Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 04.01.2007

LSG NRW: eltern, haushalt, heizung, familie, umschulung, darlehen, hauptsache, verfassungsrecht, ausschuss, zivilprozessordnung

Landessozialgericht NRW, L 19 B 134/06 AS ER
Datum:
04.01.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 134/06 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 11 AS 211/06 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23. November 2006 werden
zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu
erstatten. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
1
Die Antragsgegnerin bewilligte dem 1984 geborenen Antragsteller, der mit seinen Eltern
in einem Haushalt lebt, Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) bis zum 31.08.2006, lehnte aber eine Weiterbewilligung ab,
weil der Antragsteller nunmehr Leistungen nur noch in Bedarfsgemeinschaft mit seinen
Eltern beanspruchen könne (Bescheid vom 09.08.2006, Widerspruchsbescheid vom
09.08.2006 - richtig: 18.10.2006).
2
Den Antrag, die Antragsgegnerin vorläufig zur Gewährung von Leistungen an den
Antragsteller zur Sicherung seines Lebensunterhalts zu verpflichten und ihm für das
Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, hat das Sozialgericht Gelsenkirchen mit
Beschluss vom 23.11.2006 abgelehnt, weil ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft
gemacht worden sei und das Gericht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der
bestehenden Gesetzeslage habe.
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Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnung zur
Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b
Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese
Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
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Durch das Gesetz zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.03.2006
(BGBl. I S. 558) ist § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II dahin gefasst worden, dass zur
Bedarfsgemeinschaft, deren Mitglieder Leistungen nach dem SGB II erhalten, auch die
dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nrn. 1 bis 3 genannten
Personen gehören, wenn sie das fünfundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet
haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus
eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. Diese Gesetzesänderung
beruhte auf der Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss).
Sie sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass volljährige Kinder, die noch im
Haushalt ihrer Eltern leben, nicht die Generalkosten eines eigenen Haushaltes
aufzuwenden haben, so dass sie in die Bedarfsgemeinschaft der Eltern einbezogen
werden sollen bei gleichzeitiger Reduzierung des Regelbedarfs von 100 % auf 80 %
(BT-Drucks. 16/688 S. 13f.). Den dagegen u.a. geäußerten Bedenken, dass diese
Regelung im Widerspruch zum geltenden Unterhaltsrecht stehe (BT-Drucks. a.a.0. S.
11) - volle Anrechnung des elterlichen Einkommens auf die Leistungsansprüche der
entsprechenden Kinder trotz fehlender gesetzlicher Unterhaltspflicht - hat der
Gesetzgeber keine Beachtung geschenkt. 0b diese Regelung daher Verfassungsrecht
verletzt (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1, 20 Abs. 1 Grundgesetz - GG - wegen
gleichheitswidriger Benachteiligung dieses Personenkreises, der Familie und
Verletzung des Sozialstaatsprinzips) oder ob ggf. im Wege der verfassungskonformen
Auslegung volljährige Kinder bis zum 25. Lebensjahr, die noch im Haushalt ihrer Eltern
leben, unabhängig von deren Einkünften 80 % des Regelbedarfs und ggf. anteilige
Kosten der Unterkunft und Heizung beanspruchen können, bedarf vorliegend keiner
abschließenden Beurteilung, weil der Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsgrund
glaubhaft gemacht hat.
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Der Antragsteller hat zwar behauptet, ihm drohe ohne die begehrte Verpflichtung der
Antragsgegnerin der Abbruch seiner Umschulung zum Garten- und Landschaftsbauer,
er hat aber weder dargelegt, welche Mittel er insoweit aufzubringen hat, noch welche
Leistungen er von seinen Eltern erhält noch inwieweit er eigenes Einkommen derzeit
erzielen kann. Allein die vom 14.11.2006 datierende Bescheinigung des Vaters, er
zahle seinem Sohn keinen Unterhalt, ist insoweit nicht aussagekräftig, weil sie nichts
darüber besagt, ob der Vater andere Leistungen - sei es in Naturalform, sei es als
Darlehen oder sonstiger Art - dem Antragsteller zuwendet. Bei dieser Sachlage ist es
weder glaubhaft gemacht, dass der Unterhalt des Antragstellers gefährdet ist noch dass
ihm schwere und durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht revidierbare
Nachteile drohen.
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Die Beschwerde war daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193
SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
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Da der Antrag und die Beschwerde gemäß vorstehenden Ausführungen keine Aussicht
auf Erfolg im Sinne des § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO bieten, mussten auch die
Beschwerde gegen die Ablehnung bzw. der Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe erfolglos bleiben.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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