Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20.03.2008
LSG NRW: schutz der ehe, schutz der familie, vorläufiger rechtsschutz, hauptsache, lebensgemeinschaft, wohngemeinschaft, wohnkosten, erlass, sachleistung, geldleistung
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 20.03.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Dortmund S 41 AY 362/07 ER
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 20 B 10/08 AY ER
Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.01.2008 werden
zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt T für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die Beschwerden des Antragstellers, denen das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 22.01.2008), sind
zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen
Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger
Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei
Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte
Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §
920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO] ). Können ohne den vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare,
anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen
wären, sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen.
Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage aus, ist auf der Grundlage einer an der
Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen
Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 -
1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927).
Auch unter Berücksichtigung dieser Vorgaben können die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches derzeit
nicht als glaubhaft gemacht angesehen werden.
Im Ergebnis zutreffend hat deshalb das Sozialgericht einen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
verneint.
Ein Anspruch auf die begehrten Zahlungen ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG),
weil hiernach auch der notwendige Bedarf der Unterkunft als Sachleistung zu gewähren ist. Der Antragsteller war
zunächst in einem städtischen Übergangswohnheim untergebracht, ohne dass ersichtlich ist, dass dem Antragsteller
ein weiterer Aufenthalt in dieser Einrichtung unzumutbar wäre. Die Antragsgegnerin hat daher in der Vergangenheit
den notwendigen Bedarf der Unterkunft sichergestellt. Der zutreffende Hinweis des Sozialgerichtes darauf, dass im
Rahmen der Leistungen nach § 3 Abs. 1 AsylbLG für die Unterkunft keine Geldleistungen vorgesehen sind (vgl. nur
GK-AsylbLG, § 3 Rdnr. 30), ist von dem Antragsteller nicht aufgenommen und inhaltlich widerlegt worden.
Auch aus § 3 Abs. 2 AsylbLG kann ein Anspruch des Antragstellers auf Gewährung der begehrten Leistungen nicht
abgeleitet werden. § 3 Abs. 2 AsylbLG durchbricht das in Abs. 1 vorgesehene Sachleistungsprinzip nur für die Fälle,
in denen der Antragstelller außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 44 Asylverfahrensgesetz
untergebracht und eine vom Sachleistungsprinzip abweichende Leistungsgewährung erforderlich ist. Dabei besteht ein
Rangverhältnis dergestalt, dass auch bei einer Unterbringung außerhalb der o.g. Einrichtungen die Leistung vorrangig
als Sachleistung zu erbringen ist, mithin es der Antragsgegnerin grundsätzlich gesetzlich nahe gelegt wird, den Bedarf
an Unterkunft zunächst durch Sachleistungen, also angebotene Wohngelegenheiten, sicherzustellen. Hiervon kann im
Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens dann abgewichen werden, wenn dies "nach den Umständen
erforderlich" ist. Davon, dass vorliegend eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege, die der Antragsgegnerin nur die
Möglichkeit lasse, dem Antragsteller Geldleistungen für die Beteiligung an den Kosten der Wohnung seiner
geschiedenen Ehefrau zur Verfügung zu stellen, konnte sich der Senat im Rahmen der im Eilverfahren allein
möglichen summarischen Prüfung der Sachlage auch unter Berücksichtigung der Wertungen in Artikel 6 Grundgesetz
nicht überzeugen.
Soweit der Antragsteller vorträgt, dass sich ein Anspruch auf die begehrten anteiligen Wohnkosten unter
Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes der Ehe in Artikel 6 Abs. 1 GG ergeben müsse, so verkennt dies,
dass der Antragsteller aufgrund der bereits 2002 erfolgten Scheidung in keiner Ehe mit Frau Ghotbi Vayeghan mehr
lebt und infolgedessen der besondere Schutz der Ehe in Artikel 6 Abs. 1 GG keine Auswirkungen auf den
vorliegenden Sachverhalt mehr haben kann. Eine Nachwirkung einer Ehe dergestalt, dass bereits seit mehr als 5
Jahren geschiedene Ehegatten im Lichte des Artikel 6 Abs. 1 GG in sozialleistungsrechtlicher Hinsicht anders zu
behandeln wären als andere Partner einer Lebensgemeinschaft wie z.B. einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, ist
der Rechtsordnung fremd.
Auch der in Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankerte Schutz der Familie kann vorliegend zu keiner anderen
Beurteilung führen. Der Antragsteller hatte sich von dieser Familie einschließlich seiner noch minderjährigen Tochter
getrennt und sich über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren offenbar darauf beschränkt, einen Umgang mit
seiner Tochter E allenfalls außerhalb einer familiären Lebens- und Wohngemeinschaft zu pflegen. Es ist vor diesem
Hintergrund nicht ersichtlich, dass es zwingende Gründe nunmehr geböten, allein aufgrund eines Sinneswandels des
Antragstellers, (dessen Sinn sich auch wieder ändern kann) im Rahmen eines Eilverfahrens eine Geldleistung zu
gewähren, damit der Antragsteller in einer Privatwohnung leben kann. Es wird dem Hauptsacheverfahren vorbehalten
bleiben, durch nähere Befragung der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers und ggf. des Kindes zu ermitteln, ob
die Bindungen zwischen diesen und dem Antragsteller zwischenzeitlich wieder so verfestigt sind, dass es das
Kindeswohl gebietet, auch den Antragsteller wieder in die Wohngemeinschaft aufzunehmen. Allenfalls dann wird eine
Ermessensreduzierung auf Null angenommen werden können.
Im Eilverfahren führt auch die Wertung des Artikel 6 Abs. 2 S.1 GG (Elternrecht) nicht zu einer abweichenden
Beurteilung, denn die darin geregelten Einwirkungs- und Wahrnehmungsrechte werden durch die Entscheidung der
Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt. Dies muss jedenfalls einstweilen dann gelten, wenn der Antragsteller über fünf
Jahre hinweg aus Gründen, die die Antragsgegnerin nicht zu vertreten hat, ohnehin auf eine umfassende Ausübung
seines Elternrechtes im Rahmen eines räumlichen Zusammenlebens verzichtet hat. Es wird ihm insoweit bis zum
Ausgang eines etwaigen Hauptsacheverfahrens keine Situation zugemutet, die sich wesentlich von derjenigen
unterscheidet, die er in den vergangenen fünf Jahren erlebt hat; Gründe, die dies nunmehr - anders als zurvor -
unzumutbar erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich.
Es wird im Übrigen zumindest - ohne dass der Senat dies im vorliegenden Zusammenhang entscheiden müsste - zu
prüfen sein, ob dem Antragsteller durch eine Versagung der begehrten Leistung das gemeinsame Wohnen mit seiner
geschiedenen Frau und seiner Tochter unmöglich gemacht wird. Denn der Leistungsträger der Leistungen nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), in dessen Leistungsbezug die
geschiedene Ehefrau des Antragsteller mit ihrer Tochter steht, wird zu erwägen haben, ob angesichts der
wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers eine Abweichung der Verteilung der Wohnkosten nach Kopfteilen
geboten und an der Entscheidung festgehalten werden kann, die Kosten der Unterkunft der geschiedenen Ehefrau des
Antragstellers und ihres Kindes um den Kopfanteil des Antragstellers (ein Drittel) zu kürzen. Denn es wird in
Rechtsprechung und Kommentarliteratur die Auffassung vertreten, dass eine Abweichung von der Aufteilung nach
Kopfteilen dann geboten sein kann, wenn ein Mitbewohner den auf ihn entfallenden Wohnungsanteil nicht aufbringen
kann (vgl. hierzu Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 22 Rdnr. 24 m.w.N.; allgemeiner von "Sonderfällen"
sprechend: BSG, Urteil v. 23.11.2006, B 11b AS 1/06 R, Rdnr. 28 bei juris = Breithaupt 2007, S. 775 f.).
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Die Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe kann aus den o.g. Gründen ebenfalls keinen Erfolg
haben, weil es dem Verfahren von vornherein an einer hinreichenden Erfolgsaussicht mangelte (§ 114 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht insoweit auf § 127 Abs. 4 ZPO.
Aus den o.g. Gründen fehlt auch der Beschwerde die hinreichende Erfolgsaussicht i.S.d. §§ 73a SGG, 114 Abs.1
ZPO, so dass auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen war.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).