arbeitsentgelte (s. auch LSG NRW, Beschluss vom 01.07.2004 - L 5 B 2/04 KR ER). Allerdings kann nicht das
gesamte bis zum 31.07.1997 gemeldete Entgelt von 5771,00 DM abgesetzt werden. Die Beklagte hat für ihre
Beitragsschätzung Rechnungen an den Bauunternehmer N bis zum 01.07.1997 berücksichtigt. Wie sie im Schriftsatz
vom 23.05.2003 unwidersprochen ausgeführt hat, ergibt sich für Herrn H nach den gemeldeten Entgelten zur
Rentenversicherung für die Zeit vom 03.03. bis 30.06.1997 ein versichertes Entgelt von 4490,00 DM. Somit ist dieser
Betrag von der Schätzungssumme als schon verbeitragtes Entgelt für das hier streitige Bauvorhaben abzusetzen. Der
Gesamtabzug beträgt somit 7250,00 DM. Soweit die Beklagte Beiträge aus einer höheren Lohnsumme als 70.330,00
DM (= 35.959,60 EUR) festgesetzt hat, ist der Bescheid rechtswidrig.
Der Bescheid ist auch insoweit rechtswidrig, als die Beklagte der Erhebung der Beiträge zur Krankenversicherung den
erhöhten Beitragssatz (§ 242 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) zu Grunde gelegt hat. Sie hat dies damit
begründet, die Arbeitnehmer hätten wegen der Nichtigkeit der Verträge keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung gehabt.
Soweit sie sich in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des BGH beruft (BGHZ 111, 308) betrifft diese
Entscheidung nur das Verhältnis zwischen "Schwarzarbeiter" und Auftraggeber. Insoweit besteht kein Anspruch des
"Schwarzarbeiters" auf die vereinbarte Vergütung. Es ist aber nicht festgestellt, dass zwischen dem Kläger und den -
namentlich nicht bekannten - Beschäftigten eine entsprechende Abrede über die Verrichtung von Schwarzarbeit
bestand. Somit kann nicht vom Entfallen von Lohnfortzahlungsansprüchen ausgegangen werden, so dass der
allgemeine Beitragssatz (§ 241 SGB V) anzuwenden ist.
Die Beitragsansprüche sind nicht verjährt, da hier die 30-jährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV gilt.
Der Kläger hat die Beiträge vorsätzlich vorenthalten, wenn er trotz des Einsatzes "eigener" Leute zur Verrichtung des
übernommenen Auftrages diese nicht gemeldet und keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat. Gleiches gilt,
wenn man von illegaler Arbeitnehmerüberlassung ausgeht.
Die Verpflichtung zur Zahlung der Säumniszuschläge ergibt sich aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Angesichts des
Umstandes, das Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind, kommt ein Absehen von der Erhebung der
Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 2 SGB IV nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz i.V.m. § 155 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung. Die Kostenquotelung entspricht dem Maß des Obsiegens bzw. Unterliegens. Der
Kostenausspruch des Sozialgerichts, das zu Unrecht § 193 SGG angewandt hat, war insoweit von Amts wegen zu
ändern. Der Senat durfte diese Kostenentscheidung auch zu Lasten des Klägers korrigieren, obwohl nur dieser
Berufung eingelegt hat, da das Verbot der reformatio in peius für die von Amts wegen zu treffende
Kostenentscheidung nicht gilt.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.