Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.04.2011

LSG NRW: erlass, hauptsache, rechtsschutz, arbeitsunfähigkeit, verkündung, restitution, ermessen, verfügung, notlage, gefahr

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 06.04.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Köln S 31 AS 4955/10 ER
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 12 AS 74/11 B ER und L 12 AS 75/11 B
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 20.12.2010, mit dem der
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag der
Antragstellerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwaltskanzlei T für das
Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgemäße sowie statthafte Beschwerde der Antragstellerin vom 12.01.2011
gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 20.12.2010 ist unbegründet.
Der Senat nimmt zur Begründung gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes - (SGG) zunächst Bezug
auf die für zutreffend erachteten Gründe der angefochtenen Entscheidung. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den
Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1).
Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz
2). Die hier begehrte Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt die Glaubhaftmachung des streitigen
Rechtsverhältnisses voraus, aus dem der Antragsteller eigene Rechte - insbesondere Leistungsansprüche - ableitet
(Anordnungsanspruch). Ferner ist erforderlich, dass die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2
Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]).
Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es mit der zwischenzeitlichen Auszahlung des Arbeitslosengelds II
für Dezember 2010 (s. Schriftsätze des Antragsgegners vom 09.12.2010 und 15.12.2010) und der entsprechenden
Gutschrift auf dem Konto der Antragstellerin (s. Schriftsatz der Antragstellerin vom 17.12.2010) jedenfalls an einem
Anordnungsgrund i.S. des Bestehens einer gegenwärtigen und dringenden Notlage fehlt. Dies wird von den Beteiligten,
insbesondere der Antragstellerin, auch nicht mehr in Abrede gestellt, da zuletzt nur noch über die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren sowie die Tragung außergerichtlicher Kosten gestritten worden ist.
Ferner hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender hinreichender
Erfolgsaussicht des Eilverfahrens (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO) zu Recht abgelehnt. Auch insoweit
nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Auch das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin gibt zu keiner anderen Beurteilung Anlass. So ist
Prozesskostenhilfe nicht etwa schon deshalb zu gewähren, weil das Sozialgericht nicht vorab über den
entsprechenden Antrag entschieden hat, sondern gleichzeitig mit der Entscheidung über den Eilantrag. Die
Ankündigung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 13.12.2010, den Rechtsstreit für
erledigt zu erklären, sofern das Sozialgericht zuvor über den ordnungsgemäß gestellten Prozesskostenhilfeantrag
entscheidet und die Zahlung des Antragsgegners tatsächlich auf dem Konto der Antragstellerin eingegangen ist,
verpflichtet das Sozialgericht nach Auffassung des Senats nicht zu dieser von der Antragstellerin gewünschten
Vorgehensweise. So gibt das Gesetz im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine feste Vorgabe dergestalt,
dass über den PKH-Antrag stets vor Erlass des Beschlusses im Eilverfahren entschieden werden muss, zumal der
Beschleunigungsgrundsatz für beide Verfahren gilt. Nur für das Verfahren in der Hauptsache ist anerkannt, dass über
einen Antrag auf Bewilligung von PKH vor einer Entscheidung in der Hauptsache, insbesondere vor einer anberaumten
mündlichen Verhandlung, entschieden werden soll (s. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl.
2008, § 73a Rdnr. 11 m.w.N.). Deshalb hat sich auch die Praxis eingestellt, über den PKH-Antrag zeitgleich mit der
Entscheidung zum einstweiligen Rechtschutz zu befinden. Diese Vorgehensweise begegnet im Eilverfahren keinen
rechtlichen Bedenken (so auch LSG NRW, Beschluss v. 21.03.2006 - L 20 B 45/06 AS - Juris). Allerdings mag es von
dieser Praxis rechtlich gebotene Abweichungen geben. So wäre nach Auffassung des Senats über das PKH-Gesuch
der Antragstellerin vorab zu entscheiden gewesen, wenn das Sozialgericht bei seiner Verfahrensgestaltung einen
entsprechenden Vertrauenstatbestand bei der Antragstellerin hervorgerufen hätte. Dies war jedoch nach Aktenlage
nicht der Fall. Die o.a. Ankündigung des Bevollmächtigten der Antragstellerin war vielmehr Ausdruck einer einseitigen
Erwartungshaltung, die das Sozialgericht in seiner Vorgehensweise nicht bindet.
In diesem Zusammenhang geht auch der Hinweis der Antragstellerin auf den Beschluss des OLG Karlsruhe vom
22.07.1998 - 16 WF 44/98 - FamRZ 1999, 994 fehl. Denn diesem lag eine gänzlich andere Fallkonstellation zu
Grunde. Dort hatte die Vorinstanz (AG - FamG) auf einen Eilantrag eine mündliche Verhandlung angesetzt und sodann
durch Urteil den beantragten Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Erst vier Tage nach Verkündung dieses
Urteils wies das FamG durch Beschluss das Prozesskostenhilfegesuch "aus den Gründen des Urteils" zurück. Das
OLG hat die Aufhebung dieses Beschlusses im Wesentlichen zutreffend damit begründet, dass das FamG vor der
Entscheidung über den PKH-Antrag eine mündliche Verhandlung angesetzt hat, statt über das Eilverfahren gemäß §
937 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Durch diese Verfahrensweise des
FamG habe die dortige Antragstellerin darauf vertrauen können, dass ihr PKH-Gesuch nicht mangels Erfolgsaussicht
abgelehnt werde. Sie habe jedenfalls nicht damit zu rechnen brauchen, dass das FamG mündliche Verhandlung
ansetze, obwohl es ihr Gesuch als aussichtslos ansehe. PKH könne der dortigen Antragstellerin dann nicht mehr
nach Erlass des Urteils versagt werden. Eine solche Fallkonstellation liegt hier ersichtlich nicht vor, da das
Sozialgericht weder durch Ansetzung einer mündlichen Verhandlung bzw. eines Erörterungstermins, noch in anderer
Weise einen Vertrauenstatbestand bei der Antragstellerin hervorgerufen hat, dass es über den PKH-Antrag vorab
entscheidet. Hierzu war es dementsprechend auch nicht verpflichtet. In diesem Zusammenhang führt auch das dem
o.a. Beschluss des OLG Karlsruhe entnommene Argument des Entstehens unnützer Kosten und einer Restitution
über die Gewährung von Prozesskostenhilfe trotz an sich nunmehr aussichtsloser Rechtsverfolgung nicht weiter.
Denn es ist schon nicht ersichtlich, welche unnützen Kosten der Antragstellerin entstanden sein sollen, weil das
Sozialgericht nicht vorab über den PKH-Antrag entschieden und dann eine mögliche Erledigungserklärung abgewartet
hat. Denn hier ist das Verfahren gemäß § 183 SGG gerichtskostenfrei und hat durch die Vorgehensweise des
Sozialgerichts hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten keinen neuen Gebührentatbestand ausgelöst, der nicht
schon vorher entstanden war.
Schließlich ist auch die Kostenentscheidung des Sozialgerichts entsprechend § 193 SGG nicht zu beanstanden. Es
hat zu Recht entschieden, dass der Antragsgegner keine außergerichtlichen Kosten zu tragen hat.
Auch das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin führt nicht zu einer für sie günstigeren Entscheidung. Nach § 193
Abs. 1 SGG steht die Kostenentscheidung im Ermessen des Gerichts. Dabei ist es in der Regel billig, dass derjenige
die Kosten trägt, der unterliegt Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rdnr. 12a m.w.N.).
Allerdings sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, so dass nicht alleine auf den Ausgang des
Rechtsstreits abgestellt werden darf. So kann eine Kostenentscheidung auch unter Berücksichtigung des sog.
Veranlassungsprinzips ergehen (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rdnr. 12b m.w.N.).
Zwar hat der Antragsgegner die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - (SGB II) für den Monat
Dezember 2010 entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht pünktlich ausgezahlt, was zweifellos seiner
(Organisations-)Sphäre zuzurechnen ist. Das Sozialgericht hat nach Auffassung des Senats jedoch zutreffend
ausgeführt, dass es der Antragstellerin vor der Beauftragung eines Rechtsanwalts und Einleitung des gerichtlichen
Verfahrens zum einstweiligen Rechtsschutz zumutbar gewesen wäre, durch eine telefonische oder - falls diese, wie
die Antragstellerin vorträgt, erfolglos geblieben ist - persönliche Vorsprache die unterbliebene Zahlung des Alg II
geltend zu machen. Es ist nach Aktenlage ferner nicht ersichtlich, dass eine solche Vorsprache ohne
Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes fruchtlos geblieben wäre. Soweit die Antragstellerin geltend macht,
dass ein persönliches Vorsprechen bei dem Antragsgegner schon deswegen nicht in Betracht gekommen sei, weil sie
zum streitgegenständlichen Zeitpunkt unstreitig krank gewesen sei, überzeugt dies den Senat nicht. So finden sich in
den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners vier Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Antragstellerin vom
02.11.2010, 08.11.2010, 02.12.2010 und 21.12.2010. Die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit erbringt jedoch nicht
ohne Weiteres den Nachweis, dass der Antragstellerin auch die persönliche Vorsprache bei dem Antragsgegner aus
gesundheitlichen Gründen unzumutbar gewesen ist. So ist Arbeitsunfähigkeit auch nicht in jedem Einzelfall
gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen (BSG 09.11.2010 - B
4 AS 27/10 R - Rdnr. 32 [Juris]). Dass das Sozialgericht den Aspekt vorheriger Klärung bei dem Antragsgegner im
Rahmen seiner Kostengrundentscheidung hervorgehoben hat, ist mithin nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz auf einer entsprechenden
Anwendung des § 193 SGG, bezüglich des Prozesskostenhilfeverfahrens auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127
Abs. 4 ZPO.
Soweit die Antragstellerin für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe beantragt hat, war auch
dieser Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Eilverfahrens aus den o.a. Gründen abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.