Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.05.2000

LSG NRW: medikamentöse behandlung, ärztliche behandlung, neurotische fehlentwicklung, behandelnder arzt, reaktive depression, entlassung, suizidversuch, kausalität, zustand, berufskrankheit

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 10 (6) VS 72/96
17.05.2000
Landessozialgericht NRW
10. Senat
Urteil
L 10 (6) VS 72/96
Sozialgericht Dortmund, S 32 V 346/92
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
rechtskräftig
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund
vom 24.09.1996 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) wegen einer
Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit.
Der am 1952 geborene Kläger gehörte der Bundeswehr vom 01.04.1972 bis zu seiner
vorzeitigen Entlassung am 27.07.1972 als Wehrpflichtiger an.
Der Kläger hat keine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung. Nach dem Besuch
einer Sonderschule ohne Hauptschulabschluss begann er zunächst eine Kellnerlehre und
verrichtete anschließend Hilfsarbeiten im Straßenbau, in einer Metallfabrik und als Bote.
Vor seiner Einberufung zum Wehrdienst war er zuletzt als Kranführer bei der Fa. K tätig.
Seit 1971 war er in erster Ehe verheiratet. Im gleichen Jahr wurde sein erster Sohn
geboren.
In den Wochen der von ihm teilweise absolvierten Grundausbildung hat der K1äger nach
seinen Schilderungen unter einem rabiaten Kommandoton, beleidigenden Schikanen
seiner Kameraden und Vorgesetzten und unter der Abwesenheit von seiner Familie
gelitten. Am 10.05.1972 entfernte er sich von seiner Einheit und unternahm mit Tabletten
einen Selbsttötungsversuch. Er wurde daraufhin am 10.05.1972 im Katholischen
Krankenhaus U behandelt, dann der Inneren Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses H
zugewiesen und auf dessen Veranlassung am 23.05.1972 in der Neurologischen Klinik der
Städtischen Krankenanstalten D ambulant untersucht. Im Arztbrief der Neurologischen
Klinik vom 29.05.1972 heißt es:
" ... Der Pat. hat sicherlich bei vorhandener primärer Schlichtstruktur und Intelligenzbereich
an der unteren Normgrenze in reaktiv bedingter, durch die sozialen Umstände im
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wesentlichen mitdiktierte Impulsivhandlung sich in einer Apotheke Schlafmittel besorgt und
diese in suizidaler Absicht eingenommen. Naturgemäß ist die Ernsthaftigkeit eines
Suizidversuch immer sehr schwer zu beurteilen, aber es kann, ausgehend von den jetzt zu
treffenden Feststellungen die Möglichkeit einer Wiederholung nicht ausgeschlossen
werden, zumal sich der Patient von seinem Vorhaben überhaupt nicht distanziert hat. Wie
bereits an den diensthabenden Arzt Ihres Krankenhauses mitgeteilt, halten wir deswegen
die sofortige Verbringung auf eine geschlossene psychiatrische Abteilung für dringlich, da
Kriterien einer bestehenden Suizidalität nicht mit genügender Sicherheit ausgeschlossen
werden können."
Am 23.05.1972 wurde er in die Neurologisch-Psychiatrische Abteilung des
Bundeswehrkrankenhauses H verlegt und dort "stationär beobachtet, untersucht und
behandelt". Diagnostiziert wurden ein schwerer reaktiver Verstimmungszustand,
Demonstration einer suizidalen Handlung und übermäßig sensitive Primärpersönlichkeit.
Da der Kläger weiter "suicidal erschien", erfolgte aufgrund einer Unterbringungsanordnung
des Bezirksamtes A vom 08.06.1972 die Zwangseinweisung in die psychiatrische
Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses H-O. Als Grund der Einweisung ist vermerkt:
"Pat. ist hochgradig suicidal, egozentrisch und trotzig. In seinem jetzigen Zustand sind
weitere suicidal Absichten nicht ausgeschlossen."
Mit Schreiben vom 09.06.1972 beantragte die Psychiatrische Abteilung des Allgemeinen
Krankenhauses H-O de Aufrechterhaltung der Zwangsunterbringungsverfügung, weil es zu
einem erneuten Suicidversuch bei reaktiver Verstimmung gekommen sei. Mit Beschluss
vom 09.06.1972 ordnete das Amtsgericht H die Unterbringung des Klägers in einer
geschlossenen Abteilung einer Krankenanstalt bis zum 20.07.1972 an. Am 10.06.1972
entwich der Kläger aus dem Krankenhaus und meldete sich wieder bei seiner Einheit in
Unna.
Auf Veranlassung des Truppenarztes erstellte der Nervenfacharzt Professor Dr. N vom 28.
Juni 1972 ein neurologisches Gutachten über den Kläger und diagnostizierte einen
"Schwachsinn mittleren Grades, der als Debilität zu bezeichnen ist". Hierauf wurde der
K1äger am 27. Juli 1972 als dienstunfähig aus der Bundeswehr entlassen.
Nach seinem Wehrdienst hat sich der Kläger nach eigenen Angaben die Psychopharmaka,
die ihm erstmals von den Bundeswehrärzten verabreicht worden seien, privat besorgt.
Nachdem ihm diese Medikamente nicht mehr verschrieben worden seien, sei er
alkoholabhängig geworden.
Ab August 1972 war er zunächst wieder als Kranführer beschäftigt. Später hat er -
unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit - als Kraftfahrer gearbeitet und den
Hauptschulabschluss nachgeholt. Seit 1983 war er ganz überwiegend arbeitslos. Für die
Zeit ab Oktober 1992 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Ehe mit seiner
ersten Frau wurde 1987 geschieden. Von 1992 bis April 1996 war er in zweiter Ehe
verheiratet.
Im Januar 1991 hat der Kläger einen Antrag auf Versorgung nach dem SVG gestellt. Die
bei ihm vorliegende Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit seien auf die Belastungen
des Wehrdienstes, u.a. die hierdurch entstandenen vegetativen Störungen, Depression und
Suicidalität, zurückzuführen. Das Versorgungsamt zog vom Wehrbereichsgebührnisamt
Düsseldorf ärztliche Unterlagen über stationäre Behandlungen während der Wehrdienstzeit
bei und holte Auskünfte von der AOK Bochum und der AOK Duisburg ein. Aus den
Unterlagen der AOK Bochum folgt, dass der Kläger 1968/1969 nur wegen körperlicher
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Beschwerden (zB Schürfverletzung linker Unteram, Schlüsselbeinbruch, Kiefervereiterung)
behandelt worden ist. Der letzte Eintrag vor dem Wehrdienst datiert vom 21.11.1969 wegen
Stichverletzung re. 1.Zehe mit Lymphangitis am Fußrücken und dringendem Verdacht auf
Gelenkbeteiligung. Der erste Eintrag nach dem Wehrdienst ist zum 28.08.1973 "wegen
Lumbog. rechts" vermerkt. Anschließend sind bis 1985 eine Vielzahl von physischen
Erkrankungen behandelt worden. Eine Alkoholintoxation ist erstmals unter dem 05.10.1979
und als Alkoholabhängigkeit, Alkoholpsychosen und sonstige Affektionen der Leber wieder
unter dem 26.03.1985 vermerkt. Aus den Unterlagen der AOK Duisburg vom 25.04.1991
folgt, dass der Kläger sich ab 16.08.1991 (zutreffend wohl: 16.08.1990) laufend wegen
depressiver Verstimmung und depressiver Zustandsbilder in ärztlicher Behandlung
befindet. Im Bericht der Westfälischen Klinik für die Behandlung von Suchtkrankheiten St.
in W. vom 29.01.1991 beschreibt der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H - seinerzeit
zugleich behandelnder Arzt des Klägers - eine "Zwangsneurose mit asthenischer
Komponente und depressivem Verstimmungszustände; chronische Alkoholabhängigkeit
mit Entziehungserscheinungen und erheblicher Rückfallgefahr". In einer Bescheinigung
vom 09.04.1991 vertritt Dr. H ergänzend die Auffassung: "Die depressiven Störungen des
Betroffenen wurden bereits 1972 anlässlich eines Suizidversuchs während der Ableistung
seines Wehrdienstes festgestellt bei einer Begutachtung vom 28.06.72. Der Betroffene
wurde damals mit Tranquilizern behandelt, was zu einer Medikamentenabhängigkeit führt.
Nach Entlassung aus der Bundeswehr wegen seiner Erkrankung war der Hausarzt nicht
mehr in der Lage, die von dem Betroffenen geforderten Medikamente zu verschreiben. Der
Betroffene wich in Alkohol aus, was zusätzlich zu einer Alkoholabhängigkeit führte."
In dem Bericht des Bundeswehrkrankenhauses H vom 29.06.1972 ist wiedergegeben, dass
der Kläger nach eigenen Angaben häufig brutale Verfehlungen seines ständig
alkoholisierten Vaters erlebt und als Kind stark unter Angstzuständen gelitten habe. Im
Kurentlassungsgutachten der LVA Westfalen heißt es: "Aus psychiatrischer Sicht handelt
es sich bei dem Patienten um eine frühe narzißtische Persönlichkeitsstörung mit
Beeinträchtigung in mehreren frühen Phasen, wobei symptomatisch eine ängstlich-agitierte
Depression im Vordergrund steht. In den psychotherapeutischen Gesprächen wurden
zahlreiche z.T. sehr schwere Kränkungen in der frühen Kindheit von dem Patienten
beschrieben, wobei sich aus zahlreiche sadistische Akte der Eltern deutlich ausgewirkt
haben. Die damit verbundenen ausgeprägten z.T. diffusen Angstzustände konnte der
Patient in den späteren Lebensjahren nur durch ein ausgeprägtes Suchtverhalten in
Schach halten ..."
Das Versorgungsamt veranlasste eine nervenärztliche Begutachtung des Klägers. Im
Gutachten vom 14.10.1991 vertrat Dr. F die Auffassung, es sei nicht wahrscheinlich zu
machen, dass der beim Kläger vorliegende chronische Alkohol- und
Medikamentenmissbrauch mit toxischer Polyneuropathie und toxischem
Hirnstammschaden durch den kurzen Wehrdienst im Jahre 1972 verursacht worden sei.
Entsprechend seiner schlichten Persönlichkeit sei der Kläger praktisch nicht neurosefähig.
Gestützt hierauf lehnte das Versorgungsamt durch Bescheid vom 22.11.1991 den Antrag
ab. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, nach einem
Suizidversuch im Jahre 1972 sei er in mehreren Krankenhäusern der Bundeswehr mit
Psychopharmaka zwangsbehandelt worden. Hierdurch sei seine
Medikamentenabhängigkeit verursacht worden. Vor seiner Bundeswehrzeit habe er weder
Alkohol getrunken noch Tabletten zu sich genommen. Nach der Entlassung aus der
Bundeswehr sei er völlig verändert gewesen. Nach Einholung einer ergänzenden
Stellungnahme des Dr. F vom 11. August 1992 wies das Landesversorgungsamt
Nordrhein-Westfalen durch Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 1992 den Widerspruch
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zurück. Die medikamentöse Behandlung sei aus vitaler Indikation notwendig gewesen. Sie
wäre auch im zivilen Leben in gleicher Form durchgeführt worden. Wenn der Kläger nach
seiner Bundeswehrzeit sich Psychopharmaka besorgt und dem Alkohol zugesprochen
habe, handele es sich um eine persönlichkeitsbedingte Verhaltensweise.
Mit der am 23. November 1992 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Er hat die Auffassung vertreten, die menschenunwürdige Behandlung während seines
Wehrdienstes habe zu einer Depression mit einem Suizidversuch am 10.05.1972 geführt.
Im Bundeswehrkrankenhaus H habe er ihm nicht bekannte Tabletten und kleine Gläser mit
durchsichtiger Flüssigkeit bekommen, die nach Anis geschmeckt hätten. Bei deren
Einnahme sei er in sich zusammengesunken und habe für längere Zeit geschlafen.
Zimmernachbarn hätten ihm später mitgeteilt, dass er mehrere Tage nicht ansprechbar
gewesen sei. Sobald er wieder zu sich gekommen sei, habe er Spritzen bekommen und sei
erneut eingeschlafen. In der Zeit zwischen seinem Krankenhausaufenthalt und der
endgültigen Entlassung aus der Bundeswehr habe er wieder im Truppendienst
Verwendung gefunden. Trotz des aktiven Truppendienstes habe ihm der Truppenarzt
Librium 7,5 und 10 sowie Valium zur 4 mal täglichen Einnahme verordnet. Dies alles sei
unter Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht und entgegen der Regeln der ärztlichen
Kunst geschehen. Die von den Bundeswehrärzten vorgenommene medikamentöse
Behandlung habe seine Medikamentenabhängigkeit verursacht. Daraus sei seine
Alkoholabhängigkeit entstanden, die zur Erwerbsunfähigkeit geführt habe.
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 22. November 1991 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 1992 zu verurteilen, eine
Abhängigkeitserkrankung als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen sowie eine
Versorgungsrente zu zahlen; hilfsweise Frau Petra W als Zeugin zu hören.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise, zu den Behandlungen des Klägers durch seine Vorgesetzten bei der
Bundeswehr Beweis zu erheben.
Es hat die Auffassung vertreten, die Medikation mit Psychopharmaka sei kunstgerecht
erfolgt. Die Abhängigkeitserkrankung sei persönlichkeitsbedingt und nicht auf die Einflüsse
des Wehrdienstes zurückzuführen.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens vom 09. August 1994 von dem Arzt für Neurologie und
Psychiatrie Dr. H. Dieser hat eine "Angstneurose bei neurotisch-depressiver
Symptomatologie, Pseudoneurodermitis, Verdacht auf Psoriasis, Suchterkrankung (früher
Tranquilizer und Alkohol)" diagnostiziert und einen Kausalzusammenhang mit der "Ich-
abwertenden und beleidigenden Art der Vorgesetzten, die den Kläger mit seiner
schwachen Ich-Struktur in Angst und Panik versetzten" angenommen. Eine fehlerhafte
Behandlung durch die seinerzeit eingesetzten Tranquilizer hat der Sachverständige
verneint. Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat insbesondere darauf
hingewiesen, dass der Sachverständige auf differentialdiagnostische Erwägungen
verzichtet habe. Die Biographie des Klägers belege, dass eine schwere neurotische
Fehlentwicklung in der Kindheit mit einem sekundären chronischen Alkohol- und
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Medikamentenmissbrauch zu dem jetzigen schweren psychopathologischen Krankheitsbild
geführt habe. Die suizidale Handlung am 10.05.1972 sei Ausdruck der neurotischen
Fehlentwicklung seit der Kindheit mit hierdurch bedingter Frustrationsintoleranz. Eine
fehlerhafte truppenärztliche Behandlung sei nicht gegeben.
Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht sodann weiteren Beweis erhoben durch
Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.
H. Dieser hat die Auffassung vertreten (Gutachten vom 07.09.1995), dass der Kläger an
einer chronischen reaktiven depressiven Psychose mit starken Angstzuständen
(Panikattacken) leide. Die hiergegen verabreichten Medikamente hätten zur
Medikamentenabhängigkeit geführt. Als die Medikamente nicht mehr verordnet worden
seien, habe der Kläger diese durch Alkohol ersetzen müssen. Die brutalen Schikanen
seiner Vorgesetzen hätten die reaktive Depression verursacht. Die truppenärztliche
Behandlung sei fehlerhaft gewesen; sie hätte mit nicht suchtpotenten Antidepressiva
durchgeführt werden müssen. Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit wären dann nicht
aufgetreten. Nach dem Suicidversuch hätte der Kläger sogleich aus der Bundeswehr
entlassen werden müssen.
Hierzu hat der Beklagte eine Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.
W vom 30.04.1996 vorgelegt. Dieser hat darauf hingewiesen, dass die schweren
Persönlichkeitsstörungen und -veränderungen auf wehrdienstfremde Umstände, nämlich
die einfache Persönlichkeitsstruktur des Klägers und dessen ungünstige familiäre
Verhältnisse zurückzuführen seien. Bereits vor der Bundeswehrzeit habe der Kläger unter
Angstgefühlen, Kopfschmerzen, Schwindelanfällen und Schwarzwerden vor Augen sowie
einem nervösen Magenleiden gelitten. Extrembelastungen sei der Kläger im Wehrsdienst
nicht ausgesetzt gewesen. Sein süchtiges Verhalten habe bereits vor dem Wehrdienst
bestanden. Die Tranquilizerbehandlung sei fachgerecht erfolgt. Der Sachverständige H ist
in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05.06.1996 bei seiner zuvor geäußerten
Auffassung geblieben; die Stellungnahme des Dr. W. sei im übrigen nicht verwertbar und
unsinnig.
Hierauf hat Dr. M für den Beklagten nochmals dargelegt, dass die relativ kurzfristige
typische Belastung des Wehrdienstes zwar zu einer abnormen Reaktion führen könne,
jedoch nicht geeignet sei, anhaltende seelische Störungen zu verursachen, die über einen
längeren Zeitraum nach Wegfall der belastenden Umstände anhalten und zu schweren
Persönlichkeitsveränderungen mit Suchtverhalten führen.
Das Sozialgericht Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 24.09.1996 abgewiesen. Es hat
im wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe den Sachverständigen Dr. H und Dr. H ausführlich geschildert, durch
welches Verhalten seiner Vorgesetzten und Kameraden er im Rahmen seiner
Grundausbildung beleidigt und erniedrigt worden sei. Die Kammer glaube dem Kläger,
dass er unter einem rabiaten Kommandoton und unter der Abwesenheit von seiner Familie
gelitten hat. Ob seine Schilderungen im einzelnen zutreffen, inwieweit die Vorfälle von ihm
möglicherweise aufgebauscht dargestellt worden seien, könne auf sich beruhen. Hierüber
sei nicht, wie das beklagte Land es hilfsweise angeregt habe, Beweis zu erheben. Werde
zugunsten des Klägers unterstellt es habe sich alles so zugetragen, wie er es vorgebracht
habe, sei dennoch nicht wahrscheinlich, dass die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse
eine wesentliche Bedingung für die in der Zeit ab Antragstellung im April 1991 vorliegende
Abhängigkeitserkrankung gewesen sei. Wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen komme
allenfalls eine untergeordnete Bedeutung für die Entstehung der Abhängigkeitserkrankung
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zu. Die bereits vor dem Wehrdienst aufgetretene psychische Fehlentwicklung habe mehr
als die Belastungen des Wehrdienstes die Entstehung der Abhängigkeitserkrankung
begünstigt. Auf das Gutachten des Sachverständigen H könne sich der Kläger nicht mit
Erfolg stützen. Dieser habe die schweren frühkindlichen Belastungen nicht berücksichtigt
und sei auch im übrigen teilweise von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Auch dem
auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten des Dr. H vom 07.
September 1995 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05. Juni 1996 habe das
Gericht nicht folgen können. Die Überzeugungskraft leide bereits daran, dass Dr. H sich
nicht immer in der gebotenen sachlichen Weise mit den von seiner Auffassung
abweichenden Ansichten der beratenden Ärzte des beklagten Landes auseinandersetzt
habe. Entscheidend sei aber, dass er das Argument der Bedeutung der frühkindlichen
Schädigung für die Entstehung der Abhängigkeitserkrankung allein mit der Behauptung zu
widerlegen versucht habe, dass die frühkindlichen Erniedrigungen deshalb für das
Entstehen der Suchtkrankheit unerheblich gewesen seien, weil seine Geschwister, die
ebenso wie er u.a. unter Peitschenschlägen ihres Vaters gelitten hätten, nicht
abhängigkeitskrank geworden seien. Dieser Argumentation sei als Selbstverständlichkeit
entgegenzuhalten, dass Menschen nicht gleich seien und auf bestimmtes Verhalten auch
nicht gleich reagieren. Ähnlich leicht mache es sich Dr. H, wenn er den Alkoholkonsum des
Klägers vor seinem Wehrdienst mit der wirklichkeitsfremden Behauptung negiere, Alkohol
könne er damals nicht getrunken haben, weil er sonst seinen Beruf als Kranführer nicht
hätte ausüben können. Ein truppenärztliches Fehlverhalten sei nicht erkennbar. Die
wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse könnten allenfalls als sogenannte
"Gelegenheitsursache" für die Entstehung der Abhängigkeitserkrankung angesehen
werden. Ohne den Wehrdienst hätten auch nichtversorgungsrechtlich geschützte
Ereignisse jederzeit die Suchtkrankheit auslösen können.
Mit seiner fristgerecht erhobenen Berufung trägt der Kläger vor:
Es treffe nicht zu, dass er bereits vor dem Wehrdienst in erheblichen Mengen Alkohol zu
sich genommen habe. Bei seiner Musterung am 10.05.1971 habe er nur deshalb einen
Bierkonsum von 4 Flaschen/Tag angegeben, weil er gehofft habe, als "Alkoholiker" vom
Wehrdienst befreit zu werden. Er sei zu jenem Zeitpunkt frisch verheiratet gewesen und
habe zur Familiengründung Schulden aufgenommen. Deshalb habe er verhindern wollen,
zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Im übrigen könne die damalige Ehefrau Petra W
bestätigen, dass er vor dem Wehrdienst nur gelegentlich Alkohol getrunken habe,
Eheprobleme nicht vorhanden und eine psychische Fehlentwicklung nicht festzustellen
gewesen seien. Chronologisch stehe ohnehin fest, dass die Alkoholabhängigkeit der
Medikamentenabhängigkeit nachfolge. Das truppenärztliche Fehlverhalten ergebe sich
nicht nur aus dem Verabreichen von als Suchtmitteln bekannten Medikamenten wie Valium
und Librium, sondern auch daraus, dass die Ursachen seinerzeit nicht mittels
Gesprächstherapie bekämpft worden seien. Die menschenunwürdige Behandlung durch
die seinerzeitigen Vorgesetzten habe zu einer Depression mit Suizidversuch geführt. Wäre
er kunstgerecht behandelt worden, wäre seine Gesamtsituation im Rahmen einer
Gesprächstherapie hervorgetreten und er wäre unverzüglich aus dem Wehrdienst
entlassen worden. Die alleinige Medikation mit Suchtmitteln sei in dieser Situation
fehlerhaft gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24.09.1996 abzuändern und den Beklagten
unter Aufhebung der angefochten Bescheide zu verurteilen, eine Abhängigkeitserkrankung
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als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und hierfür Entschädigung zu leisten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben und den Bruder des Klägers sowie seine Schwestern
vernommen. Die seinerzeitige Ehefrau des Klägers hat die Zeugenaussage verweigert. Auf
den Inhalt der Sitzungsniederschriften vom 04.08.1997 und 15.07.1998 wird verwiesen.
Sodann hat der Senat weitere Unterlagen von den behandelnden Ärzten, des Klägers
beigezogen und ein Auskunft der Fa. K /H eingeholt. Weitergehende Bemühungen des
Senats, damalige Kameraden des Klägers zu ermitteln und ggf. als Zeugen zu vernehmen,
blieben erfolglos. Auf Anforderung des Senats hat schließlich der den Kläger behandelnde
Arzt und erstinstanzlich nach § 109 SGG angehörte Sachverständige H die von ihm
geführten Krankenunterlagen übersandt. Der Senat hat abschließend ein Gutachten des
Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. F, Chefarzt des A-Krankenhauses in K,
eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 28.04.1999 und der ergänzenden
Stellungnahme vom 29.12.1999 die Auffassung vertreten, dass die beim Kläger
"lebenslang bestehende kombinierte Persönlichkeitsstörung" nicht mit Wahrscheinlichkeit
auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen ist. Eine fehlerhafte
truppenärztliche Behandlung habe nicht vorgelegen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt
der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der Akten
der Bundesanstalt für Arbeit (Stammnummer), des Amtsgerichts Hamburg ( ), der LVA
Westfalen (Versicherungsnummer) sowie der Unterlagen des Instituts für
Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Zutreffend hat das Sozialgericht die gegen den Bescheid vom 22.11.1991 in der Gestalt
des Widerspruchbescheides vom 22.10.1992 gerichtete Klage abgewiesen. Diese
Bescheide sind rechtmäßig. Sie beschweren den Kläger nicht im Sinn des § 54 Abs. 2
SGG.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung nach dem SVG. Nach § 80 SVG erhält ein
Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des
Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der
Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der
Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Wehrdienstbeschädigung ist eine
gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während
der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst
eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs. 1 SVG).
Unter den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen sind die mit den besonderen
Gegebenheiten des Dienstes verknüpften Lebensbedingungen zu verstehen, die typische
Merkmale des Dienstes aufweisen und sich außerdem deutlich von denjenigen des
Zivillebens abheben. Mit diesem Tatbestand erfasst die Soldatenversorgung alle nicht
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näher bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes, die sich auch aus der besonderen
Rechtsnatur des Wehrdienstverhältnisses mit seiner Beschränkung der persönlichen
Freiheit des Soldaten ergeben (vgl. BSG vom 08.08.1984 in SozR 3200 Nr. 19 zu § 81
SVG). Zu den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen sind ferner besondere
Anforderungen an das Verhalten des Soldaten zu rechnen, wenn sie seine
Eigenverantwortung einschränken (z.B. BSG SozR 3200 § 81 Nr 11; BSG SozR 3200 § 81
Nr 15).
Der Kläger meint, seine derzeitigen psychischen Beeinträchtigungen seien
1. auf menschenunwürdiges Verhalten seiner Vorgesetzten bzw.
2. fehlerhafte Behandlung durch Ärzte der Bundeswehr bzw.
auf Veranlassung der Bundeswehr als wehrdiensteigentümliche Verhältnisse
zurückzuführen.
Dies ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu verneinen. Die Voraussetzungen des
§ 81 Abs. 1 SVG sind nicht erfüllt.
Zu 1.
a)
Dass vom Kläger behauptete - verkürzt - "menschenunwürdige Verhalten seiner
Vorgesetzten" ist im Sinn vorgenannter Grundsätze als dem Wehrdienst eigentümlich
anzusehen. Zur Klärung der Frage, welchen konkreten Belastungen der Kläger während
seines Wehrdienstes ausgesetzt war, hat der Senat versucht, Kameraden des Klägers zu
ermitteln und zu befragen. Dies ist erfolglos geblieben. Allerdings hat der Kläger den
Sachverständigen H und H ausführlich geschildert, welche Verhaltensweisen seiner
Vorgesetzten ihn bei der Bundeswehr aus welchem Grund belastet haben (schädigender
Vorgang). Der Senat nimmt insoweit auf die Gutachten der Sachverständigen H vom
09.08.1994 (hier: S. 108 ff GA) und H vom 07.09.1995 (hier: S. 224 ff GA) Bezug. Der Senat
sieht diese Ausführungen des Klägers als glaubhaft an. Der Kläger gibt hier sehr
differenziert Jahre zurückliegende Ereignisse wieder. Seine Schilderungen sind - soweit
von den Sachverständigen wiedergegeben - inhaltlich nicht deckungsgleich; dafür, dass
der Kläger gleichsam ständig wiederkehrend einen erlernten und realitätsfremden Text
referiert, sieht der Senat insbesondere auch angesichts des von allen Sachverständigen
beschriebenen eingeschränkten intellektuellen Leistungsvermögens des Klägers keinen
Anhalt. Im Gegenteil: Die nuancenreiche und teilweise emotional geprägte Darstellung der
Geschehnisse bei der Bundeswehr gegenüber den Sachverständigen belegt - insoweit -
die Glaubwürdigkeit des Klägers. Hieran zu zweifeln besteht auch deswegen kein Anlass,
weil der Beklagte die Darstellungen des Klägers zum Komplex "menschenunwürdiges
Verhalten der Vorgesetzten" jedenfalls im Berufungsverfahren nicht bestritten hat. Der
Senat unterstellt daher im weiteren das Vorbringen des Klägers in diesem Zusammenhang
als wahr. Eines weiteren Nachweises bedarf es damit nicht.
b)
Ein krankhafter Zustand während des Wehrdienstes ist u.a. durch die medizinischen
Unterlagen des Allgemeinen Krankenhauses H Oc, den Arztbrief der Neurologischen
Abteilung des St D., den Bericht der Inneren Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses H
sowie die Unterlagen der neurologisch-psychiatrischen Abteilung des
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Bundeswehrkrankenhauses H erwiesen. Danach wird der Kläger nach seinem
Suizidversuch vom 10.05.1972 als hochgradig suizidal beschrieben und eine depressive
Reaktion diagnostiziert.
c)
Diese Erkrankung muß auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen sein, um
die Qualität einer Primärschädigung im Sinn des § 81 Abs. 1 SVG zu erlangen
(haftungsbegründende Kausalität). Nach § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG genügt zur Anerkennung
einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung die Wahrscheinlichkeit
des ursächlichen Zusammenhangs. Diese reduzierte Beweisanforderung betrifft sowohl
den medizinischen Ursachenzusammenhang zwischen Schädigung und Schädigungsfolge
(haftungsausfüllende Kausalität) als auch den Zusammenhang zwischen dem
schädigenden Vorgang und der gesundheitlichen Schädigung, sog. haftungsbegründende
Kausalität (hierzu Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 1992, § 1 BVG Rdn. 64). Soweit
das BSG im Urteil vom 24.09.1992 - 9a RV 31/90 - die Auffassung vertreten hat, für die
Ursächlichkeit zwischen geschützter Tätigkeit und Schädigung sei der Nachweis
erforderlich, weil die Kausalkette im Entschädigungsrecht nicht bereits von der geschützten
Tätigkeit, sondern erst von dem schädigenden Vorgang ihren Ausgang nehme, folgt der
Senat dem nicht. Einer Auseinandersetzung hiermit bedarf es nicht, denn das BSG hat
seine Auffassung ausweislich der Entscheidung vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - (SozR
3-3200 § 81 SVG Rdn. 15) nunmehr ausdrücklich aufgegeben.
aa)
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senates fest, dass
die vom Kläger geschilderten menschenunwürdigen Zustände weder allein noch mit
anderen Ursachen den während des Wehrdienstes festgestellten krankhaften psychischen
Zustand wesentlich verursacht haben, sondern neben anderen Ursachen nur von
untergeordneter Bedeutung waren.
Hierzu geht der Senat von folgendem rechtlichen Ansatz aus:
Als rechtserheblich und damit als wesentlich sind nur solche Ursachen anzusehen, die
wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt
haben; sonstige Kausalreihen sind als Ursache auszuscheiden. Haben mehrere Umstände
zu einem Erfolg wesentlich beigetragen, so sind sie rechtlich gleichwertig
nebeneinanderstehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den
Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig sind. Kommt einer der Kausalreihen gegenüber
der anderen eine überragende Bedeutung zu, so ist sie allein Ursache im Rechtssinn (VV
Nr. 3 zu § 1 BVG; std. Rspr. vgl. schon BSGE 1,157). Dabei ist annähernd gleichwertig
nicht als prozentuales Maß zu verstehen; auch eine prozentual geringer zu bewertende
Bedingung kann für den Erfolg von erheblicher qualitativer Bedeutung und somit rechtlich
wesentliche Ursache sein (BSG SozR § 589 RVO Nr. 6; Erlenkämper, Sozialrecht, 1984, S.
76). Es können somit auch andere, schädigungsunabhängige Ursachen an dem Eintritt des
Erfolgs beteiligt sein, und zwar nicht nur entfernt, sondern gleichfalls rechtlich wesentlich,
ohne dass dadurch die rechtliche Relevanz der Kausalität aus dem geschützten
Risikobereich ausgeschlossen oder beeinträchtigt wird. Die Wesentlichkeit der
schädigungsbedingten Kausalität wird nur - aber auch immer dann - verdrängt und
ausgeschlossen, wenn die schädigungsbedingten Kausalfaktoren bei der gebotenen
Wertung in ihrer Bedeutung und Tragweite so eindeutig überwiegen, dass sie als die in
Wahrheit allein bedeutsame und damit auch rechtlich allein wesentliche Ursache des
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Erfolgs angesehen werden müssen. Ergibt die Abwägung, dass ein eindeutiges
Überwiegen der einen oder anderen der mitwirkenden Kausalketten nicht sicher festgestellt
bzw. überzeugend begründet werden kann, so müssen beide Kausalketten als rechtlich
gleichwertig, als annähernd gleichwertige Mitursache im Sinn der Rechtsprechung des
BSSG gewertet werden mit der Folge, dass die ursächliche Mitbeteiligung
schädigungsunabhängiger Faktoren die Rechtserheblichkeit der gleichfalls bestehenden
schädigungsbedingten Kausalität nicht ausschließt (Erlenkämper aa0).
bb)
Kausalreihen, die zum Erfolg (Primärschaden) beigetragen haben können, sind
problematische familiäre Verhältnisse, früher und intensiver Alkoholkonsum, schlechter
Schulerfolg, mangelhafter beruflicher Erfolg, 1968/1969 wiederholt Erkrankungen wegen
Schürfwunden, Schlüsselbeinbruch, Prellungen, Stichverletzungen, früher
Bindungswunsch, tablettenabhängige Ehefrau, häufige Handgreiflichkeiten des Klägers mit
seiner Ehefrau, ungewisse finanzielle Zukunft infolge von ca. 10.000 DM Schulden,
Trennung von Ehefrau und Kind infolge Einberufung zur Bundeswehr.
Die diesen Kausalreihen zugrundeliegenden Tatsachen sind überwiegend erwiesen. Die
familiären Verhältnisse seines Elternhauses schildert der Kläger selbst als desolat. Zwar
stehen dem die Bekundungen seiner Schwestern sowie seines Bruders entgegen. Danach
sei der Vater weder Alkoholiker gewesen, noch habe er sich brutal verhalten; die Familie
sei nicht sozial schwer geschädigt gewesen; die Schilderungen des Klägers seien
unrealistisch.
Angesichts dieser Sachlage ist der Nachweis, dass im elterlichen Haus schwierige soziale
Verhältnisse bestanden haben, nicht erbracht. Dies ändert aber nichts daran, dass der
Kläger die damalige familiäre Situation im Elterhaus so empfunden hat, wie von ihm
mehrfach beschrieben. Hierfür spricht, dass er bei einer Vielzahl von
Anamneseerhebungen die damalige familiäre Situation unter Nennung einer Reihe von
konkreten Vorkommnissen im Ergebnis als schwierig beschrieben hat. Lediglich nach der
von Dr. Z am 08.06.1972 erhobenen Anamnese hat der Kläger angegeben, in der Familie
habe es keine wesentlichen Schwierigkeiten gegeben. Da der Kläger mehrfach auf die
schwierige familiäre Situation hingewiesen und konkrete auffällige Verhaltensweisen
seines Vaters dargestellt hat, wertet der Senat die gegenteiligen Angaben gegenüber Dr. Z
indessen als situationsbedingt. Damit steht für den Senat fest, dass der Kläger die
familiären Verhältnisse im elterlichen Haus jedenfalls als schwierig empfunden hat. Das
wiederum genügt, um diese Kausalreihe zu berücksichtigen. Denn maßgebend ist allein,
ob in der Person des Klägers eine Kausalreihe "angelegt" ist, die den konkreten Erfolg
mitverursacht haben kann.
Einen auffälligen Alkoholkonsum vor dem Wehrdienst bestreitet der Kläger. Dem steht
jedoch der Inhalt des Gutachtens vom 27.10.1986 entgegen. Ausgehend von den Angaben
des Klägers hat der seinerzeit behandelnde Arzt Dr. H in der Rubrik "Vitalanamnese"
referiert, dass der Kläger schon mit 14 Jahren mehrfach volltrunken gewesen und von der
Polizei aufgelesen worden sei; ab dem 15. Lebensjahr habe er periodisch in erheblicher
Weise dem Alkohol zugesprochen, so dass er sich als alkoholabhängig bezeichnen
müsse. Dem entspricht es, wenn der Kläger ausweislich des Anamnese im Martin-Luther-
Krankenhaus am 12.04.1985 angegeben hat, "seit 18 Jahren Alkoholabusus (18-20 Dosen
Bier und Schnaps)". Seine im Termin vom 15.07.1998 angehörten Schwestern haben dies
zwar nicht bestätigen können, sie haben dies aber auch nicht bestritten, sich vielmehr nur
erstaunt darüber geäußert, dass dies so sei und sie hiervon nichts bemerkt hätten.
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Der schlechte Erfolg in der Schule sowie der mangelhafte berufliche Erfolg sind
nachgewiesen durch wiederholte eigene Angaben des Klägers gegenüber den
Sachverständigen und seinem behandelnden Arzt Dr. H.
Der frühe Bindungswunsch wird von den Sachverständigen aus der familiären
Vorgeschichte sowie der Tatsache der relativ frühen Heirat hergeleitet. Dieser Wertung tritt
der Senat bei.
Dass die erste Ehefrau bereits bei der Heirat (1971) tablettenabhängig gewesen sei, folgt
nach dem Entlassungsbericht der D Klinik Bad B vom 20.03.1991 aus den eigenen
Angaben des Klägers. Später hat der Kläger dies relativiert. Danach soll die Ehefrau bei
Heirat noch nicht tablettenabhängig gewesen sein, sie habe erst lange nach seiner
Entlassung aus der Bundeswehr Valium und ähnliche Tabletten genommen. Die Ehefrau
konnte hierzu im Termin vom 08.04.1997 nicht vernommen werden; sie hat die Aussage
verweigert. Demzufolge kann der Senat diese Kausalkette mangels Nachweises der
zugrundeliegenden Tatsachen im folgenden nicht weiter berücksichtigen.
Die Handgreiflichkeiten mit seiner ersten Ehefrau hat der Kläger selbst geschildert (hierzu
der Entlassungsbericht der D Klinik B B vom 20.03.1991); er hat sie späterhin auch nicht
bestritten.
Die Schulden sieht der Senat aufgrund eigener Angaben des Klägers als belegt an.
cc)
Ob die nachgewiesenen schädigungsfremden oder schädigungsbedingten Faktoren den
Erfolg (Primärschaden) wesentlich verursacht haben, wird von den Sachverständigen
unterschiedlich beurteilt.
Das Sozialgericht hat angesichts der schädigungsfremdem Kausalreihen die Auffassung
vertreten, dass die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse allenfalls nur von
untergeordneter Bedeutung für die Abhängigkeitserkrankung des Klägers sind. Dem tritt der
Senat aus den vom Sozialgericht genannten Gründen nach eigener Überprüfung und
Überzeugung bei (§ 153 Abs.2 SGG). Der Senat sieht sich hierin durch die Darlegungen
des Sachverständigen F bestätigt, der einen schädigungsbedingten Kausalzusammenhang
verneint. Zutreffend hat das Sozialgericht auch darauf hingewiesen, dass der Kläger sich
nicht mit Erfolg auf das Gutachten des Sachverständigen H stützen kann. Dieser hat zwar
die Auffassung vertreten, die neurotische Persönlichkeitsentwicklung sei durch die
Erniedrigungen während der Grundausbildung ausgelöst worden. Dies überzeugt indes
nicht. Das Gutachten des Sachverständigen ist differentialdiagnostisch unzureichend. Er
hat es versäumt, verschiedene in Betracht kommende Ursachenreihen zu prüfen und zu
werten und ist deswegen zu einem rechtlich unzutreffend Ergebnis gelangt. Er hat
insbesondere die schweren frühkindlichen Belastungen des Klägers nicht berücksichtigt
und ist auch im übrigen zum Teil von falschen Voraussetzungen ausgegangen, indem er
seiner Beurteilung unkritisch die nicht zutreffende Angabe des Klägers zugrundegelegt hat,
als Kind keine Lernschwierigkeiten gehabt zu haben. Er ist auch nicht darauf eingegangen,
dass der Kläger bereits bei der Musterungsuntersuchung einen erheblichen
Alkoholkonsum mitgeteilt hat. Zudem hat der Sachverständige nicht berücksichtigt, dass
der Kläger bereits weit vor der Bundeswehrzeit im Alter von ab 15 Jahren in erheblichem
Maß Alkohol zu sich genommen hat.
Auch das Gutachten des Sachverständigen H ist aus den vom Sozialgericht genannten
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Gründen, denen sich der Senat anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG), nicht beweiskräftig. Im
übrigen enthält es fehlerhafte Ausführungen. Der Sachverständige meint, aus den Angaben
des Klägers folgern zu können, dass dieser erst nachdem er zur Bundeswehr eingezogen
worden sei, an einer Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit gelitten habe (S. 49 des
Gutachtens). Der Sachverständige hat dabei nicht berücksichtigt, dass er selbst im
Gutachten vom 27.10.1986 in der Rubrik "Vitalanamnese" referiert hat, der Kläger sei
schon mit 14 Jahren mehrfach volltrunken gewesen und von der Polizei aufgelesen
worden; ab dem 15. Lebensjahr habe er periodisch in erheblicher Weise dem Alkohol
zugesprochen, so dass er als alkoholabhängig zu bezeichnen sei.
Im Einklang mit der Beurteilung des Sachverständigen F steht damit für den Senat fest,
dass die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse keine wesentliche Bedingung für den
depressiven Zustand waren, in dem der Kläger die suizidale Handlung am 10.05.1972
durchgeführt hat. Überwiegende Bedeutung haben vielmehr die von den Sachverständigen
H und H nicht hinreichend erkannten pathologischen Persönlichkeitsmerkmale des
Klägers.
d)
Zu keinem anderen Ergebnis führt die Anwendung der AHP 1996 Ziffer 71 (S. 251). Durch
psychische Traumen bedingte Störungen kommen hiernach sowohl nach langdauernden
psychischen Belastungen (zB Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatswidriger Haft in der
DDR) als auch bei relativ kurzdauernden Belastungen (zB bei Geiselnahme) in Betracht,
sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein
verbunden waren. Bei Würdigung der Art und des Umfangs der Belastungen ist also nicht
nur zu beachten, was der Betroffene erlebt hat, sondern auch, wie sich die Belastungen bei
ihm nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben.
Ob die wehrdiensteigentümliche Umstände wesentlich zu einer kurzfristigen reaktiven
Störung geführt haben (vgl. AHP aaO), mag dahinstehen. Nach den Ausführungen des
Sachverständigen F ist dies zu verneinen. Gegen eine anhaltende und chronifizierte
Störung im Sinne der AHP aaO infolge der wehrdiensteigentümlichen Umstände spricht
entscheidend, dass der Kläger sich erstmals rund 13 Jahre nach Entlassung aus dem
Wehrdienst am 26.03.1985 wegen Alkoholhängigkeit und Alkoholpsychosen in ärztliche
Behandlung begeben hat. Zudem hat er nach Entlassung aus dem Wehrdienst noch
jahrelang gearbeitet und ist erst seit 05.05.1994 auf Dauer erwerbsunfähig. Hinzu kommt,
dass seit der Entlassung aus dem Wehrdienst zudem eine Reihe von Umständen
nachgewiesen sind, die die derzeitige Gesundheitsstörung mit verursacht haben können.
Am 18.04.1996 wurde die zweite Ehe des Klägers geschieden. Nach der Bundeswehrzeit
hat der Kläger bei der Fa. K unter Medikamenteneinwirkung Unfälle gehabt und ist
entlassen worden. Wegen seines Alkoholkonsums hat er anschließend keine Stelle halten
können.
e)
Im übrigen kann das Berufungsbegehren auch aus einem anderen Grund keinen Erfolg
haben. Das BSG hat die Auffassung vertreten, daß anders als im Recht der
Berufskrankheiten mit § 551 Abs. 1 RVO iVm der jeweiligen BKVO im
Soldatenversorgungsrecht für Wehrpflichtige normative Vorgaben dafür fehlen, unter
welchen Voraussetzungen eine wehrdiensttypische Gefahrenerhöhung anzuerkennen sei.
Deshalb sei im Einzelfall zu prüfen, ob "wehrdiensteigentümliche Verhältnisse" als
Ursache in einem Maße vorliegen, dass andere Ursachen in den Hintergrund treten
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würden. Hierbei sei das Berufskrankheitenrecht Vorbild (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 3 und
Urteil vom 24.09.1992 - 9a RV 31/90). Daher sei wegen einer nicht auf einem plötzlichen
Ereignis beruhenden Krankheit Soldatenversorgung nur zu gewähren, wenn diese
Krankheit entweder nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung als
Berufskrankheit zu entschädigen sei oder außerordentliche, kriegsähnliche Belastungen
festgestellt werden könnten, die eine "Kann-Versorgung" rechtfertigten (BSG vom
10.11.1993 - 9/9a RV 41/92 - SozR 3- 3100 § 81 SVG Nr. 9). Für unfallabhängige
Krankheiten müsse auf andere Abgrenzungskriterien als für plötzliche Ereignisse
zurückgegriffen werden. Krankheiten würden regelmäßig nicht auf ein äußeres Geschehen
im Zusammenhang mit dem Wehrdienst beruhen, sich vielmehr aufgrund vielfältiger
Einflüsse, denen der Einzelne im Laufe seines Lebens ausgesetzt sei, entwickeln. Als
Mitursachen kämen zB die persönliche Lebensweise, Erbanlagen und mannigfache
Umwelteinwirkungen in Betracht. Der Wehrdienst könne auf dieses Geschehen ebenso
(mit)ursächlich einwirken, wie auch für sich allein Schäden herbeiführen. Verlässliche
Kriterien zur sicheren Abgrenzung wehrdienstbedingter Faktoren von anderen könne die
medizinische Wissenschaft weithin nicht ausreichend liefern. Vor denselben
Schwierigkeiten stehe die gesetzliche Unfallversicherung. Auch dort seien die Grenzen des
versicherungsrechtlich geschützten Bereichs bei einem äußerlich im allgemeinen leicht
erkennbaren Unfallgeschehen anderes zu ziehen als bei einer (Berufs)Krankheit. Die
Rechtsprechung zum SVG habe deshalb schon früh an das Recht der Berufskrankheiten
angeknüpft, um schicksalhafte Erkrankungen aus dem versorgungsrechtlich geschützten
Bereich auszugrenzen (vgl BSGE 37, 282, 283 = SozR 3200 § 81 Nr 1). Anders als bei
Unfällen habe sie eine besondere Gefährdung ver langt. Wehrdiensteigentümlich seien bei
Erkrankungen außergewöhnliche Verhältnisse nur, wenn sie den Eigenarten des
Wehrdienstes entsprechen und über durchschnittliche Belastungen im Zivilleben hinaus
gehen würden (BSG SozR 3200 § 81 Nr 31). Auch wegen einer Berufskrankheit werde nur
entschädigt, wer "berufseigentümlich" einer erhöhten Gesundheitsgefährdung ausgesetzt
gewesen sei. Als Berufskrankheit seien grundsätzlich nur solche Krankheiten
anzuerkennen, die durch besondere Einwirkungen verursacht werden, denen bestimmte
Personengruppen in erheblich höherem Grade ausgesetzt seien als die übrige
Bevölkerung (BSG SozR § 551 Abs 1 S 3 RVO). Eine Anerkennung als Berufskrankheit sei
grundsätzlich nur möglich, wenn sie sich typischerweise durch berufliche Einwirkung
entwickelt habe. Ob bestimmte Einwirkungen typischerweise eine bestimmte Krankheit
herbeiführen, werde in der Unfallversicherung nicht aufgrund von Ermittlungen durch
Verwaltung und Gerichte im Einzelfall festgestellt, sondern nach umfassenden Ermittlungen
vom Gesetzgeber allgemein durch Verordnung entschieden. Sei ein Soldat im Dienst
Einwirkungen ausgesetzt gewesen, die im Unfallversicherungsrecht zu der Erkenntnis
geführt hätten, dass sie das Krankheitsrisiko in auffallender Weise erhöhen und ist die
Krankheit deshalb in die Berufskrankheitenverordnung (BKVO) aufgenommen worden sei,
so würden diese Einwirkungen auch wehrdiensteigentümlich sein (BSG vom 05.05.1993 -
9/9a RV 25/92 -).
Die depressive Störung (Primärschädigung) des Klägers ist nach diesen vom BSG
entwickelten Grundsätzen nicht durch wehrdiensteigentümliche Umstände herbeigeführt
worden. Ein akutes psychisches Trauma hat der Kläger nicht vorgetragen und der Senat
nach dem Ergebnis der Ermittlungen auch nicht feststellen können. Allenfalls könnte der
psychische Zustand durch eine Reihe von belastenden Momenten herbeigeführt worden
sein. Das würde in der Unfallversicherung zur Anspruchsbegründung nicht ausreichen
(BSG SozR 2200 § 548 Nr 71), es sei denn, der psychische Zustand selbst könnte als
Berufskrankheit anerkannt werden. Das ist nicht der Fall. Weder die depressiv reaktive
Störung (1972) noch die derzeitige kombinierte Persönlichkeitsstörung sind in der Anlage
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zur BKVO (Stand 31.10.1997) aufgeführt.
Zu 2. fehlerhafte ärztliche Behandlung Wehrdiensteigentümlich ist sowohl die
truppenärztliche Behandlung wehrdienstbedingter wie auch wehrdienstunabhängiger
Gesundheitsstörungen; wehrdiensteigentümlich ist in diesem Zusammenhang die
psychologische Zwangslage des Soldaten, die besondere Verpflichtung, sich gesund zu
halten, und vor allem der Ausschluss der freien Arztwahl im Rahmen der Heilfürsorge (LSG
Bayern vom 22.06.1989 in Meso B 290/149 mwN). Ausgehend hiervon ist auch die
ärztliche Behandlung im Allgemeinen Krankenhaus H - O eine truppenärztliche
Behandlung; hierfür genügt es, wenn diese Behandlung - wie hier - truppenärztlich
veranlasst worden ist (vgl. LSG Bayern aaO). Unerheblich ist hierbei, ob die depressive
Reaktion schädigungsbedingt oder schädigungsfremd entstanden ist. Das
Berufungsbegehren hätte insoweit Erfolg, wenn die damalige Behandlung a) nicht
kunstgerecht durchgeführt worden wäre oder aber b) Aufklärungsfehler (hierzu LSG Bayern
aaO) festgestellt werden könnten. Beides ist nicht der Fall.
Schon der im Verwaltungsverfahren gehörte Nervenarzt Dr. F hat hierzu die Auffassung
vertreten, die Selbstmordabsichten des Klägers hätten eine intensive
psychopharmakologische Behandlung aus vitaler Indikation notwendig gemacht; bei
Unterlassung einer solchen Therapie hätten die Krankenhausärzte ihre Garantenpflicht
gröblichst verletzt; die medikamentöse Behandlung sei medizinisch indiziert, vital
notwendig und dem damaligen Stand der Pharmakotherapie entsprechend gewesen.
Gleichermaßen hat der beratende Arzt des Beklagten Dr. H ausgeführt, dass die
Unterlassung einer medikamentösen Behandlung und ein daraus resultierender
erfolgreicher Suizid kunstfehlerhaft gewesen wäre; eine vorübergehenden Medikation
könne nicht die Ursache für einen aggressiven Alkoholabusus sein. Selbst der
Sachverständige Dr. Hu hat sich den Ausführungen des beratenden Arztes Dr. H
angeschlossen und gemeint, es bestehe kein Hinweis auf eine fehlerhafte Behandlung
durch die damalige Anwendung der Tranquilizer. Der beratende Arzt Dr. M stimmt dem zu.
Lediglich der Sachverständige Dr. H wertet die truppenärztliche Behandlung als fehlerhaft.
Der Senat misst der Einschätzung des Sachverständigen H allerdings keine beweiskräftige
Bedeutung bei. Seine gutachterlichen Ausführungen sind - wie dargestellt - emotional
geprägt; die von einem Sachverständigen zu erwartende gutachterliche Neutralität ist nicht
gegeben. Entscheidende Bedeutung kommt damit der Wertung des Sachverständigen Prof.
F zu, der die Behandlungen nach dem Suizidversuch als fachgerecht ansieht; die
kurzzeitige Gabe von Medikamenten sei wegen der damals vorhandenen schweren
depressiven Verstimmung sachlich gerechtfertigt gewesen, eine spätere
Medikamentenabhängigkeit könne hieraus sicher nicht abgeleitet werden. Dem folgt der
Senat angesichts der insoweit übereinstimmenden Einschätzung mit allen anderen im
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten Ärzten. Sonach steht fest: Die ärztliche
Behandlungen im Bundeswehrkrankenhaus H und im Allgemeinen Krankenhaus O waren
sachgerecht.
Eine Verletzung der Aufklärungspflicht lässt sich schon deswegen nicht feststellen, weil die
"Zwangsbehandlung" im Allgemeinen Krankenhaus O auf einem Unterbringungsbeschluss
des Bezirksamtes A vom 08.06.1972 beruht. Infolge eines erneuten Suizidversuchs hat die
Gesundheitsbehörde am 09.06.1972 die Aufrechterhaltung der Zwangsunterbringung gem.
§ 13 SOG beantragt. Das Amtsgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 09.06.1972 die
Unterbringung des Klägers in einer geschlossenen Abteilung einer Krankenanstalt bis zum
20.07.1972 für vorläufig zulässig erklärt.
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Bei dieser Sachlage ist es - entgegen der Auffassung des Klägers - ausgeschlossen, dass
den behandelnden Ärzten des Krankenhauses O eine Aufklärungspflicht obliegt, die
üblichen zivilrechtlichen Grundsätzen, bezogen auf eine herkömmliche
Krankenhausbehandlung, entspricht. Um weitere Suzidversuche zu verhindern, musste die
Behandlung nötigenfalls auch gegen den Willen des Klägers durchgeführt werden.
Die Berufung konnte nach alldem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.