Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.10.2002

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Landessozialgericht NRW, L 16 KR 39/01
Datum:
28.10.2002
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 KR 39/01
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 16 (2,7) KR 25/98
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold
vom 19. Oktober 2000 wird zurückgewiesen. Kosten des
Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme der Behandlung einer Gonarthrose mit
dem Organlysat Neychondrin.
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Die bei der Beklagten familienversicherte Klägerin leidet seit Jahren an Gonarthrose. Im
November 1997 führte der Orthopäde und Chirotherapeut Dr. Sch ... eine Behandlung
mit dem Organlysat Neychondrin durch, wofür er der Klägerin eine privatärztliche
Rechnung über 246,40 DM erteilte. Daneben wendete die Klägerin für das Arzneimittel
83,17 DM auf. Den im Anschluss an die Behandlung gestellten Antrag auf Erstattung
dieser Kosten entsprach die Beklagte in Höhe von 146,82 DM, lehnte aber eine weitere
Kostenübernahme durch Bescheid vom 16.03.1998 ab.
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Die Klägerin hat am 13.02.1998 vor dem Sozialgericht (SG) Detmold hiergegen Klage
erhoben, und geltend gemacht, erst nachdem sich das Medikament als wirksam bei ihr
erwiesen habe, habe sie sich entschlossen, die Erstattung der aufgewendeten Kosten
zu beantragen. Mündlich sei ihr eine teilweise Übernahme der Kosten daraufhin
zugesagt worden. Im Hinblick auf den Erfolg der Behandlung sei es jedoch
angemessen, dass die Beklagte die vollständigen Kosten trage. Des weiteren hat die
Klägerin begehrt, die Beklagte zur Übernahme der Kosten der weiteren Behandlung mit
Neychondrin zu verurteilen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2000 hat die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurückgewiesen, weil die Behandlung mittels Neychondrin nach den
Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen
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ausgeschlossen sei.
Mit Urteil vom 19.10.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 24.01.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.02.2001
Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, da das Medikament zugelassen sei, könnten
die Arzneimittelrichtlinien einer Behandlung zu Lasten der Krankenkasse nicht
entgegenstehen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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das Urteil des SG Detmold vom 19.10.2000 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 16.03.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 18.02.2000 zu verurteilen, die Kosten der Behandlung mit Neychondrin in Höhe
weiterer 173,75 DM sowie in Zukunft in vollem Umfange zu übernehmen.
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Die Beklagte, die sich in der Sache nicht geäussert hat, beantragt sinngemäß,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat eine Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen
über die Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels Neychondrin eingeholt. Insoweit wird
auf die Auskunft vom 18.09.2001 verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.
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II.
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Die Entscheidung kann gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch
Beschluss ergehen, weil der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, worauf die Beteiligten schon mit
Schreiben des Senats vom 27.09.2001 und 01.08.2002 hingewiesen worden sind.
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Die Berufung ist zulässig. Zwar erreicht der bezifferte Erstattungsbetrag nicht die für die
zulassungsfreie Berufung erforderliche Summe von mehr als 1.000,-- DM (500,-- Euro) -
§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Da die Klägerin mit der Berufung jedoch auch die
Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten weiterer Behandlungen begehrt,
ist unter Berücksichtigung des gesamten Leistungsinteresses von einem Wert von mehr
als 1.000,-- DM (500,-- Euro) auszugehen. Da die Beträge insoweit
zusammenzurechnen sind (§ 202 SGG i.V.m. § 5 Zivilprozessordnung - ZPO -), ist die
Berufung daher insgesamt zulässig.
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Die Berufung ist aber nicht begründet.
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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin weder ein Anspruch auf
Kostenerstattung noch auf die Behandlung mittels Neychondrin zu Lasten der
gesetzlichen Krankenversicherung zusteht.
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Der Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 173,75 DM kann sich, da die Klägerin nicht
zum Personenkreis der freiwillig Krankenversicherten mit Anspruch auf
Kostenerstattung zählt, nur aus § 13 Abs. 3, 2. Alt. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch -
Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ergeben. Danach sind, wenn die
Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und dadurch Versicherten für die
selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der
entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese
Voraussetzungen sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die streitigen Kosten nicht durch
die ablehnende Entscheidung der Beklagten entstanden sind. Insoweit ist
unverzichtbare Voraussetzung, dass sich die Versicherte vor Inanspruchnahme der
Behandlung an die Krankenkasse wendet, damit diese über ihre Einstandspflicht
entscheiden kann (vgl. Bundessozialgericht - BSG - in Sozialrecht - SozR - 3-2500 § 13
Nrn. 15, 22). Fehlt es an einem solchen Antrag und einer hierauf ergangenen
Entscheidung der Krankenkasse, kann die Ablehnungsentscheidung für die Entstehung
der Kosten nicht kausal werden. Dies ist vorliegend der Fall, da die Entscheidung der
Beklagten über die Kostenübernahme erst nach Durchführung der Behandlung
ergangen ist.
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Darüber hinaus scheitert der Anspruch auf Kostenerstattung wie auch auf die
Übernahme zukünftiger Kosten bzw. die Zur-Verfügungstellung einer entsprechenden
Behandlung als Sachleistung daran, dass die Beklagte der Klägerin eine Behandlung
mittels Neychondrin nicht schuldet.
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Dem Anspruch auf Versorgung mit diesem Mittel steht die Regelung der Nr. 17.1.m. der
auf der Ermächtigungsgrundlage des § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V beschlossenen
Arzneimittelrichtlinien (AMRl.) in der Fassung vom 31.08.1993 (BAnz. Nr. 246 S. 11155),
zuletzt geändert am 23.08.2001 (BAnz. Nr. 157 S. 18423), entgegen. Diese Richtlinien
sind untergesetzliche Rechtsnormen, die den Umfang der Arzneimittelversorgung
verbindlich sowohl gegenüber den Vertragsärzten als auch den Versicherten regeln
(BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 9 S. 28, Nr. 11 S. 45). Insoweit besteht die Ermächtigung,
Vorschriften zur Sicherung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen
Arzneimittelversorgung zu erlassen (BSG a.a.O.). Nicht befugt ist der zuständige
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen allerdings dazu, die Unbedenklichkeit
und Wirksamkeit in einem förmlichen Zulassungsverfahren geprüfter Arzneimittel zu
überprüfen (vgl. BSG Urt. vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R -). Ein solches
Zulassungsverfahren mit der Prüfung auf pharmazeutische Qualität, Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit hat jedoch bezüglich Neychondrin nicht stattgefunden; vielmehr gilt es
lediglich als sog. "Alt-Arzneimittel" als zugelassen. Unter diesen Umständen war der
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht gehindert, den therapeutischen
Nutzen und die Zweckmäßigkeit des betreffenden Arzneimittels im Rahmen seiner
Ermächtigung zu prüfen. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zählt dieses Arzneimittel zu den
Zellulartherapeutika und Organhydrolysaten i.S.d. AMRl. Nr. 17.1.m., so dass es von der
Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen ist.
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Die Berufung musste daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung
zurückgewiesen werden.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht
vor.
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