Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.05.2007
LSG NRW: sozialhilfe, immobilie, bedürftigkeit, erwerb, verwaltungsakt, kauf, gerichtsakte, öffentlich, rücknahme, vergleich
Landessozialgericht NRW, L 12 AS 32/06
Datum:
09.05.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AS 32/06
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 27 AS 378/05
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 14 AS 19/07 R
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 18.05.2006 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die
außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren. Die
Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Zeit vom
01.03. bis 25.06.2005 trotz des Bezugs von Eigenheimzulagen (EigZul).
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Der 1952 geborene, geschiedene Kläger bezog bis 24.02.2005 Alg I und beantragte am
09.02.2005 Alg II. Er ist alleinstehend und wohnt seit 01.08.2004 mit seinem volljährigen
Sohn im Einfamilieneigenheim (Wohnfläche: 91,04 qm, Grundstücksgröße: 332 qm), für
das im Jahre 2005 monatliche Schuldzinsen von 471,90 EUR anfielen. Der Kläger
erhält für 8 Jahre bis 2011 eine jährliche EigZul in Höhe von 2.556,00 EUR, die ab 2006
am 15.03. des Jahres ausgezahlt wurde bzw. wird. Für die Jahre 2004 und 2005 erfolgte
die Auszahlung der EigZul in Höhe von 5.112,00 EUR am 23.02.2005.
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Mit Bescheid vom 14.04.2005 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Alg II wegen des
Bezugs von Alg I in Höhe von 985,92 EUR bis 24.02.2005 ab. Mit einem zweiten
Bescheid vom 14.04.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg II für die Zeit vom
26.06. bis 31.10.2005, und zwar für die Zeit vom 01. bis 30.06.2005 in Höhe von
monatlich 148,87 EUR und für die Zeit vom 01.07. bis 31.10.2005 in Höhe von
monatlich 893,20 EUR. Auf Seite 2 dieses Bescheides unter der Überschrift
"Erläuterungen zum Feld Zahlungsmodus" hieß es: "Für die Zeit vom 01.03.05 bis
25.06.05 ruht Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld aufgrund der im März 2005
zugeflossenen Eigenheimzulage. Ab dem 26.06.05 wurden Ihnen SGB II-Leistungen
bewilligt." Mit Änderungsbescheid vom 27.04.2005 bewilligte die Beklagte dann für
dieselben Zeiträume wie im zweiten Bescheid vom 14.04.2005 wegen der
Berücksichtigung der Grundsteuer 151,62 EUR bzw. 909,75 EUR. Den gegen den 2.
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Bescheid vom 14.04.2005 am 08.07.2005 erhobenen und nur gegen die Ablehnung der
Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.03. bis 25.06.2005 gerichteten Widerspruch
des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2005 wegen
Fristversäumnisses als unzulässig zurück. Mit Bescheid vom 13.07.2005 hob die
Beklagte wegen der Arbeitsaufnahme des Klägers die Bewilligung von Alg II ab
01.08.2005 auf.
Am 08.08.2005 beantragte der Kläger die Rücknahme des 2. Bescheides vom
14.04.2005 und die Neubescheidung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -
Sozialverwaltung und Sozialdatenschutz - (SGB X). Mit Bescheid vom 15.08.2005
bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg II erneut ab 26.06.2005 nunmehr lediglich
wegen der Arbeitsaufnahme bis 31.07.2005 in Höhe von 909,75 EUR. Auch in diesem
Bescheid hieß es an gleicher Stelle wie im 2. Bescheid vom 14.04.2005, dass für die
Zeit vom 01.03. bis 25.06.2005 der Anspruch auf Alg II aufgrund der im März
zugeflossenen EigZul ruhe und ab 26.06.2005 dem Kläger Leistungen nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II)
bewilligt würden. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2005 wies die Beklagte den
gegen den Bescheid vom 15.08.2005 erhobenen Widerspruch als unbegründet zurück
und führte darin abschließend aus, der Zeitraum vom 01.03. bis 25.06.2005 sei nicht
Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, weil über diesen Bewilligungszeitraum
bereits mit Bescheid vom 14.04.2005 entschieden worden sei.
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Am 30.09.2005 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund gegen den
Bescheid vom 15.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
13.09.2005 Klage erhoben, die er im Laufe des Klageverfahrens auf das "Ruhen des
Leistungsanspruchs" für die Zeit vom 01.03. bis 25.06.2005 beschränkt hat (Schriftsatz
vom 27.12.2005). Er hat zur Begründung vorgetragen, die Beklagte habe die EigZul, bei
der es sich um eine zweckbestimmte Leistung handele, zu Unrecht als Einkommen
berücksichtigt. Er benötige die EigZul auch zur Fertigstellung seines von ihm bereits
bewohnten Hauses, dem u.a. noch der Außenputz fehle.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.08.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13.09.2005 zu verurteilen, ihm Alg II auch für die Zeit vom
01.03. bis 25.06.2005 zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Auffassung vertreten, für die Zeit vor dem 26.06.2005 sei bereits bestands-
kräftig entschieden. Unabhängig davon müsse die EigZul als Einkommen berücksichtigt
werden, weil kein Nachweis dafür vorhanden sei, dass sie zur Finanzierung des Hauses
verwandt worden sei. Nach Sinn und Zweck des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG)
werde die EigZul einkommenerhöhend gezahlt und sei diesem daher zuzurechnen.
Eine Vorschrift, die die Zweckbindung der EigZul an die Finanzierung des Eigenheims
knüpfe, gebe es nicht. Selbst wenn aber die Zweckbestimmung der EigZul die
Finanzierung wäre, müsse sie mit den zu gewährenden Kosten der Unterkunft
verrechnet werden, da es keine doppelte Alimentierung des Staates geben dürfe. Dies
gelte insbesondere bei der Verwendung der EigZul zur Zinsbedienung.
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Mit Urteil vom 18.05.2006 hat das SG die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom
15.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2005 verurteilt,
dem Kläger Alg II auch für die Zeit vom 01.03. bis 25.06.2005 zu gewähren. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 12.06.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.07.2006
Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, vorliegend handele
es sich bei der EigZul nicht um zweckbestimmte Einnahmen, die nach § 11 Abs. 3 Nr. 1
a SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen seien. Als die EigZul dem Kläger
zugeflossen sei, habe es noch keine gesetzliche Grundlage gegeben, der zu
entnehmen gewesen sei, dass es sich bei ihr um eine zweckbestimmte Einnahme
handele. Erst mit § 1 Abs. 1 Nr. 7 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-
V) sei für die Zeit ab 01.10.2005 eine etwas flexibler handhabbare Regelung getroffen
worden, die aber nach § 6 Alg II-V nicht auf die Zeit vor dem 01.10.2005 anwendbar sei.
Das SG habe die Auswirkungen des Zuflussprinzips außer Acht gelassen und darüber
hinaus sei eine rein pauschale Prüfung nicht ausreichend, um eine zweckgebundene
Verwendung der EigZul durch den Kläger zu bejahen. Mit der These, dass stets eine
zweckbestimmte Verwendung der EigZul zur Finanzierung vorliege, wenn nur die
jährliche Gebühren- und Zinslast für das Eigenheim höher als die EigZul sei, würden die
insofern aufgestellten engen Voraussetzungen des überwiegenden Teils der bisherigen
Rechtsprechung und die Regelung des ab 01.10.2005 geltenden § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg II-
V unterlaufen. Der Kläger habe nicht den Nachweis der Verwendung der EigZul zur
Tilgung der Verbindlichkeiten erbracht und auch nicht nachgewiesen, dass er die EigZul
zu Fertigstellung der Immobilie habe verwenden wollen und zukünftig auch verwenden
wolle. Daher handele es sich um Einkommen, das nach § 11 SGB II als "einmalige
Einnahme" auf die Leistungen des SGB II anzurechnen sei. Gelange das Gericht aber
zur gegenteiligen Auffassung, müsse bei einer Anrechnung der Zins- und Gebührenlast
die EigZul mit den zu gewährenden Kosten der Unterkunft verrechnet werden. Die Höhe
der Kosten der Unterkunft setze sich bei selbst bewohntem Eigentum u.a. auch aus den
auf die Monate umgelegten Schuldzinsen zusammen. Demnach seien die Schuldzinsen
grundsätzlich in voller Höhe bei der Bedarfsermittlung zu berücksichtigen. Würden die
Mittel aus der EigZul pauschal zugunsten der Bedienung von Zins- und Gebühren
angerechnet, dürften nur die nach Abzug der EigZul dann noch zu entrichtenden Zinsen
zur Bedarfsermittlung herangezogen werden, da es keine doppelte Alimentierung des
Staates geben dürfe.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.05.2006 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Der Gesetzgeber habe im EigZulG
keine Nachweispflicht über die Verwendung der ausgezahlten Mittel beschlossen und
gewollt, dass der Begünstige darüber selbst entscheide. Diese Freiheit werde von der
Beklagten beschränkt, indem sie Nachweise für die Verwendung fordere, die von ihm
nicht erbracht werden könnten. Durch die Vorenthaltung der Leistungen durch die
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Beklagte sei er in seiner Dispositionsfreiheit beschränkt worden und habe das Gebäude
nicht wie geplant fertigstellen können.
Der Kläger hat Kontoauszüge aus dem Jahre 2005 betreffend sein Bauspardarlehen Nr.
000, seinen Bausparvertrag Nr. 000 und seinen Vorfinanzierungskredit Nr. 000
vorgelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte verwiesen. Auf den Inhalt der Gerichtsakte SG Dortmund - S 27 AS 406/05
- sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, der ebenfalls
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu
Recht verurteilt, dem Kläger Alg II für die Zeit vom 01.03. bis 25.06.2005 zu gewähren.
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Zunächst ist unschädlich, dass das SG in der Sache entschieden hat und dabei davon
ausgegangen ist, dass die Beklagte durch den angefochtenen Bescheid vom
15.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2005 erneut durch
Verwaltungsakt über die Ablehnung von Alg II für die Zeit vom 01.03. bis 25.06.2005
entschieden hatte. Zwar hatte die Beklagte auf den Antrag des Klägers vom 09.02.2005
bereits mit dem 2. Bescheid vom 14.04.2005 Leistungen nach dem SGB II erst ab
26.06.2005 bis 31.10.2005 bewilligt und damit konkludent Leistungen für die Zeit vom
01.03. bis 25.06.2005 wegen der gewährten EigZul bestandskräftig abgelehnt (ein von
der Beklagten und vom SG für die Versagung der Leistung angenommener Rechtsgrund
lediglich für ein Ruhen der Leistung ist nicht ersichtlich), der Senat misst aber dem
Bescheid vom 15.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
13.09.2005 hinsichtlich der konkludenten Ablehnung der Leistung für die Zeit vom
01.03. bis 25.06.2005 gleichwohl Verwaltungsaktsqualität zu und geht daher mit dem
SG von der Zulässigkeit der Klage aus. Ausschlaggebend sind dafür folgende
Überlegungen des Senats: Nach glaubhaftem Bekunden des Klägers hat der
Vorsitzende des SG im Termin der gemeinsam verhandelten Sachen (- S 27 AS 378/05
- und - S 27 AS 406/05 -) seine auch in den Entscheidungsgründen des Urteils
dargelegte Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagte mit Bescheid vom
15.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2005 erneut
sachlich auch über die Ablehnung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.03. bis
25.06.2005 entschieden habe, woraufhin der Kläger auf Anregung des Vorsitzenden die
Klage gegen den Bescheid vom 30.08.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 26.09.2005 (- S 27 AS 406/05 -), mit dem die Beklagte
die gemäß § 44 SGB X beantragte Rücknahme des Bescheides vom 14.04.2005
abgelehnt hatte, zurückgenommen hat. Zwar wäre es nach Auffassung des Senats
rechtlich zutreffend gewesen, das Verfahren über die Entscheidung der Beklagten
gemäß § 44 SGB X fortzuführen und das vorliegende Klageverfahren zu beenden. Denn
der vorliegend angefochtene Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Leistung für die
Zeit vom 01.03. bis 25.06.2005 beinhaltet lediglich eine Wiederholung des
Verfügungssatzes des Ursprungsbescheides vom 14.04.2005, aber eben keine
Regelung und ist insoweit kein Verwaltungsakt (vgl.: BSGE 68, 228, 230 = SozR 3 -
2200 § 248 Nr. 1; Engelmann in: von Wulfen, SGB X, 5. Auflage, § 31 Randnr. 32).
Dennoch hielt es der Senat aus prozessökonomischen Gründen, um ein neues
Verfahren gemäß § 44 SGB X zu vermeiden, für angebracht, davon auszugehen, dass
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der vorliegend angefochtene Bescheid die vorangegangenen vom 14.04. und
27.04.2005 ersetzt hat, soweit darin Leistungen für die Zeit vom 01.03. bis 25.06.2005
abgelehnt wurden.
War damit die Klage zulässig, hat das SG die Beklagte unter Änderung der
angefochtenen Bescheide gemäß § 130 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu Recht
verurteilt, dem Kläger Alg II dem Grunde nach auch für die Zeit vom 01.03. bis
25.06.2005 zu gewähren, weil die im Februar 2005 ausgezahlten EigZul nicht zum
Wegfall des Anspruchs führen. Die EigZul sind kein Einkommen, das nach § 11 Abs. 1
S. 1 SGB II zu berücksichtigen ist. Sie fallen vielmehr unter die nicht als Einkommen zu
berücksichtigenden zweckbestimmten Einnahmen nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 a) SGB II.
Zweckbestimmte Einnahmen sind nach der genannten Vorschrift Einnahmen, die einem
anderem Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des
Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch
nicht gerechtfertigt wären. In Übereinstimmung mit der gesamten hierzu ergangenen
obergerichtlichen Recht-sprechung sieht der erkennende Senat die EigZul als
zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 a) SGB II an mit der Folge,
dass sie nicht als Einkommen angerechnet werden darf, wenn sie zweckbestimmt
verwendet wurde (vgl.: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.06.2006 - L 2 B 78/06
AS ER -; LSG NRW, Urteil vom 04.10.2006 - L 12 AS 8/05 -; LSG Saarland, Urteil vom
09.05.2006 - L 9 AS 2/05 -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.05.2005 - L
8 AS 39/05 ER -; LSG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2005 - L 5 B 116/05 ER AS -;
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875 ER B ).
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Die Voraussetzungen für eine zweckbestimmte Einnahme sind bei der EigZul erfüllt.
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Zur weiteren Begründung verweist der erkennende Senat auf die folgenden
Ausführungen des LSG Saarland im o.g. Urteil vom 09.05.2006 - L 9 AS 2/05 -, denen er
sich anschließt: "Die EigZul nach dem EigZulG bezweckt eine verstärkte Förderung der
sogenannten Schwellenhaushalte. Familien mit geringem oder mittlerem Einkommen
soll der Zugang zum Kauf oder Erwerb eigenen Wohneigentums erleichtert werden, da
Wohneigentum als wesentlicher Bestandteil der privaten Altersvorsorge angesehen
wird. Um dieses Ziel zu ermöglichen, ist das EigZulG unabhängig von der
eigentumssteuerrechtlichen Progression ausgestaltet worden. Das bewirkt, dass auch
Bezieher von nicht oder nur geringfügig steuerbelasteten kleinen Einkommen eine
gleichhohe Förderung erhalten und somit in vollem Umfang begünstigt werden. Die
EigZul ist nicht dazu bestimmt, wie normales Einkommen dem allgemeinen
Lebensunterhalt zu dienen, sondern zur Schaffung von Vermögen (Wohneigentum) der
Gering- und Mittelverdiener. Das ist der Zweck, der wegen der gesellschaftspolitischen
Bedeutung eine besondere Begünstigung genießt. Davon hat der Gesetzgeber bei der
Schaffung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 a) SGB II offenbar nicht abweichen wollen. Es würde
aber gerade Sinn und Zweck der zur Schaffung von Wohneigentum gewährten EigZul
widersprechen, wenn diese als Einnahme auf die Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II angerechnet würde. Gegen eine Anrechnung
spricht auch, dass nach Ablauf des Förderungszeitraums von 8 Jahren nach § 3
EigZulG der damit üblicherweise verbundenen Tilgung des Darlehens das dann
vorhandene selbst genutzte Wohneigentum als Vermögen nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4
SGB II bei der Zahlung von Alg II nicht zu berücksichtigen ist. Diese Zweckrichtung
würde verfehlt, wenn der Empfänger die Leistung als Einkommen zur Bestreitung des
Lebensunterhaltes verwenden müsste. Der Auffassung des SG für das Saarland, die
EigZul sei nach den für das Sozialhilferecht entwickelten Grundsätzen zu beurteilen, tritt
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der Senat nicht bei. Für den Bereich der Sozialhilfe findet sich eine Definition des
Einkommens in § 82 Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs - Sozialhilfe - (SGB XII),
ergänzt durch die §§ 83 und 84 SGB XII. Die jeweiligen Einkommensbegriffe stimmen
weder untereinander überein noch sind sie mit anderen Einkommensbegriffen, wie z.B.
im Einkommenssteuerrecht, kompatibel. Diese Situation ist bis zum 31. Dezember 2004
ähnlich gewesen. Für Arbeitslose war der Einkommensbegriff in § 194 SGB III a.F.
geregelt. Dieser hat den Umfang der Bedürftigkeit bestimmt. Für den Bereich der
Sozialhilfe definierten dagegen die §§ 76 bis 78 BSHG das dort maßgebende
Einkommen. Nach § 194 Abs. 3 Nr. 4 SGB III a.F. hat die EigZul, soweit sie
nachweislich zur Herstellung oder Anschaffung einer zu eigenen Wohnzwecken
genutzten Wohnung in einem im Inland gelegenen eigenen Haus oder einer eigenen
Eigentumswohnung oder zu einem Ausbau oder einer Erweiterung an einer solchen
Wohnung verwendet worden ist, nicht als Einkommen gegolten. Im Regelfall hat
deshalb die EigZul nicht die Bedürftigkeit des Alhi-Empfängers beeinflusst. Anders ist
die Rechtslage für Personen gewesen, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG
bezogen oder beziehen sollten. Insoweit hat § 77 Abs. 1 S. 1 BSHG bestimmt, dass
Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen nicht zu einem
ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur soweit als Einkommen zu
berücksichtigen sind, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck gedient hat.
Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden, dass die EigZul
nicht nach § 77 Abs. 1 S. 1 BSHG privilegiert ist (vgl.: Urteil des BVerwG vom 28. Mai
2003, Az.: 5 C 41/02). Unabhängig davon, ob die EigZul tatsächlich zweckneutral ist,
wie vom BVerwG ange-nommen, kann diese Entscheidung nicht auf die seit dem 01.
Januar 2005 geltende Regelung im SGB II übertragen werden. Das Urteil vom 28. Mai
2003 ist offenbar durch den Wortlaut des § 77 Abs. 1 S. 1 BSHG geprägt, der lediglich
Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich
genannten Zweck gewährt wurden, als privilegierte Einkommen ansah. Diese
Einschränkung hat keinen Eingang in das Regelungswerk des SGB II gefunden. Zwar
hat sich der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des § 11 Abs. 3 SGB II grundsätzlich
am Sozialhilferecht orientiert und bestimmte Einnahmen wegen ihres Charakters oder
der Zweckbindung von der Einkommensberücksichtigung ausgenommen. Ein
gesetzlich ausdrücklich genannter Zweck der Leistung ist aber nicht mehr erforderlich. §
11 Abs. 3 Nr. 1 a) SGB II ähnelt vielmehr der Regelung des § 194 Abs. 3 Nr. 3 SGB III
a.F ... Wie aber bereits das BSG zu den Vorgängervorschriften (auch zu § 138 Abs. 3 Nr.
3 Arbeitsförderungsgesetz - AFG -) entschieden hat, erwächst die Zweckbindung nicht
allein aus der Verwendung der gewährten Leistung.
Wesentliche Grundlage für die Zweckbindung ist vielmehr das Motiv, aus dem heraus
die Leistung gewährt wird. Es ist daher nicht erforderlich, dass die Empfänger
hinsichtlich des tatsächlichen Verbrauchs einer Leistung zwingend und gesetzlich
festgelegt sein müssen. Es genügt, wenn die Leistung aus einem bestimmten Anlass
und in einer bestimmten Erwartung gegeben wird und im Allgemeinen mit einer
Verwendung für den gedachten Zweck gerechnet werden kann. Unerlässliche
Voraussetzung ist allerdings, dass derartigen Leistungen eine bestimmte, vom
Gesetzgeber erkennbar gebilligte Zweckrichtung zu eigen ist, die im Falle der
Anrechnung der Leistung auf eine andere einkommensabhängige Sozialleistung zu
einer Zweckvereitelung führen würde. Auch wenn im Katalog des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 6
VO Alg II-V die EigZul nicht aufgenommen wurde, ergibt sich bereits aus § 11 Abs. 3 Nr.
1 a) SGB II selbst, dass diese als zweckbestimmte Einnahme nicht als Einkommen zu
berücksichtigen ist. Dies wird schon aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 VO Alg II-V
deutlich, der von "außer den in § 11 Abs. 3 SGB II genannten Einnahmen" spricht.
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An dieser Betrachtung muss es auch nach der Änderung des § 1 Abs. 1 VO Alg II-V
durch die ab 01. Oktober geltende ÄndVO verbleiben. Danach wird in § 1 Abs.1 u.a.
eine Nr. 7 eingeführt, wonach außer den in § 11 Abs. 3 SGB II genannten Einnahmen
nicht als Einkommen die EigZul berücksichtigt wird, soweit sie nachweislich zur
Finanzierung einer nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 des SGB II nicht als Vermögen zu
berücksichtigenden Immobilie verwendet wird. Zwar sieht § 6 ÄndVO u.a. vor, dass die
§§ 1 bis 3 in der bis zum 30. September 2005 geltenden Fassung für
Bewilligungszeiträume, die vor dem 01. Oktober 2005 beginnen, weiterhin anzuwenden
sind. Allein nach dem Wortlaut könnte man zu der Auffassung gelangen, die EigZul sei,
da sie in der VO Alg II-V nicht genannt war, für die Zeit vom 01. Januar bis 30.
September 2005 nicht privilegiert und damit nicht anrechenbar. Eine solche Auslegung
der Übergangsregelung würde aber zu einem nicht sachgerechten und auch dem Willen
des Verordnungsgebers nicht entsprechenden Ergebnis führen. Denn ein sachlicher
Grund, warum für die Zeit vom 01. Januar bis 30. September 2005 die EigZul nicht und
für die Zeit ab 01. Oktober 2005 privilegiert sein soll, ist nicht ersichtlich. Eine solche
Ungleichbehandlung entsprach gerade nicht dem Willen des Verordnungsgebers. Die
EigZul sollte vielmehr zu jedem Zeitpunkt als privilegiert behandelt werden. Denn der
Begründung des Entwurfs der ÄndVO ist zu entnehmen, dass die Einführung des § 1
Abs. 1 Nr. 7 der Klarstellung diene. Mit der Regelung solle, so die Begründung, der
Tatsache Rechnung getragen werden, dass die EigZul vielfach während des Bezugs
von Alg II die einzige Möglichkeit zur Tilgung von Baudarlehen darstelle. Weil die
EilgZul zur Förderung des Eigenheimerwerbs geleistet werde, werde sie in diesen
Fällen zweckentsprechend verwendet. Der Verordnungsgeber hat mit der insoweit
klarstellenden Aufnahme der EigZul in den Katalog des § 1 Abs. 1 ÄndVO auch der
Empfehlung des Ombudsrats Rechnung getragen. Dieses Gremium wurde in
Deutschland von der ehemaligen Bundesregierung mit dem Ziel eingerichtet, die
Umsetzung des SGB II zu begleiten. Es hat am 01. Dezember 2004 seine Arbeit
aufgenommen und u.a. eine Anrechnung der EigZul auf das Einkommen deshalb
kritisiert, weil dies dem gesetzgeberischen Ziel, den Eigenheim-erwerb möglichst auf
breiter Basis zu fördern, entgegenstehe. Wenn aber die Einführung des § 1 Abs. 1 Nr. 7
ÄndVO der Klarstellung dient, kann dies nur so verstanden werden, dass es sich um
eine Klarstellung der bestehenden Rechtslage handelt. Denn dem Verordnungsgeber
kann nicht unterstellt werden, dass er bei der Fassung der Übergangsvorschrift eine
Benachteiligung der Leistungsberechtigten für die Zeit vor dem 01. Oktober 2005
bewusst in Kauf genommen hat durch die Anwendung der VO Alg II-V in "ungeklärter"
Form. Dies ergibt sich im Übrigen daraus, dass in der Begründung der ÄndVO auf die
Entscheidung des LSG N.B. und des LSG Hamburg Bezug genommen wurde. Ob der
Verordnungsgeber das Ziel verfolgt haben will, dass es bei den bis zum 01. Oktober
2005 erlassenen Bescheide verbleiben solle, ist vor diesem Hintergrund unbeachtlich.
Deshalb ist die Übergangsvorschrift so auszulegen, dass es bei der Previlegierung der
EigZul schon für die Zeit vor dem 01. Oktober 2005, wie sie sich aus § 11 Abs. 3 Nr. 1 a)
SGB II ergab, bleiben soll, was nunmehr nur klarstellend hervorge-hoben worden ist.
Der Senat hat keine Bedenken, die Übergangsvorschrift in diesem Sinne über den
Wortlaut hinaus nach Sinn und Zweck auszulegen. Auch das BSG hat eine solche über
den Wortlaut hinausgehende Auslegung von Übergangsvorschriften u.a. für zulässig
erachtet, wenn eine allein am Wortlaut orientierte Auslegung zu einem Wertungswider-
spruch führen würde, der im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung nicht
hinnehmbar wäre (vgl. zur Problematik: BSG, Urteil vom 14. November 2002, Az.: 13 RJ
47/01 R). Dem Gesetzgeber, so das BSG, sei es durch den Gleichheitssatz in seiner
Ausprägung als Verbot ungerechtfertigter Verschiedenbehandlungen mehrerer
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Personengruppen verwehrt, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen
Normaderessaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine
Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, dass sie eine ungleiche
Behandlung rechtfertigen könnten. Da, wie bereits ausgeführt, der Senat keine Gründe
erkennen kann, weshalb die Zeiträume vor dem 01. Oktober 2005 und danach anders
behandelt werden sollten, ist diese Auslegung zwingend. Unter Berücksichtigung
dessen ist aber die EigZul vorliegend nicht als Einkommen zu berücksichtigen. "
Der Kläger hat damit Anspruch auf Leistungen dem Grunde nach für die Zeit vom 01.03.
bis 25.06.2005 ohne Berücksichtigung der EigZul als Einkommen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage grundsätzliche Bedeutung
beimisst, in welchen Fällen eine zweckbestimmte Verwendung der EigZul vorliegt, bzw.
in welchen Fällen die EigZul nachweislich zur Finanzierung einer nach § 12 Abs. 3 S. 1
Nr. 4 SGB II nicht als Vermögen zu berücksichtigenden Immobilie verwendet wird. Da,
wie dargelegt, die Einführung des § 1 Abs. 1 Nr. 7 ÄndVO der Klarstellung der
bestehenden Rechtslage dient, ist die Frage nach Auffassung des Senats nach wie vor
von Bedeutung.
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