Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.11.1997

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Landessozialgericht NRW, L 16 Kr 29/97
Datum:
13.11.1997
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 16 Kr 29/97
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 11 An 104/96
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Künstler im Sinne der §§ 1, 2 des
Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten
(KSVG) ist.
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Der 1961 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur (FH) und übt den Beruf des Architekten
aus. Er ist freier Mitarbeiter in einem Architekturbüro. Nach eigenen Angaben arbeitet er
nicht nach den Konventionen der DIN-Normen oder der Ökonomie und auch nicht nach
den Bedürfnissen des Zeitgeistes bzw. der Bevölkerung, sondern nach der
Eigenverantwortlichkeit eines Künstlers sich selbst gegenüber.
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Im November 1995 beantragte er die Feststellung der Versicherungspflicht nach dem
KSVG. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04.01.1996 mit der
Begründung ab, der Kläger übe keine künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG aus.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit
Widerspruchsbescheid vom 04.06.1996 als unbegründet zurück.
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Der Kläger hat am 11.06.1996 vor dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben und
vorgetragen: Die von ihm geschaffenen Arbeiten seien dem Bereich bildende Kunst
zuzuordnen. Dies resultiere aus der Art, wie er gestalte und wie seine Auftraggeber ihn
wegen seiner individuellen Gestaltung und Kunstfertigkeit in Anspruch nähmen. Im
übrigen hat er 14 bekannte Baumeister und Architekten benannt und die Auffassung
vertreten, diese Personen sprächen für sein Anliegen.
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Er hat beantragt,
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Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.01.1997 u.a. mit folgender
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Begründung abgewiesen: Die Feststellungsklage sei zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger übe nämlich als Architekt keine künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG
aus. Seine Tätigkeit sei insbesondere nicht dem Bereich bildende Kunst zuzuordnen.
Sie sei mit keiner der in § 2 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des KSVG (DV
KSVG) vergleichbar. Der Bereich bildende Kunst sei geprägt von der freien
eigenschöpferischen Gestaltung. Dies sei bei einem Architekten aber nicht der Fall,
denn er könne ein Wohnhaus keineswegs frei gestalten, sondern nur im Rahmen
dessen, was technisch, statisch und materiell möglich sei. Zusätzlich sei er einer Fülle
von baurechtlichen und bauordnungsrechtlichen Vorschriften unterworfen. Ferner sei
das Werk des Architekten bestimmungsgemäß stets ein Gebrauchsgegenstand, der in
erster Linie die praktischen Bedürfnisse des Lebens zu befriedigen bestimmt sei. Zwar
könne ein Bauwerk außer seinem Gebrauchswert künstlerische Qualität besitzen.
Zweckgebundenheit und Nutzwert stünden jedoch so sehr im Vordergrund, daß die
Arbeiten eines Architekten nicht einmal den angewandten Künsten zugeordnet werden
könnten.
Der Kläger hat gegen das ihm am 07.02.1997 zugestellte Urteil am 06.03.1997 Berufung
eingelegt und vorgebracht: Er sei selbständig im Bereich der bildenden Kunst tätig. Die
Architektur sei - entgegen der Auffassung des Sozialgerichts - mit dem in §§ 2 Abs. 2 DV
KSVG genannten nicht abschließend aufgezählten Tätigkeiten vergleichbar. Auch
Bauwerke würden nach ästhetischen Grundsätzen gestaltet unter Berücksichtigung der
Schönheitsideale und der Erfindung neuer technischer Mittel. Wenn das künstlerische
Element, nämlich die Veranschaulichung von Ästhetik und Dynamik - wie bei ihm -
überwiege, so sei die Künstlereigenschaft zu bejahen. Er arbeite außerdem allein.
Diskussionen mit seinen Kollegen fänden über seine Arbeiten nicht statt. Er bezieht sich
u.a. auf das Bertelsmann Universiallexikon, Stichworte: Architektur, Kunst (bildende
Kunst). Außerdem überreicht er eine Fotodokumentation, um darzulegen, wie stark die
freie eigenschöpferische Gestaltung für ihn im Mittelpunkt seines Wirkens steht.
Schließlich nimmt er Bezug auf Referenzschreiben von zwei Kunden vom 09.03. und
02.03.1996.
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Der Kläger beantragt,
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Die Beklagte beantragt,
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und ihre angefochtenen Bescheide
weiterhin für rechtmäßig. Darüber hinaus führt sie aus: Der Kläger arbeite in einem
Team. Es sei nicht abwegig anzunehmen, daß er Änderungen in seinem Konzept in
Kauf nehmen müsse. Aus den eingereichten Fotos ergebe sich nicht, daß die Ästhetik
im Mittelpunkt stehe. Vielmehr stehe der Nutzwert im Vorgrund. Nach allgemeiner
Verkehrsauffassung liege der Schwerpunkt der Arbeit eines Architekten im Planen von
Bauten und in der Bauüberwachung. Die Tätigkeit des Klägers könne nicht mit der eines
Industrie-Designers verglichen werden. Die Wirkbereiche seien völlig unterschiedlich.
Die subjektive Auffassung des Klägers zu seiner Tätigkeit sei nicht maßgeblich. Es
fehle schließlich am äußeren Rahmen, der die Tätigkeit des Klägers als künstlerische
qualifizieren könnte.
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Der Senat hat eine Auskunft des Architekturbüros P. P. Bauplanungs-GmbH, bei der der
Kläger seit April 1990 als Architekt und Teamkollege selbständig und
eigenverantwortlich arbeitet, eingeholt. Auf die in der Auskunft enthaltene Beschreibung
des Tätigkeitsfeldes des Klägers wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die
Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 04.01.1996 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.06.1996 ist nicht rechtswidrig und
beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger übt
nämlich als Architekt keine künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG aus.
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Nach § 1 KSVG werden selbständige Künstler in der Rentenversicherung der
Angestellten und der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, wenn sie die
künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend
ausüben und nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen. Nach § 2 KSVG ist
Künstler, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt und lehrt. Das
KSVG nimmt damit eine an der Typologie der Ausübungsformen orientierte Einteilung in
Kunstgattungen vor, die der Differenzierung bei der Abgabeerhebung dient (vgl. §§ 1
und 2 GV KSVG), definiert den Kunstbegriff aber nicht materiell. Er ist vielmehr aus dem
Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen
Verkehrsauffassung zu erschließen (vgl. BSG SozR 3 - 5425 § 24 Nr. 12; zum
Kunstbegriff des Art. 5 GG: BVerfG E 30, 173, 188 ff. und 81, 108, 116; zur Zielrichtung
des KSVG: BT-Drucks. 9/26 S. 18 zu § 2; BT-Drucks. 8/3172 S. 19 ff.). Dem Kunstbegriff
des KSVG ist eine eigenschöpferische Leistung immanent. Dabei ist entsprechend dem
Schutzzweck der Künstlersozialversicherung ein relativ geringes Niveau der Leistung
ausreichend (vgl. BSG SozR 3 - 5425 § 1 Nr. 4 und SozR 3 - 5425 § 24 Nr. 12).
Vorliegend ist das Leistungsniveau des Klägers allerdings nicht anzuzweifeln. Es geht
vielmehr darum, ob seinem Schaffen eine schöpferische Leistung zugrundeliegt, die
über den in der Ausbildung zum Architekten vermittelten Bereich hinausgeht. Nach dem
Zweck des KSVG sind vornehmlich solche Personengruppen zu schützen, die vor der
Einführung des KSVG gegen die sozialen Risiken nicht abgesichert waren, aber als
schutzbedürftig erscheinen.
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Dies trifft auf den freiberuflich tätigen Architekten typischerweise nicht zu, was auch der
Auffassung des Klägers entspricht. Dies schließt aber nicht von vornherein aus, daß im
Einzelfall die Tätigkeit eines Architekten als Kunst ausgeübt wird. Wann noch die
allgemeine Tätigkeit eines Architekten oder schon Kunst vorliegt, läßt sich allenfalls
allgemein nach dem Kriterium der eigenschöferischen Leistung beurteilen. Dies ist aber
identisch mit dem Kunstbegriff, der sich nicht allgemeingültig beschreiben läßt. Hinzu
kommt, daß selbst vom Standpunkt eines einzelnen Betrachters mit seinem
individuellen Kunstverständnis nicht genau zu sagen ist, wo die Grenze verläuft, da die
Kriterien nicht meßbar und die Übergänge fließend sind. Die Folge ist, daß häufig kaum
nachvollziehbar begründet werden kann, weshalb im Einzelfall eine künstlerische
Qualität vorliegt oder nicht. Das Erfordernis, die Versicherungspflicht in der
Künstlersozialversicherung festzustellen, verlangt aber in solchen Fällen nach einem
nachvollziehbaren, allgemein gültigen Abgrenzungsmaßstab. Dieser kann weder im
Kunstverständnis des jeweiligen Rechtsanwenders liegen noch in dem Verständnis des
überwiegenden Bevölkerungsanteils oder zumindest breiter Bevölkerungskreise. Bei
Anlegen des letzteren Maßstabs würden gerade viele, besonders schutzwürdige
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jüngere Menschen mit neuartigen Ideen nicht unter die Künstlersozialversicherung
fallen, weil sich neue Entwicklungen erfahrungsgemäß oft erst nach Jahren durchsetzen
und in das Kunstverständnis breiter Bevölkerungskreise eingehen. Der unter
Berücksichtigung des Schutzzweckes des KSVG zutreffende Abgrenzungsmaßstab
kann somit nur darin gefunden werden, ob der Schaffende mit seinen Werken zumindest
in einschlägigen fachkundigen Kreisen als Künstler anerkannt und behandelt wird (vgl.
BSG, Urteil vom 20.03.1997 - 3 RK 20/96 -). Dies läßt sich nach dem konkreten
Wirkbereich und dem Rahmen, innerhalb dessen die Tätigkeit ausgeübt wird,
beantworten. Dabei sind etwa die Teilnahme an Ausstellungen und Preisverleihungen
durch Jurys, die Mitgliedschaft in Künstlervereinen, die Aufnahme in Künstlerlexika,
Berichte in Zeitungen, Fernsehen oder Rundfunk über die Tätigkeit heranzuziehen, so
daß anschließend festgestellt werden kann, ob der Betreffende in einschlägigen Kreisen
als Künstler angesehen und ebenbürtig behandelt wird (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.1997
- 3 RK 20/96 -; LSG NRW Urteil vom 22.06.1995 - L 16 Kr 98/94 - und vom 23.10.1997 -
L 16 Kr 24/97 -). Die vom Kläger eingereichten Stellungnahmen von zwei einzelnen
Kunden reichen in diesem Zusammenhang nicht aus. Sie geben lediglich das
subjektive Kunstverständnis der die Stellungnahme ausstellenden zwei Personen
wieder, was für eine zuverlässige Beurteilung nicht ausreichend ist. Es kommt hinzu,
daß sich der Kläger mit seiner Tätigkeit, wie sie sich aus der vom Senat eingeholten
Auskunft des Architekturbüros P. P. Bauplanungs-GmbH vom 12.05.1997 ergibt, nicht in
dem Rahmen bewegt, der - wie oben dargestellt - für eine künstlerische Tätigkeit spricht.
Der Kläger hat auch selbst in dieser Hinsicht nichts vorgetragen, sondern beruft sich im
wesentlichen auf sein subjektive Kunstverständnis. Nach der Auffassung des Senats
kann aber gerade bei der Tätigkeit eines Architekten auf den entsprechenden äußeren
Rahmen künstlerischer Tätigkeit nicht verzichtet werden, weil die Tätigkeit des
Architekten weitgehend von Vorschriften des Bauplanungs- bzw. Bauordnungsrechts
sowie von DIN-Vorschriften vorgegeben und insoweit der eigenschöpferische Anteil der
Tätigkeit eingeschränkt ist.
Nach alledem kann der Senat nicht feststellen, daß der Kläger aufgrund des äußeren
Rahmens seiner Tätigkeit nicht dem für einen Architekten üblichen und damit nicht
künstlerischen Bereich zugeordnet worden kann.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache
zugelassen.
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