Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.09.2009

LSG NRW (antragsteller, weiterbildung, steuerberater, berufliche weiterbildung, tätigkeit, berufliche wiedereingliederung, sgg, notwendigkeit, antrag, förderung)

Landessozialgericht NRW, L 19 B 266/09 AS ER
Datum:
28.09.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 266/09 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 15 AS 164/09 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 03.09.2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
1
Der Antragsteller begehrt die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur
Förderung seiner Weiterbildung zum Fachredakteur/Wissenschaftsredakteur, hilfsweise
Online-Redakteur nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für
Arbeitsuchende (SGB II).
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Der ... geborene Antragsteller verfügt nach dem vorgelegten Lebenslauf über eine
abgeschlossene Berufsausbildung als ..., ein mit der Diplom-Prüfung abgeschlossenes
Studium der Betriebswirtschaftslehre und abgelegte Examina als Steuerberater sowie
als ... Bis 1990 war er als ... und Steuerberater selbständig tätig, von 1990 bis 1992 als
Gesellschafter-Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft, von 1990 bis 2002
als Gesellschafter-Geschäftsführer einer ...prüfungsgesellschaft, von 2003 bis 2007 als
Unternehmensberater.
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Seit dem 00.00.2007 bezieht er in Bedarfsgemeinschaft mit Ehefrau und einer
minderjährigen Tochter Leistungen nach dem SGB II.
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Mit Schreiben vom 27.02.2009 beantragte der Antragsteller die Übernahme der Kosten
für eine Weiterbildungsmaßnahme zum "Fachredakteur/Wissenschaftsredakteur" beim
n-Institut in L.
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Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27.03.2009 ab und wies den
Widerspruch des Klägers hiergegen mit Widespruchsbescheid vom 26.08.2009 zurück
mit der Begründung, die beantragte berufliche Weiterbildung sei nicht notwendig und
verbessere die Eingliederungschancen des Antragstellers nicht.
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Gegen den Bescheid vom 27.03.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 26.08.2009 hat der Antragsteller am 28.08.2009 Klage erhoben (S 15 AS 168/09,
SG Köln).
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Am 03.04.2009 beantragte der Antragsteller die einstweilige Verpflichtung der
Antragsgegnerin, die am 01. April 2009 beginnende Weiterbildung zum
Fachredakteur/Wissenschaftsredakteur bei dem n-Institut in L zu übernehmen (S 15 AS
58/09 ER, SG Köln). Der Antrag wurde zurückgenommen, nachdem Ermittlungen des
Sozialgerichts ergeben hatten, dass ein Folgelehrgang entgegen der ursprünglichen
Angabe des Antragstellers nicht nur jährlich, sondern bereits zum 01.10.2009 beginnt
und der am 01.04.2009 beginnende Lehrgang ausgebucht war.
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Mit Antrag an das Sozialgericht vom 24.08.2009 im vorliegenden Verfahren hat der
Antragsteller die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, die Kosten für
die ab dem 01.10.2009 beginnende Weiterbildung zum Fachredakteur/
Wissenschaftsredakteur beim n-Institut in L, hilfsweise die Kosten für die ab dem
01.10.2009 beginnende Weiterbildung zum Online-Redakteur bei der Freien
Journalistenschule in C zu übernehmen. Die Teilnahme an einer dieser Maßnahmen sei
für ihn erforderlich, um eine berufliche Wiedereingliederung in Form der Aufnahme einer
freiberuflichen Tätigkeit als Redakteur zu erreichen. Zu Unrecht wende die
Antragsgegnerin ein, für die Berufe der Steuerberater und ... lägen günstigere
Arbeitsmarktprognosen vor als für Redakteure. Die vorgelegten Zahlen bezögen sich
ausschließlich auf abhängig Beschäftigte. Für selbständig Tätige gebe es keine Zahlen.
Nach Auskunft eines Mitarbeiters des Ausbildungsinstituts seien die Chancen für die
Aufnahme einer freiberuflichen Redakteurstätigkeit gut.
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Die Antragsgegnerin hat vor dem Sozialgericht Arbeitsmarkterhebungen zu den Berufen
der Steuerberater und ... einerseits und zu Redakteuren andererseits vorgelegt, wonach
auch in Anbetracht des bei Ausbildungsabschluss fortgeschrittenen Lebensalters des
Antragstellers nicht mit verbesserten Berufsaussichten des Antragstellers zu rechnen
sei.
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Mit Beschluss vom 04.09.2009 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Auf die
Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.
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Gegen den am 05.09.2009 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des
Antragstellers vom 07.09.2009, mit der er die angestrebte Weiterbildung vom Redakteur
als notwendig für seine berufliche Neuorientierung und Reintegration in den ersten
Arbeitsmarkt ansieht. Ein Referent des n-Instituts beurteile die Aussichten als gut. Der
Antragsteller habe seine Tätigkeit als ... und Steuerberater bereits im Jahre 2002 wegen
einer längeren Erkrankung aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen und sei
auch weiterhin zur Wiederaufnahme einer Tätigkeit als ... und Steuerberater
gesundheitlich nicht in der Lage.
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Aus den vorgelegten Arbeitsmarktdaten für abhängig beschäftigte ... und Steuerberater
einerseits und Redakteure andererseits könnten keine Rückschlüsse auf den
Arbeitsmarkt für selbständig tätige Redakteure bzw. auf die Nützlichkeit seiner
Weiterbildung für diesen Tätigkeitsbereich geschlossen werden. Es gebe in
Deutschland ca. 40.000 freiberufliche Journalisten, zu deren Arbeitsmarkt die
Antragsgegnerin kein Datenmaterial vorgelegt habe.
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Zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die begehrte
vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin abgelehnt. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Anordnungsanspruch (Durchsetzbarkeit des geltend gemachten Anspruches im
Hauptsacheverfahren) und Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit der gerichtlichen
Regelung) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung - ZPO - ).
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Bereits am Vorliegen eines Anordnungsgrundes im Sinne einer Eilbedürftigkeit der
Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestehen deutliche Zweifel.
Nach den im vorhergehenden Verfahren S 15 AS 58/09 ER eingeholten Auskünften
sowie den Lehrgangsunterlagen im vorliegenden Verfahren beginnen die Maßnahmen,
an denen der Antragsteller teilzunehmen beabsichtigt, periodisch und mit hoher
Wahrscheinlichkeit mehrfach jährlich. Vor diesem Hintergrund ist zunächst nicht
ersichtlich, warum es dem Antragsteller nicht zuzumuten sein sollte, eine
Sachverhaltsaufklärung und Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.
Hinsichtlich der in Berlin stattfindenden Maßnahme ist zudem zum Zeitpunkt der
Entscheidung des Senats bereits zweifelhaft, ob der Antragsteller an dieser Maßnahme
überhaupt noch teilnehmen kann. Nach dem Schreiben des Maßnahmeträgers vom
21.08.2009 (Blatt 15 der Prozessakte) war eine verbindliche Anmeldung nur bis zum
10.09.2009 möglich.
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Jedenfalls aber ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
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Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 77 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches Drittes
Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung
durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn die Weiterbildung
notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende
Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses
die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist (Abs. 1 Nr. 1), vor Beginn der
Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist (Abs. 1 Nr. 2) und die
Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind (Abs. 1
Nr. 3). Anerkannt wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei Arbeitnehmern wegen
fehlendem Berufsabschlusses, wenn die Arbeitnehmer nicht über einen
Berufsabschluss verfügen (Abs. 2 Nr. 2), oder über einen Berufsabschluss verfügen,
jedoch aufgrund einer mehr als 4 Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- und
ungelernter Tätigkeit eine entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr
ausüben können (Abs. 2 Nr. 1).
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Entgegen der Beschwerdebegründung des Antragstellers ist die Notwendigkeit seiner
Weiterbildung nicht bereits im Hinblick darauf zu bejahen, dass er seine Tätigkeit als
.../Steuerberater seit mehr als 4 Jahren nicht mehr ausgeübt habe. Nach dem klaren
Wortlaut von § 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB III ist vielmehr weiter erforderlich, dass die
Unterbrechung in Form einer "an- oder ungelernten Tätigkeit" stattgefunden hat.
Insoweit ist vom Antragsteller derzeit weder plausibel vorgetragen noch sonst
ersichtlich, dass es sich bei der von ihm ausgeübten Tätigkeit als Unternehmensberater
in ... um eine Anlerntätigkeit oder eine Tätigkeit für ungelernte Kräfte gehandelt haben
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könnte. Sowohl dies wie auch die weiteren von der Antragsgegnerin und vom
Sozialgericht geäußerten Zweifel an einer Notwendigkeit der beruflichen Weiterbildung
des Antragstellers im Sinne des Gesetzes können jedoch im Ergebnis dahinstehen.
Sein Antrag scheitert jedenfalls daran, dass die Gewährung berufsfördernder
Maßnahmen im Ermessen der Antragstellerin steht (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, 2.
Auflage, § 16 Rdnr. 61; BSG SozR 4300 § 77 Nr. 1 Rdnr. 21; Beschluss des Senats vom
22.04.2009 - L 19 B 49/09 AS ER -).
Die einstweilige Verpflichtung des Leistungsträgers kommt in diesen Fällen nur in
Betracht, wenn entweder das Ermessen in der Weise geschrumpft ist, dass allein die
Leistungsgewährung rechtmäßig sein kann (Ermessensreduzierung auf Null) oder die
nachzuholende Ermessensentscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
zugunsten des Antragstellers ausgeht oder ohne die begehrte Regelungsanordnung
Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar ist (vgl.
Beschlüsse des Senats a.a.O. sowie vom 31.10.2008 - L 19 B 187/08 AS ER - m.w.N.).
Hiervon ist nach dem aktenkundigen und teils vom Antragsteller selbst vorgetragenen
Sachverhalt bislang keinesfalls auszugehen.
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Nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Arbeitsmarktdaten zum Berufsfeld der
.../Steuerberater einerseits und der Redakteure andererseits liegt die Wahrscheinlichkeit
einer Wiedereingliederung des Antragstellers im angestammten Berufsfeld, für das er
durch langjährige Ausbildung und Berufserfahrung qualifiziert ist deutlich höher als die
nach einer noch zu erwerbenden Qualifikation für das Berufsfeld der Redakteure, in dem
der Antragsteller, soweit ersichtlich, unerfahren ist, und das er sich nach Abschluss der
Ausbildung zum Redakteur im Alter von mindestens 63 Jahren erstmalig zu
Erwerbszwecken erschließen müsste.
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Dass die Antragsgegnerin bislang nur Arbeitsmarktdaten für abhängig Beschäftigte und
... und Steuerberater einerseits bzw. Redakteure andererseits vorgelegt hat und
möglicherweise für selbständig Tätige in beiden Berufsfeldern Vergleichszahlen nicht
zu ermitteln sind, gibt dem Antragsteller keine günstigere Rechtsposition.
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Denn der Antragsteller muss den Nachteil tragen, wenn ihm die Glaubhaftmachung der
Anspruchsvoraussetzungen nicht gelingt, weil insofern aussagekräftige
Tatsachenbelege nicht vorhanden sind.
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Auch die vom Antragsteller angegebenen Gesundheitsgründe für die Aufgabe und
fehlende Möglichkeit einer Wiederaufnahme seiner Berufstätigkeit als ... sprechen
gegen die Annahme, dass die Entscheidung für eine Förderung der Weiterbildung zum
Redakteur die einzige rechtmäßig in Betracht kommende Entscheidung sein könnte.
Nach allgemein zugänglichen berufskundlichen Informationen
(www.berufenet.arbeitsagentur.de/berufe/,Suchwort"Redakteur") sind die
Arbeitsbedingungen von Redakteuren körperlich und nervlich beanspruchend, durch
Überstunden und Wochenendarbeit sowie fast ständigen Termindruck gekennzeichnet.
Dies gelte besonders in Online-Redaktionen, was an dem schnellen Medium Internet
liege (a.a.O.).
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Hiernach scheidet zur Überzeugung des Senats eine Ermessensreduzierung auf Null
aus und ist nach Vorstehendem nicht glaubhaft gemacht, dass eine
Ermessensentscheidung zugunsten des Antragstellers ausgehen wird.
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Dem Antragsteller ist es zuzumuten, die Überprüfung des geltend gemachten
Anspruches im Hauptsacheverfahren abzuwarten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG endgültig.
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