Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.01.2005

LSG NRW: krankenversicherung, eingriff in grundrechte, versorgung, ermächtigung, konkurrierende zuständigkeit, asthma bronchiale, erlass, vertreter, legitimation, leistungserbringer

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 11 KA 103/03
19.01.2005
Landessozialgericht NRW
11. Senat
Urteil
L 11 KA 103/03
Sozialgericht Köln, S 19 KA 310/00
Bundessozialgericht, B 6 KA 13/05 R
Vertragsarztangelegenheiten
nicht rechtskräftig
Der Beschluss des Beklagten vom 15.06.2004 - Therapiehinweis zu
Clopidogrel in der Anlage 4 nach Nr. 14 der Arzneimittel-Richtlinien - wird
aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, diese Aufhebung im
Bundesanzeiger bekannt zu machen. Es wird festgestellt, dass der
Beschluss des Beklagten vom 16.02.2000 - Therapiehinweis zu
Clopidogrel in der Anlage 4 nach Nr. 14 der Arzneimittel-Richtlinien -
rechtswidrig war. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der
Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit und des Vorhandenseins
einer Rechtsgrundlage über die Rechtmäßigkeit eines Therapiehinweises nach Nr. 14 der
Arzneimittel-Richtlinien (AMR) des Beklagten.
Die Klägerin ist Herstellerin des Fertigarzneimittels Plavix® mit dem Wirkstoff Clopidogrel,
einem Thrombozyten-Aggregationshemmer. Das Präparat wird eingesetzt zur
Sekundärprävention artherothrombotischer Ereignisse bei Patienten mit Herzinfarkt,
ischämischem Schlaganfall oder nachgewiesener peripherer arterieller
Verschlusskrankheit (PAVK). Die Wirksamkeit von Clopidogrel im Vergleich mit den
Wirkstoffen Acetylsalicylsäure sowie Ticlopidin ist durch die 1996 publizierte CAPRIE-
Studie belegt worden. Zu Lasten der gesetzlichen Kankenkassen wurde Plavix® im Jahre
2001 im Umfang von ca. 110 Millionen Euro, im Jahre 2003 von ca. 190 Millionen Euro
verordnet.
Der Beklagte beschloss den zunächst streitig gewesenen Therapiehinweis nach Ziffer 14
AMR vom 16.02.2000 (Bundesanzeiger Nr. 102 vom 30.05.2000, S. 10094), in dem
Indikation, Wirkung und Wirksamkeit von Clopidogrel beschrieben wurden. Darin gab der
Beklagte eine Empfehlung zur wirtschaftlichen Verordnungsweise des Inhalts ab, dass
angesichts der fast identischen Wirksamkeit von Clopidogrel und ASS sowie der hohen
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Kosten die Indikationsstellung für Clopidogrel sehr restriktiv erfolgen sollte, zumal
Langzeiterfahrungen bzw. Studienergebnisse über eine lebenslange Einnahme noch nicht
vorlägen. Nach wie vor sollte ASS zur prophylaktischen Behandlung von Zuständen nach
Myokardinfarkt oder ischämischem Insult im Sinne der Verhinderung eines
Zweitereignisses verwendet werden, ausgenommen seien dabei nur die durch ASS
ausgelösten Unverträglichkeitserscheinungen. Clopidogrel stelle zusammenfassend eine
Alternative zu ASS für die Langzeitanwendung als Trombozytenaggregationshemmer dar,
wobei die geringfügig bessere Wirksamkeit bei unterschiedlichem Nebenwirkungsprofil
anzuführen sei, jedoch die erheblich höheren Kosten zu berücksichtigen seien. Wegen der
Einzelheiten wird auf den veröffentlichten Text Bezug genommen.
Hiergegen hat sich die vor dem Sozialgericht Köln am 29.06.2000 erhobene Klage
gerichtet, mit deren Begründung die Klägerin im Wesentlichen geltend gemacht hat, die
Aussage einer fast identischen Wirksamkeit sei unrichtig. Clopidogrel zeige bei
Risikopatienten mit PAVK eine um 24 v. H. bessere Wirksamkeit, darüber hinaus müssten
Indikationsunterschiede bei Clopidogrel gegenüber ASS aufgeführt werden. Die
Gegenüberstellung der Behandlungskosten beruhe nicht auf einer pharmaökonomischen
Nutzenanalyse. Der Einsatz von Clopidogrel sei nicht teurer als der von ASS, weil durch
Clopidogrel bei Hochrisikopatienten zahlreiche entsprechend höhere Behandlungskosten
eingespart werden könnten.
Der Beklagte hat hierzu die Auffassung vertreten, die Überlegenheit von Clopidogrel
gegenüber von ASS sei nicht bewiesen, da keine Placebo-Gruppe in die Studie
einbezogen worden sei. Die CAPRIE-Studie habe bei den primär definierten Zielgruppen
der ischämischen Schlaganfälle, Myokardinfarkte und vaskulärem Tod keinen signifikanten
Unterschied zwischen Clopidogrel und ASS gezeigt. Nachträgliche Subgruppenbildungen
hätten keinen überzeugenden Beweiswert, so dass auch später erfolgte Auswertungen der
CAPRIE-Studie für die Subgruppe der PAVK-Patienten nicht in die Empfehlungen des
Therapiehinweises einfließen könnten.
Das Sozialgericht Köln hat mit Urteil vom 30.04.2003 den Therapiehinweis vom 16.02.2000
aufgehoben. Die durchgeführte Beweisaufnahme durch sachverständige Stellungnahmen
des Direktors der Pharmakologie der Universität zu L Prof. Dr. T habe ergeben, dass im
Rahmen des dem Beklagten zustehenden Beurteilungsspielraumes Wertungsmängel
vorlägen, die den Kern des Therapiehinweises träfen. Durch die besondere
wissenschaftliche Beleuchtung des Beklagten stehe er in einem ungünstigen Licht, da
einseitig die Nachteile hervorgehoben würden, nicht aber die Vorzüge. Im Übrigen seien
nicht alle zwischenzeitlich veröffentlichten Studien ausgewertet worden, insbesondere die
CURE-Studie nicht, die eine gute Wirksamkeit der Kombination aus Clopidogrel und ASS
bei akutem Coronarsyndrom ergeben habe, im Zeitpunkt der Veröffentlichung des
Therapiehinweises zwar noch nicht bekannt gewesen sei, aber bereits vorgelegen habe.
Dies widerspreche einer fairen Bewertung des Wirkstoffs Clopidogrel. Zumindest durch die
CURE-Studie sei der Vorteil von Clopidogrel in der Kombination mit ASS beim akuten
Coronarsyndrom nicht mehr zu bezweifeln, so dass die in den Empfehlungen zur
wirtschaftlichen Verordnungsweise enthaltene Aussage, die Indikation für Clopidogrel
sollte unter anderem angesichts der fast identischen Wirksamkeit zwischen Clopidogrel
und ASS sehr restriktiv erfolgen, unrichtig sei. Hierin liege ein weiterer gravierender Mangel
des angegriffenen Therapiehinweises.
Hiergegen richtet sich die am 07.03.2003 eingelegte Berufung des Beklagten. Entgegen
der Ansicht des Sozialgerichts liege in der Nichtberücksichtigung der Subgruppen kein
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Mangel der Bewertung, denn hierfür gebe es einen sachlichen Grund, der darin bestehe,
dass diese Subgruppen nachträglich gebildet worden seien und damit nicht den gleichen
Kontrollmechanismen unterlägen. Ebensowenig stelle die Nichtberücksichtigung der
Ergebnisse der CURE-Studie einen wesentlichen Mangel dar, da sie nur Patienten mit
akutem Coronarsyndrom betreffe. Die Studie belege keine alleinige Überlegenheit von
Clopidogrel, sondern nur, dass sich die Kombination von Clopidogrel mit ASS in einem
bestimmten Anwendungsbereich günstiger auswirke. Im Übrigen sei die CURE-Studie im
Zeitpunkt der Veröffentlichung der Therapieempfehlung selbst noch nicht veröffentlicht
gewesen. Die CAPRIE-Studie belege keine Überlegenheit von Clopidogrel gegenüber
ASS.
Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Beklagte den bisher angegriffenen
Therapiehinweis durch den vom 15.06.2004 ersetzt (Bundesanzeiger Nr. 182 vom
25.09.2004, S. 21085). Als zusätzliche Indikation ist die Behandlung von Patienten mit
akutem Coronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung in Kombination mit ASS aufgenommen
worden. In den Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise heißt es, die
Wirksamkeitsunterschiede von Clopidogrel und ASS seien klinisch nicht relevant, so dass
aus diesem Grund und auf Grund der hohen Kosten die Indikationsstellung für Clopidogrel
nur erfolgen solle, wenn ASS nicht verabreicht werden könne. ASS solle, so wie auch in
evidenzbasierten Leitlinien empfohlen, nach wie vor zur prophylaktischen Behandlung von
Zuständen nach einem Myokardinfarkt oder ischämischen Schlaganfall im Sinne der
Verhinderung eines Zweitereignisses verwendet werden, ausgenommen seien davon nur
die Fälle, in denen Unverträglichkeitsreaktionen einschließlich Allergien und Asthma
bronchiale ausgelöst würden. Zur Wirksamkeit wird ausgeführt, in der CAPRIE-Studie habe
lediglich die prädefinierte Subgruppe der Patienten mit peripherer arterieller Erkrankung
durch eine signifikante Reduktion der nicht tödlichen Myokardinfarkte profitiert, während bei
anderen Subgruppen der Patienten mit Myokardinfarkt und Schlaganfall keine signifikante
Änderung der Endpunkte festzustellen gewesen sei. Ein Vergleich der Subgruppen sei
jedoch nicht das primäre Studienziel gewesen. Durch die CURE-Studie, die sich auf
Patienten mit akutem Coronarsyndrom bezogen habe, sei nicht bewiesen worden, dass die
kombinierte Behandlung mit Clopidogrel und ASS gegenüber ASS-Monotherapie in allen
Endpunkten signifikante Überlegenheit ergeben habe.
Die Klägerin hält auch diesen Therapiehinweis inhaltlich für rechtswidrig. Nach Erteilung
eines rechtlichen Hinweises durch den Senat ist sie der Ansicht, für den Erlass eines
solchen Hinweises fehle es an einer rechtlichen Grundlage. Der Therapiehinweis stelle
einen schwerwiegenden Eingriff in ihre Grundrechtssphäre dar, der einer eindeutigen
gesetzlichen Grundlage bedürfe. Es seien Art. 12 des Grundgesetzes (GG) vor dem
Hintergrund der freien unternehmerischen Betätigung und Art. 14 GG vor dem Hintergrund
einer Eigentumsverletzung in Form des Patentschutzes, den sie für Clopidogrel bis zum
Jahre 2013 genieße, verletzt. An einer Rechtsgrundlage hierfür fehle es. Die am
23.02.2002 in Kraft getretene Vorschrift des § 92 Abs. 2 Satz 3 des Sozialgesetzbuches
(SGB) V erlaube zwar den Erlass von Therapiehinweisen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis
von Analogpräparaten, beziehe sich aber nur auf die einzelnen Indikationsgebiete der
Preisvergleichsliste. Das ergebe sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte zu Art. 1 Nr.
2 Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz (AABG). Im Übrigen sei auch Art. 3 GG
verletzt, weil die Richtlinien des Beklagten, durch die er sich selbst gebunden habe,
Therapiehinweise zur Effizienz von Arzneimitteln, die über eine Fachinformation
hinausgingen, nicht zuließen.
Die Klägerin beantragt,
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1. festzustellen, dass der Therapiehinweis nach Nr. 14 der Arzneimittel-Richtlinien für
Clopidogrel (Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 16.
Februar 2000 über eine entsprechende Änderung bzw. Ergänzung von Anlage 4 der AMR
in der letzten Fassung vom 22. Februar 1999, Bekanntmachung im Bundesanzeiger 102
vom 30. Mai 2000, S. 10094) rechtswidrig war,
2. den Therapiehinweis nach Nr. 14 der AMR für Clopidogrel (Beschluss des
Gemeinsamen Bundesausschusses vom 15. Juni 2004 über eine entsprechende Änderung
bzw. Ergänzung von Anlage der AMR in der letzten Fassung vom 15. Juni 2004,
Bekanntmachung im Bundesanzeiger Nr. 182 vom 25. September 2004, S. 21085)
aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den genannten Therapiehinweis durch
Veröffentlichung im Bundesanzeiger für nicht anwendbar zu erklären,
3. hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, den genannten Therapiehinweis aufzuheben
und durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger für nicht anwendbar zu erklären,
äußerst hilfsweise, festzustellen, dass der genannte Therapiehinweis rechtswidrig und
nichtig ist,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Auch hinsichtlich des geänderten Therapiehinweises ist der Beklagte zunächst der Ansicht,
dieser sei inhaltlich rechtmäßig, weil die Studienergebnisse zutreffend ausgewertet und
wiedergegeben worden seien. Hinsichtlich der rechtlichen Grundlage vertritt der Beklagte
die Auffassung, § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V stelle eine hinreichende gesetzliche Grundlage
für den streitigen Therapiehinweis dar. Der Richtlinienauftrag an den Beklagten präzisiere
das Wirtschaftlichkeitsgebot im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Innerhalb dessen könne der Beklagte, dem ein Beurteilungsspielraum eingeräumt sei, die
Erbringung und Verordnung von Leistungen einschränken und ausschließen, wenn nach
allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische und
therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht
nachgewiesen seien. Diese Ermächtigungsnorm sei auch hinreichend bestimmt bezüglich
der Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG. Aus § 73 Abs. 8 SGB V könne entgegen der
Ansicht der Klägerin nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass der Beklagte für den
Erlass des Therapiehinweises nicht ermächtigt sei, da die dort genannten Krankenkassen
und Kassenärztlichen Vereinigungen im Gegensatz zum Beklagten keine Befugnis zur
Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebotes besäßen. Die Informationsempfehlung des
§ 73 Abs. 8 SGB V setze eine Bewertung durch den Beklagten denknotwendig voraus.
Außerdem beinhalte § 92 Abs. 2 Satz 3 SGB V eine Rechtsgrundlage für den streitigen
Therapiehinweis. Clopidogrel und ASS seien Analogpräparate, für die der Gesetzgeber in
der genannten Vorschrift die Möglichkeit geschaffen habe, die Präparate wirtschaftlich zu
bewerten. Es komme nicht auf eine Verankerung des Therapiehinweises in der
Preisvergleichsliste an, entscheidend sei die regelungstechnische Verordnung in den
AMR. Das ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut.
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Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes, auch des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der von der Klägerin
eingereichten Anlagen K 1 bis K 64 Bezug genommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten übereinstimmend das
Berufungsverfahren gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.04.2003 als in der
Hauptsache erledigt erklärt, weil der streitig gewesene Therapiehinweis vom 16.02.2000
durch den Therapiehinweis vom 15.06.2004 ersetzt worden ist. Der Beklagte hat der Klage
gegen diesen neuen Therapiehinweis zugestimmt.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet im Berufungsverfahren jetzt über die Klage der Klägerin gegen den
Therapiehinweis des Beklagten vom 15.06.2004.
I.
1) Diese Klage ist zunächst in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 SGB V als
Anfechtungsklage ohne Vorverfahren zulässig.
Diese Vorschrift erklärt in ihrem Satz 1 für Klagen gegen die Zusammenstellung der
Arzneimittel nach Abs. 2 in einer Preisvergleichsliste die Vorschriften über die
Anfechtungsklage für entsprechend anwendbar, während in Satz 4 eine gesonderte Klage
gegen die Gliederung nach Indikationsgebieten oder Stoffgruppen nach Abs. 2 Satz 2, die
Zusammenfassung der Arzneimittel in Gruppen nach Abs. 2 Satz 3 oder gegen sonstige
Bestandteile der Zusammenstellung nach Abs. 2 für unzulässig erklärt wird. Auf Grund der
in Satz 1 enthaltenen pauschalen Verweisung und dem in Satz 4 der Vorschrift zum
Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers, gesonderte Klagen hinsichtlich
einzelner Teilbereiche im Zusammenhang mit der Preisvergleichsliste für unzulässig zu
erklären, ist zu folgern, dass der streitige Therapiehinweis zumindest mit einer
Anfechtungsklage auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen ist. Er ist Teil der
Arzneimittel-Richtlinien (Nr. 14 AMR), wenn auch nicht einer Preisvergleichsliste, deren
Inhalt in § 92 Abs. 2 SGB V näher modifiziert wird. Der Beklagte nimmt auch die Regelung
des Satz 3 des § 92 Abs. 2 SGB V für den näheren Inhalt der Preisvergleichsliste als
Ermächtigungsgrundlage für den selbständigen Therapiehinweis nach Nr. 14 Satz 1 AMR
außerhalb einer Preisvergleichsliste in Anspruch.
Der Zulässigkeit der Klage steht nicht der Umstand entgegen, dass der ursprüngliche
Therapiehinweis vom 16.02.2000 durch den Therapiehinweis vom 15.06.2004 ersetzt
worden ist. In der hiergegen erhobenen Klage ist entweder eine sachdienliche
Klageänderung zu sehen, in die der Beklagte eingewilligt hat (§ 99 SGG). Oder der
Therapiehinweis vom 15.06.2004 ist entsprechend § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens
geworden, worin die Hauptbeteiligten mit dem Senat übereinstimmen, nachdem sie das
Berufungsverfahren gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.04.2003 in der
Hauptsache für erledigt erklärt haben. Die Einbeziehung des neuen Therapiehinweises
stellt eine Änderung des Klagegrundes dar, die als sachdienlich anzusehen ist, weil
zwischen den Beteiligten dadurch der Streit bereinigt und ein weiterer Prozess vermieden
werden kann. Die Vorschrift des § 96 SGG, die einen Fall der gesetzlichen Klageänderung
regelt, hat den Zweck, aus Gründen der Prozessökonomie eine Entscheidung des
gesamten Streitstoffes zu ermöglichen. Der Senat braucht letztlich die Frage nicht zu
entscheiden, nach welcher der genannten Vorschriften der Therapiehinweis vom
15.06.2004 Gegenstand des Verfahrens geworden ist, denn beide Normen führen zu
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demselben Ergebnis.
Hinsichtlich des ursprünglichen Therapiehinweises vom 16.02.2000 ist das
Fortsetzungsfeststellungsbegehren die richtige Klageart, da sich dieser Therapiehinweis
vor der gerichtlichen Entscheidung im Anfechtungsprozess entsprechend den Regelungen
über Verwaltungsakte erledigt hat. Die Klägerin hat auf Grund der Tatsache, dass dieser
Therapiehinweis längere Zeit Gültigkeit besessen hat, ein Interesse an der Feststellung
seiner Rechtswidrigkeit, um sich evtl. daraus ergebende Schadensersatzforderungen
realisieren zu können.
2) Die Klägerin ist auch klagebefugt, denn sie kann behaupten, in ihren Grundrechten aus
Art. 12 und Art. 14 GG beeinträchtigt zu sein.
Zwar ist die Klägerin als Herstellerin des Arzneimittels Plavix® nicht unmittelbar Adressatin
des Therapiehinweises. Nach § 91 Abs. 9 SGB V sind die Beschlüsse des Beklagten (wie
auch Richtlinien gem. § 92 SGB V) lediglich für die Versicherten, zugelassenen
Krankenhäuser, Krankenkassen und an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmenden Leistungserbringer, insbesondere Vertragsärzte i.S.d. § 95 Abs. 1 SGB V,
verbindlich, nicht aber für pharmazeutische Unternehmen wie die Klägerin. Die
Rahmenvertragskompetenz der Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer
nach § 131 SGB V und die Auskunfts- und Rabattverpflichtungen (§ 130 a SGB V)
begründen keinen Status der Teilnahme als Leistungserbringer an der ambulanten
vertragsärztlichen Versorgung. Auch der Wortlaut der Nr. 14 AMR "die Hinweise zu
bestimmten Arzneimitteln und Therapieprinzipien (Anlage 4) sind zu beachten", die
systematische Eingruppierung des Therapiehinweises unter Buchstabe D der AMR mit der
Bezeichnung "Allgemeine Verordnungsmöglichkeiten auf der Grundlage von § 2 Abs. 1
Satz 3, §§ 12, 70 SGB V" und letztlich der Regelungsinhalt des streitigen
Therapiehinweises "sollte die Indikationsstellung für Clopidogrel nur erfolgen" machen
deutlich, dass Adressat des Therapiehinweises in erster Linie Vertragsärzte sind.
Dennoch kann ein relevanter Eingriff in Grundrechte der Klägerin als Dritte, Außenseiterin,
nicht teilnehmende Leistungserbringerin o.ä. (§ 91 Abs. 9 SGB V) vorliegen. Das ergibt sich
zur Überzeugung des Senates aus der Entscheidung des BSG vom 28.06.2000 - B 6 KA
26/99 R - SozR 3-2500 § 138 Nr. 1 - BSGE 86, 223 ff. - NZS 2001, 590 ff., der er sich nach
eigener Überzeugungsbildung anschließt. Danach erfordert ein Eingriff in das Grundrecht
des Art. 12 Abs. 1 GG nicht, dass eine Berufstätigkeit durch eine hoheitliche Maßnahme
unmittelbar betroffen ist. Das Grundrecht ist auch dann in seinem Schutzbereich tangiert,
wenn eine Norm die Berufstätigkeit selbst unberührt lässt, aber deren
Rahmenbedingungen verändert. Das ist der Fall, wenn die Norm oder die auf ihrer
Grundlage ergangenen Maßnahmen in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung
des Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben. Die hinsichtlich dieser
Voraussetzung in Bezug auf das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und das
Vertragsarztrecht ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung war früher nicht einheitlich.
Zum Teil stellten sich Regelungen über die Verordnungsfähigkeit von Leistungen durch
Richtlinien in Bezug auf Rechte der Leistungsanbieter als bloßer Rechtsreflex (z. B. die
Klage von Arzneimittelherstellern gegen den Ausschluss von Arzneimitteln bei
Bagatellerkrankungen durch § 34 SGB V, BVerfG NJW 1997, 791), andererseits waren das
Bundesverfassungsgericht sowie der 1. und 3. Senat des BSG davon ausgegangen, dass
durch Richtlinien des Beklagten und andere abstrakt-generelle normative Regelungen im
Bereich des SGB V durchaus auch Leistungserbringer in ihren Grundrechten aus Art. 12
Abs. 1 GG tangiert sein könnten, selbst wenn sie nicht Adressaten der Vorschriften waren.
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Der 6. Senat des BSG hat sich dann unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung in
Bezug auf die Rechte von Leistungserbringern der Auffassung angeschlossen, dass eine
berufsregelnde Tendenz von Richtlinien für einen Leistungserbringer neben dem Fall, in
dem er selbst Adressat der Regelung ist, auch dann in die Berufsfreiheit des Art. 12 GG
eingreift, wenn normative Bestimmungen wie die Richtlinien des Bundesausschusses zwar
seine Berufstätigkeit nicht unmittelbar berühren, wenn sie oder die auf ihrer Grundlage
ergangenen Maßnahen aber in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung seines
Berufes stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben. In diesem Sinne hatte
bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 20.09.1991 - Az. 1 BvR
879/90 - SozR 3-2500 § 34 Nr. 1 - zu dem in § 34 Abs. 3 SGB V normierten Ausschluss der
Verordnungsfähigkeit einzelner Arzneimittel ausgeführt, die gesetzliche Ermächtigung zum
Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V sei
geeignet und auch darauf ausgerichtet, die Verschreibung derartiger Arzneien durch die
Kassenärzte und ihrer Abgabe durch die Apotheker weitgehend zurückzudrängen, und
werde zu einem erheblichen Umsatzrückgang bei den betroffenen Herstellern führen.
Damit habe die Regelung eine objektiv die Berufsausübung regelnde Tendenz, so dass
sich die Ermächtigungsgrundlage des § 34 Abs. 3 SGB V an Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG
messen lassen müsse.
Gleiche Voraussetzungen sieht der Senat vorliegend als gegeben an.
Der Therapiehinweis des Beklagten ist nach Nr. 14 Satz 1 AMR von den Vertragsärzten zu
beachten. Damit handelt es sich nicht nur um eine unverbindliche Empfehlung, sondern
eine verbindliche Regelung, wie sich bereits aus der Gegenüberstellung zu Satz 2 der Nr.
14 AMR ergibt. Bezüglich der Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der
Deutschen Ärzteschaft wird lediglich deren Berücksichtigung "empfohlen". Inhaltlich enthält
er wegen vermeintlich klinisch nicht relevanter Wirksamkeitsunterschiede eine negative
Kosten-/Nutzenbewertung und einen negativen Indikationshinweis ( ... sollte nur erfolgen,
wenn ...) und zielt darauf ab, Clopidogrel im Verhältnis zu ASS nur in begründeten
Ausnahmefällen zu verschreiben. Damit werden die Umsatzchancen der Klägerin als
Arzneimittelherstellerin im freien Wettbewerb geschmälert, die Einschränkung des
Verordnungsumfangs in der gesetzlichen Krankenversicherung ist zielgerichtet und
bezweckt, wie sich nochmals eindrucksvoll aus den Stellungnahmen des Beklagten in der
mündlichen Verhandlung ergeben hat. Diese Beeinträchtigung ist nicht unerheblich, da der
allergrößte Teil der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist
und durch den Therapiehinweis somit ein weites Spektrum von Absatzchancen tangiert
wird.
Dieser rechtlichen Bewertung der Grundrechtsbetroffenheit der Klägerin stehen nach
Auffassung des Senates nicht die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom
17.12.2002 (Az.: 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95 und 1 BvL 30/95 - SozR 3-2500 § 15 Nr. 2 -
BVerfGE 106, 245 - 310) entgegen, in der die Vereinbarkeit der gesetzlichen Ermächtigung
zu Festbeträgen für Arzneimittel, Hör- und Sehhilfen mit grundgesetzlichen Vorschriften
festgestellt worden ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat in diesen Entscheidungen u.a. ausgeführt:
Die Festbetragsfestsetzungen sind nicht am Grundrecht der Berufsfreiheit der
Pharmaunternehmen, der Optiker und der Hörgeräteakustiker zu messen. Regeln über die
(Höchst-)Preise, zu denen die Träger der Krankenversicherung die Kosten von
Arzneimitteln oder Hilfsmitteln für die Versicherten übernehmen, fallen in den
Schutzbereich von Grundrechten der Versicherten, aber auch der Ärzte, soweit ihr
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Verhalten und die Therapiefreiheit betroffen sind. Demgegenüber wird der Schutzbereich
des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG bei den Herstellern oder Anbietern von Arznei- und
Hilfsmitteln nicht berührt, wenn die Kostenübernahme gegenüber den Versicherten im
Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt wird. Dass Marktchancen
betroffen werden, ändert hieran nichts.
Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG wird nicht deshalb berührt, weil den zur Prüfung
gestellten Gesetzesnormen (§§ 35, 36 SGB V) über die faktisch mittelbaren Folgen für
Hersteller und Leistungserbringer hinaus eine berufsregelnde Tendenz zukäme. Die
Auswirkungen auf deren Berufsausübung sind bloßer Reflex der auf das System der
gesetzlichen Krankenversicherung bezogenen Regelung. Eine berufsregelnde Tendenz ist
der gesetzlichen Ermächtigung auch nicht etwa deshalb zu entnehmen, weil die Verbände
zu wirtschaftslenkenden Maßnahmen ermächtigt werden, denen ihrerseits eine
berufsregelnde Tendenz zukäme. Eine solche Regelungsmacht hätten die Verbände nicht.
Nach Auffassung des Senats sind die in dieser Entscheidung festgeschriebenen
Grundsätze deshalb hier nicht anwendbar, weil sich die Festbetragsregelungen im
wettbewerbsrechtlichen und damit berufsrechtlich geschützten Bereich allenfalls auf den
Preis, also auf die Gegenleistung für eine unstreitig erbrachte oder zu erbringende
Leistung, in der Regel aufgrund der Verordnung eines Vertragsarztes, beziehen. Dabei
berühren sie nicht einmal den festgesetzten Apothekenabgabepreis, sondern nur die Höhe
der Kostenübernahme der Krankenkassen gegenüber Versicherten. Der Therapiehinweis
greift hingegen verbindlich und tendenziell in die Verordnungsmöglichkeiten des
Arzneimittels Plavix® ein und entfaltet damit seine Wirkung in Form einer unmittelbaren
und konkreten einzelfallbezogenen Regelung für die Leistungserbringung. Die
Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur Wettbewerbsförderung durch Festbeträge
greifen hier nicht. Man mag die bloße Reflexwirkung von Festbeträgen damit begründen,
dass infolge von Festbeträgen Preiswettbewerb geschaffen und Wettbewerb durch
Preistransparenz sogar noch gefördert wird. Darum geht es im Therapiehinweis nicht. Die
Wettbewerbschancen der Klägerin für Plavix® werden nicht durch (Preis-)Transparenz
oder (Preis)Vergleiche reflektiert, sondern die Verordnungsbedingungen und -
voraussetzungen im System der GKV und damit unmittelbar die Absatzmöglichkeiten für
ein einzelnes Arzneimittel der Klägerin werden konkret einzelfallbezogen und für die
verordnenden Vertragsärzte bindend geregelt.
Die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur bloßen Reflexwirkung von
Festbeträgen greifen für das Medikament Plavix® der Klägerin auch deswegen schon
nicht, weil es den bis 2013 patentgeschützten Wirkstoff Clopidogrel enthält und dafür
Festbetragsregelungen nicht gelten. Ab 01.01.1993 konnten erst nach Ablauf eines
Patentschutzes mit der Zulassung eines Nachahmerpräparates Festbeträge nach § 35 Abs.
1 Satz 2 Nr. 1 SGB V i.d.F. des Gesundheitsstrukturgesetzes v. 21.12.1992 festgesetzt
werden, zu den Ausnahmen siehe Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2. Seit 01.01.1996 wurden
Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, die wie das Medikament der Klägerin nach
dem 31.12.1995 zugelassen worden sind, generell aus der Festbetragsregelung
ausgenommen (§ 35 Abs. 1 a SGB V i.d.F. des 7. SGB V-Änderungsgesetzes vom
28.10.1996). Daraus ersieht der Senat die Wertung des Gesetzgebers, die Finanzierung
von Arzneimittelinnovationen zu erleichtern, verstärkte Investitionen in die
Arzneimittelforschung zu fördern und den Pharmastandort Deutschland zu stärken (BT-Drs.
13/3217 S. 3). Auch nach der aktuellen Rechtslage ab 2004 braucht das Medikament der
Klägerin sich Preistransparenz und -wettbewerb über Festbeträge nicht zu stellen, siehe §
35 Abs. 1 a SGB V i.d.F. des GMG. Eine Gruppenbildung mit zwei weiteren
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pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, die ebenfalls unter
Patentschutz stehen, scheidet aus; selbst dann würden die Beteiligten über die Ausnahme
in Satz 2 streiten, ob das Arzneimittel der Klägerin eine therapeutische Verbesserung
bedeutet. Wenn somit schon auf der Ebene der Preisgestaltung im System der GKV
Grundrechte der Klägerin auch aus Art. 14 GG besonderen gesetzgeberischen Schutz
genießen, muss dies zur Überzeugung des Senates erst Recht für die Frage der
Leistungserbringung im System für Eingriffe durch Verordnungshinweise gelten. Patente
sind eigentumsgleiche Rechte und genießen daher den Schutz des Art. 14 GG (vgl. hierzu
BVerfGE 36, 281, 290).
Auch das Bundessozialgericht hat in seiner nachgehenden Entscheidung zur
Rechtmäßigkeit der Festbetragsfestsetzung (B 3 KR 23/04 R) ausgeführt, die in dem
Verfahren klagende Arzneimittelherstellerin sei auch unter Würdigung des Urteils des
BVerfG klagebefugt. Das BVerfG habe eine Betroffenheit der Arzneimittelhersteller im
Grundrecht der Berufsfreiheit nur insoweit geprüft und verneint, als es um die
Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung über die Festsetzung von Festbeträgen
gegangen sei. Nach im Übrigen ständiger Rechtsprechung des BVerfG bestehe zwar kein
grundrechtlich geschützter Anspruch der Marktteilnehmer auf unveränderte Beibehaltung
der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs, die für alle Marktteilnehmer
gleichmäßig gelten, wohl aber ein Anspruch auf Einhaltung gleicher
Wettbewerbsbedingungen bzw. ein grundrechtlich eingeräumter Abwehranspruch gegen
gesetzliche oder verwaltungsmäßige Maßnahmen, die den Wettbewerb der
Marktteilnehmer untereinander verfälschten. Dies mache die Klägerin in der Weise geltend,
dass die von ihr hergestellten Arzneimittel zu Unrecht in eine Gruppe mit anderen
Arzneimitteln eingeordnet worden seien, obwohl ihre Produkte wegen ihrer deutlichen
Überlegenheit mit den anderen Arzneimitteln nicht vergleichbar seien (vgl. hierzu BSG
Pressevorbericht Nr. 64/04 vom 11.11.2004 und BSG Pressemitteilung Nr. 64/04 vom
25.11.2004). In diesem Sinne macht die Klägerin des anhängigen Verfahrens geltend, das
von ihr hergestellte Arzneimittel Plavix® sei durch den Therapiehinweis hinsichtlich seiner
Wirksamkeit und wirtschaftlichen Verordnungsweise im Vergleich zu ASS falsch bewertet
worden, dadurch sei sie in ihren Grundrechten betroffen.
II.
Die Klage ist auch begründet. Der Therapiehinweis des Beklagten vom 15.06.2004 ist
rechtswidrig, weil es für die in ihm enthaltene Kosten-Nutzen-Bewertung des von der
Klägerin hergestellten Arzneimittel Plavix® mit dem Wirkstoff Clopidogrel an einer
gesetzlichen Grundlage fehlt, die im Hinblick auf die Grundrechtsbetroffenheit der Klägerin
als Ermächtigungsgrundlage zwingend erforderlich ist, Art. 12 GG. Zwar ist der
Therapiehinweis auf Nr. 14 Satz 1 der AMR gestützt, die wiederum eine Rechtsgrundlage
in § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V der Fassung vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) finden,
jedoch ist diese Legitimationskette für den Therapiehinweis des Beklagten nicht
ausreichend.
Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung aller Senate des Bundessozialgerichts
bestehen keine grundsätzliche Bedenken mehr gegen die Übertragung von
Satzungsautonomie und Richtlinienkompetenz an den Beklagten. Z. B. unterliegen
Zulassungsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Vergabe von Vertragsarztsitzen
nicht deshalb rechtlichen Bedenken, weil zahlreiche Regelungen hierzu in Richtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen enthalten sind. Danach geht der 6.
Senat des BSG (Urteil vom 18.03.1998 - B 6 KA 37/96 R - SozR 3-2500 § 103 Nr. 2 = E 82,
46
41 ff) im Ergebnis ebenso wie der 1. Senat (BSGE 81, 54, 64 = SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S.
20; BSGE 81, 73, 84 = SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 60) davon aus, dass sich dem
Grundgesetz nicht das Verbot entnehmen lässt, für einen begrenzten Sachbereich
Satzungsautonomie auf eine Einrichtung zu übertragen, die von zwei Körperschaften
gebildet und durch diese demokratisch legitimiert sei. Einer solchen Einrichtung kann die
Befugnis zur Satzungsgebung eingeräumt werden, wenn von den Mitgliedern beider
Körperschaften her eine (verbands-)demokratische Legitimation besteht. Dann kann die
Einrichtung verbindliche Regelungen gegenüber den Mitgliedern beider Körperschaften
treffen und die Bindungswirkung auch auf die Mitglieder jeweils nachgeordneter weiterer
Körperschaften erstrecken. Eine derartige Struktur weist der Beklagte auf, dem die Befugnis
eingeräumt ist, Regelungen mit normativer Wirkung für die in tragenden Körperschaften
und für deren Mitglieder sowie für die Angehörigen der weiteren nachgeordneten
Körperschaften zu erlassen. Der Beklagte kann Richtlinien erlassen mit bindender Wirkung
sowohl für die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Mitglieder - die Ärzte - als auch für
die Krankenkassen und ihre Mitglieder - die Versicherten -. Von beiden Gruppen her,
sowohl von den Ärzten als auch von den Versicherten besteht eine ausreichende
(verbands-)demokratische Legitimation. Hierfür ist - in Anlehnung an die Rechtsprechung
des BVerfG zum allgemeinen Demokratieprinzip - eine kontinuierliche (ununterbrochene)
Legitimationskette erforderlich, wobei ein nur mittelbarer Legitimationszusammenhang -
evtl. vermittelt über mehrere Stufen - grundsätzlich ausreicht (vgl. BVerfGE 47, 253, 275; 52,
95, 130; 77, 1, 40; 83, 60, 72 ff.). Eine solche Kette ergibt sich bei den betroffenen Ärzten
dadurch, dass diese ihre Vertreter in die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen
Vereinigungen wählen (§ 80 Abs. 1 Satz 1 SGB V), diese ihrerseits Vertreter in die
Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) (§ 80 Abs. 1 Satz 3
SGB V) und diese wiederum ihre Vertreter in den Bundesausschuss (§ 5 Abs. 2 der
Satzung der KBV). Eine demokratische Legitimation besteht im Übrigen aber auch bei den
Versicherten. Diese wählen im Rahmen der Sozialversicherungswahlen (§ 45 SGB IV) ihre
Vertreter in den Verwaltungsrat der Krankenkasse (§ 46 i. V. m. § 31 Abs. 3 a SGB IV),
dieser wählt dann - sofern die Krankenkasse nicht ohnehin die Rechte und Pflichten des
Landesverbandes wahrnimmt - seine Vertreter in den Verwaltungsrat des
Landesverbandes (§ 209 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 SGB V), dieser wiederum seine
Vertreter in den Verwaltungsrat des Bundesverbandes der Krankenkassen (§ 215 Abs. 1
Satz 1 SGB V), und dieser bestimmt seine Vertreter für die Bundesausschüsse (z. B. § 12
Abs. 7 Nr. 4 der Satzung des AOK-Bundesverbandes), vgl. BSG vom 18.03.1998, a. a. O ...
Diese Grundsätze gelten zunächst hinsichtlich der Bindungswirkung für die Adressaten der
Richtlinien. Darüber hinaus hat der 6. Senat im Zusammenhang mit seiner o.g.
Entscheidung zu den Bedarfsplanungsrichtlinien es aber auch gebilligt, dass die
Regelungen in den Richtlinien des Bundesausschusses nicht nur für diejenigen verbindlich
wird, die bereits an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen und dadurch in den
Selbstverwaltungsgremien und auch in dem Bundesausschuss repräsentiert sind, sondern
normative Wirkung gegenüber weiteren Betroffenen entfalten. Eine derartige Geltung - auch
als Außenseitererstreckung bezeichnet - ist jedenfalls dann zulässig, wenn den Richtlinien-
Bestimmungen gesetzliche Vorschriften zu Grunde liegen, die deren Inhalt, Zweck und
Ausmaß vorgeben und in denen die wesentlichen Fragen geregelt wird (BSG vom
18.03.1998, a. a. O.).In diesem Zusammenhang ist das BSG zu der Feststellung gelangt,
dass im Bereich der Bedarfsplanungsrichtlinien-Ärzte solche engmaschigen
Gesetzesvorgaben bestehen, die die Geltung gegenüber Außenstehenden rechtfertigten.
Die Vorschriften der §§ 99, 101 Abs. 1 und 2 SGB V, § 12 Ärzte-ZV enthielten nähere
Vorgaben für den Inhalt der Bedarfspläne und die Abgrenzung der Planungsbereiche
sowie für die Maßstäbe, Grundlagen und Verfahren zur Feststellung des allgemeinen
47
48
49
Versorgungsgrades und der Überversorgung. Darin sei angeordnet, dass Verhältniszahlen
für den allgemeinen bedarfsgerechten Versorgungsgrad festzulegen und bei Änderung
maßgeblicher Umstände anzupassen bzw. neu festzulegen seien; ferner sei gesetzlich
geregelt, in welchen Fällen eine Überversorgung anzunehmen sei und dass bei einer
Überversorgung Zulassungsbeschränkungen räumlich begrenzt und fachgruppenbezogen
anzuordnen seien. Bei einem so dichten Gesetzesprogramm sei es unbedenklich, dass die
Richtlinienbestimmungen im Sinne einer sogenannten Außenseitererstreckung auch
Wirkung für Dritte entfalteten.
Eine diesen Anforderungen genügende gesetzliche Legitimation des Beklagten zur
Kosten-Nutzen-Bewertung des von der Klägerin hergestellten Medikaments Plavix® durch
den auf Nr. 14 AMR gestützten Therapiehinweis vermag der Senat nicht festzustellen. 1. §
92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V, der den Beklagten ermächtigt, u. a. Richtlinien über die
Verordnung von Arzneimitteln zu beschließen, stellt lediglich eine Konkretisierung der dem
Beklagten in Satz 1 der genannten Vorschrift übertragenen Richtlinienkompetenz dar. Ein
dichtes Gesetzesprogramm im Sinne der zitierten Entscheidung des BSG zu den
Bedarfsplanungsrichtlinien liegt in dieser allgemein gehaltenen gesetzlichen Regelung
unter bloßer Wiederholung des Begriffes der "Wirtschaftlichkeit" (§§ 2, 12 SGB V) nicht.
2. Ebenso wenig findet der streitige Therapiehinweis vom 15.06.2004 seine ausreichende
Legitimation in § 92 Abs. 2 SGB V, der Regelungen zur Zusammenstellung von
Arzneimitteln nach Indikationsgebieten und Stoffgruppen zum Preisvergleich (sog.
Preisvergleichsliste) als Inhalt der Arzneimitelrichlinien enthält. Die Vorschrift wurde durch
das AABG mit Wirkung vom 23.02.2002 durch Einfügung eines Satzes 3 erweitert: "Um
dem Arzt eine therapie- und preisgerechte Auswahl der Arzneimittel zu ermöglichen, sind
zu den einzelnen Indikationsgebieten Hinweise aufzunehmen, aus denen sich für
Arzneimittel mit pharmakologisch vergleichbaren Wirkstoffen oder therapeutisch
vergleichbarer Wirkung eine Bewertung des therapeutischen Nutzens auch im Verhältnis
zum jeweiligen Apothekenabgabepreis und damit zur Wirtschaftlichkeit der Verordnung
ergibt; § 73 Abs. 8 Satz 3 - 6 gilt entsprechend" (vgl. hierzu Bundestagsdrucksache 14/7144
vom 16.10.2001).
Die Vorschrift stellt deswegen keine ausreichende gesetzliche Legitimation für den
streitigen Therapiehinweis dar, weil sie sich sowohl vom Wortlaut als auch vom
systematischen Zusammenhang her ausschließlich auf den Inhalt der sog.
Preisvergleichsliste, hier vorliegend in der Fassung vom 01.04.1992, bezieht. Das ergibt
sich aus den Sätzen 1 und 2 des § 92 Abs. 2 SGB V, nach denen die Richtlinien nach Abs.
1 Satz 2 Nr. 6 Arznei- und Heilmittel unter Berücksichtigung der Festbeträge nach § 35 oder
§ 35 a so zusammenzustellen haben, dass dem Arzt der Preisvergleich und die Auswahl
therapiegerechter Verordnungsmengen ermöglicht wird (Satz 1) und die
Zusammenstellung der Arzneimittel nach Indikationsgebieten und Stoffgruppen zu gliedern
ist (Satz 2). Die in dem neu eingefügten Satz 3 vorgesehene Aufnahme von Hinweisen "zu
den einzelnen Indikationsgebieten" bezieht sich damit ausschließlich auf die
Preisvergleichsliste, die jedoch nicht Gegenstand bzw. Teil des Therapiehinweises und
deren Teil der Therapiehinweis nicht ist. Diese Gliederung "nach Indikationsgruppen" gibt
Satz 2 für die Preisvergleichsliste gerade vor. Beim streitigen Therapiehinweis handelt es
sich schon nicht um eine "Zusammenstellung" von Arzneimitteln nach Indikationsgebieten,
noch ist er Teil oder Auszug aus einer zusammenhängenden größeren vergleichenden
Zusammenstellung, sondern ein einzelner Beschluss zu einem konkreten
patentgeschützten Wirkstoff und dem entsprechenden Arzneimittel. Gestützt wird diese
Wertung auch durch die gesetzgeberischen Motive für die Änderung der Vorschrift. Das
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51
AABG sollte unter anderem den Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung
stabilisieren. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte diese Modifizierung der Vorgabe
für die Preisvergleichsliste (so ausdrücklich!) bewirken, dass pharmakologisch bzw.
therapeutisch vergleichbare Arzneimittel auch im Hinblick auf ihr Preis-/Leistungsverhältnis
und damit auf ihre Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung vom
Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen bewertet werden. Dies sollte insbesondere
Arzneimittel betreffen, die in den letzten Jahren als neu entwickelte Wirkstoffe mit keinem
oder nur einem marginalen zusätzlichen therapeutischen Nutzen (sogenannte
Analogpräparate) gegenüber bereits längerfristig etablierten Substanzen in den
Verordnungsmarkt gekommen sind. Die Hinweise sollen in die Zusammenstellung der
Preisvergleichsliste aufgenommen werden, die für den einzelnen Arzt eine
Informationsgrundlage für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche
Verordnung von Arzneimitteln darstellt (so Bundestagsdrucksache 14/7144, B S. 5). Damit
wird aus den Gesetzesmotiven deutlich, dass die gesetzliche Neufassung des § 92 Abs. 2
Satz 3 Halbsatz 1 SGB V lediglich eine Modifizierung der Vorgaben für die
Preisvergleichsliste darstellen sollte. Darüber hinaus ergibt sich, so bereits der Wortlaut der
Vorschrift, eine weitere Beschränkung der Regelung auf Arzneimittel mit pharmakologisch
vergleichbaren Wirkstoffen oder therapeutisch vergleichbarer Wirkung (sogenannte
Analogpräparate). Um ein solches handelt es sich bei dem von der Klägerin hergestellten
Arzneimittel Plavix® im Vergleich zu ASS nicht. Analogpräparate enthalten neue
Wirkstoffmoleküle mit analogen pharmakologischen und klinischen Wirkungen wie bereits
bekannte Arzneimittel. Sie sind damit chemische Innovationen mit pharmakologisch
ähnlichen oder gleichartigen Wirkungen ohne indikationsspezifische therapeutische
Vorteile für die Patienten (vgl. hierzu Schwabe, Arzneiverordnungsreport 2004, S. 17). Die
pharmakologischen Bestandteile beider Präparate sind hier unterschiedlich, denn ASS
enthält ausschließlich die sich aus der Abkürzung ergebende Acetylsalicylsäure, während
das Medikament Plavix® Clopidogrel als Bestandteil hat (vgl. hierzu Schwabe, a. a. O., S.
362). Darüber hinaus sind die Wirkungsweisen andere. Hierzu folgt der Senat den
Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Danach greift Clopidogrel an den ADP-
Rezeptoren der Thrombozyten an, indem es die Aktivierung der Glykoprotein IIb/IIIa-
Rezeptoren verhindert. Die Thrombozytenaggregation wird in der Endstrecke über den
GpIIb/IIIa-Rezeptor gehemmt, an den Fibrinogen zur Vernetzung der Plättchen verbunden
wird. Demgegenüber hemmt ASS die Prostaglandinbildung; Prostaglandine wiederum
hemmen die Thrombozytenaggregation. Gestützt wird diese Auffassung durch die
Ausführungen von Schwabe, denn im Arzneiverordnungsreport werden unter den
Thrombozytenaggregationshemmern die Acetylsalicyläure und die ADP-
Rezeptorantagonisten gesondert aufgeführt (vgl. hierzu Schwabe, a. a. O., S 361, 364).
§ 92 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 SGB V kann auch deswegen nicht als
Ermächtigungsgrundlage für den streitigen Therapiehinweis in Anspruch genommen
werden, weil es sich bei den in der Preisvergleichsliste zusammengestellten Arzneimitteln
um solche handelt, die unter Berücksichtigung der Festbeträge nach § 35 oder § 35 a SGB
V zusammenzustellen sind. Wie bereits ausgeführt, stellt das Medikament Plavix® zur Zeit
jedoch wegen des der Klägerin zustehenden Patentschutzes gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3
Halbsatz 2 SGB V kein Festbetragsarzneimittel dar, solange auch die übrigen
Voraussetzungen nicht vorliegen, z.B. § 35 Abs. 1 a SGB V.
3. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der streitige Therapiehinweis auch nicht über
§ 92 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V, der § 73 Abs. 8 Satz 3 - 6 SGB V für entsprechend
anwendbar erklärt, zu legitimieren. Zwar sieht § 73 Abs. 8 SGB V (der durch Gesetz vom
19.12.2001 (BGBl I, S. 3773) an die bisherige Gesetzesfassung angefügt wurde) in seinem
52
53
Satz 3 (der mit den Sätzen 4, 5 und 6 durch Gesetz vom 14.11.2003 (BGBl I, S. 2190) mit
Wirkung zum 01.01.2004 angefügt wurde) vor, dass in den Informationen und Hinweisen
Handelsbezeichnungen, Indikationen und Preise sowie weitere für die Verordnung von
Arzneimitteln bedeutsame Angaben insbesondere auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs.
1 Satz 2 Nr. 6 SGB V in einer Weise anzugeben sind, die unmittelbar einen Vergleich
ermöglichen; dafür können Arzneimittel ausgewählt werden, die einen maßgeblichen Anteil
an der Versorgung der Versicherten im Indikationsgebiet haben. Adressat der Regelungen
des § 73 Abs. 8 SGB V ist aber einmal nicht der Beklagte. Vielmehr können nach Satz 1 zur
Sicherung der wirtschaftlichen Verordnungsweise die Kassenärztlichen Vereinigungen und
die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sowie die Krankenkassen und ihre Verbände
die Vertragsärzte auch vergleichend über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen,
einschließlich der jeweiligen Preise und Entgelte informieren sowie nach dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Hinweise zu Indikation und
therapeutischen Nutzen geben. Wenn der Beklagte auch gemäß § 91 Abs. 1 SGB V u. a.
durch die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und die Bundesverbände der
Krankenkassen gebildet wird, so hat er dennoch nach § 91 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine
eigene Rechtspersönlichkeit, an deren Bildung auch die Deutsche
Krankenhausgesellschaft, die Bundesknappschaft und die Verbände der Ersatzkassen
beteiligt sind. Angesichts dessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der
Gesetzgeber durch die Benennung der Kassenärztlichen Vereinigungen und
Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sowie der Krankenkassen als Adressat der
Regelung des § 73 Abs. 8 SGB V den Beklagten konkludent mit ermächtigen wollte, die in
der Vorschrift vorgesehenen Informationen herauszugeben. Eine abweichende Beurteilung
ergibt sich auch nicht aus der Ansicht des Beklagten, die in § 73 Abs. 8 Satz 1 SGB V
genannten Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen seien im Gegensatz zum
Beklagten nicht befugt, das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen
Krankenversicherung zu konkretisieren, so dass aus diesem Grunde die
Informationsempfehlung des § 73 Abs. 8 SGB V eine Bewertung durch den Beklagten
denknotwendig voraussetze. Angesichts der Grundrechtsbetroffenheit der Klägerin und der
von der BSG-Rechtsprechung geforderten hinreichenden Präzisierung des
Normsetzungsprogramms nach Inhalt, Zweck und Ausmaß im Sinne engmaschiger
Gesetzesvorgaben kann eine ungeschriebene, gleichsam zwischen den Zeilen stehende
Kompetenz des Beklagten zum Erlass derart weitreichender Regelungen in Form von
Richtlinien nicht angenommen werden.
Darüber hinaus gelten die Sätze 3 bis 6 von § 73 As. 8 SGB V nur entsprechend im
Rahmen der Detailregelungen des § 92 As. 2 Satz 3 für Bewertungen der Nutzen- und
Preisrelation im Rahmen der Wirtschaftlichkeit in einer nach Indikationsgebieten und
Staffelgruppen zusammengestellten sog. Preisvergleichsliste. Eigenständige
Ermächtigungsgrundlagen für davon losgelöste einzelne gezielte Therapiehinweise
vermag der Senat darin nicht zu erkennen.
4. Die Legitimation des Beklagten zum Erlass des streitigen Therapiehinweises kann auch
nicht aus § 92 Abs. 1 Satz 1 3. Halbsatz SGB V abgeleitet werden. Danach kann der
Beklagte im Rahmen der ihm übertragenen Richtlinienkompetenz die Erbringung und
Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn
nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische
oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit
nicht nachgewiesen sind. § 92 Satz 1 SGB V wurde durch Gesetze vom 19.06.2001 (BGBl
I, S. 1046) und 14.11.2003 (BGBl I, S. 2190) mit Wirkung zum 01.01.2004 geändert. Mit der
Ergänzung durch diesen 3. Halbsatz wollte der Gesetzgeber der Forderung nach
54
engmaschigen Gesetzesvorgaben Rechnung tragen und das den Bundesausschüssen
aufgegebene Normsetzungsprogramm nach Inhalt, Zweck und Ausmaß klarer als bisher
präzisieren (vgl. hierzu Bundestagsdrucksache 15/1170 S. 81 zu Nummer 46). Dabei hat
der Gesetzgeber sich von Entscheidungen des BSG leiten lassen, die sich mit den
Voraussetzungen zur Aufnahme neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die
BUB-Richtlinien des Beklagten befassen (BSG vom 20.03.1996, Az. 6 RKa 62/94
(Methadon-Richtlinien); BSG vom 16.06.1999, Az. B 1 KR 4/98 R (Manualtherapie nach Dr.
Kozijavkin); BSG vom 19.02.2002, Az. B 1 KR 16/00 R (Colon-Hydro-Therapie), BSG vom
19.02.2003, Az. B 1 KR 18/01 R (Bioresonanztherapie)).
Der Senat sieht wohl die gesetzgeberische Motivation, das dem Beklagten vom
Gesetzgeber aufgegebene und aufzugebende Normsetzungsprogramm nach Inhalt, Zweck
und Ausmaß klarer als bisher präzisieren zu wollen. Dennoch findet der Senat angesichts
der Tatsache, dass der Therapiehinweis eine für seine Adressaten zu beachtende
Regelung hinsichtlich der Verordnungsmöglichkeit des Arzneimittels Plavix® enthält, die
im Wege der Außenseitererstreckung auch gegenüber der Klägerin als Dritte Wirksamkeit
entfaltet, darin noch keine hinreichende Präzisierung des Normsetzungsprogramms. Es
lassen sich dieser Vorschrift keine engmaschigen Gesetzesvorgaben hinsichtlich Inhalt,
Zweck und Ausmaß von Richtlinienkompetenz entnehmen, es handelt sich um eine zu
allgemein gehaltene Ermächtigung im Sinne einer Generalklausel. Sie beträfe alle
ärztlichen Leistungsbereiche - ambulant und stationär - der gesetzlichen
Krankenversicherung - sowohl Leistungen und Maßnahmen - durch alle Leistungserbringer
- Erbringung und Verordnung - mit allen Regelungsinhalten - Einschränkung bis
Ausschluss -. Wäre § 92 Abs. 1 Satz 1, 3. Halbsatz SGB V die maßgebliche
Kompetenzzuweisung an den Beklagten zum Erlass von Richtlinien, bedürfte es vieler
Detailregelungen z.B. der §§ 34, 35 b, 92, 135 SGB V usw. nicht. Diese Auffassung würde,
insbesondere soweit es um die Verordnung von Arzneimitteln geht, den sensiblen
Rechtsbereich der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln (sog. Positivliste, früherer § 33a
SGB V) und die wechselnde und konkurrierende Zuständigkeit für den Ausschluss von
Arzneimitteln (siehe § 34 SGB V i.d.F. ab 2004, insbes. § 34 Abs. 1 Satz 9, Abs. 3 Satz 4)
und die Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln (§ 35b SGB V) verkennen, verwischen
und vermischen. Insbesondere für den Ausschluss von Arzneimitteln aus der
vertragsärztlichen Versorgung enthält § 34 SGB V eine Spezialregelung. In seinem Absatz
3 ist festgelegt, dass das BMGS im Einvernehmen mit dem BMWA durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates von der Versorgung nach § 31 SGB V
unwirtschaftliche Arzneimittel ausschließen kann. Als unwirtschaftlich sind insbesondere
Arzneimittel anzusehen, die für das Therapieziel oder zur Minderung von Risiken nicht
erforderliche Bestandteile enthalten oder deren Wirkung wegen der Vielzahl der
enthaltenen Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden können oder
deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist (§ 34 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Diese
Voraussetzungen liegen für das Medikament Plavix® offensichtlich nicht vor. Es besteht
ausweislich der Fachinformation der Klägerin ausschließlich aus
Clopidogrenhydrogensulfat und enthält damit keine Bestandteile, die für das Therapieziel
oder zur Minderung von Risiken nicht erforderlich sind und auch keine Vielzahl von
Wirkstoffen, deren Wirkung nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden kann.
Darüber hinaus sind auch die Voraussetzungen der dritten Alternative der genannten
Vorschrift nicht gegeben, denn - das ist zwischen den Beteiligten unstreitig - nicht der
therapeutische Nutzen ist nicht nachgewiesen, streitig ist die Wirtschaftlichkeit. Auch durch
die in § 34 Abs. 3 Satz 4 SGB V enthaltene Feststellung, dass für nicht durch
Rechtsverordnung nach Satz 1 ausgeschlossene Arzneimittel § 92 SGB V unberührt bleibt,
lässt sich der streitige Therapiehinweis nicht rechtfertigen, denn § 92 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m.
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Abs. 2 SGB V rechtfertigt aus den oben dargelegten Gründen den Therapiehinweis gerade
nicht. Auch aus diesem Grunde kann die allgemein gehaltene Ermächtigung des § 92 Abs.
1 HS 3 SGB V zu keinem weitergehenden Ergebnis führen. Wäre eine so weit gehende
rechtliche Wirkung aus dieser Vorschrift ableitbar, wären z. B. die konkreten gesetzlichen
Regelungen zur Gruppenzusammenstellung der Arzneimittel für die einzelnen
Indikationsgebiete im Zusammenhang mit der Preisvergleichsliste (§ 92 Abs. 2 Satz 3 SGB
V) und zu den BUB-Richtlinien (§ 135 Abs. 1 SGB V) überflüssig.
Ungeachtet dieser rechtlichen Ausführungen vermag § 92 Abs. 1 3. Halbsatz SGB V den
Therapiehinweis auch deshalb nicht zu rechtfertigen, weil die
Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift nicht gegeben wären. Es lässt sich nämlich
gerade nicht feststellen und wird vom Beklagten nicht einmal in Anspruch genommen, dass
nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder
therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit des
Präparats Plavix® mit dem Bestandteil Clopidogrel nicht nachgewiesen sei. Denn dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht eine
Behandlungsmethode, wenn sie von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute
(Ärzte, Wissenschaftler) befürwortet wird. Von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden
Gegenstimmen abgesehen, muss über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsenz
bestehen (BSG vom 16.06.1999, Az. B 1 KR 4/98 R - SozR 3-2500 § 18 Nr. 4 -; BSG vom
19.02.2002 - Az. B 1 KR 16/00 R - SozR 3-2500 § 92 Nr. 12 -). In der jüngsten
Entscheidung vom 19.02.2003 - Az. B 1 KR 18/01 R - SozR 4-2500 § 135 Nr. 1 - führt das
BSG zu dem Tatbestandsmerkmal des allgemein anerkannten Stands der medizinischen
Erkenntnisse aus: "Ob eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und damit dem in § 2 Abs. 1
Satz 3 SGB V geforderten Versorgungsstandard entspricht, soll nach Wortlaut und
Konzeption des Gesetzes nicht von Fall zu Fall durch die Krankenkasse oder das Gericht,
sondern für die gesamte ambulante Versorgung einheitlich durch den Bundesausschuss
der Ärzte und Krankenkassen als sachkundiges Gremium entschieden werden, um so eine
an objektiven Maßstäben orientierte und gleichmäßige Praxis der Leistungsgewährung zu
erreichen. Dabei hat der Bundesausschuss entgegen einem häufig anzutreffenden
Missverständnis nicht selbst über den medizinischen Nutzen der Methode zu urteilen.
Seine Aufgabe ist vielmehr, sich einen Überblick über die veröffentlichte Literatur und die
Meinung der einschlägigen Fachkreise zu verschaffen und danach festzustellen, ob ein
durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerte Konsenz über die Qualität und
Wirksamkeit der in Rede stehenden Behandlungsweise besteht (s. zum Erfordernis des
Wirksamkeitsnachweises: Senatsurteil vom 05.07.1995 - BSGE 76, 194, 199 = SozR 3-
2500 § 27 Nr. 5 Satz 12; zum Begriff des "allgemein anerkannten Standes der
medizinischen Erkenntnisse": Senatsurteile vom 16.06.1999 - BSGE 84, 90, 96 f. = SozR 3-
2500 § 18 Nr. 4 S. 18 und vom 19.02.2002 - SozR 3-2500 § 92 Nr. 12 S. 71 f.). Die
Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
(BUB-Richtlinien) vom 10.12.1999 (BAnz Nr. 56 vom 21.03.2000 = DÄ 2000, C 680) mit der
darin enthaltenen Verfahrensordnung tragen dieser Aufgabenstellung Rechnung, indem sie
im Einzelnen regeln, welche Unterlagen für die Überprüfung heranzuziehen sind, nach
welchen Kriterien die Bewertung zu erfolgen hat und welche Voraussetzungen für eine
Anerkennung der Methode erfüllt sein müssen." In diesem Sinne geht es nicht darum, dass
nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die
Wirtschaftlichkeit oder der Nutzen des Medikaments Plavix® nicht nachgewiesen seien. Es
lässt sich für den Senat nicht feststellen, dass in wissenschaftlichen Fachkreisen ein
Konsens darüber bestehe, denn die im erstinstanzlichen und zunächst auch im
Berufungsverfahren hierzu vertretenen Ansichten sind konträr. Dieser Eindruck hat sich
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57
auch in der mündlichen Verhandlung vom 19.01.2005 bei dem Vortrag der von der Klägerin
benannten Mediziner bestätigt. Zum anderen hat der Beklagte selbst den medizinischen
Nutzen der Methode beurteilt (was er nach der Rechtsprechung des BSG nicht darf), indem
er im Therapiehinweis ausführt, die Wirksamkeitsunterschiede von Clopidogrel und ASS
seien klinisch nicht relevant bzw. im Rahmen der CURE-Studie sei die Gesamtmortalität
nicht signifikant unterschiedlich gewesen.
5. Insgesamt findet der Senat in den diskutierten Vorschriften des SGB V zurzeit kein so
dichtes Gesetzesprogramm, das die wesentlichen gesetzlichen Vorgaben für einen
berufsregelnden Eingriff durch einen bindenden Therapiehinweis des Beklagten aufgrund
einer Kosten-Nutzen-Bewertung eines patentgeschützten Arzneimittels selbst enthält und
im Übrigen Inhalt, Zweck und Ausmaß einer verbliebenen autonomen
Richtlinienkompetenz des Beklagten dazu beschreibt. Die allgemeinen und wiederholten
Verweisungen auf die Grundaufgabe des Beklagten gemäß § 92 Abs. 1 SGB V, nämlich
Richtlinien zu erlassen zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Versorgung
im Sinne der §§ 2, 12 SGB V, reichen dazu nicht aus. Der Senat hat nicht zu entscheiden
und entschieden, ob der Gesetzgeber zu einem solchen Eingriff überhaupt berechtigt wäre.
Der Gesetzgeber hat nur im § 92 Abs. 2 Satz 3 SGB V für den Teilbereich einer
vergleichenden Zusammenstellung (sog. Preisvergleichsliste) den Beklagten zu einer
solchen Bewertung ermächtigt, also innerhalb einer umfassenden vergleichenden
Zusammenstellung von Arzneimitteln nach Indikationsbereichen und Stoffgruppen unter
Berücksichtigung der Festbeträge, die für das Arzneimittel der Klägerin aber nicht gelten.
Damit mag eine Rechtsgrundlage für eine weit in die Frage der Verordnungsfähigkeit von
Arzneimitteln hineingehende Wertentscheidung auch unter Berücksichtigung von
Kostengesichtspunkten geschaffen worden sein; offensichtlich hat der Gesetzgeber selbst
die Notwendigkeit einer solchen inhaltlich und am Zweck ausgerichteten Ermächtigung
gesehen, ebenso wie der Senat. Das schließt isolierte Einzelmaßnahmen zu einem
Wirkstoff/Arzneimittel über die Verordnungsindikation unter Bewertung der Nutzen auch im
Verhältnis zu den Kosten aus.
Dafür fehlt es nach der neueren Rechtsentwicklung sogar grundsätzlich an einer
Kompetenz des Beklagten, weil seit 2004 das gemäß § 139a SGB V gegründete Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen dazu (ausschließlich) tätig werden
kann. Eine Beauftragung dieses Instituts mit der Bewertung des Nutzens von Clopidogrel
ist auch bereits erfolgt, wie der Vorsitzende des Beklagten in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat versichert hat. Denn gemäß § 35b SGB V entscheidet nunmehr dieses
Institut bei Beauftragung nach § 139b Abs. 1 und 2 SGB V über den Nutzen von
Arzneimitteln. Nutzenbewertungen können für jedes erstmals verordnungsfähige
Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen sowie für andere Arzneimittel, die von
Bedeutung sind, erstellt werden. Dabei hat das Institut einheitliche Methoden für die
Erarbeitung der Bewertungen zu bestimmen und diese abruffähig im Internet zu
veröffentlichen. Solche einheitlichen Methoden sind für die Erstellung von
Therapiehinweisen des Beklagten bisher nicht zu beobachten, über die Methode für die
Erarbeitung der Bewertung des Beklagten zu Clopidogrel wird gerade gestritten. Nach der
neuen Gesetzeslage gehen die Nutzenbewertungen des Institut für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen als Empfehlung in die Beschlussfassung des
Beklagten nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ein, wofür sie ihm zugeleitet werden. Damit
entfalten die Nutzenbewertungen des Instituts unmittelbar keine rechtlichen Wirkungen,
sondern erst durch die Umsetzung der Bewertungen durch den Beklagten
(Bundestagsdrucksache 15/1525 Seite 89 zu Nr. 24 zu Abs. 4). Ein nach den Vorgaben des
BSG hinreichend dichtes Gesetzesprogramm für eine Nutzenbewertung von Arzneimitteln
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könnte aus den Vorstellungen des Gesetzgebers deutlich werden. Danach soll das Institut
Nutzenbewertungen erarbeiten, die eine Aussage über den Beitrag neuer Arzneimittel zur
Verbesserung der medizinischen Behandlung von Patienten beinhalten. Hierzu soll das
Institut auch erarbeiten, für welche Patientengruppen ein neues Arzneimittel eine
maßgebliche Verbesserung des Behandlungserfolges erwarten lässt mit dem Ziel, dass
diese Patienten das neue Arzneimittel erhalten. Durch diese stärkere Ausrichtung der
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung an der Ergebnisqualität sollen
sogar Anreize dafür geschaffen werden, dass die pharmazeutischen Unternehmen ihre
Anstrengungen verstärkt auf echte Innovationen mit therapeutischen Mehrwert
konzentrieren (zu allem: Bundestagsdrucksache 15/1525 zu Nr. 2, S. 88). Die weiteren
Vorstellungen des Gesetzgebers über die inhaltliche Nutzenbewertung werden aus der in
Aussicht genommenen Zuordnung von Arzneimitteln in mehrere sinnvolle Stufen deutlich
(zum weiteren: Bundestagsdrucksache 15/1525 S. 88/89).
Nach Erkenntnissen des Senates finden sich hingegen weder im Wortlaut des Gesetzes
noch in der Gesetzesbegründung hinreichende Anhaltspunkte für einen Auftrag zur
Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Nutzens eines Arzneimittels auch im Verhältnis zu
den Kosten, z.B. dem Apothekenabgabepreis, wie dies in § 92 Abs. 2 Satz 3 SGB V für die
entsprechende Bewertung in einer vergleichenden Zusammenstellung (sog.
Preisvergleichsliste) vorgesehen ist. Entsprechende Vorstellungen des Gesetzgebers
bestanden wohl (siehe dazu Nr. 15 des ersten Gesetzesentwurfes zum GMG,
Bundestagsdrucksache 15/1170, der später für erledigt erklärt worden ist,
Bundesdrucksache 15/1884, Seite 10). Nach der dort beabsichtigten Fassung des § 35b
SGB V sollte für Arzneimittel, die nach den Vorschriften dieses Buches verordnungsfähig
sind, das (damals vorgesehene) Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin
Empfehlungen zum Nutzen einschließlich seiner finanziellen Bewertung sowie zur
Anwendung dieser Arzneimittel abgeben. In den weiteren Absätzen drei und vier des
Entwurfes zu § 35b sollten für Arzneimittel der einzelnen dort geschriebenen Stufen die
Empfehlungen nach Abs. 1 Angaben zu höherem Nutzen des Arzneimittels einschließlich
seiner finanziellen Bewertung im Vergleich zu bisher in der Regel verordneten Arzneimittel
oder sogenannten Referenzarzneimitteln getroffen werden. Damit sollte das Zentrum
Empfehlungen erarbeiten, welchen Beitrag neue Arzneimittel zur Verbesserung der
medizinischen Behandlung von Patienten leisten und eine finanzielle Bewertung des
zusätzlichen Nutzens dieser Arzneimittel erstellen als Maßstab für die Übernahme von
Mehrkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung. Damit sollte erreicht werden, dass
eine Arzneimitteltherapie nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis
auch weiterhin finanzierbar und die Teilhabe der Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung am Fortschritt in der Medizin gewährleistet bleibt (zu allem:
Drucksache 15/1170 S. 69 zu Nr. 15). Eine solche gesetzliche Ermächtigung für den
Beklagten oder das nunmehrige Institut gemäß §§ 139a, 135b SGB V für Empfehlungen
oder Beschlüsse zum Nutzen von Arzneimitteln einschließlich seiner finanziellen
Bewertung ist nicht in Kraft getreten. Auch das schließt nach dem gegenwärtigen
Rechtszustand nach Auffassung des Senates Einzelmaßnahmen des Beklagten zur
Bewertung des Nutzens des Arzneimittels der Klägerin einschließlich der finanziellen
Bewertung der Wirtschaftlichkeit im Verhältnis zum jeweiligen Apothekenabgabepreis aus.
6. Die sich aus der fehlenden gesetzlichen Ermächtigung ergebende Rechtswidrigkeit des
Therapiehinweises hinsichtlich der Aussage zur Wirtschaftlichkeit des Medikaments
Plavix® macht den Therapiehinweis insgesamt rechtswidrig, denn er ist nach Auffassung
des Senats nicht teilbar. Die Kosten-Nutzenbewertung und damit die Ausführungen zur
wirtschaftlichen Verordnungsweise basieren im Wesentlichen auf den Darstellungen der
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durchgeführten Studien und ihrer Ergebnisse. Daraus ergibt sich zwischen diesen und den
Hinweisen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise ein Zusammenhang der Gestalt, dass
Inhalt und Aussagegehalt des Therapiehinweises verändert werden, wenn die aus den
Studienergebnissen gezogene Schlussfolgerung aufgehoben wird. In diesem Fall wäre die
Bewertung der Frage, ob die Verordnung von Plavix® dem Wirtschaftlichkeitsgebot in der
gesetzlichen Krankenversicherung genügt, dem einzelnen Vertragsarzt überlassen, das
sollte aber gerade durch den erlassenen Therapiehinweis zielgerichtet verhindert werden.
III.
Ergibt sich somit aus den obigen Ausführungen mangels rechtlicher Grundlage die
Rechtswidrigkeit des Therapiehinweises vom 15.06.2004, gilt dies erst recht für den
ursprünglich angefochten und dann im Laufe des Verfahrens ersetzten Therapiehinweis
vom 16.02.2000. Die gesetzlichen Vorschriften des SGB V, die im Zeitpunkt des
ursprünglichen Therapiehinweises Gültigkeit besaßen, genügten noch weniger den
engmaschigen Gesetzesvorgaben zum Erlass eines auf Richtlinien gestützten
Therapiehinweises mit Außenseitererstreckung. § 92 Abs. 1 HS 3, Abs. 2 Satz 3 und § 73
Abs. 8 Satz 3 - 6 SGB V wurden, wie ausgeführt, erst ab 2002 oder zum 01.01.2004 in das
SGB V eingefügt, hatten also im Jahre 2000 noch keine Gültigkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zugelassen (§ 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG).