Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.06.2007

LSG NRW: widerspruchsverfahren, akteneinsicht, beendigung, datum, vorverfahren, post, gebühr, vergütung, wiederholung, entstehungsgeschichte

Landessozialgericht NRW, L 12 AL 163/06
Datum:
13.06.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 163/06
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 14 AL 128/05
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln
vom 27.09.2006 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist die Höhe der von der Beklagten an die Klägerin nach einer Abhilfe im
Widerspruchsverfahren zu erstattenden Kosten.
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Die Klägerin meldete sich am 19.11.2003 mit Wirkung zum 01.12.2003 arbeitslos. Zu
diesem Zeitpunkt war auf ihrer Steuerkarte die Steuerklasse IV eingetragen. Mit einer
Veränderungsmitteilung unter dem Datum vom 24.11.2003 informierte die Klägerin die
Beklagte darüber, dass sie ihre Steuerklasse mit Wirkung zum 01.01.2004 geändert hat
in die Steuerklasse V. Diese Veränderungsmitteilung beachtete die Beklagte bei der
Leistungsbewilligung nicht, sondern bewilligte der Klägerin auch ab Januar 2004
Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe A. Durch Bescheid vom 24.05.2005 hob die
Beklagte die Leistungsbewilligung rückwirkend teilweise auf in Höhe der Differenz
zwischen den Leistungsgruppen A und D. Für den Zeitraum vom 01. Januar 2004 bis
06.04.2005 forderte die Beklagte einen Erstattungsbetrag von 3.325,56 EUR.
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Die Klägerin legte durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein und wies darauf hin,
dass sie die Beklagte rechtzeitig über die geänderte Steuerklasse informiert habe.
Außerdem legte der Bevollmächtigte dar, dass die Voraussetzungen für eine
rückwirkende Aufhebung nicht gegeben seien. Die Beklagte übersandte daraufhin ein
Anhörungsschreiben zur rückwirkenden Aufhebung. Der Bevollmächtigte, der
Akteneinsicht genommen hatte, verwies in einem weiteren Schreiben auf die in der
Verwaltungsakte enthaltene rechtzeitige Veränderungsmitteilung der Klägerin. Die
Beklagte half dem Widerspruch durch den Abhilfebescheid vom 07.09.2005 ab und
erklärte sich zur Erstattung der entstandenen Kosten des Widerspruchsverfahrens
bereit, soweit diese Kosten notwendig und nachgewiesen seien.
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Der Bevollmächtigte übersandte der Beklagten eine Rechnung in Höhe von 533,60
EUR, die sich wie folgt zusammensetzt:
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Geschäftsgebühr § 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) 240,00 EUR
Erledigungsgebühr 200,00 EUR Pauschale für Entgelte für Post- und
Telekommunikationsdienstleistungen 20.00 EUR = 460,00 EUR 16 % Mehrwertsteuer
73.60 EUR = 533,60 EUR
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Mit Bescheid vom 22.09.2005 setzte die Beklagte die nach § 63 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch (SGB X) zu erstattenden Kosten des Widerspruchsverfahrens auf
insgesamt 301,60 EUR fest. Dabei berücksichtigte sie nur die Geschäftsgebühr von
240,00 EUR , die Pauschale für Entgelte für Post- und
Telekommunikationsdienstleistungen von 20,00 EUR sowie die Mehrwertsteuer von 16
% (41.60 EUR). Die Erstattung einer Erledigungsgebühr lehnte die Beklagte ab.
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Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie vertrat die Auffassung, dass sich die
Sache im Widerspruchsverfahren aufgrund anwaltlicher Mitwirkung erledigt habe.
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Durch Widerspruchsbescheid vom 20.10.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück. Eine Erledigungsgebühr solle die besondere Mühewaltung des
Rechtsanwalts honorieren, die er aufgewandt habe, um das Verwaltungsverfahren zu
einem günstigen Ende für den Mandanten zu bringen. Deshalb sei eine Mitwirkung des
Rechtsanwalts erforderlich, die nicht nur allgemein auf eine Verfahrensförderung
gerichtet sei, sondern auf den besonderen Erfolg in Gestalt einer Erledigung der Sache
abziele und für diese Erledigung vorrangig mitursächlich sei. Die Erhöhung des
Gebührenrahmens komme nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) nur in Betracht, wenn von einer vergleichsähnlichen
Erledigung des Verwaltungsverfahrens auszugehen sei. An einem gegenseitigen
Nachgeben fehle es, wenn einem Widerspruch voll abgeholfen werde, wie im
vorliegenden Widerspruchsverfahren. Das Einlenken der Behörde als Folge schriftlicher
oder mündlicher Ausführungen des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren verdiene
demnach noch keine Erledigungsgebühr.
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Dagegen hat die Klägerin am 08.11.2005 vor dem Sozialgericht Köln (SG) Klage
erhoben. Sie hat geltend gemacht, dass nach dem neuen Gebührenrecht bereits eine
Abhilfe eine Erledigungsgebühr rechtfertige. Die Beklagte verkenne, dass es hier nicht
um eine Einigungsgebühr gehe, für die ein gegenseitiges Nachgeben erforderlich sei.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 22.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 20.10.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr 533,60 EUR an Kosten
für das Widerspruchsverfahren zu erstatten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie sieht ihre Rechtsauffassung bestätigt durch ein Urteil des Landessozialgerichts
Nordrhein Westfalen vom 29.09.2005 (Az.: L 2 KR 43/05).
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Durch Urteil vom 27.09.2006 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin entgegen der Ansicht
der Beklagten die Erstattung der Erledigungsgebühr nach Nrn. 1005, 1002
Vergütungsverzeichnis (VV) RVG zustehe, weil es sich bei diesem Gebührentatbestand
um eine Erfolgsgebühr handele, für die eine Mitwirkung eines Rechtsanwalts ausreicht,
die auf eine allgemeine Verfahrensförderung gerichtet sei. Es bedürfe keiner sonstigen
qualifizierten anwaltlichen Mitwirkung. Die Tätigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin
habe im vorliegenden Widerspruchsverfahren zur Beendigung des
Verwaltungsverfahrens geführt. Der Bevollmächtigte habe umfangreiche rechtliche
Ausführungen zu Voraussetzungen einer rückwirkenden Aufhebung einer
Leistungsbewilligung gemacht. Insbesondere gehe es auf die Akteneinsicht des
Bevollmächtigten und des daraufhin von ihm gegebenen Hinweises an die Beklagten
zurück, dass die Beklagte die in der Akte enthaltene rechtzeitige
Veränderungsmitteilung der Klägerin hinsichtlich ihrer Steuerklasse zur Kenntnis
genommen habe. Diese Mitwirkungshandlungen reiche aus, um die Voraussetzungen
für die Festsetzung einer Erledigungsgebühr zu begründen.
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Das Urteil ist der Beklagten am 26.10.2006 zugestellt worden. Am 10.11.2006 hat sie
die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen
vor: Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts lägen die Voraussetzungen für das
Entstehen einer Erledigungsgebühr nicht vor. Es sei in erster Linie auf die
Gesetzesbegründung zu Nr. 1002 VV RVG zu verweisen (BT-Drs. 15/1971). Danach
ersetze die Nr. 1002 VV RVG die Vorgängerregelung des § 24
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO). In der zu § 24 BRAGO entstandenen
Rechtsprechung sei weit überwiegend von dem Erfordernis eines zusätzlichen
Tätigwerdens des Anwalts, welches auf eine nichtstreitige Erledigung gerichtet sein
müsse, ausgegangen worden. Ein zusätzliches Tätigwerden liege hier jedoch nicht vor.
Der Bevollmächtigte habe den Rechtsbehelf lediglich fristwahrend erhoben und nach
Akteneinsicht unter Hinweis auf die rechtzeitig erfolgte Mitteilung zur
Steuerklassenänderung begründet. Außerdem sei die anwaltliche Tätigkeit nicht
ursächlich für die Abhilfeentscheidung gewesen. Die Klägerin habe bereits in ihrem
weiteren Antrag auf Arbeitslosengeld nach Beendigung des Kuraufenthalts ausdrücklich
auf die geänderte Steuerklasse hingewiesen. Zudem habe sie bereits vor Zugang des
fristwahrenden Widerspruchs nochmals gezielt auf die Änderung in den Verhältnissen
hingewiesen. Demzufolge sei die Tätigkeit des Bevollmächtigten nicht wesentlich für
den Entschluss der Beklagten gewesen, dem Widerspruch abzuhelfen. Außerdem sieht
sich die Beklagte in ihrer Auffassung bestätigt durch die Urteile des
Bundessozialgerichts - BSG - vom 07.11.2006 (B 1 KR 23/06 R) und 21.03.2007 (B 11a
AL 53/06 R).
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.09.2006 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Für eine Auslegung wie sie das BSG vornehme
bestehe nach dem Wortlaut der Nr. 1005 VV zum RVG kein Raum.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese Akten
waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die vom SG zugelassenen und auch ansonsten zulässige Berufung ist begründet. Die
Klage ist abzuweisen, weil der angefochtene Bescheid nicht rechtwidrig ist. Zu Unrecht
hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin höhere Kosten zu erstatten.
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Gegenstand des Verfahrens ist allein die Entscheidung darüber, in welcher Höhe die zu
erstattenden Aufwendungen festzusetzen sind (§ 63 Abs. 3 S. 1 SGB X). Denn die
Beklagte hat durch Bescheid vom 07.09.2005 bindend festgestellt, dass der Klägerin die
Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach zu erstatten sind. Darüber hinaus hat sie
auch die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts anerkannt (§ 63 Abs. 3 S. 2
SGB X).
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Entgegen der Auffassung des SG kann die Klägerin einen höheren
Kostenerstattungsanspruch wegen der Aufwendungen für das Vorverfahren nicht
geltend machen, denn eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG ist nicht
entstanden. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid den Betrag der zu
erstattenden Aufwendungen zu Recht mit 301,60 EUR festgesetzt. Nach § 2 Abs. 2 Satz
1 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem VV der Anlage 1 zum RVG. Ein
gegenüber der Festsetzung durch die Beklagte höherer Erstattungsbetrag käme nur in
Betracht, wenn zusätzlich eine Erledigungsgebühr angefallen wäre. Eine derartige
Gebühr kann die Klägerin jedoch nicht verlangen, weil die Voraussetzung der Nr. 1005
VV i.V.m. Nr. 1002, dass sich die Rechtssache durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt
hat, nicht vorliegt. Insoweit hat der 1. Senat des BSG unter Zugrundelegung des
Wortlauts, der systematischen Zusammenhänge mit vergleichbaren
Gebührenpositionen, Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrer Entstehungsgeschichte
entschieden, dass die Gebührenposition im Widerspruchsverfahren regelmäßig eine
Tätigkeit verlangt, die über die bloße Einlegung und Begründung des Widerspruchs
hinausgeht (Urteile vom 07.11.2006 - B 1 KR 23/06 R -, - B 1 KR 22/06 R - und - B 1 KR
13/06 R - mit zustimmender Anmerkung Keller, jurisPR-SozR 5/2007 Nr 6;). Der für das
Arbeitsförderungsrecht zuständige 11a Senat des BSG hat sich dem angeschlossen
(Urteil vom 21.03.2007 - B 11a AL 53/06 R -) und auch der erkennende Senat hält diese
Rechtsprechung für überzeugend.
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Ebenso wie in den vom BSG entschiedenen Fällen hat auch hier der
Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Vorverfahren keine Tätigkeit entfaltet, die auf
eine Erledigung gerichtet gewesen und über das Maß dessen hinausgegangen wäre,
das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand der Geschäftsgebühr für das
anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten wird.
Seine Tätigkeit beschränkte sich auf die Einlegung und Begründung des Widerspruchs
unter kurzer Darlegung seines Rechtsstandpunktes und der Wiederholung dieses
Standpunkts in einem weiteren kurzen Schriftsatz nach der Akteneinsicht. Auf die Frage,
ob die Mitwirkungshandlung für die streitlose Erledigung des Vorverfahrens ursächlich
gewesen ist, kommt es dementsprechend auch hier nicht mehr an (vgl. auch BSG
21.03.2007 - B 11a AL 53/06 R -).
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1
oder 2 SGG nicht vorliegen. Die vom SG noch angenommene grundsätzliche
Bedeutung liegt nach der höchstrichterlichen Klärung der Rechtsfragen durch das BSG
nicht mehr vor.
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