Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.02.2010

LSG NRW (untersuchung, beschwerde, beschwerdeführer, vergütung, körperliche untersuchung, gutachten, sgg, anlage, kürzung, röntgen)

Landessozialgericht NRW, L 4 B 13/09
Datum:
16.02.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 4 B 13/09
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 34 (15) R 48/07
Sachgebiet:
Sonstige Angelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.5.2009 wird
aufgehoben. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der
Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 12.1.2009 geändert. Die
Vergütung des Beschwerdeführers für das Gutachten vom 19.7.2008
wird auf 2226,32 Euro festgesetzt. Im übrigen wird die Beschwerde
zurückgewiesen. Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
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I.
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In dem Rechtsstreit, der die Gewährung von Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser
Erwerbsminderung zum Gegenstand hatte, hat der Beschwerdeführer aufgrund der
Beweisanordnung des Sozialgerichts Dortmund vom 28.4.2008 das
Sachverständigengutachten vom 19.7.2008 erstattet. Mit Schreiben vom 19.7.2008
stellte er unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 60,00 EUR nach der
Honorargruppe M 2 folgende Vergütung in Rechnung:
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Aktenstudium 5 Stunden Untersuchung 4 Stunden Abfassung 4 Stunden Diktat 4
Stunden Korrektur 1 Stunde Summe 18 Stunden x 60 EUR 1080,00 EUR
Schreibgebühr 50.000 Anschläge x 0,75 EUR 37,50 EUR Röntgen: GOÄ 5030 20,98
EUR 1,3 x 2 54,55 EUR GOÄ 5031 5,83 EUR 1,3 x 2 15,16 EUR GOÄ 5040 17,49 EUR
1,3 22,74 EUR GOÄ 5100 17,49 EUR 1,3 22,74 EUR GOÄ 5101 9,33 EUR 1,3 12,13
EUR GOÄ 5105 23,31 EUR 1,3 x 2 60,61 EUR Röntgenkosten 187,92 EUR GOÄ 5298
36,14 EUR Laborleistungen laut Anlage 640,30 EUR Telefon/Porto/Fax 9,00 EUR
Summe 1990,85 EUR Umsatzsteuer 19 % 378,26 EUR Zahlbetrag 2369,12 EUR
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Für Laborleistungen stellte der Beschwerdeführer in der Anlage unter anderem die GOÄ
Nrn. 4264, 4265 und 4272 jeweils zweifach in Rechnung. Mit Schreiben vom 6.8.2008
hat die Kostenbeamtin den Rechnungsbetrag mit 2170,86 EUR festgestellt und
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ausgeführt, die GOÄ-Ziffern 4264,4265 und 4272 seien nur jeweils einmal
berechnungsfähig.
Hiergegen haben sowohl der Beschwerdeführer als auch der Beschwerdegegner
Erinnerung eingelegt und richterliche Festsetzung beantragt. Der Beschwerdeführer hat
sich gegen die Kürzung der in Rechnung gestellten Vergütung durch die Kostenbeamtin
gewandt und zur Begründung ausgeführt, die Labordiagnostik zur Frage reaktiver
Arthritiden erfordere die Abgrenzung zwischen akuten und chronischen
Immunreaktionen, das heißt die Bestimmung zumindest zweier verschiedener
Immunglobuline, nämlich IgG und IgA.
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Der Beschwerdegegner hat beantragt, die Vergütung auf 1992,36 EUR festzusetzen
und die Erinnerung im übrigen zurückzuweisen. Die Festsetzung vom 6.8.2008 sei
hinsichtlich der GOÄ Nrn. 4264, 4265 und 4272 nicht zu beanstanden. Der geltend
gemachte Zeitaufwand für die Untersuchung erscheine mit 4 Stunden jedoch überhöht
und sei aus dem Gutachten nicht ersichtlich. Insoweit halte er einen Zeitaufwand von 1,5
Stunden für Untersuchung und Exploration für gerechtfertigt. Alle im Zusammenhang mit
der Fertigung von Röntgenaufnahmen sowie mit den Laboruntersuchungen stehenden
Verrichtungen seien lediglich nach der GOÄ zu vergüten. Soweit der Sachverständige
Leistungen erbringen, die in der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 Justizvergütungs- und
Entschädigungsgesetz (JVEG bezeichnet sind, bemesse sich das Honorar oder die
Entschädigung nach dieser Anlage. Die Höhe der Vergütung sei zunächst als 1,3-fache
GOÄ-Leistung zu bestimmen. Liege der ermittelte Vergütungsanspruch im
vorgegebenen Rahmen, so sei der 1,3-facher GOÄ-Satz maßgebend. Anderenfalls gelte
der in der Anlage 2 zu § 10 JVEG für die betreffende Leistung ausgewiesene Mindest-
bzw. Höchstbetrag. Eine Vergütung nach Zeitaufwand finde daneben nicht statt. Der von
der Kostenbeamtin festgesetzte Vergütungsanspruch verringere sich daher weiter um
150 EUR (2,5 Stunden statt 4 Stunden Untersuchungszeit) sowie 28,50 EUR anteilige
Umsatzsteuer.
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Durch Beschluss vom 12.1.2009 hat das Sozialgericht Dortmund die Vergütung für das
Gutachten vom 19.7.2008 auf 1992,36 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat das
Sozialgericht auf die Stellungnahme des Beschwerdegegners Bezug genommen. Der
Beschluss enthält die Rechtsmittelbelehrung: "Diese Entscheidung ist endgültig."
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Gegen den am 2.2.2009 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am
10.2.2009 Beschwerde erhoben und zunächst gerügt, dass das Sozialgericht ihm vor
seiner Entscheidung keinerlei Gelegenheit gegeben habe, zu den Ausführungen des
Beschwerdegegners Stellung zu nehmen. Weiter führt er aus, weder die Kürzung des
Betrages wegen Nichterstattung von Laborkosten noch die Kürzungen der
Stundensätze seien gerechtfertigt. Für die Kürzung hinsichtlich der Laborziffern sei
bisher keinerlei Rechtsgrundlage benannt worden.
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In einem handschriftlich abgefassten Beschluss des Sozialgerichts vom 11.5.2009 heißt
es, der Beschluss vom 12.1.2009 sei unanfechtbar. Dies ergebe sich aus § 178 SGG.
Die Beschwerde vom 6.5.2009 werde deshalb als unzulässig zurückgewiesen. Der
Beschwerdeführer beantragte daraufhin, seine Beschwerde an das Landessozialgericht
weiterzuleiten. Seinem Begehren ist der Antrag zu entnehmen,
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den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11. 5. 2009 aufzuheben, den
Beschluss vom 12.1.2009 zu ändern und die Vergütung für das Gutachten vom
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19.7.2008 in Höhe von 2369,12 EUR festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Der angefochtene Beschluss sei nicht zu beanstanden. Darüber hinaus ergebe sich der
nur einmalige Ansatz der betreffenden GOÄ-Ziffern aus den allgemeinen Bestimmungen
der Nummer 19 (M. III des Abschnitts M - Laboratoriumsuntersuchungen).
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Auf Nachfrage des Gerichts hat der Beschwerdeführer im Schreiben vom 19.11.2009
angegeben, der Kläger sei am 23.6.2009 für 11.00 Uhr einbestellt worden.
Anschließend sei über 2 Stunden hinweg die Befragung und die Einsichtnahme in die
mitgebrachten Befunde erfolgt. Nach Durchführung der Röntgen- und
Laboratoriumsuntersuchungen sei die weitere Untersuchung über weitere 2 Stunden
hinweg erfolgt. Dann habe der Kläger zwischen 16.00 und 17.00 Uhr die Praxis
verlassen.
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II.
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Die Beschwerde ist zulässig. Gegen den Beschluss des Sozialgerichts über die
Festsetzung der Vergütung können gemäß § 4 Abs. 3 JVEG der Berechtigte und die
Staatskasse Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200
EUR übersteigt. Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Beschwerde nicht allein
gegen die weitere Kürzung seiner Vergütung auf die Erinnerung des
Beschwerdegegners hin, sondern gegen die Kürzung der geltend gemachten Vergütung
von insgesamt 2369,12 EUR auf 1992,36 EUR. Damit wird die Beschwerdesumme
deutlich überschritten. Ob die Beschwerde gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
binnen eines Monats einzulegen ist oder aber nach dem Regelungszusammenhang der
Vorschriften des JVEG ohne Fristbegrenzung statthaft ist, kann vorliegend offen bleiben.
Zum einen hat der Beschwerdeführer bereits innerhalb der Monatsfrist mit dem zwar
fehlerhaft datierten, jedoch laut Eingangsstempel am 10.2.2009 beim Sozialgericht
eingegangenen Schreiben sinngemäß die Verletzung rechtlichen Gehörs sowie die
Verletzung der Grundsätze eines fairen gerichtlichen Verfahrens gerügt. Daraufhin hätte
es dem Sozialgericht oblegen zu prüfen, ob dieses Schreiben bereits als Beschwerde
zu werten ist. Doch auch dies kann letztlich offen bleiben, denn auch wenn das am
7.5.2009 eingegangene Schreiben des Beschwerdeführers erstmalig als Beschwerde
anzusehen sein sollte, wäre diese fristgemäß erhoben. Gemäß § 66 Abs. 2 S. 1 SGG ist
die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung des
Beschlusses zulässig, wenn die Rechtsmittelbelehrung unrichtig erteilt wurde. Dies ist
der Fall, weil es in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses vom
12.01.2009 fälschlich heißt, die Entscheidung sei endgültig.
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Der Beschluss des Sozialgerichts vom 11.5.2009 ist schon deshalb aufzuheben, weil
das Sozialgericht zur Entscheidung über die Beschwerde nicht zuständig ist, wie § 4
Abs. 3 S. 2 JVEG und auch § 176 SGG leicht zu entnehmen ist. Dies gilt auch für eine
(hier zu Unrecht) für unzulässig erachtete Beschwerde.
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Die Beschwerde ist teilweise begründet.
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1. Für den Arbeitsschritt der gutachtlichen Untersuchung ist ein Zeitaufwand von 2
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Stunden berücksichtigungsfähig. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats gliedert
sich die Erstellung eines Gutachtens in vier vergütungspflichtige Arbeitsschritte:
1. Zeitaufwand für Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten, 2. Zeitaufwand für
Untersuchung und Anamnese, 3. Zeitaufwand für Abfassung der Beurteilung, 4.
Zeitaufwand für Diktate und Durchsicht.
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Diese Aufgliederung des Aufwandes in 4 Arbeitsschritte hat der Senat als
Überprüfungsmaßstab zu Grunde gelegt, weil der nach § 8 Abs. 1 S. 1 JVEG für die
Gutachtenerstellung erforderliche Zeitaufwand nicht von der individuellen Arbeitsweise
eines Sachverständigen abhängig zu machen sondern nach einem objektiven Maßstab
zu bestimmen ist. Zugrundezulegen ist derjenige Zeitaufwand, den ein
Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer
Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt (Beschlüsse vom
6.4.2005 - L 4 B 16/04 - und vom 2.5.2005 - L 4 B 5/05.
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Die dem Arbeitsschritt der Untersuchung und Anamnese zuzurechnenden Tätigkeiten
werden im Gutachten des Beschwerdeführers auf Seite 5 bis 24 wiedergegeben. Dabei
handelt es sich um die Auswertung der anlässlich der Untersuchung beigebrachten
Unterlagen, die Familienanamnese, die eigenen Anamnese, die Berufs- und
Sozialanamnese sowie die Anamnese anhand der bei der Untersuchung angegebenen
Beschwerden und Symptome. Ferner gehört hierzu die körperliche Untersuchung, die in
dem vorliegenden orthopädisch-rheumatologischen Gutachten einen quantitativ und
qualitativ erheblichen Umfang ausmacht (Seite 10 bis 24 des Gutachtens). Für die
Röntgen- und Laboratoriumsuntersuchungen hat der Beschwerdeführer keine
gesonderten Zeitanteile geltend gemacht.
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Ohne den Wahrheitsgehalt der Angaben des Beschwerdeführers zum Zeitaufwand für
Untersuchung und Anamnese anzuzweifeln vermag der Senat angesichts des
objektivierten Maßstabs jedoch nicht zu erkennen, dass ein Sachverständiger auf
diesem Fachgebiet mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer
Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität hierfür 4 Stunden benötigen
würde. Vielmehr ist dem Senat aus zahlreichen orthopädischen und chirurgischen
Gutachten bekannt, dass zumeist ein Zeitaufwand von 1 bis 1 ½ Stunden in Ansatz
gebracht wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Zeitaufwand für die Auswertung
der Röntgenaufnahmen sowie der vom Probanden mitgebrachten Befundunterlagen
nicht dem Arbeitsschritt der Untersuchung und Anamnese sondern dem Arbeitsschritt
der Abfassung der Beurteilung zuzurechnen ist, für den der Beschwerdeführer einen
Zeitaufwand von ebenfalls 4 Stunden angegeben hat. Der Zeitaufwand für die
Auswertung der bereits in den Akten vorliegenden Befundunterlagen ist dem
Arbeitsschritt des Aktenstudiums und der vorbereitenden Arbeiten zuzuordnen, für den
der Beschwerdeführer weitere 5 Stunden angegeben hat. Infolge dessen erscheint auch
unter Berücksichtigung der Besonderheiten eines rheumatologischen Gutachtens und
unter Berücksichtigung von Verständigungsschwierigkeiten mit dem Kläger bei Anlegen
des objektivierten Maßstabs lediglich ein Zeitaufwand von 2 Stunden für Untersuchung
und Anamnese angemessen und damit berücksichtigungsfähig.
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2.Die GOÄ-Ziffern 4264, 4265 und 4272 sind jeweils zweimal abrechnungsfähig, weil
der Beschwerdeführer jeweils zwei Antikörper, nämlich Immunglobulin A (IgA) und
Immunglobulin G (IgG) in Bezug auf die in den GOÄ-Ziffern 4264, 4265 und 4272
genannten Infektionen (Borrelia burgdorferi, Chlamydia trachomatis und Yersinien)
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bestimmt hat. Die Regelungen der GOÄ zu diesen Gebührenziffern lassen sich nicht
dahingehend interpretieren, dass die Bestimmung mehrerer Antikörper in Bezug auf
eine der in diesen Ziffern genannte Infektion jeweils nur einmal abgerechnet werden
dürfen. Die allgemeine Bestimmung zu Abschnitt M III. 19. GOÄ regelt eine andere, hier
nicht vorliegende Konstellation. Danach ist die Berechnung einer Gebühr für eine
qualitative Untersuchung neben einer Gebühr für eine quantitative Untersuchung oder
einer ähnlichen Untersuchungsmethode nicht zulässig. Der Beschwerdeführer hat
jedoch ausschließlich die in der Untergruppe 4263 - 4272 aufgeführten quantitativen
Antikörperbestimmungen und nicht etwa zusätzlich eine der in den Untergruppen 4220 -
4234 und 4251 - 4261 vorgesehenen qualitativen Nachweismethoden in Rechnung
gestellt.
Hieraus ergibt sich unter Zugrundelegung eines Honorarsatzes von 60 EUR die
folgende Vergütung:
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Aktenstudium 5 Stunden Untersuchung 2 Stunden Abfassung 4 Stunden Diktat 4
Stunden Korrektur 1 Stunde Summe 16 Stunden x 60 EUR 960,00 EUR Schreibgebühr
50.000 Anschläge x 0,75 EUR 37,50 EUR Röntgen: GOÄ 5030 20,98 EUR 1,3 x 2 54,55
EUR GOÄ 5031 5,83 EUR 1,3 x 2 15,16 EUR GOÄ 5040 17,49 EUR 1,3 22,74 EUR
GOÄ 5100 17,49 EUR 1,3 22,74 EUR GOÄ 5101 9,33 EUR 1,3 12,13 EUR GOÄ 5105
23,31 EUR 1,3 x 2 60,61 EUR Röntgenkosten 187,92 EUR GOÄ 5298 36,14 EUR
Laborleistungen 640,30 EUR Telefon/Porto/Fax 9,00 EUR Summe 1870,86 EUR
Umsatzsteuer 19 % 355,46 EUR Gesamtsumme: 2226,32 EUR
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Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG, § 4 Abs. 4 S. 2 JVEG).
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