Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 04.04.2011

LSG NRW: unrichtige rechtsmittelbelehrung, stadt, behörde, kausalität, verwaltungsakt, anwendungsbereich, widerspruchsverfahren, anschluss, verwaltungsverfahren, sozialhilfe

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 04.04.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Münster S 3 (15) AS 233/09
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 12 SO 654/10 B
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 17.03.2010 wird zurückgewiesen.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde der Klägerin vom 24.03.2010 gegen den am 23.03.2010 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts
Münster vom 17.03.2010 hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu entsprechen.
Denn dem klägerischen Begehren fehlt es am Erfordernis hinreichender Erfolgsaussicht i.S.d. § 73a Abs. 1 Satz 1
des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Beschwer der Klägerin i.S.d. §
54 Abs. 2 SGG ist nicht gegeben, da sich der Bescheid des Beklagten vom 01.07.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16.10.2009 als rechtmäßig erweist. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den
Beklagten auf Kostenerstattung gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz - (SGB X).
Der Senat nimmt zur Begründung gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG zunächst Bezug auf die für zutreffend erachteten
Gründe der angefochtenen Entscheidung, die er sich ausdrücklich zu Eigen macht.
Auch das Vorbringen der Klägerin zur Beschwerde vermag nach Auffassung des Senats eine abweichende
Entscheidung nicht zu rechtfertigen.
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt
erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn der Widerspruch der Klägerin vom 18.05.2009 gegen den Bescheid der
Stadt M vom 30.04.2009, mit dem der Antrag der Klägerin auf Übernahme von Mietschulden nach § 34 des
Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe - (SGB XII) abgelehnt wurde, war nicht erfolgreich. Es besteht auch keine
Kostentragungspflicht des Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Kausalität des Rechtsbehelfs für die Erledigung des
Widerspruchsverfahrens sowie aufgrund des sog. Veranlassungsprinzips.
Ein Widerspruch ist erfolgreich i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wenn auf diesen ein förmlicher Abhilfe- (§ 81 Abs. 1
SGG) oder Widerspruchsbescheid (§ 85 Abs. 2 SGG) ergangen ist und hiermit der ursprüngliche Verwaltungsakt (VA)
völlig oder teilweise aufgehoben wird (vgl. nur BSG 18.12.2001 - B 12 KR 42/00 R - Juris; Roos, in: von Wulffen, SGB
X, 7. Aufl. 2010, § 63 Rdnr. 18). Dies ist hier nicht der Fall, da auf den Widerspruch der Klägerin gegen den
Ablehnungsbescheid vom 30.04.2009 weder ein Abhilfe- noch ein Widerspruchsbescheid erging, aufgrund dessen
dieser Bescheid ganz oder teilweise aufgehoben worden ist. Vielmehr hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 15.06.2009
ihren Widerspruch für erledigt erklärt, nachdem ihr zwischenzeitlich Ausbildungsförderungsleistungen nach § 36
BAföG von dem Beklagten bewilligt und ausgezahlt worden sind. Wird aber der Widerspruch zurückgenommen - die
einseitige Erledigungserklärung steht (wie im sozialgerichtlichen Klageverfahren) einer Rücknahme gleich - so war er
nicht erfolgreich (KassKomm/Krasney, § 63 SGB X Rdnr. 8).
Ein Erfolg des Widerspruchs der Klägerin gegen den Bescheid der Stadt M vom 30.04.2009 liegt auch nicht deswegen
vor, weil der Beklagte ihr während des laufenden Widerspruchsverfahrens Leistungen nach § 36 BAföG bewilligt hat.
Der Widerspruch ist nicht schon dann erfolgreich, wenn zwischenzeitlich nach der Einlegung des Rechtsbehelfs eine
dem Widerspruchsführer begünstigende Entscheidung ergeht; es ist auch erforderlich, dass zwischen der Einlegung
des Rechtsbehelfs und der begünstigenden Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne
besteht (vgl. BSG SozR 4-1300 § 63 Nr. 5 - Rdnr. 15; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr. 4 - Rdnr 11; BSG SozR 3-1500 §
144 Nr. 13 S. 34; BSG SozR 3-1300 § 63 Nr. 3 S. 13; zuletzt BSG 13.10.2010 - B 6 KA 29/09 R - Rdnr. 16 [Juris]).
Eine solche kausale Verknüpfung im Rechtsinne fehlt hier. Denn die Bewilligung der Leistung gemäß § 36 BAföG
durch den Beklagten beruhte nicht auf dem Widerspruch der Klägerin gegen die Ablehnung der Schuldenübernahme
nach § 34 Abs. 1 SGB XII seitens der Stadt M. Es handelte sich vielmehr um unterschiedliche Verwaltungsverfahren
mit unterschiedlichen Voraussetzungen für die jeweils eigenständig beantragten Sozialleistungen. Dass auch mit der
Gewährung von Leistungen nach § 36 BAföG der von der Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 18.05.2009 verfolgte
Zweck, ihre Wohnung zu sichern, eingetreten ist, ändert an der fehlenden Kausalität des Widerspruchs gegen die
Ablehnung von Leistungen nach § 34 Abs. 1 SGB XII und der begünstigenden Entscheidung im Rechtssinne nichts.
Ferner kommt eine Kostentragungspflicht des Beklagten auch nicht nach dem sog. Veranlassungsprinzip in Betracht.
Danach sind Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten, wenn diese dem Widerspruchsführer durch eine von
der Behörde "provozierte" und unnötige Widerspruchseinlegung entstanden sind (BSG 18.12.2001 - B 12 KR 42/00 R -
; LSG Baden-Württemberg 01.07.2003 - L 11 RJ 514/03 -). Diese Ausnahme vom formalen Erfolgsprinzip des § 63
Abs. 1 Satz 1 SGB X kommt jedoch nur in solchen Konstellationen in Betracht, bei denen durch ein objektives
Fehlverhalten der Verwaltung die Wahrnehmung von Verfahrensrechten des Betroffenen fehlgeleitet worden ist,
insbesondere durch eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung (vgl. LSG Baden-Württemberg 01.07.2003 - a.a.O.; Roos,
in: von Wulffen, a.a.O., § 63 Rdnr. 22). Eine derartige Fallgestaltung liegt hier aber ersichtlich nicht vor.
Entgegen der Auffassung der Beteiligten hat der Senat im Anwendungsbereich des § 63 Abs. 1 SGB X auch nicht zu
prüfen, ob der Widerspruch ohne das erledigende Ereignis Erfolg gehabt hätte und deswegen ein
Kostenerstattungsanspruch zuzubilligen wäre. Denn hierauf kommt es bei § 63 SGB X gerade nicht an, weil dort allein
darauf abgestellt wird, ob der Widerspruch erfolgreich ist und nicht, ob er erfolgreich gewesen wäre. Dies erklärt auch,
warum es sich bei Kostenentscheidungen im Rahmen des § 63 SGB X um gebundene Entscheidungen handelt,
während bei Kostenentscheidungen nach § 193 SGG eine Ermessensentscheidung getroffen wird. Denn die
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides soll nicht nach Abschluss des Verfahrens im anschließenden
Kostenverfahren überprüft werden müssen (so überzeugend BSG 13.10.2010 - B 6 KA 29/09 R - Rdnr. 20 [Juris] unter
Hinweis auf die Gesetzgebungsmaterialien zur Parallelvorschrift des § 80 VwVfG). Soweit das HessLSG (Urteil vom
26.09.2007 - L 4 KA 15/07 - Rdnr. 15 [Juris]) die gegenteilige Position vertritt, vermag der Senat dem aufgrund des
insoweit eindeutigen Wortlauts des § 63 Abs. 1 Satz SGB X sowie der dargestellten Gesetzgebungsgeschichte im
Anschluss an die Ausführungen des 6. Senats des BSG nicht zu folgen. So geht im Übrigen auch die Berufung des
HessLSG auf die Kommentierung von Roos (in: von Wulffen, a.a.O., § 63 Rdnr. 21) fehl, weil dieser sich für eine
Inzidentprüfung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs bei der Kostengrundentscheidung nur für den Fall ausspricht,
dass der Widerspruchsführer verstirbt und sich das Widerspruchsverfahren nur deshalb erledigt. Für eine solche
Ausnahmekonstellation mag dies nachvollziehbar sein, bestätigt aber eher den Regelfall, dass eine solche Prüfung
eben nicht stattfindet.
Der Senat kann es daher offen lassen, ob die Klägerin überhaupt zum Personenkreis des SGB XII gehört und sie
einen Anspruch auf Schuldenübernahme gemäß § 34 Abs. 1 SGB XII gehabt hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.