Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.08.2001

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Landessozialgericht NRW, L 5 KR 109/99
Datum:
28.08.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 109/99
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 8 KR 160/96
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 22.10.1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu
erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klage richtet sich gegen die Bescheide vom 4.12.1996, mit denen die Beklagte im
Rahmen des Risikostrukturausgleichs den Ausgleich für die Jahre 1994 und 1995
festgestellt hat.
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Durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21.12.1992 (BGBl. I, 2266) ist ab
01.01.1994 ein kassenartübergreifender Risikostrukturausgleich (RSA) eingeführt
worden. Mit dem Ausgleich der finanziellen Auswirkungen der unterschiedlichen
Risikostrukturen der Krankenkassen sollen eine gerechtere Beitragsbelastung der
Versicherten erreicht und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen
abgebaut werden (BT-Drucks. 12/3608, S. 117). Die Finanzsituation jeder
Krankenkasse soll möglichst unabhängig von ihrer konkreten Risikostruktur gestaltet
werden.
3
Das gesetzliche Konzept (§ 266 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 267 Abs. 2 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB V)) sieht die Berücksichtigung der finanziellen Auswirkungen
folgender risikobestimmender Faktoren vor: die beitragspflichtigen Einnahmen der
Mitglieder, die Anzahl der Familienversicherten, die Morbidität, die indirekt über die
Faktoren Alter, Geschlecht und Invalidität (Bezug von EU-/BU-Rente und Rente wegen
verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit) der Versicherten erfasst wird, sowie die
Art der Anspruchsberechtigung auf Krankengeld. Einnahme- und
Ausgabenunterschiede, die nicht auf diese Faktoren zurückzuführen sind, sind nicht
ausgleichsfähig (§ 266 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
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Kern des RSA ist ein Vergleich von Beitragsbedarf und Finanzkraft einer Krankenkasse
(§ 266 Abs. 2 Satz 1 SGB V). In dem Beitragsbedarf drückt sich die individuelle
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Risikobelastung einer Krankenkasse hinsichtlich der Leistungsausgaben aus, während
ihre Finanzkraft die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen ihrer Mitglieder im
Vergleich zu den durchschnittlichen beitragspflichtigen Einnahmen aller Krankenkassen
widerspiegelt.
Da nicht die tatsächlichen Ausgaben einer Krankenkasse, sondern nur die auf den
genannten Faktoren beruhende Risikobelastung ausgeglichen werden soll, werden
durchschnittliche Pro-Kopf-Ausgaben für jede der nach Alter (90 Altersgruppen) und
Geschlecht differenzierten Versichertengruppen, die jeweils nochmals unterteilt werden
nach Versicherten mit und ohne Bezug einer EU-/BU-Rente sowie nach Bestehen und
Beginn eines Krankengeldanspruchs (vgl. im einzelnen § 2 Risikostruktur-
Ausgleichsverordnung (RSAV)), ermittelt (standardisierte Leistungsausgaben, § 266
Abs. 2 Satz 3 SGB V). Dabei werden satzungsmäßige Mehr- und Erprobungsleistungen
sowie Ermessensleistungen (mit Ausnahme der Anschlussheilbehandlung) nicht
berücksichtigt (§§ 266 Abs. 4 SGB V, 4 RSAV); ebenso sind Verwaltungsausgaben
grundsätzlich nicht ausgleichsfähig. Die auf die Versicherten in den einzelnen RSA-
Versichertengruppen ("RSA-Zellen") entfallenden Leistungsausgaben werden in einer
besonderen Datenerhebung ermittelt (§ 267 Abs. 3 SGB V). Die Pro-Kopf-Ausgaben
werden in Verhältniswerte umgerechnet, die zeigen, in welcher Relation die Ausgaben
aller Krankenkassen je Versicherten in den jeweiligen Versichertengruppen zu den Pro-
Kopf-Ausgaben aller Krankenkassen je Versicherten in allen Versichertengruppen
stehen (§ 5 Abs. 1 RSAV). Mit Hilfe der Verhältniswerte und des aus den
Jahresrechnungen bzw. der Versichertenstatistik der Krankenkassen bekannten
durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgabewertes aller Kassen und aller Versicherten wird
dann die Höhe der standardisierten Pro-Kopf-Leistungsausgaben in jeder
Versichertengruppe ermittelt (vgl. im einzelnen § 6 RSAV).
6
Der Beitragsbedarf einer Krankenkasse ergibt sich aus der Multiplikation der Zahl der für
jeden Tag ihrer Kassenzugehörigkeit einer der Versichertengruppe zugeordneten
Versicherten mit den entsprechenden standardisierten Leistungsausgaben und der
Addition dieser Ausgaben für alle Versicherten. Zur Ermittlung der Finanzkraft werden
die kassenspezifischen beitragspflichtigen Einnahmen mit dem bundeseinheitlichen
Ausgleichsbedarfssatz multipliziert (§ 266 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Der
Ausgleichsbedarfssatz entspricht dem Verhältnis der Beitragsbedarfssumme aller
Krankenkassen zur Summe aller beitragspflichtigen Einnahmen (Satz 3 a.a.O.), gibt also
an, wie hoch der Anteil der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sein muss, um die im RSA
berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben finanzieren zu können.
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Beitragsbedarf und Finanzkraft werden schließlich gegenübergestellt. Reicht die
Finanzkraft einer Kasse zur Finanzierung der standardisierten Leistungsausgaben nicht
aus, erhält sie eine Ausgleichszahlung aus dem RSA, während umgekehrt eine Kasse,
deren Finanzkraft ihren Beitragsbedarf übersteigt, die Differenz in den RSA einzahlen
muss (§ 266 Abs. 3 Satz 4 SGB V). Die Summe aller Zahlungsansprüche und -
verpflichtungen ergibt Null.
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Die klagende Betriebskrankenkasse zählte im Jahr 1995 insgesamt 5902 Versicherte
ohne Rentner, darunter 4170 Mitglieder und 1738 Rentner. Ihr Beitragssatz betrug 1996
12,5 %.
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Mit Bescheid vom 04.12.1995 stellte die Beklagte den vorläufigen Ausgleich für das
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Jahr 1994 und mit Bescheiden vom 04.12.1996 den endgültigen Jahresausgleich
jeweils für die Kalenderjahre 1994 und 1995 fest. Der Bescheid für das Kalenderjahr
1994 weist einen Beitragsbedarf der Klägerin von 16.172.716,51 DM und eine
Finanzkraft von 18.261.413,20 DM aus. Daraus ergibt sich eine Ausgleichsverpflichtung
von 2.088.696,69 DM und unter Berücksichtigung höherer geleisteter
Abschlagszahlungen ein Ausgleichsbetrag zugunsten der Klägerin von 36.647,41 DM.
Für das Kalenderjahr 1995 betrug der Beitragsbedarf 27.836.725,61 DM, die Finanzkraft
33.523.257,91 DM, so dass sich eine Ausgleichsverpflichtung von 5.686.532,30 DM
ergab. Nach Abzug der geleisteten Abschlagszahlungen verblieb ein Ausgleichsbetrag
von 1.878.270,81 DM.
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Am 03.12.1996 hat die Klägerin Klage erhoben. Zunächst hat sie sich gegen den
Bescheid vom 04.12.1995, der nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war,
gewandt. Sodann hat sie ihre Klage auch gegen die Bescheide vom 04.12.1996
gerichtet. Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt: Der RSA sei
verfassungswidrig, weil die im RSA berücksichtigten Ausgleichsfaktoren nicht geeignet
seien, Beitragsgerechtigkeit und Chancengleichheit im Wettbewerb herbeizuführen. Der
Gesetzgeber habe es sachwidrig unterlassen, auch Faktoren wie die
"Metropolenfunktion" von regionalen Krankenkassen und die Versicherung besonderer
Risikogruppen zu berücksichtigen. Ferner verstießen die gesetzlichen Bestimmungen
gegen das Rechtsstaatsprinzip, weil für die Betroffenen die Rechtslage und das
Ausmaß des staatlichen Eingriffs nicht erkennbar seien. Sie - die Klägerin - könne
wegen der ihr nicht bekannten Daten anderer Krankenkassen den
Ausgleichsbedarfssatz nicht nachvollziehen. Sie könne auch nicht beurteilen, ob die
verwendeten Daten zutreffend seien. Wegen der häufigen Änderungen der
Berechnungsfaktoren sei ihr eine geordnete Haushalts- und Beitragsplanung nicht
möglich. Ferner sei Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt, da ihre Mitglieder infolge
des RSA einen höheren Beitrag zu zahlen hätten und somit für die gleiche Leistung
mehr bezahlen müssten als ohne RSA. Diese Umverteilung sei nicht mehr durch das
Solidarprinzip gedeckt. Ferner handele es sich bei dem RSA um eine nach EG-Recht
verbotene Beihilfe, weil die Arbeitgeber der bei "Empfängerkassen" versicherten
Arbeitnehmer begünstigt würden.
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Die Beklagte hat den Vorwurf der Zielungenauigkeit des RSA zurückgewiesen. Was
den Regionalfaktor anbelange, sei es gerade das gesetzgeberische Ziel gewesen,
durch die Nichtberücksichtigung dieser Faktoren Anreize zur Beseitigung
unwirtschaftlicher Versorgungsstrukturen zu geben. Der Gesetzgeber habe auch nicht
das Ziel verfolgt, alle Wettbewerbsparameter auszugleichen. Tatsächlich hätten sich seit
Einführung des RSA die Beitragssatzdifferenzen in der GKV verringert. Einzelheiten des
RSA seien in §§ 266, 267 SGB V und in der RSAV im Detail und für die Betroffenen
nachvollziehbar geregelt. Was die Daten anbelange, liege sowohl bei der Meldung der
Leistungsausgaben als auch bei der Übermittlung konkreter Versicherungszeiten die
Verantwortung in erster Linie bei den Krankenkassen. Zunächst seien die
Krankenkassen für die Meldung vollständiger und ordnungsgemäßer Daten
verantwortlich, in zweiter Linie hätten dann die Spitzenverbände die Daten auf
Vollständigkeit und Plausibilität zu überprüfen. Andere Versicherungszeiten als die
gemeldeten dürfe das BVA nur berücksichtigen, wenn entweder die Daten nicht
termingerecht geliefert wurden oder erhebliche Fehler festzustellen seien. Sie - die
Beklagte - wirke im übrigen im Zusammenwirken mit den Aufsichtsbehörden der Länder
auf die ordnungsgemäße Erfassung der Versicherungszeiten hin. Der RSA verstoße
13
auch nicht gegen das EG-Recht, es sei nicht erkennbar, inwieweit es sich um Beihilfen
handele, die bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 22.10.1999 die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des
im Kalenderjahr 1994 betreffenden Bescheids vom 04.12.1996 hat es die Auffassung
vertreten, dieser Bescheid beschwere die Klägerin nicht, weil ein Ausgleichsguthaben
festgestellt werde. Soweit die Klägerin eine fehlerhafte Berechnungsgrundlage
hinsichtlich des Jahresausgleichs 1995 rüge, gehe dieser Vortrag nach Erlass des
Bescheides vom 11.02.1999 ins Leere, weil nach § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V
Korrekturen auch für das Jahr 1995 vorgenommen worden seien.
14
Im Berufungsverfahren nimmt die Klägerin auf ihren erstinstanzlichen Vortrag Bezug. Zu
der Auffassung des Sozialgerichts, dass sie durch den den Jahresausgleich 1994
betreffenden Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt werde, weil dieser Bescheid eine
Forderung gegen die Beklagte feststelle, meint die Klägerin, sie bestreite die sachliche
und rechnerische Richtigkeit dieses Betrages, weil sie die zugrundeliegenden Daten
nicht nachvollziehen könne. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass tatsächlich eine
höhere Forderung zu ihren Gunsten bestehe. Sie vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag
zur "Zielungenauigkeit" des RSA dahingehend, dass der RSA entgegen den Zielen des
Gesetzgebers nicht zu einer Angleichung der Beitragssätze geführt habe. Tatsächlich
trage der RSA zur Risikoselektion im Wettbewerb unter den Krankenkassen bei. Ferner
meint die Klägerin, der RSA sei mit Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG unvereinbar, weil es nach
dieser Vorschrift Aufgabe des Bundes sei, Zuschüsse zu den Lasten der
Sozialversicherung zu tragen. Ferner macht die Klägerin geltend, der RSA verstoße
gegen Vorgaben der Finanzverfassung, weil auch die landesunmittelbaren
Krankenkassen an einem bundesweiten Finanzverbund beteiligt würden.
15
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.10.1999 zu ändern sowie die Bescheide
vom 04.12.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie nimmt auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und die Gründe der angefochtenen
Entscheidung Bezug und hält die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des RSA
für unbegründet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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A. I. Die Anfechtungsklagen sind zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht
§ 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V der Zulässigkeit nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift
werden sachliche und rechnerische Fehler in den Berechnungsgrundlagen, die nach
Abschluss der Ermittlung der Werte festgestellt werden, erst beim nächsten
Ausgleichsverfahren nach den dafür geltenden Vorschriften berücksichtigt. Weder
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Wortlaut noch Entstehungsgeschichte oder Sinn und Zweck der Regelung sprechen für
den Ausschluss der Anfechtbarkeit der Jahresausgleichsbescheide durch diese
Vorschrift.
Der Wortlaut beschränkt den Anwendungsbereich der Regelung auf die Feststellung
sachlicher oder rechnerischer Fehler in den Berechnungsgrundlagen. Er betrifft somit
nur "Einzelfehler" wie beispielsweise unzutreffende Versicherungszeiten oder Fehler
bei der Ermittlung der Leistungsausgaben. Soweit grundsätzliche konzeptionelle
Mängel des RSA-Verfahrens geltend gemacht werden, wie etwa hier das vereinbarte
Stichprobenverfahren oder fehlende Ermittlungen der Beklagten zur Beseitigung
angeblicher Defizite bei der Datengrundlage, kann die Vorschrift schon deshalb nicht
eingreifen, weil diese grundsätzlichen Mängel auch den Ausgleichsverfahren in den
Folgejahren anhaften würden.
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Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift stützt die Ansicht der Beklagten nicht.
Das Ausgleichsverfahren ist in Anlehnung an das Verfahren bei der Durchführung des
früheren Finanzausgleichs in der KVdR geregelt worden (BT-Drucks. 12/3608, S. 118).
§ 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V entspricht fast wörtlich der früheren Regelung des § 272
Abs. 2 Satz 4 SGB V a.F. Deren Vorgängervorschrift § 393b
Reichsversicherungsordnung (RVO) enthielt eine entsprechende Bestimmung nicht.
(Allerdings sah schon die KVdR -Ausgleichsverordnung vom 20.12.1977 (BGBl. I, 3140)
in § 13 Abs. 4 vor, dass das BVA nach Abschluss des Jahresausgleichs bekannt
gewordene Unrichtigkeiten in den Berechnungsgrundlagen beim nächstmöglichen
Schlussausgleich zu berücksichtigen habe.) Die Einfügung der Regelung durch das
Gesundheitsreformgesetz wurde vom Gesetzgeber damit begründet, nachträglich
festgestellte sachliche und rechnerische Fehler sollten nicht zu einer Korrektur
abgeschlossener Ausgleichsverfahren führen, sondern im nächsten Jahresausgleich
berücksichtigt werden. Eine Neufeststellung der Finanzierungsanteile der
Krankenkassen in abgeschlossenen Verfahren sei nicht vertretbar, da auch bei
kleineren Korrekturen sämtliche Finanzierungsanteile der am Ausgleich beteiligten
Krankenkassen neu berechnet werden müssten (BT-Drucks. 11/2237, S. 230). Diese
Ausführungen enthalten keinen Hinweis darauf, dass eine Anfechtung der im Rahmen
der Ausgleichsverfahren ergehenden Bescheide ausgeschlossen werden sollte.
Vielmehr spricht der nach der Begründung mit der Regelung verfolgte Zweck dafür, dass
nur die Bereinigung von "Einzelfehlern" geregelt werden und insoweit die sonst in Frage
stehende Korrektur nach §§ 44, 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)
ausgeschlossen werden sollte. § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V ist insoweit im
Zusammenhang mit dem "Jährlichkeitsprinzip" des § 266 Abs. 1 SGB V zu sehen. Da
der Jahresausgleich bis zum Ende des auf das Ausgleichsjahr folgenden
Kalenderjahres durchgeführt werden muss (§ 19 Abs. 5 RSAV in der Fassung der
1.RSA-ÄndVO vom 17.07.1996, BGBl. I, 1004), hat er ggf. auf der Basis der bis dahin
verfügbaren Daten zu erfolgen. Insoweit stellt § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V das Korrektiv
für die zeitliche Gebundenheit des Jahresausgleichs dar, die unter Umständen dem
Erhalt "besserer" Daten entgegensteht. Fehler, die erst nach Abschluss der Ermittlungen
feststehen, werden dann - ohne dass das "alte" Ausgleichsverfahren wieder aufgerollt
wird - im nächsten Jahresausgleich berücksichtigt.
25
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ergibt sich auch aus dem das
Ausgleichsjahr 1994 betreffenden Bescheid vom 04.12.1996 eine Beschwer der
Klägerin. In dem Bescheid wird nämlich eine Ausgleichsverpflichtung der Klägerin in
Höhe von 2.088.696,69 DM festgestellt. Lediglich wegen der zuvor geleisteten
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monatlichen Abschlagszahlungen (§ 17 RSAV), die höher waren als der im
Jahresausgleich festgestellte Betrag, ergab sich ein "Guthaben" der Klägerin. Diese
monatlichen Abschlagszahlungen haben aber vorläufigen Charakter; erst im
Jahresausgleich wird die verbindliche Entscheidung über das Bestehen eines
Ausgleichsanspruchs oder einer - verpflichtung getroffen. Entscheidend für die
Annahme einer Beschwer ist somit die nach § 19 Abs. 2 RSAV ermittelte
Ausgleichsverpflichtung, die im Bescheid festgestellt wird.
A. II. Soweit mit dem Bescheid vom 04.12.1996 der endgültige Jahresausgleich für das
Kalenderjahr 1994 festgestellt worden ist, ist die in diesem Bescheid getroffene
Regelung im Sinne des § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an die Stelle des im
ursprünglich angefochtenen Bescheids vom 04.12.1995 geregelten vorläufigen
Jahresausgleichs getreten. Die Klägerin hat daher zu Recht den Bescheid vom
04.12.1996 zum Gegenstand ihrer Klage gemacht. Dagegen greift § 96 SGG nicht ein,
soweit in dem den Jahresausgleich 1997 betreffenden Bescheid vom 11.02.1999 eine
Neuberechnung des Beitragsbedarfs für die Kalenderjahre 1994 - 1996 vorgenommen
worden ist. Korrekturen des Beitragsbedarfs für Vorjahre wirken sich nur auf den
Beitragsbedarf des jeweiligen Ausgleichsjahres aus; sie sind lediglich ein
Rechnungsposten bei der Feststellung des aktuellen Beitragsbedarfs. Die
Neuberechnung des Beitragsbedarfs für vorangegangene Jahre ändert nicht den bereits
durchgeführten Jahresausgleich, vielmehr ist nach § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V eine
vorzunehmende Korrektur Bestandteil der Regelung im späteren Ausgleichsverfahren.
Dies gilt auch für die Änderung der Verhältniswerte für die Jahre 1995 und 1996 nach §
25 Abs. 3 RSAV (eingefügt durch die 1. RSA-ÄndVO vom 17.07.1996, BGBl. I, 1024),
die nicht wie die Fehlerkorrektur nach § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V durch die
Wiederholung der jeweiligen Jahresausgleichsverfahren, sondern im Jahresausgleich
1997 erfolgen soll (s. die Begründung der 1. RSA-ÄndVO, BT-Drucks. 403/96, S. 20).
Die in der Anlage 2 des Bescheides vom 11.2.1999 festgestellte Neuberechnung des
Beitragsbedarfs für die Jahre 1994 -1996 ist somit allein Gegenstand der gegen diesen
Bescheid erhobenen Klage.
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B. I. Die Bescheide sind nicht aus formellen Gründen rechtswidrig. Weder war vor Erlass
der Bescheide eine Anhörung der Klägerin (§ 24 SGB X) noch eine Begründung
hinsichtlich der Berechnung des Ausgleichsbetrages (§ 35 Abs. 1 SGB X) erforderlich.
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1. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Konzeption des RSA bestehen bereits Zweifel
an der Anwendbarkeit der genannten Vorschriften. Die Ausgestaltung des RSA-
Verfahrens weicht deutlich von der dem Verwaltungsverfahrensrecht
zugrundeliegenden Kozeption ab und stellt sich als Sonderordnung für diesen Bereich
dar.
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Sowohl bei der Erhebung als auch bei der Auswertung der Daten sind die
Krankenkassen bzw. die sie repräsentierenden Spitzenverbände in das Verfahren
eingebunden. Die Versicherungszeiten werden von den Krankenkassen erhoben und
von den Spitzenverbänden nach Überprüfung auf Vollständigkeit und Plausibilität an
das BVA weitergeleitet (§ 2 Abs. 4 Satz 1, 2 RSAV in der Fassung der 1. RSA-ÄndVO).
Bei erkennbaren erheblichen Fehlern kann das BVA nur nach Anhörung der betroffenen
Spitzenverbände oder der Krankenkassen die Versicherungszeiten des Vorjahres
verwenden (Satz 5 a.a.O.). Die Ermittlung der Leistungsausgaben nach § 267 Abs. 3
SGB V erfolgt auf der Grundlage eines von den Spitzenverbänden nach § 267 Abs. 7 Nr.
1 SGB V vereinbarten Verfahrens. Auch die Ergebnisse dieser Datenerhebung werden
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von den Kassen dem BVA über ihre Spitzenverbände zugeleitet, wobei diese wiederum
zuvor auf Vollständigkeit und Plausibilität zu prüfen haben (§ 5 Abs. 4 Sätze 1 und 2
RSAV). Auch bei der Auswertung dieser Daten wirken die Spitzenverbände mit. Eine
Verbesserung der Stichprobenergebnisse durch statistische Verfahren, Erhebungen
oder wissenschaftlicher Analysen darf nur im Einvernehmen mit den Spitzenverbänden
erfolgen (§ 5 Abs. 3 in der Fassung der 2. RSA-ÄndVO vom 22.10.1997 (BGBl. I, 2494);
nach der zuvor geltenden Fassung der 1. RSA-ÄndVO entschied zwar das BVA nach
Anhörung der Spitzenverbände über die Erforderlichkeit der Verbesserung der
Stichprobenergebnisse, hatte aber einen einheitlichen Vorschlag der Spitzenverbände
zur Verbesserung zu berücksichtigen). Bei der Ermittlung der Verhältniswerte kann das
BVA im Einvernehmen mit den Spitzenverbänden von den Berechnungsvorgaben des §
5 Abs. 1 Satz 1 RSAV abweichen, sofern dadurch eine Verbesserung der
Verhältniswerte erreicht wird (Satz 2 a.a.O. in der Fassung der 2. RSA-ÄndVO).
Schließlich hatte das BVA vor der Entscheidung über eine eventuelle Korrektur der
Verhältniswerte für die Ausgleichsjahre 1994 bis 1996 die Spitzenverbände anzuhören
und war sogar an deren einheitlichen Vorschlag gebunden (§ 25 Abs. 3 Sätze 1, 2
RSAV in der Fassung der 2. RSA-ÄndVO). Auch bei Entscheidungen im monatlichen
Ausgleichsverfahren muss es die Spitzenverbände anhören (§§ 7 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs.
1 Satz 2, 14 Abs. 4 Satz 3 RSAV) bzw. kann im Einvernehmen mit den Verbänden von
Vorgaben der RSAV abweichen (§§ 9 Abs. 3 Satz 2, 13 Abs. 2 Nr. 3 RSAV). Schließlich
erfolgt die Bekanntmachung der für die Berechnung der Ausgleichsbeträge
erforderlichen Werte durch Mitteilung gegenüber den Spitzenverbänden, die ihrerseits
verpflichtet sind, diese unverzüglich an die Krankenkassen, für die sie zuständig sind,
weiterzuleiten (§ 15 RSAV).
Die Gesamtschau der Bestimmungen macht auch deutlich, dass einständiger
Informationsfluss hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen gegenüber den
Spitzenverbänden gewährleistet ist. Diese haben im Rahmen ihrer Unterstützungspflicht
ihre Mitglieder zu informieren (§ 217 Abs. 2 Nr. 1 SGB V): Bei den Verbänden der
Ersatzkassen besteht diese Pflicht unmittelbar gegenüber den betroffenen
Krankenkassen (§ 212 Abs. 5 SGB V), während bei den Orts-, Betriebs- und
Innungskrankenkassen diese Information über die jeweiligen Landesverbände erfolgt
(arg. § 212 Abs. 1 SGB V), die ihrerseits gegenüber den Mitgliedskassen eine
entsprechende Pflicht zur Unterrichtung trifft (§ 211 Abs. 2 Nr. 1 SGB V). Somit ist eine
ständige Information der Krankenkassen über ihre Verbände gewährleistet (was nicht
zuletzt die diversen von den klagenden Krankenkassen in den Verfahren vor dem Senat
eingereichten Verbandsrundschreiben belegen). Sinn und Zweck des
Anhörungsrechtes, nämlich Überraschungsentscheidungen zu vermeiden und das
Vertrauensverhältnis zwischen Behörde und Bürgern zu stärken (BSG SozR 1300 § 24
Nr. 9) wird damit hinreichend Rechnung getragen; von der - auch praktisch nicht
möglichen - individuellen Anhörung aller am RSA beteiligten Krankenkassen vor Erlass
der Ausgleichsbescheide durfte bei der Ausgestaltung des RSA-Verfahrens abgesehen
werden. Angesichts des bei den Kassen vorauszusetzenden Kenntnisstandes ist eine
über allgemeine Erläuterungen hinausgehende Begründung der Berechnung des
Ausgleichsbetrags auch nicht erforderlich.
31
2. a) Selbst wenn man § 24 SGB X grundsätzlich für anwendbar hielte, wäre eine
Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X nicht erforderlich gewesen.
Massenverwaltungsakte i.S.d. Vorschrift liegen vor, wenn es sich um schematische
Entscheidungen handelt, die zu derselben Zeit ergehen, auf derselben Rechtsgrundlage
beruhen und in Art, Form und Inhalt im wesentlichen gleich sind (vgl. von Wulffen in:
32
Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, SGB X, 3. Aufl., § 24
Rdn. 14). Die angefochtenen Bescheide erfüllen diese Voraussetzungen. Die für den
Ausgleich maßgeblichen Parameter sind in §§ 10 bis 12 RSAV geregelt. Die Ermittlung
der Werte erfolgt einheitlich für alle Kassen, Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens
ergeben sich aus den den Krankenkassen bekannten Vereinbarungen der
Spitzenverbände nach § 267 Abs. 7 Nr. 1 SGB V. Individuelle Verhältnisse einer Kasse
sind nur insoweit von Belang, als die Finanzkraft durch Anwendung des GKV-weiten
Ausgleichsbedarfssatzes auf der Grundlage ihrer beitragspflichtigen Einnahmen
berechnet und der Beitragsbedarf durch Anwendung der für die einzelnen RSA-
Versichertengruppen ermittelten standardisierten Leistungsausgaben auf ihre konkrete
Versicherten struktur ermittelt wird. Insofern werden Rechte der Krankenkassen lediglich
von einer für alle identischen Rechtsänderungsformel (vgl. dazu BSGE 69, 247, 249)
berührt.
§ 24 Abs. 2 SGB X stellt das Absehen von der Anhörung zwar in das Ermessen der
Behörde, angesichts der tatsächlichen Unmöglichkeit, in dem zur Verfügung stehenden
Zeitrahmen alle etwa 600 am RSA beteiligten Kassen individuell anzuhören, bestand für
die Beklagte jedoch keine Alternative.
33
b) Aus den gleichen Gründen würde eine Begründung der Bescheide jedenfalls gem. §
35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X nicht erforderlich sein. Im Übrigen könnte nach § 42 Satz 1 SGB
X das Fehlen einer Begründung nicht zur Aufhebung der materiell zutreffenden
Bescheide führen.
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B. II. Die Bescheide sind rechtmäßig. Insbesondere durfte der Jahresausgleich jeweils
auf der Grundlage der gemeldeten Daten berechnet werden.
35
1. Die Beklagte hat der Feststellung des Jahresausgleichs zu Recht die von den
Krankenkassen gemeldeten und von den Spitzenverbänden nach Überprüfung auf
Plausibilität weitergeleiteten Versicherungszeiten zu Grunde gelegt.
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Zwar mochte im streitigen Zeitraum insbesondere die Führung der
Familienversichertenverzeichnisse durch die Kassen noch Mängel aufweisen. Wie der
Senat im Urteil vom heutigen Tag in der Parallelsache L 5 KR 167/00 dargelegt hat, ist
die Beklagte aber insoweit nicht verpflichtet, im Einzelnen die Richtigkeit der
gemeldeten Versicherungszeiten zu überprüfen. Über die Aufsichtsbehörden hat die
Beklagte die Kassen zu einer Grundbereinigung ihrer Versichertenverzeichnisse
veranlasst; die Durchführung dieser Grundbereinigung und die nachfolgende
Bestandspflege ist in zwei Schwerpunktprüfungen kontrolliert worden. Diese
Überprüfung war allerdings erst im Jahr 1998 vor Erlass der den Jahresausgleich 1997
regelnden Bescheide vom 11.02.1999 abgeschlossen. Gleichwohl durfte die Beklagte
die Jahresausgleiche auf der Grundlage der gemeldeten Versicherungszeiten
durchführen.
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Die Überprüfung der korrekten Führung der Versicherungsverzeichnisse obliegt allein
den Aufsichtsbehörden. Das BVA hat nur nach § 3 Abs. 4 Satz 5 RSAV eine
Ersetzungsbefugnis. Von dieser kann es aber nur bei Feststellung erheblicher Fehler
Gebrauch machen, also nicht schon dann, wenn - etwa wegen der nicht
abgeschlossenen Grundbereinigung - nur Fehler möglich sind. Außerdem könnte das
BVA nur von den Daten des Vorjahres ausgehen, die mit dem gleichen "Mangel" der
nicht abgeschlossenen Grundbereinigung behaftet wären. Andererseits schied eine
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Verschiebung des Jahresausgleichsverfahrens bis zur Ermittlung "richtiger"
Versicherungszeiten aus: Gemäß § 266 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist der Ausgleich jährlich
durch zuführen. Wie jetzt in § 19 Abs. 5 RSAV (eingefügt durch die 2. RSA-ÄndVO)
ausdrücklich bestimmt, bedeutet "jährlich" bis zum Ende des auf das Ausgleichsjahr
folgenden Kalenderjahrs. Dass der Gesetzgeber von der Durchführung des RSA im
Folgejahr ausgegangen ist, zeigt die durch das 2. GKV-Neuordnungsgesetz (2. GKV-
NOG) vom 23.06.1997 (BGBl. I, 1520) zum 01.07.1997 novellierte Regelung des § 221
SGB V (wieder gestrichen mit Wirkung zum 01.01.1999 durch das GKV-
Solidaritätsstärkungsgesetz (GKV-SolG) vom 19.12.1998 (BGBl. I, 3853)). Die in § 221
Abs. 1 SGB V damalige Fassung angeordnete Zuzahlungserhöhung bei
Beitragssatzerhöhungen entfiel nach Abs. 4, wenn sich der Beitragssatz allein wegen
Zahlungsverpflichtungen aufgrund des RSA änderte. Da insoweit nach Abs. 4 Satz 2 auf
Änderungen der Verpflichtungen zwischen den Haushaltsjahren abgestellt wurde, liegt
es auf der Hand, dass die regelmäßige jährliche Durchführung des RSA vorausgesetzt
wurde. Für die zeitnahe Durchführung des Ausgleichsverfahrens spricht auch der
Gesichtspunkt der Planbarkeit der Haushalte. Die monatlichen Abschlagszahlungen
erfolgen auf der Grundlage von Schätzungen und vorläufigen Werten, sind also mit
Unsicherheiten behaftet. Daher ist auf der Grundlage der endgültigen
Jahresrechnungsergebnisse ein Ausgleich erforderlich, der immer genauer als die
monatlichen Abschläge sein wird. Ein Hinausschieben bis zum Vorliegen "besserer"
Daten würde die Kassen im Unklaren lassen, ob und ggf in welchem Umfang auf sie
Verpflichtungen zukommen oder ihnen Ansprüche zustehen. Zu Recht wird in der
Begründung zu § 19 Abs. 5 RSAV darauf hingewiesen, ohne Berücksichtigung des
Jährlichkeitsgrundsatzes könne es für die Kassen zu erheblichen
Kalkulationsunsicherheiten kommen (BR-Drucks. 686/97, S. 23). Daher ist auf der
Grundlage der zum Zeitpunkt der Ermittlungen erreichbaren bestmöglichen Datenbasis
der Ausgleich durchzuführen und ggf. erforderlich werdende Korrekturen im späteren
Ausgleichsverfahren vorzunehmen. Eine solche Berichtigung hat das BVA durch
Neuberechnung des Beitragsbedarfs für die Jahre 1994 - 1996 im Jahresausgleich 1997
unter Verwendung der korrigierten Versicherungszeiten vorgenommen.
2) Die Bescheide sind auch nicht wegen Mängel der Datengrundlage hinsichtlich der
Leistungsausgaben rechtswidrig. Die Beklagte durfte und musste die nach dem von den
Spitzenverbänden vereinbarten Verfahren erhobenen Daten ihren Berechnungen
zugrundelegen. Auch insoweit verweist der Senat auf seine Ausführungen im o.g.
Parallelverfahren.
39
B. III. Die Vorschriften des RSA sind sowohl mit dem Grundgesetz (GG) als auch mit EG-
rechtlichen Bestimmungen vereinbar.
40
1. a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelung des RSA ergibt sich
aus Art. 74 Nr. 12 GG. Der Begriff der Sozialversicherung ist weit zu verstehen und
umfasst alles, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt (BVerfGE 87, 1,
34; 75, 108, 146, std. Rspr.). Der RSA ist Teil der Organisation der sozialen
Krankenversicherung und dient der Etablierung eines sozialen Wettbewerbs, dessen
Ziel nicht Risikoselektion und eine Marktverdrängung von Konkurrenten ist, sondern der
zu Beitragssatzgerechtigkeit beitragen soll und bei dem die Verbesserung des
Gesundheitssystems als Ganzes im Vordergrund steht (vgl. BSGE 82,78, 81f). Eine
bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit schon deshalb
notwendig, weil in der GKV landesunmittelbare und bundesunmittelbare
Krankenversicherungsträger konkurrieren und daher bundeseinheitliche
41
Rahmenbedingungen für diesen Wettbewerb erforderlich sind.
b) Die Ausgestaltung des RSA, insbesondere die weitgehende Verantwortlichkeit der
Spitzenverbände für die Ermittlung der ausgleichsrelevanten Daten ist rechtsstaatlich
unbedenklich.
42
Bei der Regelung einer so komplexen und vielschichtigen Materie wie sie der RSA
darstellt, ist dem Gesetzgeber zuzugestehen, dass er sich auf erste Reformschritte
beschränkt, um ausgehend von den gewonnenen Erfahrungen ggf. Korrekturen
vorzunehmen und das Verfahren weiterzuentwickeln (BVerfGE 89, 365, 379 f).Ferner ist
zu berücksichtigen, dass für den Gesetzgeber bei Erlass des GSG dringender
Handlungsbedarf bestand. Die Beitragssatzunterschiede - zwischen 8 bis 16,8 % (vgl.
BT-Drucks. 12/3608, S. 74) - hatten ein verfassungsrechtlich bedenkliches Ausmaß
erreicht. Zwar sind ungleiche Beitragssätze notwendige Folge eines gegliederten
Krankenversicherungssystems (vgl. BSGE 58, 134, 144), so dass angesichts der
grundgesetzlichen Freiheit des Gesetzgebers zur organisatorischen Ausgestaltung der
GKV (BVerfGE 39, 302, 315; 89, 365, 377) im Grundsatz der gegliederte Aufbau der
Krankenversicherung auch das Bestehen von Beitragssatzunterschieden rechtfertigt.
Soweit diese Unterschiede jedoch ein unangemessenes Ausmaß erreichen, ist die
Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr hinnehmbar, zumal Unterschiede in
den Leistungen angesichts des weitestgehend für alle Krankenkassen einheitlichen
Leistungskatalogs verschieden hohe Beitragssätze kaum legitimieren können (BVerfGE
89, 365, 378).
43
Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 08.02.1994 (a.a.O., S. 379) daher
eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Begrenzung der Beitragssatzunterschiede
postuliert. Vor dem Hintergrund dieses verfassungsrechtlichen Auftrags hat der
Gesetzgeber einerseits durch die Aufhebung der gesetzlichen Zuweisung großer
Versichertengruppen (vor allem der Arbeiter) an bestimmte Krankenkassen und die
Einräumung von Kassenwahlrechten den Versicherten die Möglichkeit gegeben, sich
durch Wahl einer anderen Krankenkasse der ungleichen Belastung zu entziehen.
Angesichts der durch die historische Entwicklung bedingten unterschiedlichen
Risikobelastungen der Krankenkassen sollten aber vor der ab 01.01.1996 erstmals
möglichen Kassenwahl durch den RSA möglichst gleiche Wettbewerbsbedingungen für
alle Krankenkassen geschaffen werden. Vorallem hat der Gesetzgeber den RSA als
Bedingung für einen das Solidaritätsprinzip wahrenden Wettbewerb in der GKV
angesehen (BT-Drucks. 12/3608, S. 74). Dabei war bei Beratung des GSG bekannt,
dass die Datengrundlage für die Durchführung des RSA entweder fehlte oder
unzuverlässig war. Letzteres gilt vor allem für die Versicherungszeiten der
Familienversicherten, die nunmehr Bedeutung erlangten, über die den Krankenkassen
bislang aber nur unzureichende Informationen vorlagen (vgl. die Begründung zur
Einführung des § 10 Abs. 6 SGB V, BT-Drucks. 12/3608 S. 76). Gänzlich fehlten
differenzierte Angaben über Grundlöhne und über die nach den Versichertengruppen
differenzierten Leistungsausgaben (a.a.O., S. 118). Da andererseits die
schnellstmögliche Umsetzung des Ausgleichsverfahrens geboten war, lag es für den
Gesetzgeber nahe, zum einen die Krankenkassen und ihre Verbände in das Verfahren
einzubeziehen und ihnen eine weitgehende Verantwortung für die Durchführung des
Verfahrens zuzuweisen. Die Einbindung des Sachverstandes insbesondere der
Spitzenverbände sowie der mit der Notwendigkeit ihrer Einigung verbundene
Interessenausgleich versprach eine reibungslosere Durchführung des RSA; zudem
entspricht die Mitverantwortung der Kassen und ihrer Verbände der Tradition der GKV.
44
Zum anderen sollte - auch im Interesse einer zügigen Durchführung des RSA - der
Verwaltungsaufwand für die Ermittlung der Daten begrenzt werden. Zwar hat der
Gesetzgeber wegen der mit dem Ausgleichsverfahren unter Umständen verbundenen
finanziellen Auswirkungen auf die Beitragsbelastung der Versicherten eine möglichst
solide Datenbasis für erforderlich gehalten. Gleichzeitig sollte aber auch der finanzielle
Aufwand für die Datenerhebung begrenzt werden (a.a.O., S. 118). Insoweit ist ein
Mittelweg gewählt worden, um einerseits eine hinreichende tragfähige Basis für die
Durchführung des RSA zu schaffen und andererseits den Verwaltungsaufwand zu
begrenzen.
c) Der RSA verstößt nicht gegen Grundlagen der Finanzverfassung des Grundgesetzes.
45
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach
über Finanzausgleichsverfahren in der Sozialversicherung, bei denen teils
landesunmittelbare, teils bundesunmittelbare Träger beteiligt waren, zu entscheiden
hatte, ohne dass es eventuelle finanzverfassungsrechtliche Grenzen eines solchen
Finanzverbundes problematisiert hat (vgl. BVerfGE 11, 105; 23, 12; 36, 383; s.a. St.
Weber, Die Organisation der Gesetzlichen Krankenversicherung, 1995, S. 221 ff.).
46
Weder Art. 104a Abs. 1 i.V.m. Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG noch Art. 107 Abs. 2 GG lassen
sich Aussagen zur Zulässigkeit des RSA entnehmen. Beim RSA geht es allein um die
Verteilung von Sozialversicherungsbeiträgen. Diese dienen nicht der allgemeinen
Mittelbeschaffung des Staates, sondern ausschließlich der Finanzierungen der
Sozialversicherung, die Finanzmasse der Sozialversicherung ist auch rechtlich und
tatsächlich von den allgemeinen Staatsfinanzen getrennt (vgl. BVerfGE 75, 108, 148).
47
aa) Der Finanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG ist eine abschließende Regelung nur
für die Umverteilung der den Ländern nach Art. 107 Abs. 1 GG zugewiesenen
Finanzmassen (Vogel/Kirchhof in: Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Art. 107 Rdn.
145; Pieroth in Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 107 Rdn. 6). Art. 107 Abs. 1 GG regelt im
Zusammenhang mit der Verteilung des Finanzaufkommens im Bundesstaat den auf die
einzelnen Länder entfallenden Anteil ("horizontale Verteilung", vgl. BVerfGE 72, 330,
384). Der Finanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG dient der Korrektur der Ergebnisse
dieser primären Steuerverteilung (BVerfGE 86, 148, 214). Dieser sekundäre horizontale
Finanzausgleich befasst sich daher nur mit dem Ausgleich der Finanzkraft der Länder
und Gemeinden und soll die Ausgewogenheit der allgemeinen Haushalte dieser
Gebietskörperschaften sicherstellen. Angesichts der voneinander zu trennenden
Finanzmassen der Sozialversicherung und der allgemeinen Staatsfinanzen und des auf
die Umverteilung der Finanzmassen nach Art. 107 Abs. 1 GG beschränkten
Regelungsgehaltes des Art. 107 Abs. 2 GG ist ein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 2 GG
nicht erkennbar (ebenso St. Weber, a.a.O., S. 240; a.A. P. Kirchhof in: Schulin, HS-KV, §
53 Rdn. 48).
48
bb) Der RSA ist auch nicht wegen Art. 104a Abs. 1 i.V.m. Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG
unzulässig. Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG regelt ebenso wie der Art. 104a Abs. 1 GG die
Lastenverteilung für die Finanzierung von Verwaltungsaufgaben zwischen Bund und
Ländern, wobei Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG abweichend von Art. 104a GG dem Bund für
die dort genannten Bereiche die alleinige Finanzierungsverantwortung zuweist. Art. 120
Abs. 1 GG betrifft aber allein das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, er besagt
auch nichts darüber, in welchem Umfang und für welche Leistungen die
Sozialversicherungsträger Zuschüsse verlangen können (BVerfGE 11, 221, 235; s.a.
49
Pieroth, a.a.O., Art. 120 Rdn. 7). Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG legt somit nicht fest, dass der
Bund immer einen besonderen Zuschussbedarf der Sozialversicherungsträger selbst
tragen müsste und ihn nicht ggf. über Finanzausgleichsverfahren an die
Sozialversicherungsträger weitergeben dürfte (s. Bieback, VSSR 1993, 1, 18). Da es
kein verfassungsrechtlich festgeschriebenes, am Bundessystem orientiertes
Verteilungssystem der Finanzmittel der Sozialversicherungsträger gibt, findet Art. 104a
Abs. 1 GG weder auf Finanztransfers von landes- zu bundesunmittelbaren
Sozialversicherungsträgern noch auf Transferzahlungen zwischen landesunmittelbaren
Versicherungsträgern verschiedener Bundesländer Anwendung (St. Weber, a.a.O., S.
242).
cc) Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 zum
Länderfinanzausgleich (BVerfGE 101, 158) lassen sich angesichts der
unterschiedlichen Ziele von RSA und Länderfinanzausgleich keine Erkenntnisse
gewinnen. Während es bei dem Länderfinanzausgleich um die Verringerung von
Finanzkraftunterschieden unter den Ländern geht, sollen beim RSA unterschiedliche
Risikobelastungen ausgeglichen werden. Jede Krankenkasse soll durch den RSA so
gestellt werden, als habe sie eine GKV-durchschnittliche Versichertenstruktur und
durchschnittliche Beitragseinnahmen. Beitragssatzunterschiede sollen nur noch auf
einer unterschiedlichen Leistungserbringung und Effizienz der Kassen beruhen. Die
Argumentation, die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum Nivellierungsverbot
und dem Verbot einer Verkehrung der Finanzkraftrelation (vgl. a.a.O., S. 222) seien auf
den RSA insofern über tragbar, als es nicht angehe, dass "Zahlerkassen" einen höheren
Beitrag hätten als "Empfängerkassen", verkennt diese Konstruktion des RSA. Wenn die
Finanzkraft einer Kasse ihren Beitragsbedarf übersteigt, ihr Beitragssatz aber höher ist
als der einer Kasse mit umgekehrten Verhältnissen, ist dieser höhere Beitragssatz eher
Ausdruck unwirtschaftlichen Verhaltens der "Zahlerkasse" und kann nicht als Argument
gegen die Zulässigkeit der Ausgleichsverpflichtung angeführt werden.
50
d) Auf die Verletzung von Grundrechten kann sich die Klägerin nicht berufen, weil
Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht grundrechtsfähig sind.
Nach Art. 19 Abs. 3 GG sind juristische Personen in den Schutzbereich materieller
Grundrechte nur einbezogen, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien
Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist (vgl. etwa BVerfGE 75, 192, 195 f.).
Diese Voraussetzungen sind bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts
grundsätzlich nicht erfüllt, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Dies trifft auf die
Krankenkassen zu, denn diese sind dem Staat eingegliederte Körperschaften des
öffentlichen Rechts, die Aufgaben in mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen. Sie
verfügen zwar über einen - begrenzten - Raum eigenverantwortlichen Handelns, sind
aber gleichwohl nur organisatorisch verselbständigte Teile der Staatsgewalt und üben
der Sache nach mittelbare Staatsverwaltung aus (BVerfGE 39, 302, 313).
51
Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts trifft ungeachtet der
zwischenzeitlichen Rechtsentwicklung weiterhin zu. Insbesondere der durch die
Einräumung weitgehender Wahlfreiheit der Mitglieder (§§ 173, 174 SGB V) eröffnete
Wettbewerb unter den Krankenkassen bedeutet entgegen Ramsauer (NJW 1998, 481,
484) nicht, dass die Autonomie der Krankenkassen eine "neue Qualität" gewonnen
hätte. Davon abgesehen, dass auch schon zur Zeit der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts in - eingeschränktem - Rahmen Wettbewerb bestand
(nämlich zwischen Ersatzkassen und sog. "Primärkassen"), hat dieser Wettbewerb eine
andere Funktion und Bedeutung als der Wettbewerb in der gewerblichen Wirtschaft. Er
52
soll eine wirtschaftliche, zweckmäßige und qualitativ hochwertige Versorgung der
Versicherten fördern, wobei nicht die Marktposition der einzelnen Kasse, sondern die
Funktionsfähigkeit des Systems als Ganzes im Vordergrund steht (BSGE 82, 78, 81 f).
Das Verhältnis der Krankenkassen wird auch in diesem Bereich ausschließlich durch
öffentlich-rechtliche Normen bestimmt, Unterlassungsansprüche bei
wettbewerbswidrigem Verhalten ergeben sich allein aus dem Gebot der
Zusammenarbeit in § 86 SGB X (vgl. BGH NJW 1998, 2743, 2744).
Ebensowenig trägt in diesem Zusammenhang der Hinweis auf das
Selbstverwaltungsrecht der Krankenkassen und dessen Ausprägung in der Finanz- und
Haushaltsautonomie (so aber Sodan/Gast, NZS 1999, 265, 267 f.). Die Auffassung,
wegen des Selbstverwaltungsrechts könnten die Krankenkassen nicht als rein staatliche
Institution angesehen werden, übersieht, dass die Selbstverwaltung nur im Rahmen der
Gesetze besteht, sie ist - anders als das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht (Art. 28
Abs. 2 GG) - nicht grundgesetzlich garantiert (St. Weber, a.a.O., S. 282; s.a. Isensee
NZS 1993, 281, 283). Aus gesetzlich eingeräumten Befugnissen und Kompetenzen ist
daher kein Rückschluss auf eine vermeintliche Autonomie der Krankenkassen möglich.
Ebensowenig wie sich die Krankenkassen im Falle von Vereinigungen auf ihr
Selbstverwaltungsrecht berufen können (BSGE 83, 118, 122), ist dieses durch die
Auferlegung von Zahlungsverpflichtungen innerhalb der Organisation der
Krankenversicherung berührt. Die Krankenkassen nehmen am RSA in ihrer Funktionals
Träger der Krankenversicherung innerhalb eines öffentlich- rechtlichen, geregelten
Systems teil und erfüllen auch insoweit nur gesetzlich zugewiesene und geregelte
öffentliche Aufgaben. Sie sind somit in diesem Zusammenhang nicht grundrechtsfähig.
53
e) Ob der RSA an Grundrechten der Versicherten oder der Arbeitgeber zu messen ist,
kann dahinstehen, da jedenfalls eine Verletzung von Grundrechten ausscheidet.
54
aa) Es ist zunächst fraglich, ob aus dem RSA resultierende Beitragserhöhungen oder
(wegen sonst möglicher Beitragsermäßigungen) "Mehrbelastungen" wegen der Struktur
der GKV überhaupt einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Dieser Ansicht liegt die
Sichtweise zugrunde, dass die Mitglieder einer "Zahlerkasse" die Mitglieder der
"Empfängerkasse" "subventionieren", mit anderen Worten die Mitglieder über ihre
"eigentlichen" Beiträge hinaus zusätzliche Zahlungen erbringen. Diese Sichtweise wird
dem RSA deshalb nicht gerecht, weil das Gesetz nach § 1 SGB V "die"
Krankenversicherung, also die Gemeinschaft aller Versicherten, als
Solidargemeinschaft, ansieht. Statt für eine - verfassungsrechtlich zulässige (BVerfGE
39, 302, 315; 89, 365, 377) - Einheitskasse mit einem einheitlichen Beitragssatz für alle
Versicherten hat sich der Gesetzgeber für ein gegliedertes System mit
Krankenversicherungsträgern unterschiedlicher Struktur und regional unterschiedlicher
Verbreitung entschieden. Ungeachtet dieser Gliederung sollen aber durch den RSA die
Solidarlasten gleichmäßig auf die Mitglieder der GKV verteilt und so
Beitragssatzgerechtigkeit erreicht werden. Der Mechanismus des Ausgleichsverfahrens
lässt sich so darstellen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder in einen
gemeinsamen Topf fließen, aus dem dann jede Krankenkasse so viele Beiträge erhält,
wie sie zur Finanzierung ihres spezifischen risikobedingten Beitragsbedarfs benötigt
(vgl. Schneider, a.a.O., S. 130). Das Bild der "Zahler-" und "Empfängerkassen" entsteht
nur deshalb, weil die Kassen zunächst die Beiträge einziehen und dann erst die
risikogerechte Verteilung erfolgt (dagegen fließen im RSA in den Niederlanden die
Beiträge in einen zentralen Fond, aus dem die Krankenkassen dann z.T.
risikoabhängige Kopfpauschalen pro Mitglied erhalten, vgl. Böcken/ Butzlaff/Esche,
55
Reformen im Gesundheitswesen, 2000, S. 87). "Mehrbelastungen" der Mitglieder von
"Zahlerkassen" sind daher nur Ausdruck des innerhalb der GKV bestehenden
solidarisch zu deckenden Finanzbedarfs, so dass sich verfassungsrechtlich keine
Fragen stellen können, die über die Zulässigkeit einer Pflichtmitgliedschaft in einem
gesetzlichen System hinausgehen.
bb) Hiervon abgesehen liegt eine Verletzung der in Betracht kommenden Grundrechte
nicht vor.
56
(1) Das Grundrecht der Mitglieder oder der Arbeitgeber aus Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht
berührt. Sofern die sozialversicherungsrechtliche Stellung des Mitglieds überhaupt
Eigentumsschutz genießt, greift der RSA in diese Position nicht ein, denn eventuelle
Beitragserhöhungen betreffen nicht die bereits erworbene Stellung des Mitglieds. Das
Vermögen als solches wird von Art. 14 Abs. 1 GG nicht geschützt, so dass die
Auferlegung von öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflichten den Schutzbereich des
Art. 14 Abs. 1 GG nicht berührt, sofern der Pflichtige nicht übermäßig belastet wird
(BVerfGE 11, 221, 241; 76, 130, 141; 78, 232, 243; BSG SozR 3-2500 § 6 Nr. 6; s.a.
Jarass in: Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 14 Rdn. 15 m.w.N.). Das ist hier ersichtlich nicht
der Fall.
57
(2) Ob die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG thematisch berührt ist, weil den
Beitragspflichten eine objektiv berufsregelnde Tendenz zukommt (so jedenfalls für die
Arbeitgeber Ramsauer, a.a.O., S. 485) kann offen gelassen werden. Durch die
Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen würde jedenfalls die allgemeine
Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) berührt (vgl. BVerfGE 75, 108, 154 f; 78, 232, 244).
Ein Eingriff ist im Hinblick auf die verfolgten Ziele der Schaffung gleicher
Wettbewerbsbedingungen und der Herstellung von Beitragssatz gerechtfertigt. Diese
Ziele sind verfassungsrechtlich legitim. Der Gesetzgeber war sogar verpflichtet, zur
Beseitigung übermäßiger Beitragssatzunterschiede tätig zu werden (vgl. BVerfGE 89,
365, 379).
58
Die Regelungen des RSA sind auch geeignet, die angestrebten Ziele zu fördern. Für die
Eignung genügt es, wenn der RSA sich nur als erster Schritt in die richtige Richtung
darstellt, da dem Gesetzgeber bei der Regelung eines komplexen Sachverhalts ein
zeitlicher Anpassungsspielraum zuzugestehen ist, so dass er Neuregelungen in
mehreren Stufen verwirklichen darf, um Erfahrungen zu sammeln (BVerfGE 54, 11, 37;
80, 1, 26; 85, 80, 91; 87, 1, 40f). Dass der RSA auch in seiner gegenwärtigen
Ausgestaltung in einem erheblichen Umfang dazu beiträgt, die rein
versichertenstrukturbedingten Unterschiede in den Beitragssätzen abzubauen und er
insoweit einen zentralen Beitrag zu der Chancengleichheit zwischen den miteinander
im Wettbewerb stehenden Krankenkassen leistet, wird in dem vom BMG eingeholten
Gutachten von IGES/Cassel/Wasem "Zur Wirkungsweise des Risikostrukturausgleichs
in der gesetzlichen Krankenversicherung", Endbericht vom 15.02.2001 (im Folgenden:
Endbericht) bestätigt (S. 31 ff.). Das Vergleichsszenario zeigt, dass ohne RSA die
Beitragssätze bei einzelnen Krankenkassen (mit rund 14 Millionen Versicherten)
deutlich über 18 % gelegen hätten (tatsächlicher durchschnittlicher Beitragssatz 13,9 %),
während umgekehrt bei anderen Kassen Beitragssätze von 7,5 %, in zwei Extremfällen
unter 3 % möglich gewesen wären (tatsächlicher durchschnittlicher Beitragssatz 12,6
%).
59
Der RSA ist auch erforderlich, weil ein gleichermaßen geeignetes, weniger belastendes
60
Mittel nicht zur Verfügung steht. Die von Ramsauer (a.a.O., S. 486 f; ihm folgend
Sodan/Gast, a.a.O., S. 273 f) vorgeschlagene Korridorlösung, bei der wegen der durch
die ausgleichsfähigen Risikofaktoren nicht erfassten Kostenfaktoren den Zahlerkassen
einen Zuschlag beim Beitragsbedarf von 5 % zugestanden wird, um dem "nicht
ausgeglichenen Kostenrisiko" angemessen Rechnung zu tragen (wobei sich auf der
anderen Seite die Zahlung an die Empfängerkassen verringern würden), stellt keine
Alternative dar. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass von dieser Lösung nicht nur die
von Ramsauer als benachteiligt angesehenen Kassen, die nur regional begrenzt in
Ballungsräumen mit hoher Versorgungsdichte tätig sind, begünstigt würden, sondern
alle Zahlerkassen (Schneider/Vieß, NJW 1998, 2702, 2704). Die Verringerung der zum
Ausgleich zur Verfügung stehenden Finanzmassen würde außerdem zu größeren
Beitragssatzunterschieden zwischen den Kassenführen, so dass das Ziel einer
Beitragssatzangleichung in geringe rem Maße gefördert würde. Behauptete Mängel in
den Datengrundlagen würden sich auch in der Korridorlösung auswirken und sind daher
kein Argument für deren Vorzug als milderes Mittel.
Schließlich ist der RSA im Vergleich zu dem angestrebten Zweck auch ein
angemessenes Mittel, denn die mögliche Belastung des einzelnen wiegt im Vergleich
mit dem Ziel eines solidarischen Ausgleichs innerhalb der GKV weniger schwer. Wenn
der Gesetzgeber die Krankenkassen von Verfassungs wegen zu einem einzigen Träger
zusammenfassen dürfte, womit ein "totaler" Lastenausgleich verbunden wäre, kann im
übrigen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Regelung, die bei Beibehaltung
des gegliederten Systems eine unterschiedliche Risikobelastung ausgleicht, nicht
anders beurteilt werden (vgl. insoweit BVerfGE 36, 383, 393).
61
f) Das auch bei der Regelung der Rechtsverhältnisse öffentlich- rechtlicher
Körperschaften zu beachtende objektive Willkürverbot (vgl. BVerfGE 62, 354, 370; 76,
130, 139; 78, 232, 248) ist nicht verletzt. Die Behauptung, der Gesetzgeber habe
willkürlich die ausgleichsrelevanten Risikofaktoren begrenzt (so Ramsauer, a.a.O., S.
484; ähnlich Sodan/Gast, a.a.O., S. 270), trifft nicht zu. Vielmehr gibt es für die
Beschränkung auf die indirekten Morbiditätsrisikofaktoren Alter, Geschlecht und
Invalidität vernünftige und einleuchtende Gründe.
62
Soweit gefordert wird, es müsse zusätzlich das gesteigerte Nachfrageverhalten von
Versicherten in Ballungsräumen mit hoher Versorgungsdichte, von dem auf diese
Regionen räumlich beschränkte Kassen in besonderem Maße betroffen seien,
berücksichtigt werden, ist schon zweifelhaft, ob sich empirisch ein Zusammenhang
zwischen Versorgungsdichte und Nachfrageverhalten und daraus resultierender
Belastung von Kassen belegen lässt (das räumt selbst Ramsauer, a.a.O., S. 485 ein).
Zudem handelt es sich bei dem "Regionalfaktor" um einen Faktor, der weniger
ausgleichswürdig als die berücksichtigten Faktoren Alter, Geschlecht und Invalidität ist,
denn eine gute Versorgung vor Ort kommt allein den betreffenden Versicherten zugute,
rechtfertigt also auch deren alleinige Belastung (so schon BSGE 58, 134, 147). Eine
unwirtschaftliche Versorgungsstruktur in Ballungsgebieten darf nach der Logik des RSA,
der Anreize zu einer wirtschaftlichen Leistungsorganisation setzen soll, im übrigen auch
nicht ausgeglichen werden; vielmehr sollen die Krankenkassen auf das Herstellen
wirtschaftlicherer Strukturen hinwirken (Schneider/ Vieß, a.a.O.; vgl. auch Endbericht, S.
183 f.).
63
Soweit es um das allgemeine Morbiditätsrisiko geht, hat zwar die Bestandsaufnahme
der mit dem RSA gemachten Erfahrungen ergeben, dass die Hilfsindikatoren Alter,
64
Geschlecht und Invalidität nicht allein ausreichen, um die Morbiditätsbelastung einer
Kasse zu erfassen. Daher wird sowohl im Endbericht (S. 69) als auch in dem von
einigen Spitzenverbänden eingeholten Gutachten von Lauterbach/ Wille eine
Weiterentwicklung des RSA mit dem mittelfristigen Ziel einer direkten
Morbiditätsorientierung vorgeschlagen (s.a. BT- Drucks. 14/5681, S. 13). Die Gutachter
des Endberichts betonen aber gleichzeitig gegenüber der Kritik, dass es sich bei der
Nichtberücksichtigung des direkten Morbiditätsrisikos um einen "Geburtsfehler" des
RSA handele und dass realisierbare Alternativen zu den indirekten Indikatoren bei der
Einführung des RSA durch das GSG nicht zur Verfügung gestanden hätten. Schon die
Enquete-Kommission des Bundestages "Strukturreform der Gesetzlichen
Krankenversicherung" war in ihrem Endbericht vom 04.11.1989 nur zu dem Ergebnis
gekommen, prägend für die Versicherungs- und Risikostruktur einer Krankenkasse sei
die Altersgliederung, die geschlechtsspezifische Verteilung und die
Familienversichertenquote (BT-Drucksache 11/6380, S. 191 ff., 193). Wegen der nach
wie vor unzureichenden Datenlage haben die Gutachter einen nach Stufen gegliederten
Zeitplan für die Einführung eines morbiditätsorientierten RSA bis zum 01.01.2007
vorgeschlagen (S. 90 ff.; so jetzt auch die Einfügung eines § 268 im Entwurf eines
Gesetzes zur Reform des RSA, BT-Drucks. 14/6432, S. 4). Vor dem Hintergrund des bei
Erlass des GSG bestehenden Handlungsbedarfs und des dem Gesetzgeber bei der
Gestaltung komplexer Sachverhalte zuzugestehenden zeitlichen
Anpassungsspielraums war die Wahl der Ausgleichsfaktoren sachlich begründet.
2. Die Vorschriften über den RSA sind auch mit dem Europarecht vereinbar.
65
a) Der RSA ist keine verbotene Beihilfe i.S.d. Art. 92 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung
der Europäischen Gemeinschaft (EGV) in der bis 30.04.1999 geltenden Fassung (= Art.
87 der seit 01.05.1999 geltenden Fassung durch den Vertrag von Amsterdam (EG)). Der
Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der Entscheidung vom 02.07.1974 (Slg. 1974, S.
709 Rdn. 33/35) in der teilweisen Befreiung von den Soziallasten eine unzulässige
Beihilfe gesehen, wenn Unternehmen eines bestimmten Industriezweiges teilweise von
den finanziellen Lasten freigestellt werden sollen, die sich aus der normalen
Anwendung des allgemeinen Sozialversicherungssystems ergeben, ohne dass diese
Befreiung durch die Natur oder den inneren Aufbau dieses Systems gerechtfertigt ist.
Der RSA kann in diesem Sinne keine verbotene Beihilfe im Verhältnis zu solchen
Arbeitgebern sein, deren Arbeitnehmer bei "Empfängerkassen" versichert sind und die
wegen der RSA-Transferzahlungen unter Umständen einen geringeren Beitragsanteil
zu zahlen haben. Davon abgesehen, dass angesichts der Wahlfreiheit der Arbeitnehmer
diese sowohl bei "Zahler-" wie "Empfängerkassen" versichert sein können, ein
Arbeitgeber also sowohl "belastet" wie "entlastet" sein kann, ist der RSA ein integraler
Teil des deutschen Krankenversicherungssystems: Be- und Entlastungen von
Arbeitgebern, die sich aus der Anwendung des RSA ergeben, beruhen auf der
"normalen Anwendung des allgemeinen Sozialversicherungssystems".
66
b) Auch ein Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften der EG (Art. 85, 86, 90 EGV =
Art. 81, 82, 86 EG) liegt nicht vor. Da diese Normen nur das Handeln von Unternehmen
betreffen, Wettbewerbsbeschränkungen aber allenfalls aus den angefochtenen
Bescheiden folgen könnten, ist schon nicht erkennbar, inwiefern das Wettbewerbsrecht
eingreifen soll. Ferner sind Ausgleichszahlungen innerhalb des auf die Bundesrepublik
beschränkten gesetzlichen Krankenversicherungssystems nicht geeignet, den - im
Bereich der Systeme der sozialen Sicherheit gar nicht stattfindenden - Wettbewerb
innerhalb des gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen. Im übrigen sind die
67
Krankenkassen jedenfalls soweit es um die Durchführung der (Pflicht-)Versicherungen
und die damit zusammenhängenden Fragen geht keine Unternehmen i.S.d. genannten
EG-Vorschriften: Sie werden nach den vom EuGH in der Entscheidung "Poucet/Pistre"
(Slg. 1995, I-637 Rdn. 18) entwickelten Kriterien nicht wirtschaftlich tätig, sondern
erfüllen ausschließlich soziale Aufgaben (Heinze, BG 1995, 89, 92; Becker, JZ 1997,
534, 540; Rolfs, SGb 1998, 202, 205; Bieback, EWS 1999, 361, 362; Möller, VSSR
2001, 25, 35).
c) Ebensowenig liegt ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 EGV = 49
EG) vor. Die in diesem Zusammenhang genannten Entscheidungen des EuGH
"Decker" (Slg. 1998, I-1831) und "Kohll" (Slg. 1998, I-1931) sind nicht einschlägig, da
sie nur die Frage der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in einem anderen
Staat der EG betreffen. Soweit es um das grenzüberschreitende Angebot von
Versicherungen geht, sind in der Dritten Richtlinie Schadensversicherung (RL
92/49/EWG) des Rates vom 18.06.1992 (ABl. L. 228, S. 1) die
Sozialversicherungssysteme ausdrücklich von deren Geltung ausgenommen worden.
Der EuGH hat in der Entscheidung "Garcia" (Slg. 1996, I-1673) bestätigt, dass vom
Geltungsbereich dieser Richtlinie nicht nur die Träger, sondern auch die
Versicherungen und Vorgänge, mit denen sich die Träger in die sem Zusammenhang
befassen, ausgenommen worden sind. In diesem Zusammenhang hat er herausgestellt,
dass in der EG zwei Krankenversicherungsysteme existieren: ein privates System, das
der Richtlinie unterliegt und daneben ein anderes, das den Charakter eines Systems der
sozialen Sicherheit hat und vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen ist
(a.a.O. Rdnr. 12). Ferner hat er darauf hingewiesen, Systeme der sozialen Sicherheit,
die auf dem Solidaritätsgrundsatz beruhten, benötigten die Versicherungspflicht, die bei
Anwendung der Richtlinie beseitigt würde (a.a.O. Rdn. 14 f). Nach dieser Entscheidung
gilt somit im Bereich der Sozialversicherungssysteme die Dienstleistungsfreiheit
insoweit nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
69
Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die
Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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