Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 01.07.2009

LSG NRW: bestimmtheit, datum, verwaltungsakt, verfahrensmangel, sanktion, zivilprozessordnung, waffengleichheit, gesellschaft, berufsausübung, beschränkung

Landessozialgericht NRW, L 7 B 92/09 AS NZB
Datum:
01.07.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 92/09 AS NZB
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 14 AS 487/07
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im
Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.01.2009 (S 14 AS 487/07)
wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im
Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Dem Kläger wird für das
Verfahren über seine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des
Sozialgerichts Köln vom 09.01.2009 Prozesskostenhilfe gewährt und die
Sozietät der Rechtsanwälte T C und Q H aus X beigeordnet.
Gründe:
1
Die zulässige Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im
Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 09.01.2009 ist gemäß § 145
Sozialgerichtsgesetz (SGG) unbegründet.
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1. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil
des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts (LSG), wenn
der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder
Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht
übersteigt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt hier 750,00 EUR nicht.
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2. Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des
Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender
Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann (Nr. 3).
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Keiner dieser Zulassungsgründe liegt vor.
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a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1
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SGG.
Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sich eine Rechtsfrage
stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der
Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich
(Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung auch durch das Revisionsgericht zu erwarten
ist (Klärungsfähigkeit; vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage
2008, § 144 Rn. 28 mit § 160 Rn. 6 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG)).
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Eine solche klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage ist von dem Kläger mit seiner
Nichtzulassungsbeschwerde nicht aufgeworfen worden und auch nicht ersichtlich.
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b) Das Urteil des SG Dortmund vom 09.01.2009 weicht entgegen der Rechtsauffassung
des Klägers nicht von einer Entscheidung des LSG (oder des Bundessozialgerichts, des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des
Bundesverfassungsgerichts) ab gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG.
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aa) Der Kläger beruft sich auf den Beschluss des erkennenden Sentas vom 26.11.2007
(L 7 B 258/07 AS ER, Juris). In diesem Beschluss hat der Senat folgendes ausgeführt:
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"Der Senat lässt es vorliegend dahin stehen, ob die materiell-rechtlichen
Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 SGB II vorlagen. Denn der Bescheid vom 25.06.2007
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2007 (W 2342/07) genügt nicht
den allgemeinen Anforderungen an Verwaltungsakte. Nach § 33 Abs. 1 SGB X (§ 37
Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - NRW) muss ein Verwaltungsakt
inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Maßgebend ist in erster Linie der Wortlaut des
Verwaltungsaktes; es genügt aber, wenn sich der Inhalt im Wege der Auslegung
ermitteln läßt (Krasney, KassKomm., § 33 SGB X, Rn. 3). Um inhaltlich hinreichend
bestimmt zu sein, muss zuallererst der Verfügungssatz eines (Rücknahme)Bescheides
so präzise wie möglich klarstellen, was geregelt wird. Deshalb ist auszuweisen, welcher
Verwaltungsakt mit Wirkung zu welchem genauen Zeitpunkt zurückgenommen wird
(Löcher, NDV 2002, 180 - 185, 205 - 211, S. 210). Dieses Gebot der inhaltlichen
Bestimmtheit findet auch auf Sachverhalte aus dem Bereich des SGB II, d.h. auf auch
Absenkungen nach § 31 SGB II in Verbindung mit § 40 SGB II Anwendung (LSG NRW,
Beschluss vom 13.09.2007 - L 20 B 142/07 AS ER). Erforderlich ist daher bei der
Aufhebung eine ausreichende Identifizierung des zurückzunehmenden
Bewilligungsbescheides durch konkrete Benennung. Der Bescheid muss daher das
Datum des (der) aufzuhebenden Bescheide(s), Leistungsart, Bewilligungszeitraum,
Leistungshöhe insgesamt und den Leistungsanteil der betroffenen Personen nennen
(Schwabe, ZfF, 1/07, S. 15). Bei der Bestimmtheit nach § 33 SGB X handelt es sich um
eine materiell-rechtliche Voraussetzung (Engelmann in von Wulffen, a.a.O., § 33 Rn. 2);
eine Heilung nach § 41 SGB X kommt nicht in Betracht.
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Diesen Anforderungen werden die Bescheide vom 25.06.2007 und 23.07.2007 nach
dem Wortlaut und auch nach Auslegung nicht gerecht. Die Antragsgegnerin teilte dem
Antragsteller im Bescheid vom 25.06.2007 mit, dass "der ihm zustehende Anteil des
Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.09.2007 um 30 % der
Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des ihm zustehenden Auszahlungsbetrages
abgesenkt wird" und "die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung insoweit ab
01.07.2007 nach § 48 SGB X aufgehoben wird". Der Verfügungssatz weist somit weder
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das Datum des aufzuhebenden Bewilligungsbescheides (Bescheid vom 08.06.2007)
noch die im Anschluss daran ergangenen Änderungsbescheide vom 22.06.2007, die
aus § 31 SGB II folgende Absenkungen des Arbeitslosengeldes II betreffen, aus.
Ebenso wenig enthält der Widerspruchsbescheid diese Angaben. Darüber hinaus
enthält der Widerspruchsbescheid vom 23.07.2007 keine nachvollziehbare Begründung
und Berechnung dazu, ob bzw. in welcher Höhe dem Antragsteller für den Zeitraum von
Juli bis September 2007 Leistungen nach dem SGB II (noch) zustehen. Beispielhaft
weist der Senat darauf hin, dass die Antragsgegnerin zwar den für Juli 2007 errechneten
Minderungsbetrag 622,00 Euro als "69,00 Euro zuzüglich 104,00 Euro zuzüglich 138,00
Euro zuzüglich 311,00 Euro" errechnete, den Leistungsanspruch für Juli 2007 aber
lediglich unter Hinweis darauf verneint, dass "der ursprünglich bewilligte
Leistungsbetrag aber geringer sei". Für die Monte August und September 2007
hingegen berechnete die Antragsgegnerin einen Minderungsbetrag von 553,00 Euro,
wies jedoch nicht aus, in welcher Höhe dem Antragsteller für diese beiden Monate
Leistungen zustehen. Nicht ausreichend ist insoweit die Herstellung der Bestimmtheit
durch Rückgriff auf bei den Akten befindliche Unterlagen (Engelmann, a.a.O., Rn. 4;
Krasney, a.a.O., § 33 Rn. 6). Da dem Widerspruchsbescheid vom 23.07.2007 (W
2342/07) kein Berechnungsbogen beigefügt war und sich die Leistungshöhe nach den
(zahlreichen) Kürzungen nicht schlüssig aus dem Widerspruchsbescheid ergibt, wird
dieser auch insoweit dem Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit nicht gerecht."
bb) Der Senat stimmt mit dem Kläger überein, dass der Verfügungssatz des von ihm
angefochtenen Sanktionsbescheides vom 04.09.2007 ebenfalls eine Absenkung für den
dort genannten Zeitraum (01.10.2007 bis 31.12.2007) "monatlich um 60vom Hundert der
maßgebenden Regelleistung ( ), höchstens jedoch in Höhe des Ihnen zustehenden
Gesamtzahlungsbetrages" anordnet.
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Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich jedoch in zwei Punkten entscheidend
von demjenigen, über den der Senat mit dem vorgenannten Beschluss vom 26.11.2007
zu befinden hatte.
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(1) Zum einen existierten dort im fraglichen Leistungszeitraum weitere
Sanktionsbescheide mit überschneidenden Absenkungszeiträumen. Dies führte dazu,
dass weder der dortige Antragsteller noch der Senat nachvollziehen konnten, in welcher
Höhe Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II nach
Rechtsauffassung der dortigen Antragsgegnerin noch gewährt und gezahlt werden
sollten.
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Dies ist im vorliegenden Fall anders. Denn im fraglichen Zeitraum von Oktober bis
Dezember 2007 ordnet allein der angefochtene Bescheid vom 04.09.2007 eine
Absenkung an. Da weitere Absenkungsbescheide für diesen Zeitraum nicht erlassen
worden sind, konnte der Kläger ohne weiteres erkennen, in welcher Höhe seine ihm
zuvor mit Bescheid vom 29.08.2007 bewilligte monatliche Regelleistung in Höhe von
damals 312,00 Euro abgesenkt werden sollte, nämlich "monatlich um 60 vom Hundert"
und damit um (abgerundet) 187,00 Euro monatlich.
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Ein Sanktionsbescheid mit einem derartigen Inhalt und in einem derartigen Kontext ist
zur Überzeugung des Senats hinreichend bestimmt gemäß § 33 Abs. 1 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X). Denn aus dem Verfügungssatz ergibt sich für den
Adressaten klar und unzweideutig, was die Beklagte geregelt hat. Es bleibt damit nicht
dem Adressaten überlassen, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Sanktion
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(als Leistungsbewilligungsteilaufhebung bzw. -ablehnung) zu bestimmen (vgl. zu den
Anforderungen im gesetzlichen Rentenversicherungsrecht BSG, Urteil vom 30.03.2004,
B 4 RA 36/02 R, SozR 4-2600 § 149 Nr. 1). Die Beklagte hat ihrer Verpflichtung
entsprochen, diese Entscheidung selbst zu treffen und dem Adressaten bekannt zu
geben.
(2) Zum anderen wird dieser konkrete Absenkungsbetrag in dem Sanktionsbescheid
vom 04.09.2007 auch ausdrücklich genannt. Denn dort heißt es weiter: "Daraus ergibt
sich eine Absenkung in Höhe von 187,00 Euro monatlich." Diese Aussage ist eindeutig.
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c) Einen Verfahrensmangel gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG hat der Kläger nicht geltend
gemacht. Im Übrigen ist ein solcher auch nicht ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.
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4. Dem Kläger war antragsgemäß für das Verfahren über seine
Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 09.01.2009
Prozesskostenhilfe zu gewähren.
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a) Zwar bietet seine Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114
Zivilprozessordnung (ZPO)). Der Rechtsstreit wirft jedoch nicht nur einfach zu
beantwortende Rechtsfragen auf, so dass es zur Herstellung der gebotenen
"Waffengleichheit" zwischen den Beteiligten angezeigt war, dem Kläger anwaltliche
Unterstützung zu gewähren. Der Rechtsstreit hat dem Senat im Übrigen Anlass und
Möglichkeit gegeben, seine bisherige Rechtsprechung in der dargelegten Weise zu
präzisieren.
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b) Der Kläger ist nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die
Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 114 ZPO).
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c) Dem Kläger war antragsgemäß die Sozietät der Rechtsanwälte T C und Q H aus X
gemäß § 121 Abs. 1 ZPO beizuordnen. Der Senat folgt der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes (BGH), wonach einer bedürftigen Partei im Rahmen der
Prozesskostenhilfe eine Rechtsanwaltssozietät beigeordnet werden kann (BGH,
Beschluss vom 17.09.2008, IV ZR 343/07, NJW 2009, S. 147). Denn die in der
Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebene Anwaltssozietät ist nach
zwischenzeitlicher Rechtsprechung des BGH rechts- und parteifähig, so dass eine
Beschränkung der Beiladungsmöglichkeit auf (einzelne) Rechtsanwälte die
Rechtsanwaltssozietät in ihrer von Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten
Berufsausübung einschränken würde, ohne dass sich hierfür noch tragfähige Gründe
finden lassen (BGH a.a.O.).
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5. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG). Mit diesem
Beschluss wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
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