Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 03.02.2006

LSG NRW: rumänien, gewalt, regierung, staatsgebiet, gebietshoheit, wartezeit, chef, armee, begriff, anerkennung

Landessozialgericht NRW, L 4 R 57/05
Datum:
03.02.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 4 R 57/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 22 RJ 131/04
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 5 R 26/06 R
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 05.04.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche
Kosten der Klägerin werden nicht erstattet. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Altersruhegeldes (ARG) unter
Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten
aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
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Die am 00.00.1921 in B, Bessarabien, geborene Klägerin ist Jüdin. Im Sommer 1941
wurde sie aus M in Bessarabien nach Transnistrien deportiert. 1972 wanderte die
Klägerin aus der Sowjetunion nach Israel aus und erwarb die israelische
Staatsangehörigkeit.
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Im März 1993 beantragte sie bei der Claims Conference die Gewährung von Leistungen
aus dem Article 2 Fund. Sie gab an, sie habe sich in der Zeit von August 1941 bis
Sommer 1942 im Ghetto Kopaigorod, im Sommer und Herbst 1942 im Lager neben
Kopaigorod sowie von Herbst 1942 bis März 1944 im Ghetto Kopaigorod aufgehalten.
Die Klägerin bezieht Leistungen aus dem Article 2 Fund.
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Auf ihren Antrag von Februar 2001 erhielt die Klägerin Leistungen nach dem Gesetz
über die Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG)
für die Zeit "1941 in Kopaigorod".
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Im Mai 2003 beantragte die Klägerin, die im Ghetto zurückgelegten Beitragszeiten nach
dem ZRBG sowie Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes
Buch (SGB VI) anzuerkennen und ihr eine Rente sowie eine freiwillige
Weiterversicherung nach § 7 SGB VI zu gewähren. Sie sei Verfolgte nach § 1
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Bundesentschädigungsgesetz (BEG) und während der Verfolgungszeit in einem Ghetto
abhängig gegen Entgelt beschäftigt gewesen. Sie habe in der Zeit von Januar 1942 bis
Januar 1944 innerhalb des Ghettos Kopaigorod in einer Bäckerei gearbeitet. Sie sei
weder auf dem Weg von und zur Arbeit noch während der Arbeit bewacht worden. Der
Arbeitseinsatz sei ihr von Herrn X vermittelt worden. Sie habe die Betriebsräume
aufgeräumt, Rohmaterial getragen, Hilfsarbeiten verrichtet. Die Arbeitszeit habe 10 - 12
Stunden betragen. Als Arbeitslohn habe sie Essen am Arbeitsort und eine zusätzliche
Verpflegung erhalten. Barlohn habe sie nie erhalten. Sie sei in der Zeit von 1944 bis
1947 krank gewesen. Die Klägerin verneinte die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach-
und Kulturkreis (dSK). Mit Bescheid vom 15.07.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab.
Das ZRBG finde auf Ghettos, die sich wie das Ghetto Kopaigorod in Transnistrien
befunden hätten, keine Anwendung.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, dass unter dem in §
1 ZRBG verwendeten Begriff "Besetzung durch das Deutsche Reich" das Tätigwerden
von Hoheitsträgern des Deutschen Reiches in den Gebieten zu verstehen sei, in denen
die Gebietshoheit auf diese Hoheitsträger ganz oder teilweise übergegangen sei.
Transnistrien sei nicht rumänisches Staatsgebiet geworden. Der Vertrag von Tighina
bestimme lediglich, dass dieses Gebiet unter rumänischer Kontrolle stehe. Trotz des
Vertrages sei Transnistrien weiterhin Besatzungsland unter deutscher Oberhoheit
gewesen. Am 09.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Eine Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG könne nicht erfolgen. Das
ZRBG finde keine Anwendung für Verfolgte, die sich in einem Ghetto aufgehalten
hätten, das sich auf rumänischem Staatsgebiet bzw. in einem unter rumänischer
Verwaltungshoheit stehenden Gebiet befunden habe. Das Gebiet Transnistrien habe
nicht zu einem gemeinsamen deutsch-rumänischem Besatzungsgebiet gehört, sondern
Rumänien habe die Verwaltungshoheit über Transnistrien durch ein vom Staatschef
Antonesu erlassenes Dekret vom 19.08.1941 übernommen. Auch der zwischen
Deutschland und Rumänien geschlossene Vertrag von Tighina vom 30.08.1941 habe
das Gebiet Transnistrien von 1941 bis 1944 der rumänischen Verwaltung unterstellt.
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Am 19.11.2004 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage mit dem
Begehren erhoben, ihr unter Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten im Ghetto
Kopaigorod in der Zeit von Januar 1942 bis Januar 1944 und Ersatzzeiten nach § 250
Abs. 1 Nr. 4 SGB VI ARG zu gewähren. Sie hat geltend gemacht, dass Transnistrien zu
den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten im Sinne des ZRBG gehört habe. Es sei
gemeinsam von der Deutschen Wehrmacht und dem kriegsverbündeten Rumänien im
Zuge des Überfalls auf die Sowjetunion erobert worden. Durch einseitige rumänische
Erklärung sei Transnistrien unter rumänische Zivilverwaltung gestellt worden.
Anschließende Verhandlungen zwischen den Verbündeten hätten zur Vereinbarung
von Tighina geführt. Aus dieser Vereinbarung gehe nicht hervor, ob das Gebiet vorläufig
oder endgültig der rumänischen Verwaltung unterstellt werden sollte. Von deutscher
Seite sei der provisorische Charakter der Vereinbarung betont worden. Rumänien
seinerseits habe Transnistrien in dem außenpolitischen Verkehr nie als rumänisches
Staatsgebiet deklariert. Im übrigen habe sich die Wehrmacht auf Grundlage der
Vereinbarung einige für die Kriegsführung wichtige Positionen vorbehalten. Von
deutschen Hoheitsträgern seien unmittelbar und mittelbar Aktivitäten in Transnistrien
entfaltet worden, die ohne deutsche Oberhoheit so nicht durchführbar gewesen seien.
Auch die Einführung des Reichskreditkassenscheins - RKKS - in Transnistrien sei kein
Beleg dafür, dass Transnistrien nicht zu den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten
im Sinne des ZRBG gehört habe. Es sei nahezu undenkbar, dass Rumänien ohne
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deutsche Einwilligung habe bestimmen können, dass der von den Reichskreditkassen
emittierte RKKS gesetzliches Zahlungsmittel in Transnistrien werde.
Ihre im Ghetto Kopaigorod ausgeführte Beschäftigung sei entgeltlich gewesen.
Sachbezüge für geleistete Arbeit seien nach § 14 SGB VI Entgelt, wobei es auf ihre
Höhe nicht ankomme. Die schlechte Ernährungslage in Verbindung mit der Bezahlung
der Arbeit mit Sachbezügen habe einen Anreiz für die Juden in Transnistrien dargestellt,
sich selbst um Arbeit zu bemühen. Dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom
07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, wonach das ZRBG nur als Zahlungsvorschrift anzusehen
sei, könne nicht gefolgt werden. Das BSG habe das ZRBG gegen den eindeutig
erkennbaren Willen des Deutschen Bundestages zu einem reinen Zahlungsgesetz
degradiert, indem es fordere, dass sämtliche Voraussetzungen, die nach dem
Fremdrentengesetz für die Anerkennung von Beitragszeiten (§ 15 FRG) und
Beschäftigungszeiten (§ 16 FRG) gefordert werden, auch bei Beitragszeiten nach dem
ZRBG erfüllt sein müssten. Diese Auslegung des ZRBG durch das BSG widerspreche
dem tatsächlichen, eindeutig zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers, die
Beschäftigten in den Ghettos in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Die
Voraussetzungen, unter denen Ghettobeitragszeiten zu berücksichtigen seien, habe das
BSG unter Missachtung des parlamentarischen Willens auf die Rechtslage vor dem
Inkrafttreten des ZRBG zurückgeführt und lediglich Ausnahmen bezüglich der
Rentenzahlung in das Ausland zugelassen. Mit dieser Entscheidung habe das BSG für
nahezu alle Ghettobeschäftigten unüberwindbare Hürden aufgebaut und das Gesetz im
Ergebnis unanwendbar gemacht. Es müsse gerichtsbekannt sein, dass das sogenannte
Ostjudentum in der Regel nicht die persönlichen Voraussetzungen des
Fremdrentengesetzes (FRG) erfülle. Auch die Voraussetzungen, die das BSG an das
Vorliegen der Versicherungspflicht und die Anerkennung von Fremdbeitragszeiten oder
Beschäftigungszeiten knüpfe, behinderten die Umsetzung des ZRBG.
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Durch Urteil vom 05.04.2005 hat das SG Düsseldorf die Klage abgewiesen. Die
erforderliche allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 SGB VI) sei nicht erfüllt.
Insbesondere könne die allgemeine Wartezeit nicht durch die Anrechnung von
Beitragszeiten nach den Vorschriften des ZRBG erfüllt werden. Der
Anwendungsbereich dieses Gesetzes sei nicht eröffnet, da sich die Klägerin in dem
geltend gemachten Zeitraum nicht in einem Ghetto aufgehalten habe, das sich in einem
Gebiet befunden habe, das vom deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert
gewesen sei. Das Ghetto Kopaigorod habe in Transnistrien gelegen. Dieses Gebiet sei
von Sommer 1941 bis zur Befreiung im März 1944 an Rumänien abgeschlossen
gewesen. Auch wenn sich der Anwendungsbereich des ZRBG auf das Gebiet
Transnistrien erstrecke, könne eine Anerkennung der zurückgelegten
Versicherungszeiten als deutsche Beitragszeiten allein nach dem ZRBG nicht erfolgen.
Eine umfassende Gleichstellung von nichtdeutschen und deutschen Zeiten sei durch
die Vorschrift des § 2 Abs. 1 ZRBG nicht erfolgt. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG bewirke keine
Anerkennung ausländischer Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung.
Die dort geregelte Beitragsfiktion "für die Berechnung der Rente" umfasse nicht eine
Gleichstellung hinsichtlich der Berücksichtigung der betreffenden Zeiten bei der
Erfüllung der Wartezeit. Desweiteren sei der Arbeitseinsatz der Klägerin im Ghetto
Kopaigorod auch nicht entgeltlich im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfolgt. Denn
die Klägerin habe in der Zeit von Januar 1942 bis Januar 1944 im Ghetto Kopaigorod
keine dem Grunde nach versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Nach ihren
eigenen Angaben im Verwaltungsverfahren habe sie für ihre Tätigkeit in der Bäckerei
des Ghettos lediglich Essen am Arbeitsort sowie zusätzliche Verpflegung erhalten. Der
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von der Klägerin angegebene Sachbezug reiche nicht aus, um die Tätigkeit der Klägerin
zu einer entgeltlichen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG zu machen. Soweit im
gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werde, die Entgeltlichkeit folge aus der
Entgeltregelung für Juden, wonach jedem Arbeiter als Entgelt für geleistete Arbeit eine
Lebensmittelbon im Wert eines Arbeitstages zu gewähren gewesen sei, werde darauf
hingewiesen, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren nicht angegeben habe, dass
sie für ihre Tätigkeit Lebensmittelbons erhalten habe.
Gegen das am 10.05.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.05.2005 Berufung
eingelegt.
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Sie trägt vor, sie habe während ihres ersten Aufenthaltes im Ghetto Kopaigorod in der
"Kommandantur" gearbeitet und habe Enttrümmerungsarbeiten geleistet. Insoweit
verweise sie auf ihre Angaben gegenüber der Claims Conference. Während ihres
zweiten Ghettoaufenthaltes, für den sie gegenüber der Claims Conference keine
Beschäftigung angegeben habe, habe sie in der Bäckerei gearbeitet. Es seien keine
Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass sie die Tätigkeiten während des ersten
Ghettoaufenthaltes nicht aus eigenem Willensentschluss aufgenommen habe. Sie habe
den für Transnistrien üblichen Lohn erhalten.
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In dem Streitverfahren seien der Status von Transnistrien und die Fragen der
Anwendung des ZRBG in Verbindung mit dem EVZSiftG, ihrer Zugehörigkeit zum dSK,
ihrer Glaubwürdigkeit sowie der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit ihrer Beschäftigung
streitbefangen. Bereits der Umfang der im Verfahren streitigen Rechts- und Sachfragen
zeige, dass diese in erster Linie von Befürchtungen auf fiskalischem Gebiet geprägt
seien und nicht einer wiedergutmachungsgeprägten Beurteilung unterzogen werden
sollten. Bei dem ZRBG handele sich um ein Gesetz mit entschädigungsrechtlichem
Charakter. Deshalb sei die Sichtweise des BEG bei der Beantwortung der Frage,
welche Gebiete in das ZRBG einbezogen seien, maßgebend. Es sei nicht
nachvollziehbar, dass die Ghetto-Verbringung in Transnistrien als von deutscher Hand
veranlasst angesehen und demzufolge eine Entschädigung nach dem BEG gewährt
worden sei, andererseits aber den Verfolgten in den Ghettos Transnistriens eine
Leistung nach dem ZRBG verweigert werde, die den Verfolgten aus Ghettos in anderen
Gebieten, die auf deutsche Veranlassung errichtet worden seien, zustehe. Rumänien
sei spätestens seit dem 29.05.1940 außen- und innenpolitisch vom Deutschen Reich
abhängig gewesen. Insoweit verweise sie auf die Ausführungen von Lupal in RzW
1977, S. 41 ff, der dargelegt habe, dass Rumänien, wenn es sich den Forderungen des
Deutschen Reiches nicht gebeugt hätte, eine deutsche Besetzung, wie in Jugoslawien
geschehen, hätte befürchten müssen. Rumänien habe die Souveränität in allen die
Interessen des Deutschen Reiches berührenden inneren und äußeren Angelegenheiten
verloren. Transnistrien sei im Sinne entschädigungsrechtlicher Vorschriften und damit
im Sinne des ZRBG ein vom Deutschen Reich besetztes Gebiet. Es sei durch eine von
Hitler durchaus gebilligte, völkerrechtlich jedoch nicht zu beachtende Vereinbarung der
zuständigen militärischen Befehlshaber Rumänien zur Verwaltung gegeben worden.
Rumänien sei durch den Vertrag nur mit der Verwaltung des Gebietes beliehen wurden.
Es habe die Verwaltung unter deutscher Aufsicht, nämlich unter Aufsicht der
Wehrmacht, durchgeführt. Rumänien habe sich als Koalitionspartner vollständig dem
deutschen Führungsanspruch unterworfen und sei für die Dauer des Krieges mit der
Verwaltung eines Gebietes belehnt wurden.
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Es sei fraglich, ob Art. 42 HLK zur Definition des Begriffs "besetztes Gebiet" in § 1
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ZRBG herangezogen werden könne. Art. 42 HLK beziehe sich nur auf Gebiete, die sich
tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres befinden. Nach Einführung der
Zivilverwaltung in den von der Deutschen Wehrmacht eroberten Gebieten, wie etwa
dem Generalgouvernement und den Reichskomissariaten, hätten sich diese Gebiete
nicht tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres, sondern in der Gewalt der
deutschen Zivilverwaltung, des Reichsführers SS und der Chefs der Deutschen Polizei
befunden. Transnistrien unterscheide sich vom Generalgouvernement und den unter
deutscher Zivilverwaltung stehenden Gebieten lediglich dadurch, dass die
Zivilverwaltung unter deutscher Oberaufsicht von den Rumänen durchgeführt worden
sei.
In Transnistrien seien während der ganzen Zeit des Krieges mit der UdSSR deutsche
Truppen stationiert gewesen. Dieses Faktum, dass Transnistrien zu einem " vom
Deutschen Reich besetzten Gebiet" im Sinne des ZRBG mache, könne im Rahmen des
ZRBG nicht durch einen Hinweis auf Art. 42 HLK negiert werden. Diese Sicht stelle das
ZRBG als einzige wiedergutmachungsrechtliche Regelung in der Sozialversicherung
hin, die - durch Verwaltungsauslegung und Richterrecht geprägt - mit Bedacht die von
der deutschen Staatsführung in Transnistrien veranlasste Verfolgung und
Ghettoisierung negiere, somit für die Folgen nationalsozialistisch initiierten Terrors nicht
aufkommen wolle, obwohl sich aus dem ZRBG selbst keine Handhabe dafür ergebe. Es
falle auf, dass sich der Senat bemühe, den Gesetzgeber nachhaltig zu korrigieren. Die
Annahme des Gerichts, sie müsse dem dSK angehören, damit Beitragszeiten nach §§
15, 16 FRG zustande kämen, stelle einen massiven Eingriff in die Kompetenzen des
Gesetzgebers dar, der bewusst entsprechendes nicht geregelt habe. Da der
Referentenentwurf zum ZRBG, der eine Zahlbarmachung von Beitragszeiten nach § 12
WGSVG durch Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen vorgesehen habe, im
Gesetzgebungsverfahren nicht weiterverfolgt sei, stehe in erkennbarer Weise fest, dass
es im Rahmen des ZRBG nicht auf den Erwerb vom Fremdbeitragszeiten und
Beschäftigungszeiten im Sinne von §§ 15, 16 FRG ankomme.
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Der Glaubhaftmachung ihrer Beschäftigung stehe nicht entgegen, dass sie im
Entschädigungsverfahren nur die Arbeiten, die sie während des ersten Aufenthalts im
Ghetto verrichtet habe, und im ZRBG-Verfahren nur diejenige Beschäftigung angeben
habe, die sie nach Rückkehr aus dem Zwangsarbeiterlager verrichtete habe. Was im
Entschädigungs- und Rentenverfahren vortragen worden sei, sei unter Umständen weit
von einem erschöpfenden Bericht entfernt. Im Entschädigungsverfahren habe sie die
Freiheitsentziehung und nicht etwa die Arbeit dargestellt. Ihre Tätigkeit sei nach der
Verordnung Nr. 23 des Oberkommandos des Heeres, Abteilung des Zivilgouverneurs
von Transnistrien, entgeltlich gewesen. Nach Art. 6 Abs. 4 der Verordnung habe sie als
nicht qualifizierte Arbeiterin Lebensmittel im Wert von 1,00 Mark/Tag erhalten. Hierbei
handele es sich nicht um eine echte Sachbezugsgewährung, sondern um eine
Entgeltumwandlung. Jeder Arbeitstag sei mit 1,00 Mark bewertet worden und in diesem
Wert hätten die Arbeiter Lebensmittel erhalten. Es könne nicht von einer
Sachbezugsgewährung im Sinne des Sozialversicherungsrechts ausgegangen werden.
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Auch setze das ZRBG das Bestehen eines versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses nicht voraus. Insoweit könne der Entscheidung des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03, nicht gefolgt werden.
Wenn das BSG die tatsächlich nur verfolgungsbedingt erfolgte Sachbezugsgewährung
für eine entgeltliche Beschäftigung nicht ausreichen lasse, mache es eine typisch
verfolgungsbedingte, von den Verfolgungsinstitutionen mit Bedacht gewählte
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Benachteiligung beschäftigter Ghettobewohner zum Maßstab für die Auslegung eines
Wiedergutmachungsgesetzes. Das BSG habe die Entgeltproblematik des ZRBG nicht
auf der Grundlage des Gerechtigkeitsempfindens, sondern auf der Grundlage der
äußerst ideenreichen Willkürmodule der hitleristischen und sonstigen örtlichen
Statthalter geprüft. Die Höhe des gewährten Entgelts, umgewandelt in Sachbezüge, sei
nicht zu niedrig. Auch führe allein der Entgeltanspruch dazu, dass sie für den Bereich
der Rentenversicherung so zu stellen sei, als sei ihr das Monatsentgelt tatsächlich
ausgezahlt worden.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.04.2005 zu ändern und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 15.07.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 09.11.2004 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von
Beitragszeiten nach dem ZRBG für die von ihr in der Zeit von Januar 1942 bis Juli 1942
und von Oktober 1942 bis Januar 1944 im Ghetto Kopaigorod zurückgelegten Zeiten
einer Beschäftigung sowie unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1
Nr. 4 SGB VI - ggfs. nach Entrichtung von freiwilligen Beiträgen - ab dem 01.07.1997
eine Regelaltersrente zu gewähren,
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hilfweise,
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den Referentenentwurf und die zu den Bundestagsdrucksachen 14/8583 und 14/8602
führenden Materialien einschließlich der Stellungnahme der Rentenversicherungsträger
beizuziehen,
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weiter hilfsweise,
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sie persönlich anzuhören,
23
weiter hilfsweise,
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Beweis zu erheben durch Einholung eines geschichtswissenschaftlichen Gutachtens zu
der Frage, ob Transnistrien zu den "vom Deutschen Reich besetzten Gebieten" im
Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZRBG gehört und dabei dem Sachverständigen die
auf Seite 25 - 28 des Schriftsatzes vom 02.02.2006 ausgeführten Fragen zu 1. - 24.
vorzulegen,
25
ferner hilfsweise ,
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die Revision zuzulassen.
27
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
30
Der Senat hat die Unterlagen der Jewish Conference on Material Claims Against
Germany über die Klägerin, Vökl, "Transnistrien und Odessa (1941-1944)", Regensburg
1996, Broszat, "Das 3. Reich und die rumänische Judenpolitik", in Gutachten des
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Instituts für Zeitgeschichte, München 1958 S. 102 ff., Weber, "Die Bukowina im Zweiten
Weltkrieg", Hamburg 1972, Auszüge aus dem Kriegstagebuch der 6. Armee, Abteilung
Obertquartiermeister, vom 15/16.03.1944, die Auskunft des Bundesarchivs - Militärarchiv
- vom 15.09.2005 im Verfahren L 4 RJ 126/04, den Final Report of the International
Commission on the Holocaust in Romania, 2004 und Ancel, "Transnistria 1941 - 1944,
The Romanien Mass Murder Campaig", Volume I, Tel Aviv 2003 beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren
wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat konnte den Rechtstreit in der mündlichen Verhandlung vom 03.02.2006 trotz
Nichterscheinens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin verhandeln und
entscheiden. Die Prozessbevollmächtigte ist laut Empfangbekenntnis vom 27.12.2005
ordnungsgemäß zum Termin geladen wurden. In der Terminsmitteilung ist die
Prozessbevollmächtigte auf die Möglichkeit einer solchen Verfahrensweise
hingewiesen worden.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Der SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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Die Klägerin ist nicht nach § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Der
angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ARG gegenüber der Beklagten nach §§ 35, 300
Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Die für den Rentenanspruch
erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§ 35 Nr. 2, 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB
VI) ist nicht erfüllt, weil auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten nicht
vorliegen. Die von der Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemachten
Beschäftigungszeiten im Ghetto Kopaigorod von Januar 1942 bis Juli 1942 und von
Oktober 1942 bis Januar 1944 sind als Beitragszeiten nicht zu berücksichtigen, da die
Klägerin nicht dem dSK angehörte und Beschäftigungen in Ghettos im Gebiet
Transnistrien nicht dem ZRBG unterfallen. Anrechenbare Ersatzzeiten liegen nicht vor.
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Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65.
Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Nach § 50 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 SGB VI ist die Erfüllung der Wartezeit von fünf Jahren Voraussetzung für einen
Anspruch auf ARG. Auf die allgemeine Wartezeit werden nach § 51 Abs. 1 und Abs. 4
SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet. Nach §§ 55
Abs. 1, 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht
oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden
sind oder nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Ersatzzeiten werden nach §
250 Abs.1 SGB VI nur bei Versicherten als rentenrechtliche Zeiten berücksichtigt. Die
Versicherteneigenschaft setzt voraus, dass vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag
wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt.
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Bis zu ihrer Ausreise nach Israel im Jahre 1972 lebte die Klägerin in keinem Gebiet, das
vom Geltungsbereich der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfasst war. Sie hielt sich
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von ihrer Geburt bis zur Deportation im Sommer 1941 sowie nach ihrer Befreiung im
März 1944 aus dem Ghetto Kopaigorod bis zu ihrer Ausreise 1972 im sowjetischen
Staatsgebiet auf. Sie legte auch in der Zeit von Januar 1942 bis Januar 1944 im Ghetto
Kopaigorod keine Versicherungszeiten nach deutschem Reichsrecht zurück. Denn das
Ghetto Kopaigorod lag im Gebiet Transnistrien, in dem nach der Eroberung durch die
deutsch-rumänischen Truppen die RVO nicht eingeführt wurde.
Bis zu ihrer Ausreise nach Israel 1972 erwarb die Klägerin keine Beitragszeiten nach
dem FRG. Denn sie erfüllte nicht die persönlichen Voraussetzungen des FRG. Die
Klägerin ist weder als Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG)
anerkannt noch gehört sie zu dem nach § 1 FRG begünstigten Personenkreis. Die
Vorschriften des FRG sind auch nicht nach § 17a FRG oder § 20 des Gesetzes zur
Regelung der Wiedergutmachung nationalsozilistischen Unrechts in der
Sozialversicherung (WGSVG) auf Beschäftigungen der Klägerin bis 1972 anwendbar,
da die Klägerin nach eigenen Angaben nicht dem dSK angehörte.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich auch aus den Vorschriften des ZRBG
kein Anspruch auf Berücksichtigung der Beschäftigungszeiten im Ghetto Kopaigorod als
Beitragszeiten zur Erfüllung der Wartezeit ableiten. Das SG hat zu Recht ausgeführt,
dass das ZRBG nicht das Fehlen des dSK ersetzt. Das ZRBG regelt weder die
Gleichstellung von Beschäftigungszeiten in einem Ghetto mit nach Bundesrecht
zurückgelegten Beitragszeiten nach § 55 Abs. 1 S. 1 SGB VI noch mit fiktiven
Beitragszeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI (LSG NRW, Urteil vom 13.01.2006,
- L 4 RJ 113/04 -; Urteil vom 03.02.2006, - L 4 R 47/05 -). Der Senat folgt nicht der auch
von den Rentenversicherungsträgern vertretenen Auffassung (siehe z. B.
Dienstanweisung zum ZRBG der Deutschen Rentenversicherung Bund vom
04.11.2005, Punkt 2), dass für die Anerkennung von Ghetto-Beschäftigungen als
Beitragszeiten nach dem ZRBG eine Beziehung der Verfolgten im Sinne des BEG zur
deutschen Rentenversicherung während der Verfolgungszeit nicht mehr erforderlich ist.
Das ZRBG weitet nicht den Kreis der anspruchsberechtigten Verfolgten, der durch die
Bestimmungen des SGB VI der §§ 1, 20 WGSVG und des FRG (§§ 1, 16, 17a FRG)
festgelegt ist, aus. Vielmehr beschränkt sich der Anwendungsbereich des ZRBG auf die
Bewertung von Beschäftigungszeiten in einem Ghetto sowie deren Zahlbarmachung ins
Ausland, die nach § 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI (Beitragszeiten nach RVO) oder den
Bestimmungen des FRG den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten
gleichgestellt sind. Das ZRBG ändert oder ergänzt nicht die Bestimmungen des SGB VI
über das Entstehen und den Bestand eines Stammrechts auf Rente, sondern es betrifft
nur den sich aus dem Rentenstammrecht ergebenden monatlichen Zahlungsanspruch.
Denn durch die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 ZRBG wird die in § 113 Abs. 1 Nr. 1 SGB
VI vorgesehene "Zahlungssperre" für Leistungen an den besonderen Personenkreis der
Verfolgten des Nationalsozialismus, die unter den Bedingungen eines Ghettos
beschäftigt waren, beseitigt.
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Damit sollen die im Rentenversicherungsrecht durch nationalsozialistisches Unrecht
eingetretenen Nachteile insoweit ausgeglichen werden, als der typischerweise im
Ausland wohnende betroffene Personenkreis in Zukunft über die ihm zustehenden
Leistungen verfügen können soll (BSG, Urteil vom 03.05.2005, - B 13 RJ 34/04 R -). Die
Bestimmungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und des § 3 ZRBG betreffen die Bewertung der
Beitragszeiten mit Entgeltpunkten nach § 254d Abs. 1 Nr. 5 SGB VI, die Ermittlung des
Zugangsfaktors sowie den Rentenbeginn und somit nicht das Entstehen des
Rentenstammrechts.
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Aus dem Wortlaut des ZRBG lässt sich nicht entnehmen, dass die in § 1 ZRBG
definierten Beschäftigungszeiten in einem Ghetto Beitragszeiten nach § 55 SGB VI
gleichgestellt werden und damit zur Erfüllung der Wartezeit geeignet sein sollen,
unabhängig davon, ob die Verfolgten dem vom FRG, WGSVG oder der RVO erfassten
Personenkreis angehören. Schon die Überschrift "Gesetz zur Zahlbarmachung von
Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto" spricht dafür, dass dessen Regelungen
nur Fragen des monatlichen Zahlungsanspruches betreffen, jedoch das Bestehen eines
Rentenanspruchs voraussetzen. Der in § 1 Abs. 1 ZRBG verwendete Begriff "Verfolgte"
ist im ZRBG nicht näher definiert. Soweit in den Vorschriften des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB
VI und des § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO und der §§ 1 Abs. 1, 20 WGSVG auf die
Verfolgteneigenschaft eines Berechtigten zur Berücksichtigung von rentenrechtlichen
Zeiten abgestellt wird, handelt es um Verfolgte im Sinne des BEG, die einen durch die
Verfolgungsmaßnahme bedingten Schaden in ihrer deutschen Rentenberechtigung
erlitten haben, also in der Lage waren, zu Beginn und während der
Verfolgungsmaßnahmen Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung zu
erwerben (BSG, Urteil vom 08.09.2005, - B 13 RJ 20/05 - zu § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI;
Urteil vom 14.08.2003, - B 13 RJ 27/02 R - zu § 1251 Abs.1 Nr. 4 RVO; Urteil vom
29.08.1996, - 4 RA 85/95 -). Aus dem Wortlaut des § 1 Abs.1 ZRBG ist nicht erkennbar,
dass von diesem Verfolgtenbegriff abgewichen wird.
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Auch aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 2 ZRBG lässt sich eine umfassende
Gleichstellung der sog. "Ghetto-Beitragszeiten" mit nach Bundesrecht zurückgelegten
Beitragszeiten im Sinne von § 55 SGB VI nicht herleiten. § 2 Abs. 1 ZRBG bestimmt,
dass für Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto Beiträge als gezahlt gelten, und zwar
für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für
eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets (Nr. 1) sowie für die Erbringung von
Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet (Nr. 2).
Durch § 2 Abs. 1 Nr. 2 ZRBG soll erreicht werden, dass die Zahlbarmachung einer
Rente nicht mehr an den auslandsrentenrechtlichen Grundsätzen des SGB VI ( § 110 ff
SGB VI) oder der fehlenden Beitragszahlung im Fall von Beschäftigungszeiten nach §
16 FRG (§ 272 SGB VI) scheitert. Die "Ghetto-Beitragszeiten" gelten nur für die Zahlung
ins Ausland als fiktive Bundesgebiets-Beitragszeiten und ermöglichen die Anwendung
des § 113 SGB VI zu Gunsten der Verfolgten.
45
Des weiteren bewirkt auch § 2 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG keine Anerkennung ausländischer
Beschäftigungszeiten als Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung. Denn
die dort geregelte Beitragsfiktion "für die Berechnung der Rente", d. h. die Ermittlung der
Höhe der Entgeltpunkte nach § 254d Abs.1 Nr. 5 SGB VI, umfasst nicht die
Berücksichtigung der betreffenden Zeit bei der Erfüllung der Wartezeit, also bei der
Entstehung des Rentenstammrechts. Die Frage, ob eine Beschäftigungszeit, die nicht
im Bundesgebiet zurückgelegt wurde, überhaupt in der deutschen Rentenversicherung
berücksichtigt werden kann, ist keine Frage der Berechnung der Rente. Dies ergibt aus
der Systematik des SGB VI, nach der die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und
die Bestimmung der rentenrechtlichen Zeiten von der Berechnung der Rente getrennt
sind. Das SGB VI unterscheidet im Zweiten Abschnitt des Zweiten Kapitels (§§ 33 –
105a) zwischen den Bestimmungen über Rentenarten, den Voraussetzungen für einen
Rentenanspruch, den Anspruchsvoraussetzungen für einzelne Renten (§ 35 ff SGB VI)
Bestimmungen, die das Entstehen des sog. Rentenstammrechts betreffen -, und den
Bestimmungen über die Rentenhöhe und Rentenanpassung (§ 63 ff SGB VI), das
Zusammentreffen von Renten und Einkommen (§ 89 ff SGB VI), Beginn, Änderung und
46
Ende der Rente (§ 99 ff SGB VI) und Ausschluss und Minderung der Rente (§§ 103 -
105a SGBVI) - Bestimmungen, die den monatlichen Zahlungsanspruch aus dem
Rentenstammrecht, einschließlich der Bewertung der rentenrechtlichen Zeiten betreffen
-. Die Berechnung der Höhe eines Zahlungsanspruchs setzt systematisch das
Entstehen eines Rentenanspruchs, voraus. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG kann daher nicht
dahingehend ausgelegt werden, dass die dort ausdrücklich " für die Berechnung der
Rente" getroffene Regelung auch für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen gilt.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass die nach den allgemeinen Regeln zu
bestimmenden Beitragszeiten erst bei der anschließenden Ermittlung der persönlichen
Entgeltpunkte nach §§ 70 ff SGB VI wie Zeiten, die im Geltungsbereich der RVO
außerhalb des Bundesgebiets zurückgelegt worden sind, behandelt werden sollen und
nicht schon bei der Prüfung, ob diese Zeiten überhaupt in den Versicherungsverlauf
aufzunehmen sind. Des weitern setzt auch die Regelung des § 3 ZRBG über den
anzuwendenden Zugangsfaktor sowie über den Beginn der Rente voraus, dass ein
Rentenanspruch entstanden ist.
Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des ZRBG auf die Bewertung von
Beschäftigungszeiten in einem Ghetto sowie deren Zahlbarmachung ins Ausland, die
nach § 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI (Beitragszeiten nach RVO) oder den Bestimmungen des
FRG den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt sind,
widerspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers. Aus der Gesetzesbegründung (BT-
Drucks. 14/8583 und 14/8602) ist nicht die Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen,
alle Verfolgte, die in einem Ghetto freiwillig und entgeltlich beschäftigt waren, in die
deutsche Rentenversicherung einzubeziehen und den Kreis der Anspruchsberechtigten
über den in §§ 1 Abs.1, 20 WGSVG und §§ 1, 16, 17a FRG erfassten Personenkreis
hinaus auszudehnen. Das zentrale Problem, das durch das Gesetz gelöst werden sollte,
ist die Zahlbarmachung von Renten für Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto für
Berechtigte mit einem Auslandswohnsitz, ohne dass die Berechtigten Vorleistungen in
Form von Nachentrichtungen erbringen müssen oder ihnen eine fehlende
Beitragsabführung oder das Verstreichen von Nachentrichtungsrechten
entgegengehalten werden kann. Dies ergibt sich aus der im Allgemeinen Teil des
Gesetzesentwurfs vorangestellten Problemdarstellung, in der ausgeführt wird, dass die
auf einer Beschäftigung in einem Ghetto beruhende Rente vielfach aus
auslandsrentenrechtlichen Gründen nicht ausgezahlt werden kann, insbesondere weil
Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht im erforderlichen Umfang vorliegen (BT-Drucks.
14/8583 S. 5 und 14/8602 S.5). Im Allgemeinen Teil wird zwar ausgeführt, dass mit dem
ZRBG von bestimmten Grundsätzen des Rentenrechts im Bereich der Anerkennung von
rentenrechtlichen Zeiten als auch bei der Erbringung von Leistungen ins Ausland
abgewichen wird. Die Verwendung des Ausdrucks "Anerkennung von rentenrechtlichen
Zeiten", könnte ein Hinweis dafür sein, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, die
Bestimmungen im Fünften Titel, Zweiter Unterabschnitt, Zweiter Abschnitt, Zweites
Kapitel des SGB VI über "rentenrechtliche Zeiten", zu denen auch der Begriff der
Beitragszeit in § 55 SGB VI gehört, zu ergänzen, indem er den Kreis der
Anspruchsberechtigten ausdehnte. Jedoch wird im Wortlaut des § 1 Abs. 2 ZRBG
ausgeführt, dass dieses Gesetz die rentenrechtlichen Vorschriften des WGSVG ergänzt.
Die allgemeine Zielsetzung des WGSVG ist, das Recht der Wiedergutmachung so zu
verbessern, dass den Sozialversicherten ein voller Ausgleich des Schadens ermöglicht
wird, den sie durch Verfolgungsmaßnahmen in ihren Ansprüchen und Anwartschaften
aus der gesetzlichen Rentenversicherung erlitten haben. Dabei knüpft der Gesetzgeber
daran an, ob der Verfolgte vor oder im Anschluss an Verfolgungsmaßnahmen bereits
rentenversichert war (BVerfG, Beschluss vom 04.01.1981, - 1 BvR 873/81 -). Dies
47
bedeutet für Verfolgte, die vor oder im Anschluss an Verfolgungsmaßnahmen nicht im
Geltungsbereich der RVO Beitragszeiten erworben haben, dass sie Beschäftigungs-
und Beitragszeiten nach dem FRG erworben haben müssen, um von dem
Geltungsbereich des WGSVG erfasst zu werden. Die Vorschriften des FRG knüpfen an
bestimmte persönliche Voraussetzungen an, nämlich die Innehabung eines bestimmten
Status und das Erreichen eines bestimmten Lebensalters.
Aus der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 2 ZRBG (BT-Drucks. 14/8583 S.6 und
14/8602 S.6) ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber über die in §§ 20 WGSVG und §
17a FRG geregelte Gleichstellung von vertriebenen Verfolgten mit anerkannten
Vertriebenen hinaus Verfolgte in die gesetzliche Rentenversicherung als Berechtigte
einbeziehen wollte, die wegen fehlender Zugehörigkeit zum dSK oder fehlendem
Erwerb von Beitragszeiten im Geltungsbereich der RVO außer den
Beschäftigungszeiten in einem Ghetto keine weiteren berücksichtigungsfähigen
Beitragszeiten oder Ersatzzeiten erworben, also durch die Verfolgungsmaßnahmen
kausal keinen Schaden in der deutschen Rentenversicherung erlitten haben. Denn
diese Verfolgten wären im Verfolgungszeitraum nicht in der Lage gewesen,
berücksichtigungsfähige Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung zu
erwerben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das ZRBG keine Wartezeitfiktion
enthält, also für die Entstehung eines Rentenanspruchs die Erfüllung der allgemeinen
Wartezeit erforderlich ist. Verfolgte können wegen der Dauer der
Verfolgungsmaßnahmen, die mit der Besetzung des jeweiligen Heimatlandes (ab
September 1939 bzw. Sommer 1941) durch die deutsche Wehrmacht begannen, und
der kurzen Dauer der Existenz von Ghettos, die überwiegend in den Jahren 1942/43
aufgelöst wurden, allein durch "Ghetto-Beitragszeiten" (§ 2 ZRBG) die allgemeine
Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllen, also kein Rentenstammrecht begründen. Damit
ist der Rentenanspruch davon abhängig, dass die Verfolgten weitere
berücksichtungsfähige Beitrags- und Ersatzzeiten vor und nach der Verfolgungszeit
erwarben, also die im SGB VI, FRG und WGSVG festgelegten
Zugangsvoraussetzungen zur deutschen Renteversicherung erfüllt oder Beitragszeiten
nach über- und zwischenstaatlichem Recht erworben haben. Denn auch die
Verfolgungsersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI setzen u.a. voraus, dass
die Verfolgten zu Beginn der Verfolgungsmaßnahmen die Voraussetzungen für die
Einbeziehung in die gesetzliche deutsche Rentenversicherung erfüllten (BSG, Urteil
vom 08.09.2005, - B 13 RJ 20/05 R -).
48
Des weiteren ist der Gesetzesbegründung zu § 2 ZRBG, insbesondere zu § 2 Abs. 2
ZRBG (BT-Drucks. 14/8583 S.6 und 14/8602 S.6) zu entnehmen, dass der Gesetzgeber
für die Berechnung der aus den sog. "Ghetto-Beitragszeiten" zu leistenden Rente eine
Beitragszahlung für eine nach den Reichsversicherungsgesetzen
versicherungspflichtige Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets, d. h. für die
Ermittlung der Höhe der Rente eine fiktive Beitragszahlung unterstellte und nur für die
Erbringung von Leistungen aus den "Ghetto-Beitragszeiten" ins Ausland diese als
Bundesgebiets-Beitragszeiten ansah. Durch diese Gleichstellung sollte der Export der
Rente nach den allgemein gültigen Grundsätzen des im SGB VI geregelten
Auslandsrentenrechts ermöglicht werden. Er schloss eine Zahlung von
Rentenleistungen ins Ausland für Zeiten einer Beschäftigung außerhalb des Ghettos
sowie ein wertmäßiges Mitziehen von Beitragszeiten, die außerhalb des Ghettos
erworben worden sind, in § 2 Abs. 2 ZRBG aus. Deshalb kann der Gesetzesbegründung
nicht der Wille des Gesetzgebers entnommen werden, dass Verfolgte, die während der
Verfolgungsmaßnahmen nicht dem Anwendungsbereich des WGSVG oder des FRG
49
unterfielen, in die gesetzliche Rentenversicherung als Berechtigte mit einbezogen
werden sollten. Vielmehr beschränkte sich der Wille des Gesetzgebers darauf,
Berechtigte, die nach den Vorschriften von WGSVG und FRG während der
Verfolgungsmaßnahmen berücksichtigungsfähige Versicherungszeiten durch eine
Beschäftigung im Ghetto erworben hatten, den Erhalt von Leistungen aus diesen Zeiten
zu ermöglichen.
Selbst wenn der Auffassung der Beteiligten gefolgt wird, dass Beschäftigungszeiten in
einem Ghetto für Verfolgte im Sinne des BEG grundsätzlich Beitragszeiten nach § 55
SGB VI gleichgestellt sind, unabhängig davon, ob die Verfolgten zu dem von FRG oder
WGSVG erfassten Personenankreis gehören, sind die Voraussetzungen des § 1 ZRBG
nicht erfüllt. Nach § 1 Abs.1 gilt das ZRBG für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten
in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung
aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist und gegen Entgelt ausgeübt
wurde (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr.1 ) und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom
deutschen Reicht besetzt war (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2).
50
Dahinstehen kann, ob die Klägerin in der Zeit von Januar bis Juli 1942 und von Oktober
1942 bis Januar 1944 im Ghetto Kopaigorod eine Beschäftigung aus eigenem
Willensentschluss aufnahm und gegen Entgelt im Sinne von § 1 Abs.1 S. 1 Nr. 1 ZRBG
ausübte. Jedenfalls sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZRBG nicht
gegeben. Für den streitbefangenen Zeitraum erstreckt sich der Anwendungsbereich des
§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZRBG nicht auf den Ort Kopaigorod. Dieser Ort befindet sich in
einem Gebiet, das in der Zeit vom Sommer 1941 bis 1944 als Transnistrien bezeichnet
wurde. Transnistrien umfasst als geographischer Begriff das Territorium zwischen den
Flüssen Dnjestr und Südlicher Bug (südlicher Teil der West-Ukraine) und wird im Süden
durch das Schwarze Meer und im Norden durch das Gebiet jenseits von Moghilev-
Podolsk begrenzt. Im Zeitraum von Januar 1942 1941 bis Januar 1942 war Transnistrien
im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZRBG weder in das Deutsche Reich eingliedert noch
vom Deutschen Reich besetzt.
51
Nach Auswertung der beigezogenen Dokumente und Literatur stellen sich für den Senat
die Verhältnisse in der südlichen Ukraine nach dem Einmarsch der verbündeten
deutsch-rumänischen Truppen wie folgt dar:
52
Als Teil der Ukraine gehörte Transnistrien 1941 zum Staatsgebiet der UdSSR. Anfang
Juli 1941 marschierten die verbündeten deutsch-rumänischen Truppen, die
Armeegruppe Antonescu, (4. rumänische, 11. deutsche und 3. rumänische Armee) in die
südliche Ukraine ein und eroberten weite Teile. Formeller Oberbefehlshaber war der
rumänische Staatschef Marschall Antonescu. Am 18.07.1941 wurde die einheitliche
Befehlsführung aufgehoben. Die 4. rumänische Armee schied aus dem Verband aus
und unterstand nunmehr dem rumänischen Generalstab. Die 11. deutsche Armee und 3.
rumänische Armee wurden direkt der deutschen Heeresgruppe Süd unterstellt.
53
Die eroberten sowjetischen Gebiete wurden zunächst provisorisch von deutschen
Militärbehörden verwaltet. Die Gebiete Bukowina und Bessarabien annektierte
Rumänien. Die Gebiete östlich des Flusses Bug gehörten zum "Reichskommissariat
Ukraine", dessen Verwaltung dem Minister für die besetzten Gebiete Rosenberg in
Berlin unterstand. Am 19.08.1941 unterstellte der rumänische Staatschef, Marschall
Antonescu, das als Transnistrien bezeichnete Gebiet durch einseitige Erklärung der
rumänischen Zivilverwaltung und setzte als Gouverneur (Gubernator) Professor
54
Alexianu ein.
In dem Gesetzesdekret vom 19.08.1941 heißt es u.a.:
55
"Dekret zur Übernahme der Verwaltung Transnistriens durch Rumänien"
56
Wir, General Antonescu, Oberbefehlshaber der Wehrmacht, befehlen:
57
Art. 1 Das besetzte Territorium zwischen Dnjestr und Bug, dessen Grenze, wie auf
anliegender Karte angezeichnet ist, im Norden die Linie Nord Mogilev-Nord Zmerinka
bildet, wird unter rumänische Verwaltung gestellt (mit Ausnahme der Region Odessa).
58
Art. 2 Wir ernennen Univ. Prof. Georg Alexianu zu unserem Bevollmächtigten für diese
Provinz und statten ihn mit Vollmachten aus.
59
Art. 3 Unser Bevollmächtigter wird durch Ordonnanzen alle zur Durchführung der
Verwaltung und zur Fortsetzung der Tätigkeit auf allen Gebieten notwendigen
Maßnahmen in Übereinstimmung mit den gegebenen Instruktionen ergreifen ...
60
Art. 5 Die für diese Provinz ernannten Beamten werden wie folgt entlohnt: a) mit
doppeltem Gehalt in Lei und b) einer Unterhaltsbewilligung im Höchstwerte des
doppelten Gehaltes in Lei
61
Art. 6 Die RM ist die einzige Verkehrsmünze in diesem Gebiet ...
62
Art. 8 Unser Bevollmächtigter erhält Befehle direkt von uns und dem
Ministerpräsidenten."
63
(zitiert nach Vökl, S. 435).
64
Am 30.08.1941 unterzeichneten die beiden militärischen Oberkommandos des
Deutschen Reiches und Rumäniens eine Vereinbarung über die Sicherung, Verwaltung
und Wirtschaftsauswertung der Gebiete Dnjestr und Bug (Transnistrien) und Bug und
Dnjepr (Bug-Dnjepr-Gebiet), - Vertrag von Tighina -. Rumänien übernahm die Sicherung
, Verwaltung und Wirtschaftsausnutzung des Gebietes bis zum Bug, für das weiter
ostwärts bis zum Dnjepr gelegene Gebiet die militärische Absicherung. Die Wehrmacht
behielt sich einige für die Kriegsführung wichtige Positionen vor, sie betrafen
insbesondere die Sicherung der Transportwege und die landwirtschaftliche Nutzung.
Weitere Punkte betrafen die Juden, die Grenzbewachung und die Aufteilung der
Kriegsbeute. Im dem Vertrag von Tighina heißt es u. a.:
65
" 1. Festlegung der Verantwortung: Es sind verantwortlich:
66
a) in Transnistrien: Rumänien für die Sicherung und Verwaltung und
Wirtschaftsausnutzung, über Verkehrs- und Nachrichtenwesen siehe Ziffer 3. Über die
vom Staatsführer an Marschall Antonescu vorgeschlagene Nordgrenze ist die
Entscheidung des Führers auf diplomatischem Wege herbeizuführen.
67
b) im Bug-Dnjepr-Gebiet: Deutschland für Verwaltung und Wirtschaftsausnutzung,
Rumänien für die Sicherung.
68
Rumänische Sicherungstruppen: Stärke und Gliederung der rumänischen
Sicherungstruppen werden so bemessen, dass die vorgesehenen Aufgaben erfüllt
werden können. Voraussichtlich werden hierzu eingesetzt ...
69
Über die taktische Unterstellung der rumänischen Sicherungstruppen im Bug-Dnjepr-
Gebiet erfolgt eine Sondervereinbarung. Grundsätzlich sollen jedoch die rumänischen
Truppen dort unter dem Befehl des rumänischen Korps - Kdos - eingesetzt werden, mit
Ausnahme von Notfällen, in denen die örtlichen deutschen Dienststellen die nächsten
rumänischen Truppen unmittelbar anfordern können. Das Heranziehen der
Zivilbevölkerung in Transnistrien zum Sicherheits- und Ordnungsdienst unter Aufsicht
der rumänischen Truppen ist erwünscht; die Organe dieses zivilen Ordnungsdienstes
sollen jedoch möglichst nicht bewaffnet sein.
70
Bei den rumänischen Kommando-Behörden verbleiben wie bisher "Deutsche
Verbindungskommandos" (D.V.K.), die der deutschen Heeresmission unterstellt bleiben.
71
2. Verkehrs- und Nachrichtenwesen in Transnistrien:
72
a) Eisenbahn und Binnenschifffahrt: Beide Verkehrsmittel stehen in erster Linie für die
gemeinsamen Operationstruppen und für die Besatzungstruppen zur Verfügung und
werden von einer deutschen Transportkommandantur verwaltet. Wiederherstellung und
Verwaltung beider Verkehrsmittel ist Sache deutscher militärischer Dienststellen, die
Teile des Eisenbahnnetzes verantwortlich an den Chef des rumänischen
Eisenbahnwesens abgeben können. Die rumänischen Dienststellen unterstützen die
deutschen Dienststellen bei Bau und Unterhaltung der Eisenbahnen. In Odessa wird für
Transnistrien eine "Deutsche Transportkommandantur " eingerichtet, der zur Wahrung
der rumänischen Interessen ein rumänisches Verbindungskommando beigegeben wird.
Alleintransporte bedürfen der Anmeldung bei der deutschen Transportkommandantur.
Deutscherseits werden folgende Strecken in Betrieb genommen: Balzer-Odessa, die
Gleis nach Gleis auf Normalspur umgenagelt wird, Odessa-Vosnesensk (Breitspur),
Balta-Golta (Breitspur)). Die Wiederherstellung (Normalspur) der Strecken ... durch den
Chef des rumänischen Eisenbahnwesens ist erwünscht.
73
b) Seetransporte: Seetransporte auf dem Schwarzen Meer vereinbaren die verbündeten
Marinen Deutschland und Rumänien unmittelbar.
74
c) Straßen und Brücken: Straßen und Brücken werden von rumänischen Dienststellen
unterhalten ...
75
d) Fernsprechverbindungen: Die Fernsprechverbindungen werden grundsätzlich von
rumänischen Dienststellen instand gesetzt und betrieben ... Für die.Nachrichtenbelange
in Transnistrien steht der Nachrichtenführer der deutschen Heeresmission zur
Verfügung ...
76
e) Die Sicherung der Verkehrswege und Nachrichtenverbindungen aller Art ist Sache
der Rumänischen Besatzungstruppen ...
77
4. Verwaltungs- und Wirtschaftsausnutzung in Transnistrien
78
Die Verwaltung in Transnistrien wird durch einen rumänischen Chef der Verwaltung
eingerichtet und geleitet; er ist - im Interesse der gemeinsamen Kriegsführung - in
79
entscheidenden Fragen an die Weisungen des militärischen Oberbefehlshabers in
Transnistrien gebunden. Dem Chef der rumänischen Verwaltung in Transnistrien wird
auf seine Bitte ein höherer deutscher Kriegsverwaltungsbeamter zur Beratung und
Unterstützung zugeteilt. Die wirtschaftliche Ausnutzung von Transnistrien ist Sache der
rumänischen Dienststellen. Zur Wahrung der Belange der gemeinsamen Kriegsführung
wird eine "Verbindungsstelle der deutschen Wehrmacht in Odessa" eingerichtet, deren
Aufgaben sind:
a) Betreuung der deutschen Truppen in Transnistrien, hierfür werden "Deutsche
Wehrmachts- Standort-Kommandanturen" - ... - neben dem Bahnhofskommandanturen
eingerichtet.
80
b) die für die wirtschaftliche Ausnutzung verantwortlichen rumänischen Dienststellen bei
der Erfassung und Verteilung der hierfür die gemeinsamen Operationen notwendigen
Mittel zu unterstützen und gemeinsam die für die Kriegsführung notwendigen Mitteln
gemäß nachstehenden Richtlinien festzulegen: Die Vorräte aller Art werden gemeinsam
festgestellt. Die Rumänischen Besatzungstruppen, die Verwaltung und die Bevölkerung
erhalten ihren Anteil. Der Überschuss wird für gemeinsame Operationen zur Verfügung
gestellt. Falls es die operativen Interessen erfordern, haben die Belange der operativen
Truppe den Vorzug gegenüber den Forderungen der Besatzungstruppe, Verwaltung
und der Bevölkerung ...
81
7. Abschub von Juden aus Transnistrien
82
Abschub der Juden über den Bug ist zur Zeit nicht möglich. Sie müssen daher im
Konzentrationslager zusammengefasst und zur Arbeit eingesetzt werden, bis nach
Abschluss der Operationen ein Abschub nach Osten möglich ist.
83
8. Die vereinbarte rumänische Grenzsperrlinie verbleibt am Dnjestr. Die Absperrung der
Ost- und Nordgrenze von Osttransnistrien übernimmt Heeresgruppe Süd ..." (zitiert nach
Völkl, S. 436 ff).
84
Im September 1941 wurde die Nordgrenze Transnistriens entsprechend den
rumänischen Wünschen festgelegt. Nach der Eroberung Odessas im Herbst 1941 wurde
das Gebiet von Odessa Transnistrien zugeordnet. Transnistrien wurde nicht in das
rumänische Staatsgebiet eingegliedert, sondern von Rumänien wirtschaftlich und
währungsmäßig als eigenes Territorium behandelt. Am Dnjestr entstand die
Staatsgrenze Rumäniens mit Pass- und Zollkontrolle, der Personen- und Warenverkehr
unterlag einer Kontrolle, Aus- und Einreise sowie Aus- und Einfuhr waren
genehmigungspflichtig. Im Norden und Osten entstand gegenüber den der deutschen
Besatzungshoheit unterstehenden Gebieten eine Außengrenze. Als Währung wurde
nicht der rumänische Lei , sondern der RKKS als offizielles Zahlungsmittel eingeführt.
Der Etat Transnistriens wurde von der rumänischen Regierung vom rumänischen
Staatshaushalt getrennt aufgestellt. Die rumänische Regierung bildete einen
gemeinsamen Ministerausschuss, der ab Januar 1942 für Angelegenheiten der
eroberten Gebiete Bessarabien, Bukowina und Transnistrien zuständig war. Der
Gouverneur von Transnistrien hatte das Recht, an den Sitzungen der rumänischen
Regierung teilzunehmen. Die bisher geltenden Gesetze blieben in Kraft und wurden
zunehmend durch Dekrete und Verordnungen der neuen Verwaltung ersetzt. Die
rumänische Regierung erließ durch Dekrete mit Gesetzeskraft Gesetze für Transnistrien,
wie z. B. in der Verordnung vom 11.11.1941, in der es u.a. heißt:
85
" ...kraft der Generalermächtigung, die durch Dekretgesetz Nr. 1, am 19. August 1941 zu
Tighina erlassen, gegeben wurde, ordnen wir , Jon Antonescu, Marshall von Rumänien,
Oberbefehlshaber des Heeres durch Prof. Gh Alexianu Zivilgouverneur, wie folgt an: ...".
86
Der Gouverneur bildete eine aus Direktoren bestehende Landesregierung. Transnistrien
wurde in 13 Bezirke unterteilt, diese wiederum in Kreise eingeteilt. Bei den Direktoren,
Präfekten, Prätoren, beim höheren Verwaltungsstab der Stadt Odessa und bei den
Rayon-Bürgermeistern handelte es sich um rumänische Staatsangehörige. Die
Präfekten waren in der Regel rumänische Offiziere im Obristenrang. Die rumänische
Regierung entsandte ca. 4.000 Staatsangehörige zur Verwaltung von Transnistrien.
Diese erhielten zwei Gehälter, in Lei und RKKS. Die in Transnistrien stationierten
rumänischen Truppen, deren Aufgabe u.a. die Unterstützung der Zivilverwaltung war,
unterstanden dem rumänischen Generalstab in Bukarest. Neben dem rumänischen
Heer wurden rumänische Polizeiverbände als Sicherheits- und Exekutivorgane in
Transnistrien eingesetzt. Das Gerichtswesen lag bei der rumänischen
Militärgerichtsbarkeit. Rumänisch war Amtssprache, an den Amtsgebäuden wurden
rumänische Staatssymbole verwendet, der rumänischen Nationalfeiertag wurde als
gesetzlicher Feiertag eingeführt. Es wurde eine Rumänisierung der Kultur eingeleitet.
1942 und 1943 besuchte der rumänische Staatschef auf einer Inspektionsreise
Transnistrien.
87
Die Wehrmacht war mit Sicherungs- und Etappentruppen und sonstigen rückwärtigen
Einrichtungen sowie mit Kampf-Verbänden der Luftwaffe, Staffeln und Gruppen
verschiedener Geschwader in Transnistrien vertreten. Die meisten Einheiten und
Dienststellen des Heeres und der Luftwaffe lagen in Odessa. Zu den rumänischen
Kommandostellen traten deutsche Verbindungskommandos. Die Einheiten und
Dienststellen der Wehrmacht unterstanden dem Chef der "Verbindungsstelle der
Deutschen Wehrmacht in Transnistrien", der bis zum 30.09.1942 der Heeresgruppe Süd
und ab dem 01.10.1942 der "Deutschen Heersmission in Rumänien" bzw. ab Januar
1943 dem "deutschen General beim Oberkommando der rumänischen Wehrmacht"
unterstand. In der Dienstanweisung für den Chef der "Verbindungsstelle der Deutschen
Wehrmacht in Transnistrien" vom 03.09.1941 heißt es u.a.:
88
" 1.) ... Er übt gemäß ... Wehrmachtsbefugnisse gegenüber allen deutschen militärischen
Dienststellen für den unter rumänischer Verwaltung stehenden Teil des
Operationsgebietes zwischen Dnjestr und Bug (Transnistrien) aus ...
89
2) Der Chef der "Verbindungsstelle der Deutschen Wehrmacht" fasst die von deutschen
militärischen Dienststellen in Transnistrien zu erfüllenden Aufgaben zusammen. Er
betreut die deutschen Truppen in Transnistrien und unterstützt die für die wirtschaftliche
Ausnutzung von Transnistrien verantwortlichen rumänischen Dienststellen bei
Erfassung und Verteilung der für die gemeinsamen Operationen notwendigen Mittel
nach den zwischen dem OKH und dem kgl. Rumänischen Großen Generalstab
getroffenen Vereinbarungen ..."
90
Am 21.11.1943 schuf die Deutsche Wehrmacht ein zentrales Kommando "Befehlshaber
der deutschen Truppen in Transnistrien", das direkt dem Oberkommando der
Wehrmacht unterstand. Im Befehl zur Einsetzung des Befehlshabers der Deutschen
Truppen in Transnistrien vom 27.11.1943 heißt es u.a.:
91
" ... In allen Angelegenheiten, die die rumänischen Interessen berühren und die nicht mit
dem rumänischen Gouverneur unmittelbar geregelt werden können, holt der
Befehlshaber der deutschen Truppen in Transnistrien die Entscheidung des Chefs OKW
über den Deutschen General beim Oberkommando der Rumänischen Wehrmacht ein. In
diesem Falle stellt der Deutschen General beim Oberkommando der Rumänischen
Wehrmacht gemäss seiner Dienstanweisung das Einvernehmen mit den rumänischen
Zentralstellen her und trifft im Auftrag des Chefs OKW selbständig die notwendigen
Entscheidungen ...
92
Aufgaben des Befehlshabers der deutschen Truppen in Transnistrien:
93
...
94
3. Wahrnehmung der Aufgaben eines territorialen Befehlshabers aller Teile der
Deutschen Wehrmacht und sämtlicher in ihrem Interesse tätigen Organisationen 4.
Wahrnehmung der Aufgaben des bisherigen Verbindungsstabes der Deutschen
Wehrmacht in Transnistrien
95
5. Wahrnehmung der Interessen der Heeresgruppe A und Süd sowie der Luftwaffe und
Kriegsmarine und der im Wehrmachtinteresse tätigen Organisationen gegenüber den
örtlichen rumänischen Dienststellen.
96
...
97
6. Ausnutzung des Landes im Einvernehmen mit dem rumänischen Gouverneur von
Transnistrien zur Unterstützung der Versorgung der Heeresgruppe A und Süd ... "
98
Für die landwirtschaftliche Nutzung bestand die Dienststelle des "Deutschen
landwirtschaftlichen Beraters" beim Gubernator, der deutsche landwirtschaftliche
Experten im Range von Sonderoffizieren der deutschen Wehrmacht zu den einzelnen
rumänischen Präfekten entsandte. 1942 wurde in Odessa ein deutsches Konsulat
eröffnet.
99
Für die Betreuung der volksdeutschen Siedlungen in Transnistrien (ca 130.000
Volksdeutsche in 228 Dörfern und neun Stadtbezirken Odessas) wurde von dem
Kommando der volksdeutschen Mittelstelle (VOMI), die dem Reichsführer-SS in seiner
Eigenschaft als "Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums" unterstand,
das SonderkommandoR (SkR) gebildet. Das SkR setzte sich überwiegend aus SS-
Angehörigen zusammen, seine Führung stammte nicht aus den Reihen der
einheimischen Volksdeutschen. Anfang 1942 wurden die Volksdeutschen aufgrund der
Vereinbarungen mit dem rumänischen Gouverneur weitgehend aus dem
Zuständigkeitsbereich der rumänischen Verwaltung herausgelöst und der VOMI
unterstellt (Verträge vom 12.12.1941 und vom 14/30.08.1942). Die rumänischen
Präfekten hatten die durch die VOMI eingesetzten Bürgermeister und Lehrer zu
bestätigen, die VOMI behielt sich das Schul- und Kulturwesen vor, ebenso die
Einziehung der Steuern, die zu einem ermäßigten Satz pauschal an die rumänischen
Behörden abzuführen waren. Andere Pflichtablieferungen gingen an die Wehrmacht.
Den rumänischen Behörden verblieb die Gerichtsbarkeit im allgemeinen Zivilrecht, bei
Verhaftungen bestand eine Hinweispflicht gegenüber der VOMI. Die VOMI baute einen
bewaffneten volksdeutschen Selbstschutz (ca. 8.000 Mann) auf, der nur ihr unterstand
und der rumänischen Gerichtshoheit entzogen war. Er unterstand politisch und
100
disziplinarisch der SS- und Polizeigerichtsbarkeit.
Nach dem Einmarsch der deutsch-rumänischen Truppen waren in den eroberten
Gebieten Bukowina, Bessarabien und Transnistrien Einsatzkommandos der
Einsatzgruppe D unter Führung des SS-Gruppenführers Ohlendorf vom Beginn des
Russlandfeldzuges, dem 20.06.1941, bis zum 31.10.1941 eingesetzt. Die
Einsatzkommandos waren neben rumänischen Einheiten an der systematischen
Ermordung der jüdische Bevölkerung der eroberten Gebiete beteiligt. Nach dem Abzug
der Einsatzgruppe D war das SkR mit den dazu gehörigen Bereichskommandos sowie
der von ihnen aufgestellte Selbstschutz an den Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden,
teilweise in Absprache mit den rumänischen Stellen, beteiligt, u.a. nahmen sie
systematische Erschießungen von Juden im Umkreis volksdeutscher Siedlungen vor.
Deutsche Zivilkräfte, die im Besatzungsgebiet Uniform tragen durften, und deutsche
Militärs waren an der Ermordung von Juden in Lagern Transnistriens beteiligt.
101
Unabhängig von den Aktionen der Einsatzgruppe D waren rumänische Truppen und
Polizeieinheiten an der Verhaftung und Erschießungen von Juden beteiligt. Nach der
Eroberung Odessas ermordete die rumänische Armee innerhalb einer Woche 30.000 –
40.000 ortsansässige Juden und deportierte die überlebenden Juden in
Zusammenarbeit mit deutschen Stellen in Lager im Distrikt Golta. Zwischen Dezember
1941 und Februar 1942 wurden in der Provinz Golta ortsansässige und deportierte
Juden unter direkter Leitung des Präfekten Isopescu ermordet. Die rumänischen
Behörden deportierten in der Zeit von Herbst 1941 bis Herbst 1942 Juden aus
Bessarabien, der Bukowina und der nördlichen Moldauregion (ca 180.000 Personen)
nach Transnistrien. Ziel der Deportationen war die Verbringung der Juden in das Gebiet
jenseits des Bug, in dem das Deutsche Reich die Besatzungshoheit ausübte. Die
deutschen Stellen verweigerten die Übernahme der deportierten Juden in ihren
Zuständigkeitsbereich. Die Deportationen wurden am 13.10.1942 eingestellt. Die in
Transnistrien ansässigen, dorthin geflüchteten oder aus der Bukowina /Bessarabien
deportierten Juden wurden in geschlossenen und offenen Ghettos oder Lagern
festgehalten oder in bestimmten Orten angesiedelt. Für die Versorgung der Juden mit
dem Lebensnotwendigen - Unterkunft, Nahrung, medizinische Betreuung - waren keine
Vorkehrungen getroffen. Die Juden litten unter Hunger, katastrophalen hygienischen
Zuständen, Seuchen, Kälte und einer ständigen Bedrohung. Die Lager und Ghettos
unterlagen der Zuständigkeit des rumänischen Gouverneurs und der örtlichen
rumänischen Behörden. Dem Inspekteur der rumänischen Polizei oblag die
Beaufsichtigung der jüdischen Lager und Ghettos. Der Status der einheimischen und
deportierten Juden wurde durch die Verordnung des Oberkommandos des Heeres,
Abteilung des Zivilgouverneurs von Transnistrien, Nr. 23 vom 11.11.1941 geregelt.
Ende 1942 hörte die systematische Ermordung von Juden auf; es stabilisierte sich die
Lage. Die rumänische Regierung ließ materielle Hilfe für die Juden aus Rumänien und
dem Ausland zu. Deutsche Firmen, Wehrmachtseinheiten, Bauabteilungen der
Organisation Todt und andere deutsche Dienststellen zogen Juden aus den Lagern und
Ghettos als Arbeitskräfte heran.
102
Nach dem erfolgreichen Vorrücken der russischen Armee während der
Sommeroffensive 1943 begann die rumänische Regierung im letzten Quartal 1943
Evakuierungsmaßnahmen in Transnistrien einzuleiten. Am 29.01.1944 übernahm der
rumänische General Potopenu auf Befehl Antonescus die Zivilverwaltung. Im Februar
1944 drangen russische Panzerverbände in Nord-Transnistrien ein. Im März 1944 gab
Rumänien das verbliebene Süd-Transnistrien auf. Am 15.03.1944 wurde die
103
Befehlsführung der 6. Armee der Heeresgruppe A auf den gesamten Raum Süd-
Transnistrien ausgedehnt und die rumänische Verwaltung von der deutschen
Militärverwaltung übernommen (18.03.1944). Im Kriegstagebuch der 6. Armee,
Abteilung Oberquartiermeister aus März 1944 ist vermerkt:
"15.3 ... a.). Die rumänische Verwaltung wird Zug um Zug von der deutschen
Militärverwaltung übernommen ...
104
16.3
105
...
106
3.) die Übernahme von Transnistrien ist nur als vorübergehende Maßnahme gedacht.
Transnistrien geht, sobald es die Lage wider erlaubt, wieder in rumänische Hände über.
Es ist weiterhin als Bestandteil des rumänischen Staatsgebietes zu betrachten.
107
...
108
18.3 Zur Durchführung der Verwaltung wird bei AOK 6 die Abteilung VII (Mil.-Verw.)
eingerichtet ...
109
19.3 a) Korück 593 meldet die Übernahme der rumänischen Verwaltung Transnistrien."
110
Der Ort Kopaigorod wurde im März 1944 von sowjetischen Truppen besetzt, seit dem
10.04.1944 war das gesamte Gebiet Transnistrien von den sowjetischen Truppen
zurückerobert.
111
Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen wurde das Gebiet Transnistrien weder
in das Deutsche Reich noch in das rumänische Staatsgebiet eingegliedert. Eine
Eingliederung liegt vor, wenn ein zunächst fremdes Staatsgebiet dem eigenen
Staatsgebiet durch Rechtsakt (Gesetz, Erlass) angegliedert wird (Annektion). Weder das
Deutsche Reich noch Rumänien haben nach der Eroberung das Gebiet Transnistrien
durch Rechtsakt in das eigene Staatsgebiet einbezogen. Insoweit sind die
Ausführungen der Klägerin zutreffend, dass Rumänien im völkerrechtlichen Verkehr
Transnistrien nicht als Bestandteil des eigenen Staatsgebietes ansah. Rumänien
behandelte Transnistrien wirtschaftlich und währungsmäßig nicht als eigenes
Territorium und baute eine gesonderte Verwaltung auf. Daraus folgt aber nicht
zwangsläufig, dass eine Besetzung Transnistriens durch Rumänien auszuschließen
und eine Besetzung durch das Deutsche Reich anzunehmen ist. Denn im Gegensatz
zur Annektion wird bei einer Besetzung/Okkupation das eroberte Staatsgebiet eines
fremden Staates nicht in das eigene Staatsgebiet einverleibt. Nach Art. 42 der HLK vom
18.10.1907 (RGBl 1910,107) gilt ein Gebiet als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der
Gewalt des feindlichen Heeres befindet. Die Besetzung erstreckt sich nur auf die
Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann. Für eine Besetzung
im völkerrechtlichen Sinne ist daher charakteristisch, dass der besetzende Staat
vorläufig die tatsächliche Gewalt über ein fremdes Staatsgebiet ausübt. Die
Staatsgewalt des besetzten Staates erlischt nicht automatisch, sie wird nur für die Dauer
der Besetzung entweder vollkommen oder zum Teil suspendiert. Die Staatsgewalt des
besetzten Staates tritt soweit zurück, wie der Besetzer die Regelungsgewalt an sich
zieht. Die Besatzungsmacht nimmt die Gebietshoheit über ein fremdes Territorium, aber
nicht die Personalhoheit über die Einwohner des eroberten Gebiets in Anspruch (BGH,
112
Urteil vom 13.04.1960, - IV ZR 279/50 -; BGH, Urteil vom 18.03.1959, - IV ZR 263/58;
BSG, Urteil vom 16.12.1997, - 4 RA 63/96 -).
Entgegen der Auffassung der Klägerin war Transnistrien im streitbefangenen Zeitraum,
der Zeit von Januar 1942 bis Januar 1944, nicht im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
ZRBG vom Deutschen Reich besetzt. Der Begriff "vom Deutschen Reich besetzt" ist im
ZRBG nicht näher definiert. Zur Auslegung dieses Begriffes ist der in Art. 42 HLK
definierte Begriff der Besetzung heranzuziehen. Denn die HLK ist zum einen nach
Beitritt des Deutschen Kaiserreiches zu diesem völkerrechtlichen Vertrag als
Reichsrecht verkündet worden und stellt zum anderen als Völkergewohnheitsrecht eine
allgemeine Regel des Völkerrechts dar. Als allgemeine Regel des Völkerrechts ist die
HLK nach Art. 25 Grundgesetz (GG) Bestandteil des Bundesrechts. Die Rechtsprechung
knüpft auch bei der Auslegung des Begriffes der "von der deutschen Wehrmacht
besetzten Gebiete" in § 7 Abs. 1 Nr. 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) bzw. des
Begriffes "militärische Besetzung" in § 5 Abs. 1 Ziffer d BVG an Art. 42 HLK an. Für die
Annahme einer Besetzung nach Art. 42 HLK fordert die Rechtsprechung die Errichtung
und faktische Durchsetzung einer Besatzungsmacht auf dem Gebiet eines fremden
Staates. Die Besatzungsmacht muss sowohl nach ihren eigenen Erklärungen als auch
tatsächlich Herrschaftsgewalt ausüben (BSG, Urteil vom 24.11.1977, - 9 RV 98/76 -;
Urteil vom 28.5.1995, - 9 RV 29/95 -). Die Herrschaft muss effektiv sein (BSG, Urteil vom
25.06.1965, - 11 RV 1248/60 - ). Dies entspricht den Anforderungen an eine Besetzung
in der völkerrechtlichen Literatur, wonach nach der HLK ein Gebiet als besetzt gilt, wenn
der fremde Staat über ein militärisch erobertes Gebiet die Gebietshoheit bzw. eine der
Gebietshoheit ähnliche Zwangsgewalt ausübt; er muss die oberste Gewalt übernommen
haben. (Schlochhauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Erster Band , Stichwort:
"Besetzung, Kriegerische"; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Zweiter Band,
Kriegsrecht, 2. Aufl, S.124 ff; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 6. Aufl., Rdnr. 1861 ff;
Schmoller/Maier/Tobler; Handbuch des Besatzungsrecht; 1957, § 24 a, S. 20 f.). Unter
Gebietshoheit ist das Recht, auf dem besetzten Gebiet gegenüber den Bewohnern Akte
der Staatsgewalt zu setzen, z. B. Gesetze zu erlassen, Steuern zu erheben, zu
verstehen (Berber, a.a.O; § 25 S.129 ff; Seidl-Hohenveldern, a.a.O., Rdnr. 818 ff). Eine
Besetzung nach Art. 42 HLK, die nicht auf einer konkreten vertraglichen Vereinbarung
zwischen dem Gebietsherrn und der Besatzungsmacht, sondern auf der faktischen
Innehabung der tatsächlichen Gewalt durch den besetzenden Staat beruht, endet
entweder durch den Verlust der tatsächlichen Gewalt der Besatzungsmacht oder mit
dem Ende des Kriegszustandes (vgl. Berber, a.a.O; 2. Aufl., § 25 S. 124 ff (125,127)).
113
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist für den Begriff der Besetzung im Sinne des
Art. 42 HLK unerheblich, ob der Krieg auf Seiten des okkupierenden oder okkupierten
Staats in legaler oder illegaler Weise begonnen worden ist oder in welcher Form die
Besatzungsgewalt ausgeübt wird. Der besetzende Staat kann im okkupierten Gebiet
sowohl eine Militärverwaltung wie auch eine Zivilverwaltung einsetzen (Berber, a.a.O., §
25 S. 128). Das Anknüpfen an Art. 42 HLK bei der Auslegung des Begriffs "vom
Deutschen Reich besetzt" entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der unterstellt,
dass ein Ghetto in den eingegliederten und besetzten Gebieten in besonderem Maße
der hoheitlichen Gewalt des Deutschen Reiches ausgesetzt war und es nicht darauf
ankommt, in welchem vom Deutschen Reich beherrschten Gebiet die Beitragszeiten
zurückgelegt worden sind (BT-Drucksache 14/8583 S.6). Die Ausübung von hoheitlicher
Gewalt entspricht dem Begriff der Gebietshoheit.
114
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war Transnistrien vom Deutschen Reich im
115
Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZRBG nicht besetzt (LSG NRW, Urteil vom 27.01.2006, -
L 4 RJ 126/04 -, Urteil vom 03.02.2006, L 4 R 47/05, SG Hamburg, Urteil vom
09.09.2003, - S 26 RJ 1253/03 -). Das Deutsche Reich übte in Transnistrien gegenüber
der Bevölkerung keine Gebietshoheit aus und nahm auch keine Herrschaftsgewalt in
Anspruch. In der Zeit zumindest von September 1941 bis Mitte März 1944 nahm
Rumänien auf der Grundlage des Dekretes vom 19.08.1941 und des Vertrages von
Tighina vom 30.08.1941 die Besatzungsgewalt, d.h. die Gebietshoheit, in Transnistrien
in Anspruch und übte sie aus. Weder übten das deutsche Reich und Rumänien die
Gebietshoheit gemeinsam aus noch verwaltete oder besetzte Rumänien Transnistrien
für das Deutsche Reich. Insoweit folgt der Senat nicht der vom Historiker Prof. Dr. C
vertretenen Auffassung, auf die sich die Klägerin beruft, dass die juristische Form der
Okkupation zwischen Rumänien und dem Deutschen Reich unklar blieb, de facto beide
Staaten die Herrschaft ausübten (C in Benz/Houwink ten Cate/Otto, Die Bürokratie der
Okkupation, S. 11ff (16)) bzw. das Gebiet von Rumänien verwaltet wurde und unter
deutscher Oberherrschaft Besatzungsland war (C in Isak Weißglas, Steinbruch am Bug,
S. 91 ff (95)), wobei Prof. Dr. C seine Bewertung der Verhältnisse nicht näher begründet.
Im Sommer 1941 eroberten die deutsch-rumänischen Truppen Teile des sowjetischen
Staatsgebiet gemeinsam und es wurde das eroberte Gebiet zunächst provisorisch von
deutschen Militärbehörden verwaltet. Anschließend annektierte Rumänien die eroberten
Gebiete von Bessarabien und der Bukowina und das Bug-Dnjepr-Gebiet wurde vom
Deutschen Reich als Teil des Reichskommissariats Ukraine verwaltet. Durch die
einseitige Erklärung vom 19.08.1941 unterstellte der rumänische Staatschef Antonescu
das Gebiet Transnistrien der rumänischen Zivilverwaltung und gab den Willen kund,
dass Rumänien die gesetzmäßige Gewalt übernimmt. Dies ergibt sich insbesondere
aus Art. 1, 3 und 8 des Dekretes, wonach der vom rumänischen Staatschef eingesetzte
Bevollmächtigte direkt dem rumänischen Staatschef Antonescu und dem
Ministerpräsidenten unterstellt war und der Bevollmächtigte alle notwendigen
Maßnahmen zur Durchführung der Verwaltung in Übereinstimmung mit den von der
rumänischen Regierung gegebenen Instruktionen ergreifen soll. Der Wille, die
Gebietshoheit in Transnistrien in eigenem Namen, also im Namen Rumäniens
auszuüben, wird auch deutlich aus der Äußerung von Staatschef Antonescu gegenüber
Gouverneur Alexianu bei der Regierungssitzung vom 16.12.1941, wonach dieser dem
Gouverneur Alexianu befahl, "dort zu regieren, als ob Rumänien diese Gebiete seit 2
Millionen Jahren beherrsche. Was später geschieht, werden wir sehen ..."
(wiedergebenen in Final Report of the International Commission on the Holocaust in
Romania S. 46; Ancel, S. 24).
116
Rumänien übte die von ihm in Anspruch genommene Territorialhoheit effektiv aus.
Durch den Vertrag von Tighina vom 30.08.1941 teilten Rumänien und das Deutsche
Reich ihre Kompetenzen im Gebiet Transnistrien und im angrenzenden Bug-Dnjepr-
Gebiet auf. Das Deutsche Reich erkannte in diesem Vertrag die rumänische Verwaltung
von Transnistrien, also die Ausübung der Gebietshoheit durch Rumänien, an ( Ziffer 1a )
und übernahm die Ausübung der Gebietshoheit im östlich angrenzenden Bug-Dnjepr-
Gebiet (Ziffer 1b). Ein Wille der deutschen Armee oder deutschen Regierung, in
Transnistrien eigene Besatzungsgewalt auszuüben, ergibt sich nicht aus dem
Vertragstext. Die Sicherung des Gebietes Transnistrien sollte ausschließlich durch
rumänische Truppen gewährleistet werden, diese Truppen werden in Ziffer 3 e) des
Vertrages als Besatzungstruppen bezeichnet. Die in Transnistrien stationierten
rumänischen Truppen waren nicht dem territorialen Oberbefehlshaber der deutschen
Einheiten und Dienststellen in Transnistrien, dem Chef der Verbindungsstelle der
117
Deutschen Wehrmacht in Transnistrien, unterstellt, sondern dem rumänischen
Generalstab in Bukarest.
Die Deutsche Wehrmacht behielt sich im Vertrag von Tighina nur Kompetenzen
hinsichtlich der Sicherung der Versorgung (Abführen von landwirtschaftlichen Erträgen
zur Versorgung der deutsch-rumänischen Truppen), der Nachschubwege
(Kompetenzen deutscher Stellen im Bereich des Verkehrs- und Nachrichtenwesen) und
der Stationierung von Truppenteilen vor. Die vorbehaltenen Kompetenzen sind nicht
Ausdruck eines territorialen Anspruchs, sondern sie dienten den strategischen Zielen
der gemeinsamen Kriegsführung und der Sicherung der Durchführung des Ostfeldzugs.
Dies ergibt sich auch aus den im Verfahren beigezogenen Dienstanweisungen für den
territorialen Befehlshaber der deutschen Truppenteile und Dienststellen in Transnistrien.
Soweit in § 4 des Vertrags von Tighina geregelt war, dass der rumänische Chef der
Verwaltung im Interesse der gemeinsamen Kriegsführung in entscheidenden Fragen an
die Weisungen des militärischen Oberbefehlshabers in Transnistrien gebunden war, ist
den beigezogenen Dienstanweisungen für den Chef der Verbindungsstelle der
Deutschen Wehrmacht in Transnistrien zu entnehmen, dass diesem die Funktion eines
territorialen Befehlshabers aller in Transnistrien stationierten deutschen Einheiten und
Dienststellen übertragen wurde. Die Übernahme der obersten Gewalt in Transnistrien
bzw. die Übertragung von Verwaltungsfunktionen gegenüber der Bevölkerung von
Transnistrien war nicht Gegenstand der Dienstanweisungen. Ebenso ergibt sich aus
den Dienstanweisungen nicht, dass das Deutsche Reich von einem Über- und
Unterordnungsverhältnis zwischen dem Chef der Verbindungsstelle der Deutschen
Wehrmacht in Transnistrien und dem rumänischen Zivilgouverneur ausging, vielmehr
sollte der Chef der Deutschen Wehrmacht in Transnistrien bei für die Kriegsführung
erforderlichen Maßnahmen das Einvernehmen mit dem Gouverneur bzw. der
rumänischen Regierung herstellen. Erst Mitte März 1944, als Rumänien Transnistrien
militärisch aufgegeben, d. h. die tatsächliche Gewalt verloren hatte, installierte das
Deutsche Reich eine deutsche Militärverwaltung für Transnistrien und reklamierte die
Ausübung der obersten Gewalt.
118
Entgegen der Auffassung der Klägerin spricht auch die fehlende Regelung des
zukünftigen staatsrechtlichen Status von Transnistrien im Vertrag von Tighina nicht
gegen den Willen Rumäniens, die oberste Gewalt in diesem Gebiet im eigenen Namen
auszuüben. Der Vertrag von Tighina hatte zwar nur provisorischen Charakter. Für eine
kriegerische Besetzung ist aber charakteristisch, dass es sich um einen vorläufigen
Zustand handelt. Denn die Dauer einer kriegerischen Besetzung hängt vom
Kriegsverlauf ab, da sie entscheidend von der tatsächlichen Innehabung der Gewalt
geprägt ist. Auch kann sich der Besatzungsstatus eines Gebietes durch vertragliche
Vereinbarungen von verbündeten Staaten im Laufe einer Besetzung ändern. Aus den im
Verfahren beigezogenen Dienstanweisungen der deutschen Wehrmacht ergibt sich,
dass das Deutsche Reich Transnistrien der rumänischen Interessensphäre zuordnete
und als Bestandteil des rumänischen Staatsgebietes betrachtete. Dies ist insbesondere
den Eintragungen im Kriegtagebuch der 6. Armee vom 15./16.03.1944 zu entnehmen,
wonach die Übernahme von Transnistrien von der rumänischen Verwaltung in die
deutsche Militärverwaltung nur als vorübergehende Maßnahme gedacht war und
Transnistrien auch nach Übernahme der Verwaltung als Bestandteil des rumänischen
Staatsgebiets betrachtet wurde.
119
Rumänien verwaltete oder besetzte Transnistrien auch nicht für das Deutsche Reich.
Der Senat schließt sich nach Auswertung der beigezogenen Dokumente und der
120
Literatur der Rechtsprechung der Zivilgerichte und Verwaltungsgerichte zum Verhältnis
zwischen Rumänien und dem Deutschen Reich während des Zweiten Weltkriegs an,
wonach es sich bei Rumänien nicht um einen "Marionettenstaat", sondern um einen
souveränen Staat mit eigener Entscheidungsfreiheit handelte. Rumänien war während
des Zweiten Weltkrieges ein weitgehend autonom agierender Bündnispartner des
Deutschen Reiches, der zu keiner Zeit durch das Deutsche Reich militärisch besetzt war
oder von diesem direkt seinem politischen Willen unterworfen wurde. Die in Rumänien
stationierten Truppen der deutschen Wehrmacht waren nicht als Besatzungsmacht,
sondern als verbündete Streitkräfte mit dem Einverständnis der rumänischen Regierung
ins Land gekommen, um die rumänischen Ölverkommen gegen dritte Staaten zu sichern
und den Angriff auf die Sowjetunion vorzubereiten. Rumänien zählte zwar zum
Einflussbereich (Interessensphäre) des Deutschen Reiches, war aber nicht dem
unmittelbaren Einflussbereich der deutschen Staatsführung in dem Sinne unterworfen,
dass die deutsche Staatsführung unmittelbaren Einfluss auf die rumänische
Staatsführung in dem Maße ausübte, dass diese sich beugen musste und demzufolge
die von der deutschen Staatsführung gewünschten Maßnahmen als deren gefügiges
Werkzeug anordnete und durchführte (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.06.1975,- III C 81.70 -
m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 22.07.1978, - III C 56/77 -). Insbesondere in der Innenpolitik,
auch auf dem Gebiet der Judenpolitik, war Rumänien nach der Rechtsprechung der
Zivilgerichte, der sich der Senat nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen
anschließt, während der gesamten Dauer des Zweiten Weltkrieges ein vom Deutschen
Reich unabhängiger und in seiner Willensentscheidung freier Staat (siehe die
Zusammenfassung bei: BVerwG, Urteil vom 13.06.1975, - III C 81.70 - m.w.N.). Auch im
Hinblick auf die von Rechtsanwalt Dr. Lupal in der RzW 1977, 41 ff vertretenen
Auffassung der völligen außen- und innenpolitischen Abhängigkeit Rumäniens vom
Deutschen Reich, insbesondere in der Judenpolitik, seit dem 29.05.1940, sah das
Bundesverwaltungsgericht keine Veranlassung, seine eigene Wertung der historischen
Vorgänge und der daraus folgenden rechtlichen Beurteilung zu ändern (BVerwG, Urteil
vom 22.06.1978, - III C 56.77- ), da Rechtsanwalt Lupal seine Auffassung auf keine
anderen historischen Tatsachen stützte, sondern nur auf eine andere Beurteilung.
Rumänien hatte in Transnistrien die judikative, legislative und exekutive Gewalt
gegenüber der Bevölkerung inne und übte diese auch im eigenem Namen durch eigene
Staatsangehörige in leitenden Positionen aus. Dabei war die Ausübung der
Gebietshoheit über die volksdeutsche Minderheit, einer bestimmten
Bevölkerungsgruppe, aufgrund von vertraglichen Vereinbarungen mit dem Deutschen
Reich vom 12.12.1941 und 14/30.08.1942 beschränkt. Abmachungen zu Gunsten der im
Gebiet des Vertragsgegners lebenden Staatsangehörigen und ihren politischen
Organisationen sowie zugunsten volkszugehöriger Minderheiten hinsichtlich der
Einräumung einer besonderen Rechtstellung sind übliche Gegenstände
völkerrechtlicher Verträge (BVerwG, Urteil vom 08.02.1968, - III C 16.67 -) und
begründen keine vertragliche Übertragung von Besatzungsmacht.
121
Die Tatsache, dass Transnistrien zum gemeinsamen rückwärtigen Operationsgebiet der
deutsch-rumänischen Armeeeinheiten gehörte und im Vertrag von Tighina der
Deutschen Wehrmacht in Transnistrien Kompetenzen hinsichtlich der Sicherung der
Versorgung (Abführen von landwirtschaftlichen Erträgen zur Versorgung der deutsch-
rumänischen Truppen), Sicherung der Nachschubwege (Kompetenzen deutscher
Stellen im Bereich des Verkehrs- und Nachrichtenwesens) und Stationierung von
Truppenteilen eingeräumt waren, hat nicht zwangsläufig zur Folge, dass die Deutsche
Wehrmacht oder die deutsche Regierung Besatzungsgewalt in Transnistrien effektiv
122
ausübte. Truppenstationierungen, die Errichtung von deutschen
Wehrmachtverbindungsstellen auf fremden Staatsgebiet sowie die Unterstellung
fremder Truppen unter deutschen Oberbefehl sind nicht mit einer Besetzung
gleichzustellen. Solche Maßnahmen sind nicht als Zeichen der Entmachtung –
vorliegend Rumäniens -, sondern als Folgeerscheinungen eines Bündnisses oder
gemeinsamer militärischer Operationen zu beurteilen (BVerwG, Urteil 13.06.1975, - III C
81.70 -; Urteil vom 08.02.1968, - III C 16.67 -). Dabei verkennt der Senat nicht, dass das
Deutsche Reich allein durch die Anwesenheit von militärischem Personal sowie des
SkR einen erheblichen tatsächlichen Einfluss in Transnistrien hatte. Grundlage der
Aktivitäten deutscher Hoheitsträger in Transnistrien waren aber vertragliche
Vereinbarungen mit Rumänien. Für die Auslegung des Begriffs "vom Deutschen Reich
besetzt" ist nicht das Ausmaß des tatsächlichen Einflusses entscheidend, sondern ob
das Deutsche Reich den Willen zur Ausübung der Besatzungsmacht hatte. Ein solcher
Wille ist aus den beigezogenen Dokumenten und Literatur nicht erkennbar. Auch die
Beteiligung von deutschen Hoheitsträgern, insbesondere des SkR und des
Selbstschutzes an der Ermordung von Juden nach September 1941 in Transnistrien
sowie die Tatsache, dass deutsche Firmen, Wehrmachtseinheiten, Bauabteilungen der
Organisation Todt und andere deutsche Dienststellen Juden aus Transnistrien zum
Arbeitseinsatz heranzogen, lässt nicht den Rückschluss auf die Ausübung von
Gebietshoheit durch die deutsche Regierung in Transnistrien zu. Denn insbesondere
aus dem Final Report of the International Commission on the Holocaust in Romania,
(S.42 ff,(75,79,80,82)) ergibt sich , dass die rumänischen Hoheitsträger die deutschen
Aktivitäten in Transnistrien unterstützen, förderten und diese ihrem Willen entsprachen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt aus der Tatsache, dass im
Entschädigungsrecht anerkannt ist, dass es sich bei der Deportation von Juden aus der
Bukowina/Bessarabien und Rumänien nach Transnistrien und dem Aufenthalt in einem
Ghetto in Transnistrien um eine von den Deutschen im Sinne des § 43 BEG veranlasste
Verfolgungsmaßnahme handelte (Beschluss der Länderkonferenz vom 22/23.06.1960,
RzW 1960, 355; OLG Zweibrücken, Urteil vom 30.04.1969,- 4 U (WG) 17/68 - , RzW
1969,475; OLG München, Urteil vom 31.07.1957, - 9 WEG 243/53 - , RzW 1957, 307)
nicht zwangsläufig, dass sich der Anwendungsbereich des ZRBG auf Transnistrien
erstreckt. Die Bejahung einer von den Deutschen veranlassten Judenverfolgung in
Transnistrien nach § 43 BEG ist nicht mit dem Begriff "vom Deutschen Reich besetzt"
gleichzusetzen. Nach § 43 BEG wird nicht jede Verfolgungsmaßnahme eines
ausländischen Staates nach dem BEG entschädigt, sondern nur eine
Freiheitsentziehung durch einen fremden Staat unter Missachtung rechtsstaatlicher
Grundsätze auf Veranlassung des Deutschen Reiches. Dabei ist nach § 43 Abs. 3 BEG
ein Leben unter haftähnlichen Bedingungen einer Freiheitsentziehung nach § 43 Abs. 1
BEG gleichgestellt. Ein Leben unter haftähnlichen Bedingungen wird angenommen,
wenn die Verfolgte erheblichen und laufend streng überwachten Einschränkungen der
Bewegungsfreiheit unterworfen war und nach den sonstigen sich ergebenden
Bedingungen ein Leben führen musste, das dem eines Häftlings sehr nahe kam (OLG
Zweibrücken, Urteil vom 30.04.1969, - 4 U(WG) 17/68 – m.w.N.). Der Aufenthalt der
Juden in den Ghettos Transnistriens, insbesondere in Moghilev, wurde von der
Zivilrechtsprechung als Leben unter haftähnlichen Bedingungen im Sinne von § 43 Abs.
3 BEG beurteilt (OLG Zweibrücken, Urteil vom 30.04.1969, - 4 U(WG) 17/68 - ; OLG
München, Urteil vom 31.07.1957, - 9 WEG 243/53 - ). Auch aus den im Verfahren
beigezogenen Unterlagen, insbesondere dem Abschlussbericht der internationalen
Kommission über den Holocaust in Rumänien, ergibt sich, dass die rumänische
Regierung für die gegen Juden in Transnistrien ergriffenen Maßnahmen verantwortlich
123
war und eine eigenständige Judenpolitik verfolgte. Die Veranlassung und Mitwirkung
deutscher Stellen an der Judenverfolgung in Transnistrien ist zwar der Grund für die
Einstandspflicht des deutschen Staates nach dem BEG, obwohl Rumänien nach der
entschädigungsrechtlichen Rechtsprechung während des Zweiten Weltkriegs ein
souveräner Staat war. Denn die Einstandspflicht der Bundesrepublik nach § 43 BEG
wird im Entschädigungsrecht auch für Freiheitsentziehungen von Juden durch
ausländische Staaten angenommen, die von souveränen Staaten gegen ihre eigenen
Staatsbürger in ihrem eigenen Staatsgebiet gerichtet waren, wie z. B. Maßnahmen der
ungarischen Regierung gegen Juden ab 1941, Maßnahmen der rumänischen
Regierung in "Altrumänien" und Maßnahmen der bulgarischen Regierung. Für den
Eintritt der entschädigensrechtlichen Einstandspflicht ist aber die Innehabung der
Gebietshoheit nicht erforderlich.
Auch die Einführung des RKKS anstelle der rumänischen Währung als Währung in
Transnistrien begründet nicht die Annahme der Ausübung der obersten Gewalt durch
das Deutsche Reich in Transnistrien. Für eine kriegerische Besetzung im Sinne des
Völkerrechts ist nicht erforderlich, dass der besetzende Staat seine eigene
Landeswährung im Besatzungsgebiet einführt. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt,
dass sowohl die Internationale Historikerkommission wie auch der Historiker Ancel die
von den rumänischen Stellen verfügte Pflicht der deportierten Juden zum Umtausch der
rumänischen Währung Lei in Rubel und von Rubel in RKKS, insbesondere der vom
rumänischen Gouverneur verfügte Umtauschkurs von Rubel in RKKS, als Maßnahme
zur Beraubung der jüdischen Bevölkerung bewerten (Final Report of the International
Commission on the Holocaust in Romania,S. 44; Ancel S. 30).
124
Da keine Beitragszeiten bestehen, können wegen Fehlens der Versicherteneigenschaft
der Klägerin keine Ersatzzeiten zur Erfüllung der Wartezeit berücksichtigt werden.
Selbst wenn das Vorliegen einer Beitragszeit nach den Vorschriften des ZRBG als
gegeben angesehen wird, sind die Voraussetzungen einer Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1
Nr. 4 SGB VI nicht gegeben. Denn § 250 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI schützt nur die
Situation, die zu Beginn der Verfolgungszeit bestand und die ohne die
Verfolgungsmaßnahmen fortgedauert hätte. Da die Klägerin nicht dem dSK angehörte,
hätte sie – ohne die nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen – keine Beitrags-
bzw. Beschäftigungszeiten nach dem FRG, die vom deutschen
Rentenversicherungsträger zu berücksichtigen wären, in der Sowjetunion (Bessarabien
und Transnistrien) erwerben können. Denn sie gehörte nicht zu dem durch das FRG
erfassten Personenkreis (siehe BSG, Urteil vom 08.09.2005, - B 13 RJ 20/05 R -). Das
ZRBG enthält keine Bestimmungen, welche die Regelung des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB
VI, insbesondere die geforderte Kausalität zwischen nationalsozialistischer
Verfolgungsmaßnahme und Schaden in der Rente, ergänzen oder ändern.
125
Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nicht geboten. Der Sachverhalt ist
hinreichend geklärt. Der Senat hat die für das Gesetzgebungsverfahren maßgeblichen
Drucksachen, insbesondere die Bundestagsdrucksachen 14/8583 und 14/8602, zum
Verfahren beigezogen und bei der Auslegung der Vorschriften des ZRBG berücksichtigt.
Diese lassen einen Rückschluss auf den Willen des Gesetzgebers, der bei der
Auslegung von Gesetzesvorschriften zu beachten ist, zu. Die Beiziehung weiterer
Unterlagen, insbesondere von Referentenwürfen, die der Gesetzgeber nicht
übernommen hat, ist nicht geboten. Des weiteren verfügt der Senat unter
Berücksichtigung der von ihm vertretenen Auslegung des Begriffs "vom Deutschen
Reich besetztes Gebiet" und der Auswertung der beigezogenen Dokumente,
126
insbesondere des Vertrages von Tighina, und den beigezogenen Abhandlungen
mehrerer Historiker über die Verhältnisse in Transnistrien über eigene Sachkunde, um
Feststellungen über die Verhältnisse in Transnistrien zu treffen und ihre rechtliche
Relevanz zu beurteilen. Der Senat hat sich daher nicht gedrängt gefühlt, entsprechend
dem Beweisantrag der Klägerin ein geschichtswissenschaftliches Gutachten zu den von
der Klägerin vorformulierten Fragen 1 – 9 einzuholen. Soweit die Klägerin beantragt, ein
solches Gutachten einzuholen zu den Fragen, ob auf der Grundlage der Vereinbarung
von Tighina davon auszugehen ist, dass das Gebiet von Transnistrien allein durch
rumänische Truppen im Sinne der HLK besetzt war (Frage 1) und ob Transnistrien
zumindest ein "vom Deutschen Reich beherrschtes Gebiet" (vgl. BT-Drs 14/8823, Seite
4, rechte Spalte unten) war, wenn es ein ausschließlich von Rumänien besetztes Gebiet
war (Frage 6), ist der Beweisantrag überdies unzulässig. Der Beweisantrag dient
insoweit nicht zur Feststellung bestimmter Tatsachen, sondern ist auf eine rechtliche
Schlussfolgerung - nämlich die Auslegung eines Vertrages und dessen Subsumtion
unter einer völkerrechtliche Vorschrift - sowie auf die Auslegung des Willens des
Gesetzgebers gerichtet. Diese rechtliche Wertung obliegt dem Senat. Auch handelt es
sich nicht um einen Beweisantrag nach §§ 202 SGG, 293 ZPO zur Feststellung des
Inhalts ausländischen Rechts. Die Einholung eines geschichtswissenschaftlichen
Gutachtens zu den vorformulierten Fragen 10 bis 24 ist nicht geeignet, Tatsachen
festzustellen, die für die Prüfung der Frage, ob Transnistrien ein vom Deutschen Reich
besetztes Gebiet im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZRBG war, von Relevanz sind.
Die Fragen 10 bis 24 zielen auf die Feststellung der Lebensverhältnisse der Juden,
insbesondere der rechtlichen Vorgaben für die Organisation und die Durchführung von
Beschäftigungen in den Ghettos in Transnistrien ab. Inwieweit solche Feststellungen
geeignet sein sollen, die Frage, ob Transnistrien vom Deutschen Reich besetzt war, zu
klären, ist dem Senat nicht ersichtlich. Historische Erkenntnisse über die Bedingungen
des Arbeitseinsatzes von Juden in Ghettos können bei der Frage, ob die Ausübung
einer freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigung im Einzelfall glaubhaft gemacht ist,
zwar berücksichtigt werden. Vorliegend ist aber die Frage, ob die Voraussetzungen des
§ 1 Abs.1 S. 1 Nr. 1 ZRBG gegeben sind, nicht entscheidungserheblich.
127
Die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin zur mündlichen
Verhandlung nach § 111 SGG war nicht geboten. Denn der Klägerin ist im schriftlichen
Verfahren rechtliches Gehör gewährt wurden, da sie im Verfahren durch eine mit der
Sachmaterie und dem Verfahrensrecht vertraute Bevollmächtigte vertreten war. Die
Anordnung des persönlichen Erscheinens war nicht zur weiteren Sachaufklärung
erforderlich. Die Klägerin hatte im schriftlichen Verfahren ausreichend Gelegenheit, die
aus ihrer Sicht maßgeblichen Tatsachen vorzutragen und Beweismittel anzubieten,
insbesondere nachdem das erstinstanzliche Gericht die Entgeltlichkeit der geltend
gemachten Beschäftigung verneint hatte und der Senat den Beteiligten die von der
Conference on Jewish Material Claims Against Germany beigezogenen Unterlagen mit
den Angaben der Klägerin über ihr Verfolgungsschicksal im Ghetto Kopaigorod zur
Kenntnis übersandt hatte. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die
Klägerin unter Zuhilfenahme ihrer Bevollmächtigten nicht in der Lage war, zur
Sachverhaltsaufklärung im schriftlichen Verfahren beizutragen. Die Anordnung des
persönlichen Escheinens war auch zur Durchführung einer Parteivernehmung nicht
erforderlich. Die Parteivernehmung ist im sozialgerichtlichen Verfahren weder auf
Antrag noch von Amts wegen zulässig (BSG, Beschluss vom 18.02.2003, - B 11 AL
273/02 B -; Beschluss vom 24.11.1990, - 1 BA 45/90 -; Beschluss vom 10.02.1998, - B 2
U 2/98 B -).
128
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
129
Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen.
130