Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.03.2010

LSG NRW (alleinstehende person, sgg, höhe, zpo, bundesverfassungsgericht, erhöhung, betrag, antrag, auflage, beschwerde)

Landessozialgericht NRW, L 12 B 105/09 SO
Datum:
17.03.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 12 B 105/09 SO
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 43 SO 65/08
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin vom 27.11.2009 wird der Beschluss
des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.10.2009 geändert. Der Klägerin
wird zur Durchführung des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht
Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, E, bei geordnet.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
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I. In dem zugrunde liegenden Klageverfahren wendet sich die Klägerin gegen die
Bescheide vom 01.08. und 15.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
17.11.2008 und begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung für die Zeit von Juli bis
Dezember 2008. Sie erachtet die Höhe der bei der Berechnung der Beklagten
berücksichtigten Regelleistung als verfassungswidrig und begehrt zudem den Ansatz
der von ihr tatsächlich aufgewendeten Kosten der Unterkunft.
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Zur Durchführung des Klageverfahrens hat die Klägerin Prozesskostenhilfe beantragt.
Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 27.10.2009 zurückgewiesen,
nachdem es in einem älteren Verfahren (S 43 (23/28) SO 130/05) die auf höhere
Leistungen gerichtete Klage mit Urteil vom 14.05.2009 abgewiesen hatte. Ein Anspruch
auf höhere Regelleistungen sei nicht ersichtlich. Die Kosten der Unterkunft habe die
Beklagte, wie in dem genannten Urteil dargestellt, zutreffend bestimmt.
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Gegen den am 28.10.2008 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 27.11.2009
Beschwerde erhoben. Entsprechende Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts
und des hessischen Landessozialgerichts würden verdeutlichen, dass Bedenken an der
Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bestünden. Zudem habe die Klägerin
aufgrund ihrer Gehbehinderung, die durch das Merkzeichen "G" in ihrem
Schwerbehindertenausweis dokumentiert sei, einen höheren Raumbedarf und damit
einen höheren Anspruch auf Kosten der Unterkunft.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf dem sonstigen
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Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten
verwiesen.
II. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
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Gemäß § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO)
erhält ein Beteiligter, der auf Grund seiner persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse die Kosten für die Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten
aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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Erfolgsaussichten in diesem Sinn bestehen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt
des Antragstellers aufgrund seiner Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden
Unterlagen zumindest für vertretbar erachtet und in tatsächlicher Hinsicht eine
Beweisführung für möglich hält. Dabei muss die Chance, den Prozess zu gewinnen,
mindestens genauso groß sein wie ihn zu verlieren. Dies ist grundsätzlich zu bejahen,
wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bisher ungeklärten
Rechtsfrage abhängt oder von Amts wegen weitere Ermittlungen gemäß § 103 SGG
durchzuführen sind, bevor die streit-erheblichen Fragen abschließend beantwortet
werden können (Bundesverfassungsgericht, NJW 1991, 413 ff.; NJW - RR 2002, 665 ff.;
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.06.2009 - L 20 B 6/09 AS -,, Leitherer in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 73 a Rn. 7f).
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Gemessen hieran sind die Erfolgsaussichten im vorliegenden Verfahren nicht zu
verneinen.
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Die Klägerin wendet sich unter anderem dagegen, dass die Beklagte in dem
angegriffenen Bescheid der Leistungsberechnung nicht die tatsächlichen Kosten der
Unterkunft zugrunde gelegt hat, sondern lediglich in Höhe von 331,00 EUR
(einschließlich Betriebskosten) bei einem Ansatz von 45 qm Wohnfläche.
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Beide Faktoren sind der Höhe nach durchaus zu hinterfragen.
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Die maßgebliche Wohnungsgröße wird jedenfalls in dem hier streitigen Zeitraum auch
im Rahmen des § 29 SGB XII sachdienlich an die Ausführungsbestimmungen des § 10
des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) angeknüpft (Grube in
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage, § 29 Rd. 23). Die Rechtsprechung der mit dem
SGB II befassten Senate des Bundessozialgerichts lässt sich daher entsprechend
heranziehen. Entsprechend der Entscheidung vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - ist für
Nordrhein-Westfalen in dem streitigen Zeitraum auf Ziff. 5.71. a) der
Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz (Runderlass vom 08.03.2002)
zurückzugreifen. Für eine alleinstehende Person ist daher grundsätzlich von 45 qm
Wohnfläche auszugehen. Nach Ziff. 5.72 ist allerdings ein höherer Ansatz zum
Ausgleich besonderer Härten denkbar. Ohne abschließend festhalten zu wollen, ob alle
dort genannten Ausnahmetatbestände geeignet sind, eine Erhöhung der
Quadratmeterzahl zu rechtfertigen, ist eine solche Erhöhung - wegen des erforderlichen
Manövrierraums - bei Rollstuhlfahrern für den Senat nachvollziehbar. Ob die Klägerin
aufgrund der mit dem Merkzeichen "G" dokumentierten Gehbehinderung in ähnlicher
Weise beeinträchtigt ist und damit ggf. einen höheren Raumbedarf hat, ist nicht
auszuschließen, bedarf aber im Verfahren der weiteren ausführlichen Darlegung (vergl.
zu diesem Ansatz LSG NRW, Beschluss vom 14.09.2009 - L 9 B 49/09 AS -). Da sich
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aus einer Steigerung der maßgeblichen Quadratmeterzahl ein höherer
Leistungsanspruch ergeben kann, ist insoweit eine Erfolgsaussicht nicht von vorne
herein zu verneinen.
Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass der von der Beklagten angesetzte
angemessene Betrag pro Quadratmeter - hier nach Aktenlage umgerechnet 7,36 EUR
(Kaltmiete inkl. Nebenkosten) - zu niedrig ist. Insoweit sind nach Einschätzung des
Senats die jüngsten Erwägungen des Bundessozialgerichts (siehe u.a. Urt. v.
22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R -) zur Bestimmung des maßgeblichen Betrages anhand
eines "schlüssigen Konzepts" auf die Bestimmung des angemessenen Betrages im
Rahmen des § 29 SGB XII zu übertragen. Es ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass
die Beklagte den Betrag anhand der vom Bundessozialgericht aufgestellten Parameter
bestimmt hat. Eine "Befragung Düsseldorfer Großvermieter", wie sie in den
Widerspruchsbescheiden vom 17.05.2005 und 17.11.2008 vorgetragen wurde, dürfte
nicht ausreichend sein, um den Kriterien zu genügen. Ob der Bestimmung der
angemessenen Kosten der Unterkunft in den vorliegend angegriffenen Bescheiden eine
ausführlichere Ermittlung zugrunde liegt (z.B. die Auswertung eines qualifizierten
Mietspiegels) ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Die Beklagte ist insoweit berufen, die
Schlüssigkeit ihres Konzepts mit Bezug auf den streitigen Zeitraum im einzelnen
darzutun.
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Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass für die positive Beschwerdeentscheidung
nicht maßgeblich war, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom
09.02.2010 festgestellt hat, dass die Regelsätze des SGB II in einer mit den
Grundrechten nicht zu vereinbarenden Art und Weise ermittelt wurden. Dieser Umstand
allein begründet keine Erfolgsaussicht, auch wenn die Regelsätze im Rahmen des SGB
XII in gleicher Höhe geregelt sind. Das mit der Klage verfolgte Ziel ist die Erbringung
höherer Leistungen durch die Beklagte. Das Bundesverfassungsgericht hat dem
Gesetzgeber eine Frist bis 31.12.2010 zur verfassungskonformen Neuberechnung der
Regelsätze gesetzt. Eine Nachleistungspflicht auf der Grundlage einer - etwaigen -
höheren Festsetzung der Regelsätze für die Zeit vor der Neuregelung hat es
ausgeschlossen (BVerfG, Urt.v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 -, Rd. 217 u.
219). Ansprüche aufgrund atypischer dauerhafter Mehrbedarfe, wie sie in der
Entscheidung für die Zeit vor der Neuregelung durch den Gesetzgeber erörtert werden,
sind im Bereich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in § 42 Satz 1
Nr. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII bereits dem Grunde nach geregelt und
vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Da die Klägerin nach ihren aktenkundigen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen außerstande ist, die Kosten der Prozessführung zu tragen, war die
beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren, §§ 73 a SGG i.V.m. 114 ZPO.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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