Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.05.2008

LSG NRW: vorläufiger rechtsschutz, kündigung, heizung, erlass, nebenkosten, miete, betriebskosten, mietvertrag, räumung, vorschuss

Landessozialgericht NRW, L 9 B 79/08 AS ER
Datum:
21.05.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 9 B 79/08 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 20 AS 26/08 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 25.03.2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind
nicht zu erstatten.
Gründe:
1
I.
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Der Antragsteller begehrt im vorliegenden Verfahren von der Antragsgegnerin die
Bewilligung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.01.2006
bis zum 30.11.2007. In einem weiteren beim Senat anhängigen Verfahren macht er
entsprechende Leistungen für die Zeit ab dem 01.12.2007 geltend (L 9 B 77/08 AS ER).
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Der 1948 geborene alleinstehende Antragsteller bewohnt seit 1981 eine 53,24 qm
große Einzimmerwohnung. Die Kaltmiete beträgt 312,48 EUR. Für Neben- und
Heizkosten erbringt der Antragsteller eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von
monatlich 180,00 EUR. Seit dem 01.01.2005 bezieht der Antragsteller Leistungen nach
dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Die Antragsgegenerin wies den
Antragsteller bereits bei der Erstbewilligung darauf hin, dass ihres Erachtens die Kosten
der Unterkunft unangemessen hoch seien. Seit dem 01.07.2005 zahlte sie Kosten der
Unterkunft nur in der von ihr für angemessen gehaltenen Höhe von 361,00 Euro (325,00
Euro Miete inklusive Nebenkosten, 36,00 Euro Heizkosten). Der Antragsteller hat bereits
mehrere Verfahren hinsichtlich der Höhe der übernahmefähigen Kosten der Unterkunft
beim Sozialgericht Köln (SG) und beim Landessozialgericht (LSG) geführt. Derzeit sind
vor dem LSG noch die Hauptsacheverfahren L 9 AS 68/06 betreffend den Zeitraum
01.01. bis 30.06.2005 und L 9 AS 5/06 betreffend den Zeitraum 01.07. bis 31.12.2005
anhängig.
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Mit Bescheid vom 04.06.2007 bewilligte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 01.06. bis
30.11.2007, abweichend von den seit Juli 2005 jeweils bewilligten 706,00 Euro,
Leistungen nur noch in Höhe von 670,00 EUR für Juni 2007 bzw. jeweils 672,00 EUR
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für die Monate Juli bis November 2007. Die Antragsgegnerin wies den Antragsteller
darauf hin, dass die Bewilligung vorläufig ohne Berücksichtigung der Heizkosten
erfolge. Mit Schreiben vom gleichen Tage forderte sie den Antragsteller auf, bis zum
15.06.2007 eine Mietbescheinigung vorzulegen, damit die Höhe der angemessenen
Kosten für Unterkunft und Heizung berechnet werden könne. Am 17.08.2007 legte der
Antragsteller die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2006 vor. Mit Bescheid vom
05.09.2007 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Da die Höhe der
Heizkosten derzeit noch nicht feststehe, sei die Antragsgegnerin berechtigt, bis zur
Vorlage einer Mietbescheinigung einen Vorschuss zu erbringen.
Mit zwei Bescheiden vom 13.12.2007 bewilligte die Antragsgegnerin dann Heizkosten
in Höhe von monatlich 36,00 Euro für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 30.11.2007 und
für die Zeit vom 01.12.2007 bis zum 31.05.2008. Zur Begründung seines am 17.01.2008
erhobenen Widerspruchs gegen den die Zeit vom 01.12.2007 bis zum 31.05.2008
regelnden Bescheid vom 13.12.2007 trug der Antragsteller vor, dass ihm Miete und
Mietnebenkosten in tatsächlicher Höhe zu gewähren seien. Außerdem sei der
Bewilligungszeitraum auf die Zeitspanne von einem Jahr zu verlängern.
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Am 18.01.2008 erließ die Antragsgegnerin insgesamt fünf Bescheide, mit denen sie
jeweils monatliche angemessene Heizkosten in Höhe von 39,96 Euro bewilligte. Die
einzelnen Bescheide regelten die Zeiträume vom 01.01.2006 bis zum 31.05.2006, vom
01.06.2006 bis zum 30.11.2006, vom 01.12.2006 bis zum 31.05.2007, vom 01.06.2007
bis zum 30.11.2007 und vom 01.12.2007 bis zum 31.05.2008.
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Gegen diese Bescheide erhob der Antragsteller am 27.01.2008 Widerspruch. Die
Änderung der Kosten für Unterkunft und Heizung von 361,00 Euro auf 364,96 Euro sei
unschlüssig. Heiz- und Nebenkosten seien nach der tatsächlich angefallenen Höhe
angemessen. Er habe bereits mit seinem Erstantrag vom 29.12.2004 die Bewilligung
von Leistungen für Mietaufwendungen in Höhe von 532,48 Euro (312,48 Euro Miete,
180,00 Euro Nebenkosten, 40,00 Euro Stromkosten) geltend gemacht. Diese
Aufwendung seien von ihm nachgewiesen worden. Bewilligt worden seien bisher aber
nur 364,96 Euro (325,00 Euro Miete inklusive Nebenkosten und 39,96 Euro für
Heizung). Dies sei ermessensfehlerhaft.
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Mit Bescheid vom 06.02.2008 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch gegen den
die Zeit vom 01.12.2007 bis zum 31.05.2008 regelnden Bescheid vom 13.12.2007 in der
Fassung des Bescheides vom 18.01.2008 zurück. Bereits seit dem 01.07.2005 würden
nur noch Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 361,00 Euro gezahlt. Die
Antragsgegnerin sei bis zur Vorlage der Betriebskostenabrechnung berechtigt gewesen
auf die Heizkosten einen angemessenen Vorschuss zu leisten. Nach Vorlage der
Betriebskostenabrechnung sei dann eine Neuberechnung vorgenommen und seine
monatliche Heizkosten in Höhe von 39,96 Euro anerkannt worden. Gegen diesen
Widerspruchsbescheid vom 06.02.2008 hat der Antragsteller am 29.02.2008 beim
Sozialgericht Köln (SG) Klage erhoben und die Übernahme der ihm tatsächlich
entstandenen Mietaufwendungen geltend gemacht. Diese beziffert er mit 542,17 Euro.
Gleichzeitig hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf Zahlung
höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung, beantragt. Diesen Antrag hat das SG
unter dem Aktenzeichen S 20 AS 22/08 ER mit Beschluss vom 25.03.2008 abgelehnt.
Die hiergegen erhobene Beschwerde ist Gegenstand des unter dem Aktenzeichen L 9 B
77/08 AS ER anhängigen Parallelverfahrens.
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Mit Bescheid vom 21.02.2008 wies die Antragsgegnerin auch die Widersprüche gegen
die weiteren Bescheide vom 18.01.2008 zurück. Die Grundkosten des Antragstellers
betrügen 143,86 Euro. Die angemessenen Verbrauchskosten des Antragstellers
betrügen 335,67 Euro im Jahr. Hieraus ergäben sich monatliche angemessene
Heizkosten in Höhe von 39,96 Euro.
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Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 07.03.2008 beim SG ebenfalls Klage
erhoben. Er hat die Übernahme der ihm tatsächlich entstandenen Mietaufwendungen für
die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 30.11.2007 beantragt, die er in diesem Verfahren mit
532,46 Euro (312,48 Euro Miete, 180,00 Euro Nebenkosten, 40,00 Euro Stromkosten)
beziffert. Auch hier hat er einen Eilantrag gestellt und "gemäß § 86b SGG die sofortige
Vollziehung der Erfüllung meiner mir gemäß § 22 SGB II gesetzlich zustehenden
Leistungen" beantragt.
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Mit Beschluss vom 25.03.2008 hat das SG diesen Antrag abgelehnt. Es liege kein
Anordnungsgrund vor. Soweit der Antragsteller die Zahlung weiterer Kosten für die Zeit
vom 01.01.2006 bis zum Eingang seines Eilantrages bei Gericht begehre, folge dies
schon daraus, dass es sich um vergangene Zeiträume handele, für die ein Eilbedürfnis
nicht angenommen werden könne. Auch darüber hinaus fehle es an einem
Anordnungsgrund. Dieser liege bei den hier streitigen Unterkunftskosten nur vor, wenn
ohne der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung nach Ablauf des nächst
folgenden Fälligkeitszeitpunkts für die Zahlung des Mietzinses, ernsthaft mit einer
Kündigung oder Räumungsklage zu rechnen sei. Entsprechendes habe der
Antragssteller nicht vorgetragen. Gleiches gelte für die Heizkosten. Auch hier habe der
Antragsteller nicht vorgetragen, dass ihm durch die unvollständige Zahlung der
Betriebskosten einer Kündigung drohe.
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Gegen den am 02.04.2008 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 17.04.2008
Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, dass die von ihm nachgewiesenen
individuellen Kosten von der Antragsgegnerin zu übernehmen seien. Ein Eilbedürfnis
sei gegeben, weil durch die unvollständige Zahlung der Betriebskosten die
Wohnungskündigung drohe, wie es im Mietvertrag vorgesehen sei.
13
Die Antragsgegnerin hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
14
II.
15
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
16
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der
Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer
einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des
materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das
Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung
aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sowohl
Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein.
Anordnungsgrund kann nur die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile sein.
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Ein Anordnungsgrund in diesem Sinne ist nicht gegeben. Streitgegenstand des
vorliegenden Verfahrens sind ausschließlich Ansprüche aus der Zeit vom 01.01.2006
bis zum 30.11.2007 sind. Zwar hat die Antragsgegnerin mit dem vom Antragsteller
angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 21.02.2008 seinem Wortlaut nach
("Entscheidung über die Widersprüche gegen die Bescheide vom 18.01.2008") über
sämtliche Widersprüche gegen die Bescheide vom 18.01.2008 und damit auch über den
die Zeit ab dem 01.12.2007 regelnden Bescheid entschieden. Allerdings hatte die
Antragsgegnerin über den Widerspruch gegen letzteren Bescheid bereits mit dem
Widerspruchsbescheid vom 06.02.2008 entschieden (der Gegenstand des
Parallelverfahrens L 9 B 77/08 AS ER ist). Somit konnte trotz der missverständlichen
Formulierung nach außen hin erkennbar nur noch eine Regelung über die noch nicht
beschiedenen Widersprüche gegen die weiteren vier Bescheide getroffen werden.
Entsprechend hat auch der Antragsteller seinen Antrag auf den Zeitraum bis zum
30.11.2007 beschränkt.
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Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt regelmäßig nur für Zeiträume ab
Antragstellung beim Sozialgericht und nicht für in der Vergangenheit liegende,
abgeschlossene Zeiträume in Betracht. Denn einstweiliger Rechtsschutz ermöglicht
lediglich eine vorläufige Regelung und dient nicht der Beschleunigung des
Hauptsacheverfahrens (vgl. LSG NRW, Beschl. v. 16.02.2007, Az. L 20 B 12/07 AS ER).
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Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren jetzt erstmals geltend macht, dass
durch unvollständige Zahlung der Betriebskosten die Kündigung drohe, wie es im
Mietvertrag vorgesehen sei, führt dies zu keiner abweichenden Bewertung. In Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes, die auf die Gewährung von Leistungen für die
Unterkunft gerichtet sind, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass
ein Anordnungsgrund nur dann angenommen werden kann, wenn dem Antragsteller
ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung konkret die Wohnungslosigkeit droht
(vgl. u. a. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 10.03.2008, Az. L 9 B 40/08 AS ER;
vom 08.10.2007, Az.: L 9 B 150/07 AS ER; vom 12.06.2007, Az.: L 9 B 25/07 SO ER).
Das Vorliegen solcher Umstände ist nicht ersichtlich. Auch der Antragsteller hat das
Vorliegen entsprechender Umstände nicht behauptet. Allein die abstrakt in einem
Mietvertrag vorgesehene Kündigungsmöglichkeit reicht für die Bejahung eines
Anordnungsgrundes nicht aus. Vielmehr muss eine Kündigung oder eine Räumung
unmittelbar bevorstehen. Der Antragsteller hat bislang aber nicht vorgetragen, dass
überhaupt noch entsprechende Betriebskosten in einer Höhe offen stehen, die
zumindest abstrakt eine Kündigung rechtfertigen könnten. Ebensowenig hat er
dargelegt, dass etwaige Zahlungsrückstände eine Kündigung der Wohnung oder gar
eine Räumung unmittelbar bevorstehen lassen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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