Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.08.2009

LSG NRW (wirtschaftliche leistungsfähigkeit, geburt, einkommen, kind, bezug, verfassungskonforme auslegung, berechtigte person, höhe, eltern, ziel)

Landessozialgericht NRW, L 13 EG 18/09
Datum:
26.08.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 13 EG 18/09
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 23 EG 10/08
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 10 EG 16/09 R
Sachgebiet:
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Köln vom 21.03.2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Höhe des Elterngeldes. Die Klägerin begehrt, dass ihr
Elterngeld nach dem Einkommen berechnet wird, das sie vor der Geburt ihres älteren
Kindes erzielt hat.
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Die am 00.00.1969 geborene Klägerin ist verheiratet und war bis zur Geburt ihrer
Tochter M am 00.10.2005 als Wirtschaftsprüfungsassistentin berufstätig. Seitdem
widmete sie sich der Erziehung ihrer Tochter und bezog im ersten Lebensjahr der
Tochter Erziehungsgeld. Am 00.08.2007 gebar sie ihr zweites Kind O. Seit dem
24.06.2007 hatte sie Mutterschaftsgeld bezogen.
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Am 30.10.2007 beantragte sie bei beim Rechtsvorgänger der Beklagten, dem
Versorgungsamt L, die Gewährung von Elterngeld aus vorangegangenem
Erwerbseinkommen für den 1. bis 12. Lebensmonat ihres Kindes O. Mit Bescheid vom
15.11.2007 gewährte ihr der Rechtsvorgänger der jetzigen Beklagten Elterngeld für die
Zeit vom 02.08.2007 bis 01.08.2008 und zwar für die Zeit vom 02.09. bis 01.10. in Höhe
von 12,50 EUR und für die Zeit vom 02.10.2007 bis 01.08.2008 in Höhe von monatlich
375 EUR; für die Zeit vom 02.08. bis 01.09.2007 ergebe sich kein Zahlbetrag. Zur
Begründung führte der Rechtsvorgänger der Beklagten aus, dass der Klägerin mangels
Einkommens im 12-monatigen Bemessungszeitraum vor der Geburt ihres Kindes nur
der Sockelbetrag in Höhe von 300 EUR zustehe zuzüglich des Geschwisterbonus von
75 EUR.
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Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie begehre, dass bei der
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Elterngeldberechnung ihr letzter Nettoverdienst herangezogen werde, da ihre beiden
Kinder innerhalb von 24 Monaten zur Welt gekommen seien. Diesen Widerspruch wies
die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2008 zurück. Eine
Verlängerung des 12-monatigen Bemessungszeitraums vor der Geburt des Kindes um
die für ein älteres Kind in Anspruch genommene Elternzeit kenne das Gesetz nicht.
Dagegen hat die Klägerin am 05.03.2008 Klage beim Sozialgericht Köln erhoben. Sie
hat die Auffassung vertreten, dass die im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
(BEEG) ausdrücklich vorgesehene Verlängerung des Bemessungszeitraums um den
Bezug von Elterngeld für ein älteres Kind auch in ihrem Fall entsprechend anzuwenden
sei. Der Gesetzestext sei dahingehend auszulegen, dass nicht nur der Bezug von
Elterngeld, sondern auch der Bezug von Erziehungsgeld darunter falle. Schließlich
verfolge das BEEG das Ziel, dass Familien die Kindererziehung ohne finanzielle
Einbußen übernehmen können. Hierfür sprächen auch Sinn und Zweck der Regelung,
der darin bestehe, Fälle zu privilegieren, in welchen zwei Kinder in sehr kurzem
Abstand (24 Monate) geboren worden seien. Andernfalls würde auch der allgemeine
Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt, da Eltern ohne
Elterngeldanspruch für das ältere Kind willkürlich schlechter gestellt würden als solche
Eltern mit Elterngeldanspruch für beide Kinder. Ihr Auslegungsergebnis werde also
auch durch eine verfassungskonforme Auslegung getragen. Die Klägerin hat ferner
Gehaltsbescheinigung aus der Zeit Januar bis Dezember 2005 mit regelmäßigen
Nettoeinkünften zwischen ca. 1.800 und 3.000 EUR vorgelegt (z.T. inklusive
Mutterschaftsgeld, Urlaubsabgeltung und Bonus).
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Mit Gerichtsbescheid vom 21.03.2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut führe nur der Bezug von Elterngeld für ein
älteres Kind zu einer Verlängerung des Bemessungszeitraums, nicht aber der Bezug
von Erziehungsgeld oder die Inanspruchnahme von Elternzeit. Das sei auch nicht
verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber bei steuerfinanzierten Leistungen einen
besonders weiten Gestaltungsspielraum habe. Das Elterngeld sei nur
Einkommensersatz und die Klägerin habe vor der Geburt ihres zweiten Kindes kein
Einkommen erzielt, das zu ersetzen sei. Anders als in dem im Gesetz vorgesehenen
Verlängerungsfall des vorangegangenen Elterngeldbezuges sei bei ihre durch die
Geburt des ersten Kindes eine weitgehend einkommenslose Zeit eingetreten, die eine
unterschiedliche Behandlung rechtfertige.
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Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
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Die Klägerin beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 21. 3.2009 aufzuheben und die
Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 15.11.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 5.2.2008 zu verurteilen, ihr Elterngeld berechnet nach
dem im letzten Jahr vor der Geburt des Kindes M erzielten Netto-Einkommen zu
gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
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Streitakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die angefochtenen
Bescheide nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres
Elterngeld. Die Beklagte hat das Elterngeld nach dem für die Höhe des Elterngeldes
gemäß § 2 BEEG maßgeblichen Bemessungszeitraum richtig bestimmt.
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Nach § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 7 S. 6, 1. Variante BEEG ist das Elterngeld nach dem
Einkommen der letzten 12 Kalendermonate vor dem Geburtsmonat unter
Ausklammerung von Monaten mit Mutterschaftsgeldbezug zu bemessen; das ist hier der
Zeitraum 01.06.2006 bis 31.05.2007. Denn das Kind O wurde im August 2007 geboren
und ab dem 24.06.2007 hatte die Klägerin Mutterschaftsgeld bezogen. In dieser Zeit
hatte die Klägerin kein Einkommen erzielt mit der Folge, dass der Sockelbetrag von 300
EUR aus § 2 Abs. 5 S. 1 BEEG zum Tragen kommt, zuzüglich des Geschwisterbonus
von 75 EUR aus § 2 Abs. 4 S. 1 BEEG.
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Für eine weitergehende Verschiebung des Bemessungszeitraums mit dem Ziel, an das
Erwerbseinkommen aus der Zeit vor der Geburt des älteren Kindes M anzuknüpfen,
enthält das BEEG keine Grundlage. Die in § 2 Abs. 7 S. 5 BEEG vorgesehene
Ausklammerung von Kalendermonaten, in denen die berechtigte Person vor der Geburt
des Kindes ohne Berücksichtigung einer Verlängerung des Auszahlungszeitraums nach
§ 6 Satz 2 BEEG Elterngeld für ein älteres Kind bezogen hat, ist im Falle der Klägerin
nicht einschlägig. Sie hat für ihr älteres Kind M kein Eltern-, sondern zunächst
Erziehungsgeld bezogen und sich ab dem 28.10.2006 in Elternzeit ohne Bezug von
Leistungen befunden. Angesichts des klaren Wortlauts der vorgenannten Bestimmung
scheidet es auch aus, diese auf die Elternzeit der Klägerin für ihr älteres Kind mit
teilweisem Erziehungsgeldbezug im Wege der (teleologischen) Auslegung
entsprechend anzuwenden. Denn jede Auslegungsmethode findet ihre Grenze im
klaren Wortlaut eines Gesetzes (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.02.2009 - B
10 EG 2/08 R -, Rn. 19 bei Juris m. w. N.). Abgesehen hiervon verfängt aber auch die
Argumentation der Klägerin nicht. Soweit sie die Auffassung vertritt, das BEEG verfolge
den Zweck, Familien die Kindererziehung ohne finanzielle Einbußen zu ermöglichen,
trifft dies nicht zu. Das BEEG bezweckt vielmehr, dass derjenige, der seine
Erwerbstätigkeit zu Gunsten eines Kindes ganz oder zum Teil unterbricht, einen an
seinem individuellen Einkommen orientierten Ausgleich für finanzielle Einschränkungen
im ersten Lebensjahr des Kindes und eine Unterstützung bei der Sicherung der
Lebensgrundlage der Familie erhält (BT-Drucks. 16/1889 S. 2).
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Auch eine richterrechtliche Rechtsfortbildung scheidet hier mangels "planwidriger
Regelungslücke" (BSG, a.a.O.). Denn der Gesetzgeber hat im Gesetzgebungsverfahren
das Problem erkannt, dass bei sehr kurzen Geburtenfolgen von bis zu 24 Monaten
wegen des Einkommensbezugszeitraumes von 12 Monaten vor der Geburt oder vor
Beginn des Mutterschaftsgeldbezuges kein neuer Elterngeldanspruch entstehen kann,
wenn Elternzeit in Anspruch genommen wird. Der Gesetzgeber hat sich gleichwohl
dafür entschieden, dieses Problem dadurch zu lösen, dass nur der Elterngeldbezug
(und nicht die Elternzeit an sich oder der Bezug von Erziehungsgeld) aus dem
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Einkommensbezugszeitraum herausgerechnet wird (BT-Drucks. 16/2785 S. 34, 37, 38;
s.a. vertiefend BSG a.a.O. Rn. 21 bei Juris). Die Folgen kurzer Geburtenabstände
werden vom BEEG zudem durch den Basisbetrag von 300 EUR, der nach § 2 Abs. 5 S.
2 BEEG auch bei fehlendem Einkommen im Bemessungszeitraum zu bewilligen ist,
sowie die Gewährung des Geschwisterbonus nach § 2 Abs. 4 S. 1 BEEG abgefedert
(BSG a.a.O.). Eine generelle Privilegierung kurzer Geburtenfolgen hat der Gesetzgeber
durch § 2 Abs. 7 S. 5 BEEG nicht bezweckt.
Dies begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insoweit schließt sich
der Senat der Auffassung des BSG im Urteil vom 19.02.2009 (a.a.O.) an. Insbesondere
verletzt die unterschiedliche Behandlung von Elternzeit und Erziehungsgeldbezug im
Vergleich zum Elterngeldbezug nicht den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1
Grundgesetz (GG).
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Die Gleichbehandlung von Personen, die vor der Geburt eines Kindes wegen der
Inanspruchnahme von Elternzeit für ein älteres Kind kein Einkommen erzielt haben, mit
solchen Personen, die nicht aus erziehungsbedingten Gründen ohne Einkommen
waren, ist sachlich gerechtfertigt. Das Elterngeld ist als Einkommensersatz gedacht und
die vorherige Erziehungs- und Betreuungsleistung wird (einheitlich) durch den
Sockelbetrag von 300 EUR und den Sockelgeschwisterbonus von 75 EUR honoriert,
was durch § 2 Abs. 6 BEEG, wonach bei Mehrlingsgeburten das Elterngeld um je 300
EUR erhöht wird, untermauert wird (BSG, a.a.O., Rn. 29 bei Juris).
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Gleichermaßen rechtfertigt sich die Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die nach
der Geburt des älteren Kindes wieder Einkommen erzielt haben, aus der
Einkommensersatzfunktion des Elterngeldes (BSG, a.a.O., Rn. 30 bei Juris).
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Schließlich ist auch die Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen, die im
unmittelbarem Anschluss an den Elterngeldbezug ein weiteres Kind bekommen,
gerechtfertigt. Diese Ungleichbehandlung liegt innerhalb des gesetzgeberischen
Gestaltungsspielraums bei der Gewährung familienfördernder Leistungen. Der
Gesetzgeber knüpft hier an die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der
Vergleichsgruppen an. Er berücksichtigt, dass derjenige, der Elternzeit ohne Elterngeld
in Anspruch nimmt, dies nur kann, weil der Unterhalt anderweitig gesichert ist und
belässt es für diese Gruppe insoweit sachlich gerechtfertigt bei den vorgenannten
Sockelbeträgen (BSG, a.a.O., Rn. 34 bei Juris).
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Letzteres gilt auch im Falle der Klägerin. Während des o.g. Bemessungszeitraums
befand auch sie sich in Elternzeit. Sie hat hierbei im Wesentlichen keine staatlichen
Leistugen bezogen. Lediglich für die Zeit vor dem 28.10.2006 hat sie Erziehungsgeld
erhalten. Dass dieser Zeitraum anders als der Bezug von Elterngeld nicht zu einer
Verschiebung des Bemessungszeitraums führt, bedeutet keine Ungleichbehandlung der
Klägerin. Der Gesetzgeber war nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht gehalten, den (vorherigen)
Bezug von Erziehungsgeld mit dem vorherigen Elterngeldbezug durch Ausklammerung
dieses Zeitraumes aus dem Bemessungszeitraum gleich zu behandeln. Art. 3 Abs. 1 GG
enthält (nur) das Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln
(BVerfGE 71, 255, 271). Insoweit gebietet Art. 3 Abs. 1 GG nicht, Erziehungs- und
Elterngeldbezug gleich zu behandeln. Denn beide Leistungen unterscheiden sich
wesentlich. Während das Erziehungsgeld unter der Voraussetzung der Unterschreitung
von Einkommensgrenzen für einen Zeitraum von bis zu 2 Jahren ohne Anknüpfung an
das vorherige Einkommen zu gewähren war, kann Elterngeld, dessen Höhe sich
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grundsätzlich nach dem Einkommen im Jahr vor der Geburt oder der Mutterschutzfrist
bemisst, grundsätzlich von allen Eltern für maximal 14 Monate beansprucht werden.
Dem Gesetzgeber ging es mit der Einführung des Elterngeldes darum, das
Erziehungsgeld mit dem Ziel abzulösen, (alle) Familien bei der Sicherung ihrer
Lebensgrundlage zu unterstützen und hierdurch die Wirkung finanzieller Leistungen für
Familien zu verbessern (BT-Drucks. 16/1889 S. 1 f.). Selbst wenn man eine
Ungleichbehandlung annehmen würde, so würde diese jedenfalls ihre Rechtfertigung in
dem vorgenommenen Systemwechsel mit in sich geschlossenem Konzept finden. Eine
andere Betrachtung durch Anknüpfung an ein länger zurückliegendes Einkommen (vor
dem ggf. zweijährigen Erziehungsgeldbezug) liefe auch dem Ziel des Gesetzgebers
entgegen, Anreize für einen schnellen Wiedereinstieg in das Berufsleben zu setzen
(Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.01.2009 - L 13 EG 36/08).
Zudem wird die Klägerin innerhalb der Gruppe der nach dem BEEG Berechtigten gleich
behandelt; sie wird nicht schlechter gestellt, als andere, die im Jahr vor der Geburt oder
des Beginns der Mutterschutzfrist einkommenslos waren, z. B. in Folge von
Arbeitslosigkeit oder Krankheit.
Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG vor. Auch hiernach darf der
Gesetzgeber bei der Ausgestaltung familienpolitischer Leistungen die unterschiedliche
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigen und es wird auch keinerlei Zwang auf
Eltern ausgeübt. Es werden lediglich Anreize gesetzt, die familienpolitischen Zielen,
aber auch fiskalischen Interessen des Staates dienen (schnellerer Wiedereinstieg ins
Erwerbsleben, BSG a.a.O., Rn. 35f. bei Juris).
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Der von der Klägerin begehrte Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht
kommt unter Berücksichtigung des Vorgenannten nicht in Betracht.
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Die Berufung konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
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