Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.01.2001
LSG NRW: abtretung, arbeitslosenhilfe, miete, unterkunftskosten, klageänderung, stadt, auszug, verordnung, arbeitslosenversicherung, verfügung
Landessozialgericht NRW, L 9 AL 202/99
Datum:
18.01.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 9 AL 202/99
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 35 (1) AL 72/97
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 05. November 1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind
nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin verlangt im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Feststellung,
dass die Beklagte verpflichtet war, für die Zeit von April 1997 bis Januar 1998 das
wohlverstandene Interesse der Beigeladenen an der Abtretung der Arbeitslosenhilfe in
Höhe der Miete auszusprechen.
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Die mit ihrem Sohn in einem Haushalt zusammenlebende Beigeladene bezog von der
Beklagten in der Zeit von Februar 1997 bis Januar 1998 Arbeitslosenhilfe in Höhe von
849,60 DM (Februar bis Juni 1997), 932,70 DM (Juli und August 1997), 804 DM
(September bis Dezember 1997 und schließlich 830,18 DM (Januar 1998). Seit dem
01.11.1996 bewohnte sie eine Wohnung der Klägerin. Nachdem sie im Dezember 1996
und Januar 1997 mit der Mietzahlung in Rückstand war, kündigte ihr die Klägerin
fristlos. Am 05.02.1997 unterzeichnete die Beigeladene eine vorgedruckte Erklärung,
mit der sie zur Begleichung der künftigen Miete ihre Ansprüche auf Arbeitslosenhilfe in
Höhe von 664 DM monatlich an die Klägerin abtrat. Diese übersandte der Beklagten
noch am selben Tag die Abtretungserklärung und bat, das wohlverstandene Interesse
der Beigeladenen an der Abtretung auszusprechen. Es sei auch zukünftig mit
Mietrückständen zu rechnen. Die Abtretung habe den Zweck, der Beigeladenen die
Mietwohnung zu erhalten. Die Beigeladenen werde durch die Abtretung nicht
hilfebedürftig, weil die Unterkunftskosten in die Bedarfsprüfung einer möglichen
Sozialhilfegewährung einfließen würden. Wohngeld erhalte die Beigeladene nicht.
Pauschaliertes Wohngeld sei in der ergänzenden Hilfe zum Lebensunterhalt für ihren
Sohn bereits enthalten.
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Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 05.02.1997 - bestätigt durch
Widerspruchsbescheid vom 16.05.1992 - ab. Die Abtretung liege nicht im
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wohlverstandenen Interesse der Beigeladenen. Der gewünschte Erfolg könne auch auf
andere Weise, etwa durch die Einrichtung eines Dauerauftrags erreicht werden. Die
Klägerin habe nicht konkret dargelegt, dass die Beigeladene durch die Abtretung nicht
sozialhilfebedürftig werde. Es sei auch nicht geklärt, ob diese einen Anspruch auf
Wohngeld habe. Der wöchentliche Leistungssatz der Beigeladenen liege im übrigen
unterhalb der Pfändungsfreigrenze.
Die Klägerin hat am 10.06.1997 Klage erhoben und ihrer Ansicht nach vergleichbare
Fälle angeführt, in denen die Beklagte das wohlverstandene Interesse ausgesprochen
habe. Vor dem Hintergrund, dass die Beigeladene inzwischen ausgezogen sei, hat sie
den Klageantrag geändert und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 12.254,82 DM an
sie zu zahlen.
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Die Beklagte, die die Arbeitslosenhilfe laufend an die Beigeladene ausgezahlt hat, hat
darauf hingewiesen, dass dieser lediglich 207,00 DM zum Lebensunterhalt verblieben
wären. Die Klage sei auch nach der Klageänderung unbegründet.
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Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 05.11.1999 abgewiesen. Die Klägerin
habe gegenüber der Beklagten keinen wie auch immer gearteten Zahlungsanspruch.
Dieser könne nur bestehen, wenn der ursprünglich angefochtene Bescheid rechtswidrig
gewesen sei. Zu Recht habe die Beklagte die Feststellung des wohlverstandenen
Interesses der Beigeladenen an der Abtretung abgelehnt. Dieses könne nicht
festgestellt werden, wenn durch die Abtretung Sozialhilfebedürftigkeit herbeigeführt oder
verstärkt werde.
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Die Klägerin hat gegen das ihr am 24.11.1999 zugestellte Urteil am 10.12.1999
Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe den Sinn und Zweck des § 53 Abs 2 Nr 2
Sozialgesetzbuch/Allgemeiner Teil (SGB I) verkannt. Die Abtretung diene der
Vermeidung drohender Oddachlosigkeit. Es gehe gerade nicht um den Ausgleich
zurückliegender Schulden, sondern um die Abtretung laufender Mietzahlungen. Durch
den einen oder anderen Weg der Zahlung entstehe keine zusätzliche
Sozialhilfebedürftigkeit. Im Hinblick auf den zwischenzeitlich erfolgten Auszug der
Beigeladenen hat sie die Klage im übrigen zurückgenommen und lediglich noch die
Feststellung verlangt, dass die Beklagte zu Unrecht das wohlverstandene Interesse an
der Abtretung verneint habe.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05.11.1999 zu ändern und festzustellen,
dass die Beklagte das wohlverstandene Interesse hinsichtlich der Abtretung der
Arbeitslosenhilfe mit Bescheid vom 25.02.1997 hätte feststellen müssen
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtenen Urteil für zutreffend.
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Die Beigeladene hat sich im Verfahren bisher nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
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Das Gericht hat durch telefonische Rückfrage (vgl. Telefonvermerk vom 15.01.2001)
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beim Sozialamt der Stadt Hagen festgestellt, dass der Klägerin im Januar und Februar
1997 106,20 DM im März 1997 119,20 DM und im April 1997 241,40 DM ergänzende
Hilfe zum Lebensunterhalt gezahlt worden ist. Ab Mai hat die Klägerin, nachdem ihrem
Sohn Ausbildungsvergütung gezahlt worden ist, keine ergänzende Hilfe mehr erhalten.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, diese Tatsachen seien ihr
bekannt. Sie hat im übrigen bestätigt, dass sie -unaufgefordert- vom Sozialamt im
Januar 267,90 DM, im Februar 1997 DM 241,40 DM, sowie im März und April jeweils
413,40 DM erhalten habe.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der
Beteiligten verwiesen. Auch die Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständliche
Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig, nicht begründet. Es ist zweifelhaft, ob die
mit Schriftsatz vom 08.07.2000 erklärte Änderung der Klage in eine
Fortsetzungsfestellungsklage zu diesem Zeitpunkt noch möglich war. Denn die Klägerin
hatte bereits im Klageverfahren am 26.05.1998 die gegen die Bescheide vom
25.02.1997 und 16.05.1997 gerichtete Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, nachdem
das Verpflichtungsbegehren sich nach dem Auszug der Beigeladenen erledigt hatte
(vgl. hierzu Bundessozialgericht -BSG- Urteil vom 06.04.2000, B ...), jedenfalls unter
Berücksichtigung des Antrags in eine Zahlungsklage geändert. Es ist aber aufgrund
ihres gesamten Sachvortrags davon auszugehen, dass sie auch schon nach der
Erledigung des Verpflichtungsbegehrens mit der Klageänderung vom 26.05.1998
entgegen deren Wortlaut weiterhin eine Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der
angefochtenen Verwaltungsakte angestrebt und damit inzidenter ein
Fortsetzungsfeststellungsbegehren zum Ausdruck gebracht hat, und zwar vor dem
Hintergrund der Geltendmachung einer konkreten Schadensersatzforderung, von deren
sofortiger Durchsetzung sie im Berufungsverfahren Abstand genommen hat. Im Hinblick
auf die Vielzahl der ähnlich gelagerten Abtretungsfälle zwischen den Beteiligten
(Wiederholungsgefahr) und dem Hinweis auf den beabsichtigten Amtshaftungsprozess
besteht auch ein Interesse an der Feststellung, ob die Beklagte verpflichtet war, das
wohlverstandene Interesse an der Abtretung der Arbeitslosenhilfe auszusprechen.
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Das wohlverstandenen Interesse der Beigeladenen an der Abtretung der
Arbeitslosenhilfe in Höhe der Miete von 664,00 DM ist nicht zu bejahen. Nach der
Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 06.04.2000, ...; BSG SozR 1200 § 53 AFG Nr. 2),
der sich der Senat anschließt, kann die Abtretung der Arbeitslosenhilfe zur Deckung der
Miete allerdings dann im wohlverstandenen Interesse des abtretenden
Leistungsempfängers liegen, wenn dem Abtretenden für den Lebensbedarf ohne
Wohnkosten der Regelsatz der Sozialhilfe verbleibt. Das war hier jedoch nicht der Fall,
denn zum Zeitpunkt der Abtretung im Februar 1997 verblieben der Beigeladenen
einschließlich der ihr bis April 1997 von der Stadt Hagen gezahlten ergänzenden Hilfe
zum Lebensunterhalt weniger als der damals geltende Regelsatz der Sozialhilfe für den
Haushaltsvorstand in Höhe von 531,00 DM (Verordnung über die Regelsätze der
Sozialhilfe vom 25.06.1996, in Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-
Westfalen Nr. 27 vom 29.06.1996). So hätten ihr, wenn die Abtretung vollzogen worden
wäre, einschließlich der gezahlten ergänzenden Hilfe zum Lebensunterhalt ca. 300,00
DM monatlich, ab Mai sogar nur noch etwa 200,00 DM zur Verfügung gestanden. Nicht
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entscheidend ist, ob die Beigeladene, wie im Schreiben der Klägerin an die Beklagte
vom 05.02.1997 vorgetragen, durch die Abtretung überhaupt nicht (gemeint war:
vermehrt) hilfebedürftig geworden wäre. Maßgebend für die Beurteilung des
wohlverstandenen Interesses kann nur sein, welcher Betrag der Beigeladenen jeweils
konkret zum Leben verbleibt, nicht hingegen, ob - so die Klägerin - grundsätzlich auch
Unterkunftskosten in die Bedarfsprüfung einer möglichen Sozialhilfeleistung einfließen.
Die am 05.02.1997 vorgenommenen Abtretung der Arbeitslosenhilfe in Höhe der Miete
von 664 DM lag schließlich auch schon deshalb nicht in wohlverstandenen Interesse
der Beigeladenen, weil die Klägerin vom Sozialamt im Januar 1997 267,90 DM, im
Februar 1997 241,40 DM, im März und April 1997 jeweils 413,40 DM erhalten hat und
die Abtretung in Höhe von 664,00 DM zu einer Übersicherung geführt haben würde.
Nach Überweisung der abgetretenen 664,00 DM an die Klägerin hätte diese
Überbefriedigung nachträglich, also nur mit Verzögerung und auf Betreiben der
Beigeladenen, korrigiert werden können. Das kann nicht in deren wohlverstandenen
Interesse liegen. Dem Einwand der Klägerin, sie habe selbstverständlich nur die offenen
Beträge beansprucht, ist entgegenzuhalten, dass sich die Abtretung der
formularmäßigen Abtretungsurkunde nach ausdrücklich und ohne Einschränkung auf
die volle Miethöhe bezog. Gerade aber weil durch das Sozialamt bereits
Unterkunftskosten an die Klägerin abgeführt waren, hätte es ihr oblegen, der Beklagten
alle ihr bekannten und erkennbaren Umstände unverzüglich mitzuteilen und den jeweils
noch offenen Spitzbetrag zeitnah zu beziffern. Dies gilt auch für den Zeitraum des
Widerspruchsverfahrens. Wenn - wie hier - die Höhe des der Leistungsempfängerin für
den Lebensbedarf verbleibende Betrages zudem auch noch von verschiedenen
Unwägbarkeiten wie der Beantragung von Sozialhilfe und Wohngeld, der
Berücksichtigung weiterer Mitbewohner und deren Einkünfte (Ausbildungsvergütung
des Sohnes) bestimmt ist, die von der Beklagten vor einer Feststellung des
wohlverstandenen Interesses der Beigeladenen an der Abtretung erst noch
umfangreiche Ermittlungen erfordern, kann die beantragte Feststellung jedenfalls
aufgrund einer formularmäßigen und pauschalen, nicht differenzierten Abtretung nicht
erwartet werden. Die Entscheidung der Beklagten war danach nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht als gegeben
angesehen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG).
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