Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.07.2005

LSG NRW: medizinische indikation, physikalische therapie, krankenversicherung, makromastie, behandlung, operation, chefarzt, entstellung, orthopädie, krankheitswert

Landessozialgericht NRW, L 16 KR 164/03
Datum:
14.07.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 16 KR 164/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Münster, S 15 (3) KR 198/00
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Münster vom 20. Juni 2003 geändert. Die Klage gegen
den Bescheid der Beklagten vom 21.07.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.11.2000 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Instanzen nicht zu
erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der am 00.00.1956 geborenen Klägerin ein
Anspruch auf eine stationäre Krankenbehandlung zur Durchführung einer
Mammareduktionsplastik zusteht.
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Am 18.01.2000 beantragte die bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Klägerin
die oben genannte Leistung unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ihres
behandelnden Gynäkologen Prof. Dr. M, St. D-Hospital T. Dieser hatte unter dem
11.01.2000 eine erhebliche Hyperplasie beider Mammae bei psychischer
Beeinträchtigung bestätigt. Wegen der Gefahr späterer Wirbelsäulenschäden sei eine
Mammareduktionsplastik mit Gewichtsreduzierung von zumindest je 700 bis 800 g
medizinisch indiziert.
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Frau Dr. N, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK) Westfalen-Lippe,
konnte nach körperlicher Untersuchung der Klägerin am 11.02.2000 keinen krankhaften
Befund der Mammae und lediglich diskrete Schultermyogelosen beidseits bei
ansonsten nicht eingeschränkter Funktion der Wirbelsäule und der Gelenke feststellen.
Aus den daraufhin von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen von Dr. Q,
Arzt für Orthopädie aus C, sowie von Priv.-Doz. Dr. I, Leiter der Psychotherapie und
Psychiatrie im St. K-Hospital in P, vom 03.05. bzw. 17.04.2000 ergaben sich
rezidivierende Tendomyopathien der Schulter-Nacken-Partie und des cervicothorakalen
Übergangs bei Makromastie und dadurch bedingter vermehrter kyphotischer
Fehlhaltung des cervicothorakalen Übergangs sowie eine erhebliche psychische
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Belastung der Klägerin seit der Pubertät durch die Hyperplasie beider Mammae.
Nachdem der mit der erneuten Begutachtung der Klägerin befasste Arzt W. M1, MDK
Westfalen-Lippe, wiederum keinerlei funktionelle Defizite und keine Schmerzhaftigkeit
infolge orthopädischer Leiden festgestellt hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom
21.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2000 die
Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik mangels medizinischer Indikation
ab.
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Zur Begründung ihrer am 24.11.2000 zum Sozialgericht Münster erhobenen Klage hat
die Klägerin geltend gemacht, dass aus gynäkologischer, orthopädischer und neuro-
psychiatrischer Sicht der sie behandelnden Fachärzte zu der Mammareduktionsplastik
geraten werde. Durch die eingeholten Befundberichte und das
Sachverständigengutachten nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat sie sich
bestätigt gesehen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.07.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.11.2000 zu verurteilen, die Kosten für eine
Mammareduktionsplastik zu übernehmen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig erachtet. Die bestehende
Mammahypertrophie stelle keine Krankheit dar. Die gemessenen Werte lägen in der
Variationsbreite einer weiblichen Brust. Darüber hinaus fehle es an manifesten
orthopädischen Störungen von Seiten der Hals- oder Brustwirbelsäule (BWS) bzw. der
Schultermuskulatur.
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Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das Sozialgericht zunächst Befundberichte der
behandelnden Ärzte eingeholt. Der Gynäkologe Dr. L, der Orthopäde Dr. Q und der Arzt
für Allgemeinmedizin Dr. C haben eine Mammareduktionsplastik wegen der
Makromastie beidseits sowie der seit Jahren bestehenden belastungsabhängigen
Schmerzen im Bereich der Schulter-Nacken-Region und BWS, die durch
Gymnastik/Muskelaufbautraining keine wesentliche Besserung erfahren hätten, sowie
zur Vermeidung psychosomatischer Störungen empfohlen.
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Außerdem hat das Sozialgericht gemäß § 106 SGG ein Gutachten des Arztes für
Orthopädie und Chirotherapie Dr. (NL) T, Orthopädische Abteilung des St. N-Hospitals
C, eingeholt. In seinem Gutachten vom 07.06.2001 hat der Sachverständige aufgrund
körperlicher Untersuchung der Klägerin am 29.05.2001 und unter Einbeziehung eines
radiologischen Zusatzgutachtens von Dr. L1 folgende Diagnosen gestellt: Makromastie
beidseits, schmerzhafte Myotendinosen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS)
beidseits bei freier Funktion ohne Hinweise auf eine Nervenwurzelreizsymptomatik
sowie statisch-dynamische Beschwerden im Bereich der BWS mit Zeichen einer
minimalen doppelt S-förmigen Seitverbiegung der Brust-/Lendenwirbelsäule (LWS) bei
sonst un-auffälligen Befunden. Eine Mammareduktionsplastik sei medizinisch indiziert:
Die deutlich vergrößerten Mammae, die eine BH-Größe von 80 E erforderten, seien im
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Verhältnis zu Körpergröße (156 cm) und -gewicht (56,9 kg) der Klägerin zu groß.
Außerdem müsse aus orthopädischer Sicht als sehr wahrscheinlich angesehen werden,
dass eine operative Verkleinerung der Brüste die statisch bedingte
Beschwerdesymptomatik im Schulter-Nacken-Bereich positiv beeinflussen werde. Dies
ergebe sich aus diversen Studien zur Patientenzufriedenheit nach durchgeführter
Brustverkleinerung. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 03.12.2001 ist der
Sachverständige unter Einbeziehung der divergierenden Stellungnahme des MDK bei
seiner Auffassung verblieben.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.06.2003 hat das Sozialgericht die Beklagte unter
Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, die Kosten für eine
Brustverkleinerungsoperation (Mammareduktionsplastik) zu übernehmen. Dabei ist es
der Argumentation des Sachverständigen Dr. T gefolgt. Wegen der Begründung wird auf
die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen.
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Gegen den ihr am 10.07.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am
31.07.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, entgegen der Ansicht des
Sozialgerichts fehle es an der Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung
für den beabsichtigten Eingriff zu einer brustverkleinernden Operation. Im Bereich der
Mammae der Klägerin liege keine behandlungsbedürftige Krankheit vor. Die
orthopädischen Beschwerden seien als lediglich geringfügig einzustufen. Auch habe
die Klägerin nicht den Nachweis dafür erbracht, dass sie die ambulant zur Verfügung
stehenden Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft habe. Zudem sei ein
Zusammenhang zwischen der Größe sowie dem Gewicht der Brüste und
Wirbelsäulenbeschwerden nicht nachgewiesen. Insoweit bezieht sich die Beklagte auf
den Abschlussbericht der bundesweiten Projektgruppe P 29 a der Medizinischen
Dienste der Krankenversicherung zum Thema "Plasti-sche Chirurgie - Operationen der
Brust und abdominaler Fettschürzen" vom 8. Mai 2002. Sowohl der erstinstanzlich
beauftragte Sachverständige Dr. T als auch der zweitinstanzlich nach § 109 SGG tätig
gewordene Sachverständige Dr. X gingen zu Unrecht davon aus, dass es insoweit
beachtliche wissenschaftliche Studien gäbe. Bei den zitierten Zufriedenheitsstudien
handele es sich um nicht aussagefähige Studien niedrigster Evidenzstufe.
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Die Beklagte beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 20.06.2003 zu ändern und die
Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster
vom 20.06.2003 zurückzuweisen.
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Zur Begründung verweist sie auf ihren bisherigen Vortrag. Sie trägt ergänzend vor, dass
sie zwar seit 1999 keine physiotherapeutischen/krankengymnastischen Maßnahmen
durchgeführt habe, jedoch seit 1994 durch vielfältige und regelmäßige sportliche
Aktivitäten, wie Schwimmen, Walken und Bodyforming mehrmals wöchentlich, die
Beschwerden zu bessern versuche. Es sei jedoch im Laufe der Zeit, in letzter Zeit
deutlich, stattdessen zu einer Beschwerdezunahme gekommen. Wie sowohl die
behandelnden Ärzte als auch die Sachverständigen Dr. T und Dr. X festgestellt hätten,
bestehe eine medizinische Indikation zu der begehrten Mammareduktionsplastik. Sie
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schließe sich den Ausführungen der beiden Gutachter vollinhaltlich an. Dagegen weise
das Gutachten von Dr. B nach § 106 SGG viele Unrichtigkeiten auf und sei insgesamt
nicht nachvollziehbar.
Auf Anregung des Senats hat die Klägerin Fotos vorgelegt, die ihren Oberkörper in
bekleidetem und unbekleidetem Zustand zeigen.
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Der Senat hat einen weiteren Befundbericht des behandelnden Arztes für Gynäkologie
Prof. Dr. M, Chefarzt der Frauenklinik des St. D-Hospitals T, angefordert. Dieser hat
unter dem 03.02.2004 mitgeteilt, es bestehe von gynäkologischer wie von
psychiatrischer Seite die Indikation zur Mammareduktionsplastik beidseits, nicht zuletzt
auch, um somatische Schäden, z. B. im Bereich der HWS, zu vermeiden.
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Ergänzend hat der Senat von Amts wegen ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. B,
Arzt für Orthopädie, Rheumatologie, Physikalische Therapie und Sozialmedizin und
Chefarzt der Abteilung für Orthopädische und Rheumatologische Fachklinik S in F,
eingeholt. In seinem Gutachten vom 02.07.2004, das er aufgrund ambulanter
Untersuchung der Klägerin am 12.05.2004 erstellt hat, hat dieser folgende
Feststellungen getroffen: Die Mammaptose vom Typ III nach Vrebos bei beidseitiger
Makromastie stelle keine Erkrankung dar. Es handele sich um eine weibliche
Brustgröße (Cup-Größe 80 E), die sich in der Variationsbreite halte. Orthopädischerseits
lägen lediglich eine leicht verspannte paravertebrale Nackenmuskulatur mit einzelnen
Myogelosen im Nackenbereich bei ansonsten freier Beweglichkeit der HWS, BWS,
LWS und der Gelenke im Bereich der oberen und unteren Extremitäten vor.
Neurologisch seien keine motorischen oder sensiblen Ausfälle festzustellen.
Röntgenologisch zeige sich eine diskrete Seitenausbiegung der LWS bei dezent
angedeuteten degenerativen Veränderungen im BWS-Bereich, die jedoch nicht über
das Altersmaß hinausgingen. Der Sachverständige empfahl neben physio-
physikalischen Maßnahmen, wie Wärme, Elektrobehandlung, Rumpfgymnastik, auch
eine entsprechende medikamentöse Therapie. Ein operatives Eingreifen zwecks
Änderung der Brustmaße stelle im vorliegenden Fall jedoch nur eine rein kosmetisch
ausgerichtete Korrektur dar. Eine Mammareduktion sei aus medizinischer Sicht weder
erforderlich noch zweckmäßig, abgesehen von dem gesundheitlichen Risiko, das eine
derartige Operation mit sich bringe.
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Auf Antrag der Klägerin hat der Senat sodann ein Gutachten nach § 109 SGG von Dr. X,
Chefarzt der Gynäkologischen Abteilung des St. N-Hospitals C, eingeholt. In seinem
Gutachten vom 21.12.2004, das auf der Grundlage einer klinischen Untersuchung am
14.11.2004 erstellt worden ist, hat der Sachverständige eine ausgeprägte Makromastie
beidseits mit beidseitiger Ptose nach Vrebus Typ III diagnostiziert. Gemessen an der
Körpergröße der Klägerin und an ihrem Normgewicht seien die Mammae erheblich zu
groß. Ausschließlich die Reduktion beider Mammae um je 700 bis 800 g werde
langfristig zu einer Verbesserung der Beschwerdesymptomatik auf orthopädischem
Gebiet führen.
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In ergänzenden Stellungnahmen vom 11.03.2005 und 30.06.2005 sowie 24.06.2005
sind der MDK Westfalen-Lippe sowie der Sachverständige Dr. X bei ihrer jeweiligen
Auffassung verblieben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die ihrem
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wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat mit
Gerichtsbescheid vom 20. Juni 2003 zu Unrecht die Beklagte verurteilt, die Kosten für
eine Brustverkleinerungsoperation zu übernehmen, weil der angefochtene Bescheid
vom 21.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2000
rechtmäßig ist. Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf eine stationäre
Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer Mammareduktionsplastik besteht
nicht.
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Da sich die Klägerin der begehrten Operation zur Brustverkleinerung noch nicht
unterzogen hat, ist Gegenstand des Verfahrens immer noch der originäre
Sachleistungsanspruch. Der erstinstanzlich gestellte Antrag der Klägerin war daher
gemäß § 106 Abs. 1 i. V. m. § 153 Abs. 1 SGG entsprechend auszulegen. Die Beklagte
schuldet der Klägerin die begehrte operative Versorgung nicht als Krankenbehandlung,
für die die gesetzliche Krankenversicherung gemäß § 27 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch
Fünftes Buch (SGB V) einzustehen hat. Die Leistungspflicht setzt das Vorliegen einer
Krankheit voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des
gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der
ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG, SozR 3-
2500 § 27 Nr. 11 S. 38, BSG, SozR 3-2200 § 182 Nr. 14 S. 64, jeweils m. w. N.).
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Die Brustbeschaffenheit stellt bei der Klägerin keine körperliche Unregelmäßigkeit mit
Krankheitswert in diesem Sinne dar. Weder die behandelnden Fachärzte noch die
Sachverständigen Dr. T, Dr. B und Dr. X haben Haut- oder sonstige Veränderungen der
Mammae festgestellt. Funktionsstörungen somatischer Art allein aufgrund des
Brustumfangs haben die Ärzte ebenfalls nicht beschrieben. Von der Größe und Gestalt
der Mammae geht auch keine entstellende Wirkung von Krankheitswert aus. Entgegen
der Auffassung der Klägerin und der Sachverständigen Dr. T und Dr. X kommt nicht
jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die
Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche
Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur anzunehmen
ist, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die
anatomische Abweichung entstellend wirkt. Eine körperliche Entstellung, die als
Krankheit zu werten wäre, liegt bei der Klägerin jedoch nicht vor. Die Fälle, in denen
eine Entstellung angenommen wurde (Frau ohne natürliches Kopfhaar, BSG SozR 3-
2500 § 33 Nr. 45 S. 253 f.; Narben im Lippenbereich, BSG SozR 3-1750 § 372 Nr. 1;
verneinend bei Hautverfärbungen, BSG, Urt. vom 13.07.2004, Az.: B 1 KR 11/04 R, in:
SozR 4-2500 § 13 Nr. 4 Rdn. 21, sowie bei einer Hodenprothese, BSG SozR 3-2500 §
39 Nr. 5 S. 29 f.) zeichnen sich dadurch aus, dass körperliche Auffälligkeiten erfasst
werden, die sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen "quasi im
Vorbeigehen" bemerkbar machen (BSG, Urt. vom 19.10.2004, Az.: B 1 KR 9/04 R,
jurisweb, Reg.Nr. 26913 RdNr. 14 = SGb 2004, S 748). Derartiges hat keiner der
gehörten Ärzte bescheinigt. Davon, dass eine solche, auf der Brustgröße der Klägerin
bzw. auf einer Disproportion zwischen Brustgröße und den übrigen Körpermaßen
beruhende Entstellung nicht vorliegt, konnte sich der Senat im Verlauf der mündlichen
Verhandlung sowie anhand der eingereichten Fotos der Klägerin überzeugen. Im
Übrigen ist zu bedenken, dass die weibliche Brust in Größe und Form eine
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außerordentliche Vielfalt aufweist (BSG, Urt. vom 19.10.2004a.a.O.) und sich nicht in
"regelwidrig" oder "regelrecht" kategorisieren lässt.
Eine Leistungspflicht der Beklagten ließe sich auch nicht mit einer psychischen
Beeinträchtigung der Klägerin, ausgelöst durch die Größe ihrer Mammae, begründen.
Insoweit kann der Senat offen lassen, ob eine psychische Erkrankung bei der Klägerin
überhaupt vorliegt. Jedenfalls rechtfertigte sie keinen operativen Eingriff auf Kosten der
Krankenversicherung (so ständiger Rechtsprechung, zuletzt BSG, Urt. vom 19.10.2004,
Az.: B 1 KR 9/04, B 1 KR 3/03 und 23/03 m. w. N., SGB 2004, S 747 f.). Mögliche
psychische Beeinträchtigungen wären ausschließlich mit Mitteln der Psychotherapie
bzw. Psychiatrie zu bekämpfen.
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Eine stationäre Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer
Mammareduktionsplastik ist auch nicht erforderlich, um Schäden der Wirbelsäule bzw.
des Halteapparates und Muskelverspannungen zu behandeln, so dass dahinstehen
kann, welche Anforderungen an die Notwendigkeit von operativen,
substanzverändernden Eingriffen an einem gesunden Organ zur mittelbaren
Behandlung von anderweitigen Krankheitserscheinungen zu stellen sind (vgl. Urt. des
erkennenden Senates vom 28.04.2005, Az.: L 16 KR 87/03, m. w. N.). Die beiden
orthopädischen Sachverständigen Dr. T und Dr. B haben - insoweit übereinstimmend -
nicht einmal mittelgradige, geschweige denn schwerwiegenden Beeinträchtigungen der
Klägerin auf orthopädischem Gebiet feststellen können. Sie haben schmerzhafte
Myotendinosen im Bereich der HWS und BWS bei freier Funktion der HWS und ohne
Hinweise auf eine Nervenwurzelreizsymptomatik beschrieben. Neurologisch hat Dr. B,
ebenso wie Dr. T, keine motorischen oder sensiblen Ausfälle festgestellt. Die von Dr. T
beschriebene doppelt S-förmige Seitverbiegung der BWS/ LWS hat auch Dr. B nur als
diskrete Seitenausbiegung der LWS bei dezent angedeuteten degenerativen
Veränderungen im BWS-Bereich gesehen, die noch nicht über das Altersausmaß
hinaus gehen. Hieraus folgt nur eine geringfügige Beeinträchtigung. Dies wird bestätigt
durch das röntgenologische Zusatzgutachten von Dr. L1, der Veränderungen nur im
Minimalbereich bescheinigt hat.
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Der Senat ist davon überzeugt, dass die Beschwerden der Klägerin auf orthopädischem
Gebiet der Behandlung durch Krankengymnastik und Physio- sowie Schmerztherapie
zugänglich sind und es zumindest gegenwärtig keiner Mammareduktionsplastik bedarf.
Insoweit folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. B.
Die Klägerin, die in keiner regelmäßigen fachorthopädischen Behandlung steht, hat seit
mehreren Jahren weder Krankengymnastik noch Physiotherapie verordnet bekommen.
Auch wenn ihr sportlicher Einsatz ohne Zweifel lobenswert ist, sind zur Überzeugung
des Senates die Möglichkeiten einer unmittelbar bei den orthopädischen Leiden
ansetzenden Behandlung bei weitem nicht ausgeschöpft. Dass die Sachverständigen
Dr. T und Dr. X auch einem - ihrer Auffassung nach trotz der sportlichen Aktivitäten der
Klägerin noch möglichen - gezielten Aufbautraining der Muskulatur keine
Erfolgsaussichten beimessen, vermag nicht zu überzeugen, da es bereits an einer
tragfähigen Begründung fehlt. Während der Sachverständige Dr. T auf eine Begründung
seiner Einschätzung ganz verzichtet, stellt der Sachverständige Dr. X auf seine
Erfahrungen als Operateur sowie auf Studien ab, die auf der Basis der Zufriedenheit der
operierten Patientinnen basieren. Abgesehen davon, dass zumindest nicht
auszuschließen ist, dass die Zufriedenheit der Patientinnen auch durch das
kosmetische Ergebnis der Operation mitbestimmt wird, weisen die Studien weder
Vergleichsgruppen auf noch stellen sie auf Langzeitergebnisse ab. Insoweit folgt der
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Senat den nachvollziehbaren und gut begründeten Stellungnahmen des MDK u. a. vom
15.03.2005, auf die er Bezug nimmt. Solange im Falle der Klägerin nicht der Versuch
unternommen worden ist, konsequent alle orthopädischen Therapiemöglichkeiten
auszuschöpfen, kann die Notwendigkeit eines - mit Risiken verbundenen - Eingriffs in
ein gesundes Organ nicht als nachgewiesen angesehen werden.
Schließlich kann die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf die
Annahme stützen, die Mammareduktionsplastik beuge zu befürchtenden
Wirbelsäulenschäden vor. Da das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nur in -
hier nicht gegebenen - Ausnahmefällen Leistungen zur Verhütung von Krankheiten
vorsieht, vgl. §§ 20 ff. SGB V, kann der Senat offen lassen, ob Beschwerden der
Klägerin auf orthopädischem Gebiet nach einer operativ durchgeführten
Brustverkleinerung in Zukunft vorgebeugt werden konnte. Daran bestehen im Hinblick
auf die Studie der Projektgruppe 29 a zumindest erhebliche Zweifel.
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Die Berufung der Beklagten musste daher mit der aus § 193 SGG beruhenden
Kostenentscheidung Erfolg haben.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt (§ 160 Abs. 2
SGG).
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