Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.01.2002

LSG NRW: versorgung, krankenversicherung, zuschuss, genehmigung, widerspruchsverfahren, folgekosten, zahnarzt, erhaltung, leistungsanspruch, rechtskraft

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 173/00
Datum:
24.01.2002
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 173/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Münster, S 3 KR 1/99
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Münster vom 09.08.2000 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten
sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Kosten für das Auswechseln von Zahnimplantatteilen.
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Der bei der Beklagten versicherte Kläger wurde 1992 mit Implantaten versorgt. Die
Beklagte beteiligte sich an den Kosten dieser Versorgung. Ihre Notwendigkeit wurde
von dem behandelnden Zahnarzt Dr. L ... damit begründet, aufgrund einer Atrophie des
Unterkiefers sei die Herstellung eines funktionellen Randes der totalen
Unterkieferprothese behindert, eine normale Versorgung durch eine totale
Unterkieferprothese sei nicht möglich. Die Beklagte beteiligte sich auch in der Folgezeit
an den Kosten des erforderlichen Wechselns von Implantatteilen.
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Im Dezember 1997 fand eine weitere Folgebehandlung (Wechseln eines Sekundärteils)
statt, wofür Zahnarzt Dr. L ... in der Liquidation vom 12.01.1998 insgesamt 520,13 DM in
Rechnung stellte. Die Erstattung dieses Betrages lehnte die Beklagte mit Bescheid vom
16.01.1008 ab, da Implantate nicht zu den geschuldeten Leistungen zählten. Im
Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die Implantate seien seinerzeit nach
Prüfung und Genehmigung durch die Beklagte eingesetzt worden, sie habe sich auch in
der Folgezeit an dem jährlich notwendigen Wechsel der Sekundärteile beteiligt. Die
gesetzliche Neuregelung betreffe nur die Neuversorgung mit Implantaten, so dass die
Beklagte verpflichtet sei, jedenfalls einen Teil der entstandene Behandlungskosten zu
tragen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
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Zur Begründung der Klage hat der Kläger im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem
Widerspruchsverfahren wiederholt. Er hat gemeint, aufgrund der früheren Genehmigung
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der Implantate habe die Beklagte einen Vertrauenstatbestand geschaffen und sei
deshalb verpflichtet, auch die weiteren Folgekosten zu tragen.
Mit Urteil vom 09.08.2000 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäss zur
Erstattung des Betrages von 520,13 DM verurteilt. Es hat vorgetragen, der gesetzliche
Leistungausschluss der Implantate greife nur ein, wenn es um die erstmalige
einheitliche Versorgung mit Implantaten und Suprakonstruktionen gehe. Im Jahre 1992
habe keine medizinische Alternative gegenüber einer Versorgung mit Implantaten
bestanden, nachdem der Kläger mit Implantaten versorgt sei, gebe es auch heute keine
alternativen Behandlungsmöglichkeiten.
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Die Beklagte hat die zugelassene Berufung eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, die
gesetzliche Regelung gelte entgegen der Auffassung des Sozialgerichts
uneingeschränkt, das Gesetz enthalte einen bewußten und gewollten
Leistungsausschluss. Versicherte könnten auf den Fortbestand von Leistungen in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht vertrauen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 09.08.2000 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und weist darauf hin, die Versorgung mit
Implantaten sei aus medizinischen Gründen notwendig gewesen. Es habe sich um die
einzig mögliche und wirtschaftliche Versorgungsform gehandelt. Die Beklagte sei somit
verpflichtet, die notwendigen Folgekosten zu tragen.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die kraft Zulassung statthafte (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und
auch sonst zulässige Berufung ist begründet. Entgegen der Auffassung des
Sozialgerichts kann der Kläger einen Zuschuss zu den Kosten der Auswechselung von
Implantatteilen nicht verlangen. Unabhängig davon, ob ein Kostenerstattungsanspruch
auf § 13 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) oder dessen Absatz 3 gestützt
wird, ist Voraussetzung eines Kostenerstattungsanspruchs, dass die selbstbeschaffte
Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen
Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, SozR 3-
2500 § 27 Nr. 9; SozR 3-2500 § 135 Nr. 14). Dies trifft auf die implantologische
Zahnbehandlung sowie auf die Folgebehand lung zuvor eingegliederter Implantate nicht
zu.
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§ 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in der ab 01.07.1997 geltenden Fassung des 2. GKV-
Neuordnungsgesetzes vom 23.06.1997 (BGBl. I, 1520) bestimmt, dass implantologische
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Leistungen nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören und dass die Krankenkassen
insoweit auch keinen Zuschuss leisten dürfen, es sei denn, es liegen seltene, vom
Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1
SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor. Eine der
dazu vom Bundessausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in den Richtlinien für
eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung
(Zahnbehandlungs-Richtlinien in der Fassung vom 24.07.1998 - BAnz. Nr. 177) lag
unstreitig zum Zeitpunkt der Versorgung des Klägers im implantatgestütztem Zahnersatz
nicht vor.
Da somit bei einer Neuversorgung mit Implantaten ein Leistungsanspruch des Klägers
ausgeschlossen wäre, hat die Beklagte auch nicht für die Erhaltung der 1992
eingebrachten Implantate aufzukommen. Der gesetzliche Ausschluss gilt auch für
Leistungen, die im Zusammenhang mit früher eingegliederten Implantaten anfallen. Der
Gesetzgeber hat durch das Beitragsentlastungs-Gesetz vom 01.11.1996 (BGBl. I, 1631)
mit Wirkung ab 01.01.1997 bestimmt, dass implantologische Leistungen einschliesslich
der Suprakonstruktion nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören und von den
Krankenkassen auch nicht bezuschusst werden dürfen (§ 28 Abs. 2 Satz 8 SGB V in der
vom 01.01. bis 30.06.1997 geltenden Fassung). Weder der Wortlaut der
"Ursprungsfassung" noch die späteren Änderungen der Regelung bieten einen
Anhaltspunkt dafür, das insoweit zwischen der erstmaligen Gewährung
implantologischer Leistungen und Folgebehandlungen, die im Anschluss an eine vor
dem 01.01.1997 erfolgte Versorgung durchgeführt werden, zu differenzieren wäre. Von
einer solchen Regelungsabsicht des Gesetzgebers kann deshalb nicht ausgegangen
werden, weil in der Begründung des Beitragsentlastungs-Gesetzes (BT-Drucks.
13/4615, S. 9) ausdrücklich ausgeführt wird, die Regelung "konkretisiere" die
Rechtslage in der gesetzlichen Krankenversicherung. Implantologische Leistungen und
die dazu gehörende Suprakonstruktion gehörten nicht zum Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung. Gleichwohl hätten Krankenkassen die Leistung
ohne Rechtsgrundlage übernommen oder Zuschüsse dazu gezahlt. Es werde nunmehr
ausdrücklich vorgeschrieben, dass die Leistung nicht zum Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung zähle. Wenn der Gesetzgeber somit davon ausging,
dass bisherige Leistungsbewilligungen der Krankenkassen rechtswidrig waren, ist die
Annahme fernliegend, er habe gleichwohl die Kosten für die Instandhaltung der
(rechtswidrig bezuschussten) Implantate zur vertragsärztlichen Versorgung zählen
wollen. Es wäre auch widersprüchlich und kaum mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zu
vereinbaren, wenn bei gleichen medizinischen Voraussetzungen Versicherte seit dem
01.01.1997 die Kosten der Implantate einschliesslich der Folgebehandlungen selbst zu
tragen hätten, während Versicherte, die schon vor dem 01.01.1997 mit Implantaten
versorgt worden sind, von den für das notwendige Auswechseln von Implantteilen
anfallenden Kosten (teilweise) befreit wären.
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Es kann dahinstehen, ob vor dem 01.01.1997 ausnahmsweise bei medizinischer
Notwendigkeit, d. h. bei Fehlen medizinisch gleichwertiger Maßnahmen eine
Versorgung im Implantaten beansprucht werden konnte (vgl. BSG SozR 3-5555 § 12 Nr.
5; BSG, Urteil vom 03.12.1997 - 6 RKa 40/96) und ob diese Voraussetzungen bei dem
Kläger im Jahr 1992 vorgelegen haben. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, wäre der
Gesetzgeber nicht gehindert gewesen, den Umfang der von den Krankenkassen
geschuldeten Leistungen einzuschränken und festzulegen, welche
Behandlungsmaßnahmen nicht (mehr) in den Leistungskatalog der GKV einbezogen
sind. Von Verfassungs wegen können die Versicherten auf einen unveränderten
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Fortbestand von Leistungsgesetzen nicht vertrauen (vgl. BSGE 69, 76; BSG SozR 3-
2500 § 28 Nr. 3). Ebenso wenig läßt sich dem Grundgesetz ein Anspruch auf bestimmte
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entnehmen (BVerfG NJW 1997,
3085; 1998, 1775). Auch soweit bei Kieferatrophien eine Versorgung mit
konventionellem Zahnersatz nicht möglich ist, ist der gesetzliche Ausschluss von
Implantaten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BSG, Urteile vom 19.06.2001 -
B 1 KR 5/00 R; B 1 KR 23/00 R; B 1 KR 27/00 R).
Aus den genannten Gründen scheidet auch ein Kostenerstattungsanspruch nach § 30
Abs. 1 SGB V (in der damals geltenden Fassung) aus.
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Unbeachtlich ist, dass die Beklagte in der Vergangenheit nicht nur einen Zuschuss zu
der implantologischen Versorgung, sondern auch zur Folgebehandlung gewährt hat.
Damit ist kein Vertrauenstatbestand geschaffen worden aufgrunddessen der Kläger die
weitere Gewährung von Leistungen beanspruchen könnte. Soweit die Bewilligungen
rechtswidrig waren, liegt auf der Hand, dass die Fortsetzung einer rechtswidrigen Praxis
nicht gefordert werden kann. Aber auch wenn die Erstattung nach der damaligen
Rechtslage zu Recht erfolgten, waren sie auf die in Frage stehende
Behandlungsmaßnahme beschränkt. Wie oben dargelegt, können Versicherte auf einen
unveränderten Fortbestand von Leistungsgesetzen nicht vertrauen, so dass die
Beklagte unter der seit dem 01.01.1997 geltenden Rechtslage eine weitere
Leistungsgewährung ablehnen musste.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die
Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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