Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.02.2010

LSG NRW (einkommen, höhe, sgg, beschwerde, unterhalt, familie, auslegung, antrag, ehemann, buch)

Landessozialgericht NRW, L 6 B 84/09 AS
Datum:
26.02.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 6 B 84/09 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 18 AS 53/08
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Duisburg vom 16. Juni 2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind im
Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Zwischen den Beteiligten ist die Zahlung eines Kinderzuschlages nach § 6a
Bundeskindergeldgesetz (BKGG) streitig.
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Die Klägerin lebt mit ihrem Ehemann, X I sowie den Kindern G (geb. 2005) und O I (geb.
2009) in einer gemeinsamen Wohnung in der S-straße 00 in S.
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Am 10.07.2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung eines
Kinderzuschlages. Ihr Ehemann zahle für seine beiden Kinder aus erster Ehe (B I, geb.
00.00.1996 sowie B1 I, geb. 00.005.1999) den gesetzlich vorgeschriebenen Unterhalt in
Höhe von 603,- Euro. Kindergeld in Höhe von jeweils 77,- Euro sei hiervon bereits
abgezogen. Einen gerichtlichen Beschluss über die Unterhaltszahlung gebe es nicht.
Über das Vermögen des Ehemannes sei durch Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom
16.04.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Aufgrund dieses Beschlusses
stehe der Familie ein pfändungsfreier monatlicher Nettolohn in Höhe von 1.979,99 Euro
zu.
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Mit Bescheid vom 21.07.2008 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von
Kinderzuschlag ab. Das bei der Familie der Klägerin zu berücksichtigende Einkommen
liege unter der für die Klägerin geltende Mindesteinkommensgrenze. Ein Anspruch auf
Kinderzuschlag bestehe gem. § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG daher nicht. Mit ihrem
Widerspruch vom 04.08.2008 machte die Klägerin geltend, dass ihr Ehemann seit dem
01.05.2008 für seine Kinder aus erster Ehe aufgrund einer Vereinbarung mit deren
Mutter nur noch 380,00 Euro Unterhalt zahle. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
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Widerspruchsbescheid vom 13.10.2008 zurück. Der Bedarf der Familie betrage 1.261,-
Euro (bzw. 1.246,60 Euro für Juli 2008), das zu berücksichtigende elterliche Einkommen
1.634,58 Euro. Damit reiche das Einkommen aus, um den Gesamtbedarf der
Bedarfsgemeinschaft zu decken. Da Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 9 Zweites Buch
Sozialgesetzbuch - SGB II nicht vorliege, sei der Anspruch auf Kindergeldzuschlag nach
§ 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG ausgeschlossen. Die Unterhaltszahlungen des Ehemannes der
Klägerin seien nicht vom Einkommen abzuziehen, da lediglich titulierte oder aufgrund
notarieller Unterhaltsvereinbarung erbrachte Unterhaltsleistungen abzugsfähig seien.
Freiwillige Unterhaltszahlungen könnten selbst dann nicht abgezogen werden, wenn
eine Unterhaltsverpflichtung dem Grunde nach bestehe.
Gegen die ablehnenden Bescheide hat die Klägerin am 17.11.2008 Klage beim
Sozialgericht Duisburg (SG) erhoben und die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH)
begehrt. Das Sozialgericht hat den Antrag auf PKH mit Beschluss vom 16.06.2009
abgelehnt. Zur Begründung hat es angeführt, dass nach dem - eindeutigen Wortlaut -
des § 11 Abs. 2 Nr. 7 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) nur titulierte
Unterhaltsansprüche zu berücksichtigen seien. Nur bei diesen sei sichergestellt, dass
der Unterhaltsberechtigte die Zahlung auch durchsetzen könne. Gerade der vorliegende
Fall zeige, dass die gesetzliche Regelung sachgerecht sei, denn während ein Unterhalt
von 603,- Euro geschuldet werde, werde tatsächlich lediglich ein solcher von 380,- Euro
gezahlt.
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Die Klägerin hat gegen den Beschluss vom 16.06.2009 Beschwerde eingelegt und ihr
Begehren weiter verfolgt. Sie ist der Auffassung, dass das SG die Regelung des § 11
Abs. 2 Nr. 7 SGB II unzutreffend ausgelegt habe. Vielmehr meine die Vorschrift lediglich,
dass Unterhaltszahlung (nur) bis zur Höhe der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung
abzugsfähig seien, und allein darüber hinausgehende freiwillige Leistungen
unberücksichtigt bleiben müssten. Die Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung und
müsse daher dem Bundessozialgericht vorgelegt werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand
der Beratung gewesen.
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II.
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht (SG) den
Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) abgelehnt.
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Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73 a Abs.1 Satz 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter
anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger
Prüfung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 07.05.1997, 1 BvR 296/94 = NJW 1997,
2745) den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und
der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in
tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73 a Rn 7a; LSG NRW, Beschluss vom 29.08.2005, L 6
B 10/05 SB m.w.N.). Der Erfolg braucht nicht gewiss zu sein, muss aber nach den
bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben.
Prozesskostenhilfe kann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar
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nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BSG,
Beschluss vom 17.02.1998, B 13 RJ 83/97 R = SozR 3-1750 § 114 Nr. 5; BVerfG,
Beschluss vom 14.04.2003, 1 BvR 1998/02 = NJW 2003, 296; BVerfG, Beschluss vom
29.09.2004, 1 BvR 1281/04 = NJW-RR 2005, 140). Dies ist hier der Fall. Zutreffend hat
das Sozialgericht darauf verwiesen, dass die Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen
des Ehemannes der Klägerin an seine Kinder aus erster Ehe nach dem eindeutigen
Wortlaut des § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II nicht in Betracht kommt, solange diese weder
tituliert noch in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegt sind (so
auch LSG NRW, Beschluss vom 15.04.2009, L 19 B 9/09 AS; LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 27.01.2009, L 32 AS 3/09 B ER). Die durch das Gesetz zur
Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende (BGBl. I S. 1707) mit Wirkung
zum 1. August 2006 in das SGB II eingefügte Norm des § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 hat die
bereits zuvor praktizierte Freistellung titulierter Unterhaltsansprüche in das Gesetz
übernommen (vgl. Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 11 RdNr.
128). Die am Wortlaut orientierte Auslegung entspricht dem ausdrücklichen
gesetzgeberischen Willen, wie er in den Gesetzesmaterialien klar niedergelegt worden
ist. Danach sind "Unterhaltsansprüche, die ein Unterhaltsverpflichteter aufgrund eines
titulierten Unterhaltsanspruches oder einer notariell beurkundeten
Unterhaltsvereinbarung zu erbringen hat, vom Einkommen des Unterhaltsverpflichteten
abzuziehen" (BT-Drs 16/1410, S. 20, zu Nr. 9 zu Buchstabe a). Unterhaltsansprüche, die
"lediglich" aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung zur Unterhaltszahlung erbracht
werden, sind hier nicht genannt. Für eine erweiternde Auslegung der Norm des § 11
Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II lassen der klare Wortlaut und der ausdrücklich niedergelegte
gesetzgeberische Wille keinen Raum. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, die das
Erfordernis einer Titulierung oder notariellen Beurkundung der
Unterhaltsverpflichtungen grob unangemessen bzw. unzumutbar erscheinen lassen
könnten. Dies gilt erst recht im Hinblick darauf, dass es sich ausweislich der
Gesetzesmaterialien "bei den Unterhaltstiteln auch um solche handeln kann, die gemäß
§ 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 4 i.V.m. § 60 Achtes Buch Sozialgesetzbuch kostenfrei beim
Jugendamt beschafft werden können" (BT-Drs 16/1410 a.a.O.). Die Titulierung bedingt,
dass sich der Antragsteller der Leistungsverpflichtung auch im Hinblick auf seine
unzureichende Leistungsfähigkeit nicht entziehen kann. Ebenfalls enthebt dieses
Erfordernis den Träger der SGB II-Leistungen davon die Leistungspflicht des
Unterhaltsverpflichteten selbstständig und mit häufig großem Aufwand prüfen zu
müssen. Die gegenteilige Auffassung der Klägerin hinsichtlich einer erweiterten
Auslegung des § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II findet auch in der Literatur keine Stütze
(vgl. Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rn 128; Brühl in: Münder,
SGB II, § 11 Rn 55; Löns in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 2. Aufl. 2009, § 11 Rn 42).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127
Abs. 4 ZPO.
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Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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