Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25.03.2004

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Landessozialgericht NRW, L 5 KR 163/03
Datum:
25.03.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 163/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 9 KR 74/01
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg
vom 15.08.2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob die Klägerin seit dem 01.08.2000 versicherungspflichtig in der
Krankenversicherung der Arbeitslosen (KVdA) ist.
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Die 1943 geborene Klägerin war bis 31.07.2000 abhängig beschäftigt. Zumindest seit
Oktober 1990 war sie nicht mehr in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
versichert. Mit Bescheid der AOK Rheinland vom 12.06.1995 war sie gemäß § 8 Abs. 1
Ziff. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ab 01.01.1995 von der
Versicherungspflicht befreit worden. In dem Bescheid wird darauf hingewiesen, dass die
Befreiung unwiderruflich, aber die Versicherungspflicht nach dem
Arbeitsförderungsrecht nicht ausgeschlossen sei.
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Das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin wurde am 28.11.1999 zum 31.03.2000
gekündigt. Die Klägerin kündigte daraufhin sofort ihren privaten
Krankenversicherungsvertrag, der zum 30.11.1999 endete. Dabei ging sie davon aus,
dass sie mit Eintritt der Arbeitslosigkeit wieder pflichtversichert sei. Gleichzeitig klagte
sie gegen die Kündigung, was dazu führte, dass der Arbeitgeber die Kündigung wegen
der unterlassenen Beteiligung der Hauptfürsorgestelle zurücknahm. Das
Kündigungsverfahren wurde wiederholt, so dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin erst
zum 31.07.2000 beendet wurde. Seit dem 01.08.2000 bezieht die Klägerin
Arbeitslosengeld von der Beigeladenen. Die Beigeladene meldete die Klägerin
aufgrund des Leistungsbezugs bei der Beklagten an, die auch zunächst der Klägerin
sowohl eine Mitgliedschaftsbescheinigung wie eine Krankenversicherungskarte
übersandte.
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Mit Schreiben vom 02.01.2001 beantragte die Klägerin von der Beklagten die Aufnahme
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in die Krankenversicherung. Mit Bescheid vom 17.01.2001 lehnte die Beklagte diesen
Antrag gemäß § 6 Abs. 3 a SGB V ab. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin
geltend, zwar lägen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 a SGB V vor, diese Vorschrift
verstoße jedoch gegen das Rechtsstaatsprinzip. Es sei ihr nicht mehr möglich gewesen,
sich auf Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen einzustellen, da sie
zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits das 55. Lebensjahr vollendet
gehabt und eine Entscheidung über ihren Versicherungsschutz getroffen habe. Sie sei
zur Zeit nicht versichert und könne auch keinen Versicherungsschutz mehr erlangen.
Der Gesetzgeber habe vor diesem Hintergrund eine langfristige Übergangsregelung
treffen müssen. Die Beklagte lehnte eine Versicherung erneut mit weiterem Bescheid
vom 07.02.2001 ab und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
15.05.2001 zurück.
Im Klageverfahren hat die Klägerin ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren
ergänzt und vertieft und geltend gemacht, sie habe zum Zeitpunkt der Kündigung darauf
vertrauen können, mit Eintritt der Arbeitslosigkeit wieder versicherungspflichtig zu
werden. Da die gesetzliche Neuregelung erst nach ihrer Entscheidung über den
Versicherungsschutz verkündet und in Kraft getreten sei, liege ein Fall der echten
Rückwirkung vor. Das Gesetz sei zudem verfassungswidrig, weil es zu unerträglichen
Ergebnissen führe. Sie könne keinen Versicherungsschutz gegen Krankheit mehr
erlangen, denn die private Versicherung nehme sie nicht mehr auf und in der
gesetzlichen Krankenversicherung bestehe kein Zugangsrecht mehr.
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Mit Urteil vom 15.08.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat die
verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin für unzutreffend gehalten und darauf
hingewiesen, der Umstand, dass die Klägerin jetzt ohne Versicherungsschutz sei,
beruhe allein auf ihrer Entscheidung, ihre Versicherung vorzeitig zu beenden, ohne sich
zuvor über die Rechtsfolgen ihres Handelns informieren zu lassen.
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Im Berufungsverfahren hält die Klägerin an ihrer Auffassung fest, dass § 6 Abs. 3 a SGB
V verfassungswidrig sei. Die Rechtsänderung sei mit einer Übergangsfrist von nur 6
Monaten in Kraft getreten. Diese Frist sei zu kurz, da sie hätte mit den Kündigungsfristen
für Arbeitsverhältnisse koordiniert werden müssen. Jeder Versicherte sei darauf
angewiesen, langfristig seinen Versicherungsschutz zu klären, so dass mindestens eine
Übergangszeit von 12 Monaten notwendig gewesen sei. Ihr Vertrauen in die Aufnahme
in die KVdA sei schützenswert, da sie die private Versicherung zu einem Zeitpunkt
gekündigt habe, als das Gesetz noch nicht verkündet gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 15.08.2003 zu ändern und unter Aufhebung
des Bescheides vom 07.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
15.05.2001 festzustellen, dass sie ab dem 01.08.2000 pflichtversichert ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
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Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert und keinen Antrag
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gestellt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die
Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin ist nicht ab 01.08.2000 versicherungspflichtig
geworden.
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Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V als Bezieherin von
Arbeitslosengeld greift nicht ein, denn die Klägerin ist nach § 6 Abs. 3 a SGB V
versicherungsfrei. Diese Vorschrift ist zum 01.07.2000 in Kraft getreten (Art. 22 Abs. 1
des GKV-Gesundheitsreformgesetzes vom 22.12.1999, BGBl. I, 2626). Die
Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit nach dieser Norm liegen vor, denn die 1943
geborene Klägerin hatte am 01.08.2000 bereits das 55. Lebensjahr vollendet und war
mindestens seit 01.01.1995 privat versichert und von der Versicherungspflicht befreit.
Dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 a SGB V vorliegen, stellt auch die Klägerin
nicht in Abrede.
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Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 6 Abs. 3 a SGB V teilt
der Senat nicht. Der Gesetzgeber durfte den Kreis der versicherungspflichtigen
Personen insoweit beschränken, die Gründe hierfür sind sachgerecht. Die Vorschrift
setzt die seit dem Inkrafttreten des SGB V verfolgte einschränkende Tendenz
hinsichtlich einer Einbeziehung weiterer Personen in die GKV und die Abgrenzung
zwischen GKV und privater Krankenversicherung (PKV) fort (s. auch Kass.Komm.-
Peters, § 5 SGB V Rdn. 7). In der Gesetzesbegründung wird auf den schon in § 5 Abs. 1
Nr. 11 SGB V und § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zum Ausdruck kommenden Grundsatz
verwiesen, dass versicherungsfreie Personen, die sich frühzeitig für eine Absicherung in
der PKV entschieden haben, diesem System auch im Alter angehören sollen (BT-
Drucks. 14/1245, Seite 59). Die Regelung soll verhindern, dass durch eine Veränderung
in der Höhe des Arbeitsentgeltes, durch Übergang von Voll- in Teilzeitbeschäftigung
oder von selbständiger Tätigkeit in eine abhängige Beschäftigung oder durch den
Bezug einer Leistung der Arbeitslosenversicherung Personen in vorgerücktem Alter
Mitglied der GKV werden, obwohl sie in der Zeit zuvor keinen Beitrag zu dieser
Solidargemeinschaft geleistet haben. Da die Leistungsausgaben für ältere Versicherte
ihren Beitrag im Regelfall erheblich überstiegen, würden die Beitragszahler durch den
Wechsel (im Zeitraum von 1992 bis 1997 sind 943.000 Personen im Alter von der
privaten in die GKV gewechselt) unzumutbar belastet (a.a.O.). Zu Recht wird in der
Begründung auch eine sozialpolitische Notwendigkeit für einen Wechsel zwischen den
Systemen verneint, dass wegen des seit langem bestehenden privaten
Krankenversicherungsschutzes ein soziales Schutzbedürfnis nicht gegeben sei und die
Prämienkalkulation der privaten Krankenversicherungsunternehmen
Altersrückstellungen, die den privat Versicherten im Alter zugute kommen,
berücksichtigten (a.a.O., Seite 60).
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Flankierend hat der Gesetzgeber mit dem Ausschluss der Versicherungspflicht in § 257
Abs. 2 Satz 1 SGB V den betroffenen Versicherten einen Anspruch auf einen
Beitragszuschuss des Arbeitgebers eingeräumt, ferner haben die Bezieher von
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Arbeitslosengeld, die nach § 6 Abs. 3 a SGB V versicherungsfrei sind, Anspruch auf
Übernahme der Beiträge an das private Krankenversicherungsunternehmen in Höhe der
Beiträge zur GKV (§ 207 a Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III)). Darüber hinaus ist
die Altersgrenze für den Zugang zum Standardtarif (§ 257 Abs. 2 a Nr. 2 SGB V) auf 55
Jahre gesenkt worden. Schließlich kann nach § 5 Abs. 10 SGB V die Rückkehr zur
privaten Versicherung beansprucht werden, wenn nach Kündigung des privaten
Versicherungsvertrages die Versicherung nach § 5 SGB V nicht zustande kommt oder
eine Versicherung vor Erfüllung der Vorversicherungszeit des § 9 SGB V endet, sofern
der private Krankenversicherungsvertrag mindestens 5 Jahre vor dem Wechsel
bestanden hat. Mit diesen Regelungen hat der Gesetzgeber zum einen Vorsorge
getroffen, dass ein kontinuierlicher Versicherungsschutz gewährleistet sein kann und
dass zum anderen die Prämienbelastung sich für den betroffenen Personenkreis in
Grenzen hält. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass nach § 6 Abs. 3 a Satz 2 SGB V
nur solche Personen von der Versicherungspflicht ausgeschlossen werden, die
innerhalb der Rahmenfrist von 5 Jahren für mindestens die Hälfte der Zeit kraft
ausdrücklicher Regelung oder Entscheidung nicht zu dem in der GKV versicherten
Personenkreis gehörten, die also - wie Selbständige (§ 5 Abs. 5 SGB V) - nicht zum
schutzbedürftigen Personenkreis der GKV gerechnet werden oder sich durch einen
Befreiungsantrag bewusst für das Sicherungssystem der PKV entschieden haben.
Diese Systemabgrenzung ist sachgerecht. Die Klägerin kann sich demgegenüber nicht
darauf berufen, bei Erteilung der Befreiung von der Versicherungspflicht darauf vertraut
zu haben, später einmal als Arbeitslose in die GKV zurückkehren zu können. Die
Erwartung, in jungen Jahren niedrige PKV- Beiträge zahlen und dann im Alter in die - in
der Regel dann beitragsgünstigere - GKV wechseln zu können, ist nicht schutzwürdig.
Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt kein Fall einer rückwirkenden
Gesetzesänderung vor. Das GKV-Gesundheitsreformgesetz ist am 22.12.1999
verkündet worden, während § 6 Abs. 3 a SGB V erst ab 01.07.2000 in Kraft getreten ist.
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Die Vorschrift gilt nur für Versicherungstatbestände, die nach diesem Zeitpunkt
eintreten. Die Klägerin nimmt nur deswegen eine Rückwirkung an, weil sie auf den
Zeitpunkt ihrer Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrages abstellt und
meint, sie habe zu diesem Zeitpunkt darauf vertrauen können, mit Eintritt der
Arbeitslosigkeit versicherungspflichtig in der GKV zu werden. Diese Argumentation geht
fehl, weil die Klägerin zu diesem Zeitpunkt keine Rechtsposition inne hatte, die
nachträglich entwertet worden ist. Der Bezug von Arbeitslosengeld, an den die
Versicherungspflicht geknüpft ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V), stand zu diesem Zeitpunkt
keineswegs fest. Der Bezug von Arbeitslosengeld setzt die Verfügbarkeit des
Arbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt voraus (§§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 Nr. 2, 119
Abs. 1 Nr. 2 SGB III), so dass kein Arbeitslosengeld erhält, wer gesundheitsbedingt nicht
dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Hätte die Klägerin beispielsweise im Zeitraum
bis zum Ende der Beschäftigung einen Unfall erlitten und deswegen nicht dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden, wäre eine Versicherung auch nach altem Recht
nicht zustande gekommen. Auch bei Eintritt von Erwerbsunfähigkeit wäre sie als
Rentenbezieherin nicht versichert gewesen, da sie die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1
Nr. 11 SGB V nicht erfüllte und eine freiwillige Versicherung (§ 9 SGB V) offenkundig
nicht in Betracht kam.
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Davon abgesehen, dass ohnehin die sofortige Kündigung des privaten
Krankenversicherungsvertrages im Hinblick auf den bis zur erwarteten Versicherung in
der GKV fehlenden Krankenversicherungsschutz nicht nachvollziehbar ist, war diese
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Kündigung wegen des Fehlens einer gesicherten Position hinsichtlich der künftigen
Erlangung von Versicherungsschutz völlig unverständlich. Da sie sich vor der
Kündigung weder von der Beklagten noch der Beigeladenen noch einem anderen
Krankenversicherungsträger hat beraten lassen, hat sie die Folgen ihrer Entscheidung
selbst zu verantworten. Wenn nunmehr infolge der Kündigung der privaten Versicherung
noch im Jahre 1999 und dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses nach dem
01.07.2000 (allerdings nicht wegen der Kündigungsfristen, sondern wegen der von der
Klägerin erzwungenen Wiederholung des Kündigungsverfahrens) einerseits § 6 Abs. 3
a SGB V eingreift, andererseits aber das Rückkehrrecht nach § 5 Abs. 10 SGB V nicht
gilt (Art. 21 § 2 des GKV-Gesundheitsreformgesetzes), so dass in der Tat die Klägerin
jetzt ohne Krankenversicherungsschutz bleibt, ist doch nicht zu erkennen, inwiefern
dieser Umstand die Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 3 a SGB V begründen soll.
Diese Folge hätte, wie dargelegt, auch nach altem Recht eintreten können, wenn die
Klägerin wider ihre Erwartungen hätte kein Arbeitslosengeld beziehen können. Vor
allem ist der fehlende Versicherungsschutz Folge eines unverständlichen Handelns der
Klägerin, das vom Gesetzgeber bei der Neuregelung nicht in seine Erwägungen
einbezogen werden brauchte.
Die Klägerin ist auch nicht durch die Übersendung einer Mitgliedsbescheinigung bzw.
einer Krankenversicherungskarte Mitglied der Beklagten geworden. In der Übersendung
einer Mitgliedsbescheinigung nach der Anmeldung ist kein die Versicherungspflicht
bestätigender Verwaltungsakt der Kasse zu sehen (BSG SozR 3-2200 § 306 Nr. 2). Das
gleiche gilt für die Zusendung der Krankenversicherungskarte, insoweit kommt allenfalls
Vertrauensschutz hinsichtlich der in Anspruch genommenen Leistungen in Betracht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
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Der Senat hält die Rechtslage für eindeutig und hat daher keinen Anlass für die
Zulassung der Revision gesehen.
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