Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1998

LSG NRW (kläger, ärztliche behandlung, begründung, svg, leistung, untersuchung, stellungnahme, folge, 1995, bvg)

Landessozialgericht NRW, L 10 VS 13/98
Datum:
25.11.1998
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 10 VS 13/98
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 7 V 25/96
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 27. Januar 1998 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat
auch im Berufungsverfahren die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten um die Leistung von Versorgungsrente nach dem
Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz
(BVG).
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Der am ------1961 geborene Kläger trat am 16.08.1982 in die Bundeswehr ein. Bis zur
Beendigung des Wehrdienstverhältnisses am 15.10.1994 diente er als Soldat auf Zeit.
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Bei der ärztlichen Untersuchung im Rahmen der Musterung (November 1980) wurde
u.a. wegen eines nachgewiesenen Krampfaderleidens am linken Unterschenkel die
Fehlerziffer IV 69 festgestellt.
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Aufgrund des Ergebnisses einer wegen des linksseitigen Krampfaderleidens im Juni
1984 durchgeführten Untersuchung wurde dem Kläger von seiten der Bundeswehr zu
einer Operation geraten, um die Weiterverpflichtung als Zeitsoldat zu ermöglichen. Bei
der am 11.10.1984 im Bundeswehrkrankenhaus O. durchgeführten Operation kam es zu
einer Durchtrennung der linken Oberschenkelvene. Nach Verlegung in die Chirurgische
Universitätsklinik M. wurde diese durch dreifachen Venenbypass überbrückt, und, um
einen sicheren Abschluß zu gewähren, eine arterio-venöse Fistel angelegt. Wegen
eines postthrombotischen Syndroms mit Ausbildung eines Unterschenkelgeschwürs bei
Verschluß der Oberschenkelvene links er folgte im Juli 1985 erneut eine operative
Behandlung. Bei einer weiteren im August 1985 in der Universitätsklinik M.
durchgeführten ambulanten Untersuchung wurden reizlos verheilte Stauungsgeschwüre
im Bereich des linken Innenknöchels beschrieben und das konsequente Tragen eines
elastokompressiven Strumpfes, Stärke II, weiterhin für erforderlich gehalten. Unter dieser
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konservativen Therapie heilten die Unterschenkelgeschwüre ab.
Auf Veranlassung des Wehrbereichsgebührnisamtes III, Düsseldorf, erstattete Prof. Dr.
B----, M------, im Oktober 1986 sein Gutachten. Er stellte im Bereich des linken
Unterschenkels eine teils livide verfärbte, narbig veränderte Fläche als Folge des alten
Unterschenkelgeschwürs fest. Die Entstehung von druckbedingten
Durchblutungsstörungen im Bereich der linken unteren Extremität - so Prof. Dr. B---- -
könnte nur durch das ständige Tragen eines Kompressionsstrumpfes verhindert werden.
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Gestützt auf sein Gutachten vom 27.10.1986 und der dazu ergangenen Stellungnahme
des Arztes des Sanitätsamtes der Bundeswehr, Dr. L-----, erkannte das
Wehrbereichsgebührnisamt III, Düsseldorf, durch Bescheid vom 04.02.1987 als
Wehrdienstbeschädigung ein "postthrombotisches Syndrom im Bereich des linken
Beines infolge intraoperativer Verletzung der Schenkelvene links" mit einer Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vom Hundert (v.H.) an und gewährte für die Zeit vom
01.10.1984 bis zum 31.08.1985 einen Ausgleich nach dem SVG. Über den 31.08.1985
hinaus wurde die Leistung von Ausgleich mit der Begründung abgelehnt, es handele
sich bei der Grunderkrankung "Stammvarikose (Krampfaderleiden) im Bereich des
linken Beines" nicht um eine Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG.
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Die hiergegen erhobene Beschwerde wurde durch Bescheid vom 24.08.1987 bindend
zurückgewiesen.
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Nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses beantragte der Kläger bei der
Versorgungsverwaltung am 30.01.1995 die Gewährung von Beschädigtenversorgung.
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Durch Bescheid vom 14.08.1995 erkannte der Beklagte ein "postthrombotisches
Syndrom im Bereich des linken Beines infolge intraoperativer Verletzung der
Schenkelvene links" als Wehrdienstbeschädigung, hervorgerufen durch schädigende
Einwirkungen im Sinne des § 81 SVG, an.
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Die Leistung einer Rente lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, die
Schädigungsfolgen bedingten keine MdE um wenigstens 25 v.H. Dazu verwies der
Beklagte auf die Entscheidung der Wehrbereichsverwaltung.
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Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung der
versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin I. durch Widerspruchsbescheid vom
04.01.1996 mit der Begründung zurück, unter Berücksichtigung der Akten des
Wehrbereichsgebührnisamtes III liege bereits seit 1985 eine MdE von weniger als 25
v.H. vor. Daß sich die Schädigungsfolgen seitdem verschlimmert hätten, lasse sich
weder den Akten der Wehrbereichsverwaltung noch seinem, des Klägers, Vortrag
entnehmen.
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Am 05.02.1996 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben. Zu
deren Begründung hat er vorgetragen, die auf die Schädigungsfolgen
zurückzuführenden körperlichen Beeinträchtigungen, die bis August 1985 mit einer MdE
von 30 v.H. bewertet worden seien, bestünden nach wie vor. Schon der kleinste Stoß
oder der Schlag gegen das linke Bein führe zu einem sofortigen Anschwellen, das nur
durch sofortige Kompression gelindert werden könne. Er könne nicht mehr joggen, da es
schon nach zirka einem Kilometer zu starken Schmerzen komme. Auch befürchte er in
Zukunft Komplikationen, die sogar zum Verlust des Beines führen könnten.
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Zum Nachweis seiner Behauptung hat der Kläger Berichte der Chirurgischen
Universitätsklinik M. über ambulante Behandlungen in dem Zeitraum 1984 bis 1988
übersandt.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14.08.1995 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.01.1996 zu verurteilen, ihm ab Januar 1995
Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat sich auf die Ausführungen der Versorgungsärztin Dr. R. gestützt, die eine
Verschlimmerung der schädigungsbedingten Befunde gegenüber der Begutachtung
durch Prof. Dr. B---- verneint und eine schädigungsbedingte MdE um 20 v.H. für
ausreichend erachtet hat.
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Das SG hat zur Klärung der Frage einer schädigungsbedingten wesentlichen Änderung
und der Höhe der MdE von Dr. B-----, Chefarzt der Gefäßchirurgischen Klinik des
Evangelischen Krankenhauses M------, das Gutachten vom 08.01. und die ergänzende
Stellungnahme vom 08.08.1997 eingeholt.
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Der gerichtliche Sachverständige hat den Eintritt einer Verschlimmerung gegenüber
1987 bejaht. Nach dem Ergebnis der von ihm durch geführten Untersuchung bestehe
diese in einer erheblichen Zunahme der sekundären Krampfaderbildung, erheblich
ausgeprägten trophischen Weichgewebsveränderungen im Bereich des linken
Unterschenkels (Innenknöchels) mit präulcerösen Hautveränderungen bei Gefahr der
erneuten Geschwürsbildung und der zunehmenden Umfangsvermeh rung der linken
unteren Extremität mit Ödembildung. Zusätzlich hätten sich venöse Kollateralen
(Umgehungskreisläufe) im Unter bauch und über dem Schambein ausgebildet. Die
MdE, bedingt durch das postthrombotische Syndrom der linken unteren Extremität,
schätzte der Sachverständige unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertengesetz (Anhaltspunkte), Ausgabe 1983, mit 30 v.H. ein. Dazu hat der
Sachverständige aus geführt, die kurzen Beschreibungen in den Anhaltspunkten
könnten ein postthrombotisches Syndrom nur partiell beschreiben. Es sei grundsätzlich
üblich, den postthrombotischen Symptomenkomplex in seiner Gesamtheit zu beurteilen.
Nach allgemein anerkannter Klassifizierung werde eine MdE um 30 v.H. angenommen
für eine deutliche Schwellneigung auch bei geringer Belastung, trophischen
Hautschäden als Folge der chronisch-venösen Insuffizienz, bei häufigen oder
dauernden Beschwerden im betroffenen Bein mit der Notwendigkeit der häufigen
Hochlagerung zur Entlastung und Linderung der subjektiven Beschwerden bei
deutlichen Veränderungen der apparativen Meßparameter. Der aufgezeigte
Symptomenkomplex liege bei dem Kläger vor. Daß dieser sich nach seinen eigenen
Angaben zwischen 1988 und 1996 nicht in ärztliche Behandlung begeben habe, sei
verständlich, weil ihm zum einen die Gesundheitsstörungen als irreversibel bekannt und
zum anderen der Umgang mit der Erkrankung und ihren Symptomen nach Jahren
geläufig sei. Im übrigen sei eine erneute Geschwürsbildung sicherlich durch das
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disziplinierte Tragen des Kompressionsstrumpfes und das adäquate Verhalten des
Klägers vermieden worden.
Das SG ist dem Sachverständigen Dr. B----- im wesentlichen gefolgt und hat den
Beklagten mit Urteil vom 27.01.1998 zur Leistung von Versorgung nach einer MdE um
30 v.H. verurteilt. Es hat die beim Kläger vorliegende Schädigung für so schwerwiegend
gehalten, daß sie mit einer MdE um 25 v.H. zu bewerten sei; dies habe zur Folge, daß
der Beklagte gemäß § 31 Abs. 2 BVG Grundrente nach einer MdE um 30 v.H. zu leisten
habe.
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Gegen das ihm am 24.02.1998 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 11.03.1998
Berufung eingelegt und zu deren Begründung eine weitere versorgungsärztliche
Stellungnahme von Frau Dr. R----- vorgelegt, die darauf hingewiesen hat, die vom
Sachverständigen Dr. B----- zur Begründung einer MdE um 30 v.H. zusätzlich
aufgeführten venösen Kollateralen im Unterbauch seien schon 1986 beschrieben
worden; seit 1987 seien keine Unterschenkelgeschwüre mehr aufgetreten.
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Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27. Januar 1998 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27. Januar 1998
zurückzuweisen.
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Er hat sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils gestützt.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren gefäßchirurgischen
Gutachtens von Dr. B-----, St.-Elisabeth-Krankenhaus E----, Gefäßchirgische Klinik.
Dieser hat in seinem Gutachten vom 16.06. und seiner ergänzenden Stellungnahme
vom 10.08.1998 zusammenfassend ausgeführt, er schließe sich in vollem Umfang den
gutachtlichen Ausführungen des im erstinstanzlichen Verfahren gehör ten
Sachverständigen Dr. B----- an. Das beim Kläger bestehende Krankheitsbild, das
gekennzeichnet sei durch immer wieder aufbrechende Unterschenkelgeschwüre, eine
geschädigte Haut im Bereich des Fußes und des distalen Unterschenkels, die
ausgedehnte Ausbildung von venösen Kollateralen, Schwellneigung am linken
Unterschenkel und die Notwendigkeit, einen vom Mittelfuß bis in den Hüftbereich
reichenden Kompressionsstrumpf zu tragen, rechtfertige eine MdE um 30 v.H ...
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Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen In halt der Gerichtsakte, der
vom Beklagten und vom Wehrbereichsgebührnisamt III Düsseldorf beigezogenen Akten
verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Abs. 1
SGG) ist zulässig, aber unbegründet.
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Das SG hat den Beklagten zu Recht zur Leistung von Versorgungsrente nach einer MdE
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um 30 v.H. verurteilt.
Denn die als Folgen der während des Wehrdienstes erlittenen Schädigung anerkannten
Gesundheitsstörungen bedingen eine MdE von 25 v.H. (§§ 80, 81 SVG; §§ 31, 30 BVG),
was einen Anspruch auf Leistung von Grundrente nach einer MdE um 30 v.H. begründet
(§ 31 Abs. 2 BVG).
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Zwar ist die Entscheidung der Wehrbereichsgebührnisverwaltung vom 04.02.1987 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides für den Beklagten verbindlich, jedoch nicht
hinsichtlich der schädigungsbedingten MdE nach Ablauf des Zeitraums, für den
Ausgleich gewährt worden ist (01.10.1984 - 31.08.1985). Denn einen die Höhe der MdE
festsetzenden Ausspruch für die Zeit ab 01.09.1985 bis zum Ausscheiden aus dem
Dienst im Oktober 1994 enthält der Tenor der Entscheidung der
Wehrbereichsgebührnisverwaltung nicht (vgl. BSG, Ur teil vom 16.05.1995 - 9 RV 1/94 -
in: SozR 3-3200 § 88 SVG Nr. 1; Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 21/95 - in: SozR 3-3200 §
88 SVG Nr. 2).
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Des Nachweises einer wesentlichen Änderung gegenüber den Verhältnissen, die für
die Entscheidung der Wehrbereichsverwaltung maßgebend waren (§ 48
Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X)), deren
Voraussetzungen ebenfalls gegeben waren, bedurfte es daher nicht; für die Zeit ab
01.09.1985 beinhaltete der Bescheid des Wehrbereichsgebührnisamtes III vom
04.02.1987 keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.
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Wie das SG unter Zugrundelegung des Gutachtens von Dr. B----- zu Recht in seinen
Entscheidungsgründen dargelegt hat, ist die schädigungsbedingte MdE um 25 v.H. zu
bewerten.
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Zu diesem Ergebnis ist auch der Senat unter Berücksichtigung des weiteren
gefäßchirurgischen Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B----- gelangt,
der sich in vollem Umfang der Beurteilung des im erstinstanzlichen Verfahren gehörten
Sachverständigen angeschlossen hat.
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Infolge der bei der Operation erlittenen Verletzung des tiefen Venensystems ist es bei
dem Kläger zu einer tiefen Beinvenenthrombose und zu rezidivierender
Geschwürsbildung gekommen, auf die nach den übereinstimmenden Ausführungen der
gerichtlichen Sachverständigen eine ausgeprägte Drainagestörung des linken Beines
im Sinne einer chronisch-venösen Insuffizienz mit Schwellneigung, ei ne ausgeprägte
Krampfaderbildung und trophische Weichgewebsstörungen im Bereich des linken
Unterschenkels zurückzuführen sind.
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Die Schwellneigung als Folge der erheblich reduzierten Drainageleistung ist durch die -
wenn auch nur geringfügige - Umfangvermehrung am linken Unterschenkel
nachgewiesen. Der Sachverständige Dr. B----- hat - wenn auch nur angedeutet - eine
wassersüchtige Schwellung am linken Unterschenkel festgestellt. Zu berücksichtigen ist
jedoch, daß die Schwellneigung naturgemäß bei körperlicher Belastung und warmer
Witterung zunimmt. Dafür, daß auch ohne Belastung eine venöse Stauung und
Schwellneigung vorliegen, spricht auch das vom Kläger angegebene nächtliche
Kribbeln. Starke Schwellungen und Stauungen können nur durch das konsequente
Tragen des Kompressionsstrumpfes vermieden werden. Exemplarisch sei dazu
ergänzend auf die Feststellungen von Dr. B----- bei der Untersuchung des Klägers am
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16.08.1998 verwiesen: "Am stehenden Patienten färbt sich ohne den
Kompressionssstrumpf innerhalb weniger Minuten der gesamte Unterschenkel dunkel
livide an. Die ausgeprägten, unter der Haut gelegenen Krampfadern linksseitig füllen
sich mächtig auf."
Die sekundäre Krampfaderbildung, die beim Kläger das bei einem postthrombotischen
Zustand übliche Maß bei weitem übersteigt, er streckt sich über die linke Leiste in den
Bereich des linken Beckenkammes sowie zum linken Unterbauch und über das
Schambein. Das oberflächliche, erheblich erweiterte Venensystem stellt den
Umgehungskreislauf für das in der Leiste und im Becken verschlossene und im Bereich
des mittleren Oberschenkels in seiner Leistung deutlich reduzierte tiefe Venensystem
dar.
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Außerdem bestehen bei dem Kläger als Folge rezidivierender
Unterschenkelgeschwürsbildungen erhebliche, ausgeprägte trophische
Weichgewebsveränderungen. Am gesamten Fuß und distalen Unterschenkel ist die
Haut schwarzbläulich verfärbt und im Bereich des Innenknöchels in einem Areal von
10,6 Zentimeter bräunlich hyperpig mentiert, teils depigmentiert, narbig eingezogen und
schuppig. In dem gesamten Bereich ist die Haut ausgedünnt und auf der Unterlage nicht
ausreichend verschieblich.
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Von dem Ausmaß der Hautschädigung konnte sich der Senat in der letzten mündlichen
Verhandlung ein Bild machen.
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Zu Recht hat das SG die festgestellten Schädigungsfolgen - abweichend von den
Feststellungen der Sachverständigen - lediglich mit einer MdE von 25 v.H. bewertet.
Dieser Vomhundertsatz wird nach Auffassung des Senats dem schädigungsbedingten
Zustand des Klägers gerecht. Zu dieser Auffassung hat letztlich wohl auch der
gerichtliche Sachverständige Dr. B----- geneigt, als er zur Begründung der von ihm
angenommenen MdE um 30 v.H. angeführt hat, nach den Anhaltspunkten sei die MdE in
Zehnersätzen anzugeben. Nach dem Inhalt seiner ergänzenden Stellungnahme vom
10.08.1998 liegt die MdE im Bereich zwischen 20 und 30.
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Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, daß die Vorgaben der MdE-Tabelle in den bei der
Einschätzung der MdE zu berücksichtigenden Anhalts punktendem Wortlaut nach nicht
erfüllt sind. Eine vom Wortlaut abweichende Einschätzung kann jedoch nach der
besonderen Lage des Einzelfalls mit einer die besonderen Gegebenheiten
darstellenden Begründung getroffen werden (Anhaltspunkte 1996, Nr. 18 (3), Seite 30
unten). Zudem ist der schädigungsbedingte Zustand hinsichtlich des Ausmaßes der
Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben dem in den Anhaltspunkten zur
Beurteilung eines postthrombotischen Syndromes beschriebenen Zustand vergleichbar.
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Nach der Nr. 26.9 der Anhaltspunkte 1996, die insoweit im wesentlichen mit denen in
den Anhaltspunkten 1983 übereinstimmen, wird eine chronisch-venöse Insuffizienz
(zum Beispiel bei Krampfadern), ein postthrombotisches Syndrom mit geringem,
belastungsabhängigem Oedem, nicht ulcerösen Hautveränderungen, ohne wesentliche
Stauungsbeschwerden ein- oder beidseitig mit 0 bis 10 v.H., mit erheb licher
Oedembildung, häufig (mehrmals im Jahr) rezidivierenden Entzündungen ein- oder
beidseitig mit 20 bis 30 v.H. bewertet.
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Beim Kläger liegen sowohl nach den Feststellungen der Sachverständigen als auch
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nach seinen eigenen Angaben weder eine erhebliche Oedembildung vor, noch treten
mehrmals im Jahr rezidivierende Entzündungen auf. Von einer erheblichen
Oedembildung ist nämlich nur auszugehen, wenn es sich nicht nur um
belastungsabhängige Oedeme handelt. Das folgt daraus, daß nach den Anhaltspunkten
ein postthrombotisches Syndrom mit geringen belastungsabhängigen Oedemen ... mit
einer MdE von 0 bis 10, ein postthrombotisches Syndrom mit erheblicher Oedembildung
... mit einer MdE um 20 bis 30 v.H. bewertet wird.
Ebenso kann nicht von häufig, d.h. mehrmals im Jahr, auftretenden, sondern nur von
mehrfachen rezidivierenden Entzündungen gesprochen werden. Ärztlich dokumentiert
ist seit 1988 lediglich ein beginnendes Geschwür bei der Untersuchung durch den
gerichtlichen Sachverständigen Dr. B.
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Aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers und des objektiven Befundes der Haut
im Innenknöchelbereich und am distalen Unterschenkel ist der Senat jedoch davon
überzeugt, daß es seit 1988 zu rezidivierenden Geschwürsbildungen, wenn auch nicht
mehrmals im Jahr, gekommen ist. Zwar hat der Kläger von "Hautaufbrüchen" berichtet.
Als medizinischer Laie konnte er jedoch nicht erkennen, ob es sich bei den Aufbrüchen
um beginnende Geschwüre gehandelt hat. Denn auch das von Dr. B----- im Juni 1998
diagnostizierte beginnende Unterschenkelgeschwür stellte sich aus Laiensicht lediglich
als eine kleine eingezogene Hautlaesion dar. Daß der Kläger bei derartigen
"Hautaufbrüchen" keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat, spricht nicht gegen
die Glaubwürdigkeit seiner Aussage. Denn schon 1987, als er sich letztmalig wegen
eines Unterschenkelgeschwürs in ärztlicher Behandlung befunden hatte, wurde ihm im
wesentlichen strenge Bettruhe mit Hochlagern des Beines bis zur Ausheilung und
anschließend das weitere Tragen des Stützstrumpfes angeraten. Dabei und auch bei
der Anlegung eines Kompressionsverbandes handelt es sich um Maßnahmen, die der
Kläger selbst durchführen kann und auch durchgeführt hat.
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Die in den Anhaltspunkten beschriebenen Folgen des postthrombotischen Syndroms -
erhebliche Oedembildung, häufige rezidivierende Entzündungen - stellen jedoch nur
einen partiellen Ausschnitt aus dem gesamten postthrombotischen Symptomenkomplex
dar. Die bei dem Kläger neben der Oedem- und Geschwürsbildung bestehenden
weiteren, dem postthrombotischen Symptomenkomplex zuzuordnenden
Beeinträchtigungen entsprechen den in den Anhaltspunkten beschriebenen mit einer
MdE von 20 bis 30 bewerteten Symptomen eines postthrombotischen Syndroms.
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So ist der Kläger aufgrund der Schädigungsfolgen gezwungen, dauernd einen
Kompressionsstrumpf zu tragen, der vom Mittelfuß bis zur Hüfte reicht. Damit ist eine
massive Beeinträchtigung der Lebensqualität verbunden, der ebenfalls bei der MdE-
Einschätzung Rechnung zu tragen ist. Denn dabei sind nicht nur die Auswirkungen von
Funktionsbeeinträchtigungen im (allgemeinen) Erwerbsleben, sondern in allen
Lebensbereichen zu berücksichtigen. Die MdE ist ein Maß für die körperlichen,
geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung
aufgrund eines Gesundheitsschadens (Anhaltspunkte 1996 Nr. 18, S. 28 f). Nicht nur in
den Sommermonaten bei warmer Witterung stellt das Tragen des
Kompressionsstrumpfes eine Beeinträchtigung in allen Lebensbereichen dar. Es ist
davon auszugehen, daß allein schon das ständige Tragen des Strumpfes auch bei
normalen Temperaturen eine Einengung bedeutet und zu Juckreiz führt.
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Hinzu kommt noch, daß der ausgedehnten Krampfaderbildung und den ausgeprägten
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Hautschäden am Fuß und Unterschenkel - von denen sich auch der Senat ein Bild
machen konnte - eine erheblich entstellende Bedeutung zukommt, die nach den
Anhaltspunkten bei der Beurteilung der MdE nicht außer acht zu lassen ist
(Anhaltspunkte 1996 Nr. 26.18, S. 138). Der Kläger ist gezwungen, auch in den
Sommermonaten lange Hosen zu tragen. Selbst die Sportarten, die ihm trotz der
schädigungsbedingten funktionellen Beeinträchtigung noch möglich wären (zum
Beispiel Schwimmen) sind ihm verwehrt, ebenso Badeurlaube.
Bei der Einschätzung der schädigungsbedingten MdE mit 25 v.H. durfte schließlich nicht
unberücksichtigt bleiben, daß sich beim Kläger das postthrombotische Syndrom weit in
den Beckenbereich ausgedehnt hat. In einem solchen Fall können nach den
Anhaltspunkten (1983, S. 70; 1996, S. 91) höhere MdE-Werte in Betracht kommen!
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.
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Der Senat hat davon abgesehen, dem Beklagten Mutwillenskosten aufzuerlegen, weil er
davon ausgeht, daß bereits dieser Hinweis Anlaß zu einem sachgerechten Verhalten in
Zukunft geben wird. Der vom Senat nach eingehender mündlicher Verhandlung
gewonnene und den Beteiligten erläuterte Eindruck von der Sach- und Rechtslage hätte
spätestens zu diesem Zeitpunkt den Vertreter des Beklagten veranlassen müssen, eine
sachgerechte Prozeßerklärung abzugeben und die Berufung zurückzunehmen. Dies gilt
umso mehr, als ärztliche, gerichtliche Sachverständige mit nachvollziehbaren Gründen
eine vertretbare MdE-Einschätzung abgegeben haben.
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Anlaß, die Revision zuzulassen, besteht nicht, weil die Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung hat, § 160 Abs. 2 SGG.
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