Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11.02.2005

LSG NRW: altersrente, beendigung, arbeitslosigkeit, sozialplan, altersgrenze, vertrauensschutz, dispositionen, zukunft, anwendungsbereich, eigentumsschutz

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 14 RJ 177/03
11.02.2005
Landessozialgericht NRW
14. Senat
Urteil
L 14 RJ 177/03
Sozialgericht Düsseldorf, S 39 RJ 143/02
Unfallversicherung
nicht rechtskräftig
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf
vom 10.09.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44
Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) darüber, ob die dem Kläger ab 01.11.1999
bewilligte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung eines nach Maßgabe
des § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der
Fassung vom 16.12.1997 (BGBl. I 2998) - jetzt § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI -
ungeminderten Zugangsfaktors von 1,00 zu berechnen ist oder ob wegen der vorzeitigen
Inanspruchnahme dieser Rentenart ein Zugangsfaktor von 0,898 zugrunde zu legen ist.
Der am 00.00.1939 geborene Kläger war seit dem 23.05.1955 bei der Firma D GmbH / O im
Produktionsbereich versicherungspflichtig beschäftigt. Vor dem Hintergrund einer bis Ende
1996 geplanten Stilllegung des gesamten Produktionsbereichs vereinbarten der Betriebsrat
und die D GmbH am 18.02.1994 ein Sozialplanvolumen, dem ein Sozialplan vom
15.03.1994, in welchem unter Bezugnahme auf den Interessenausgleich vom 18.02.1994
insbesondere die Höhe der Abfindungsleistungen geregelt war, folgte. Aus dem Sozialplan
und dem Interessenausgleich geht weiter hervor, dass die von der Werksstilllegung
betroffenen Arbeitnehmer jeweils zu einem späteren Zeitpunkt durch individuelle
firmenseitige Kündigung oder durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses im
gegenseitigen Einvernehmen aus dem Betrieb ausscheiden sollten. Nachdem sich wegen
unvorhergesehener Entwicklungen innerhalb der internationalen D-Gruppe der Termin für
die Schließung des Produktionsstandortes in O in das Jahr 1997 verschob, wurde eine
zusätzliche Betriebsvereinbarung vom 07.03. bzw. 13.03.1996 getroffen, in dem weitere
Modalitäten hinsichtlich der Abfindungen etc. geregelt wurden.
Mit Schreiben vom 04.12.1996 kündigte die D GmbH das Arbeitsverhältnis des Klägers
unter Bezugnahme auf die Konzernentscheidung zur Restrukturierung von D sowie auf der
Grundlage des Interessenausgleichs / Vereinbarung über Sozialplanvolumen vom
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18.02.1994, dem Sozialplan vom 15.03.1994 und der Betriebsvereinbarung vom 7. /
13.03.1996 unter Einhaltung der arbeitgeberseitigen gesetzlichen Kündigungsfrist zum
30.09.1997. Am 30.06.1997 erfolgte die tatsächliche Schließung des Werks in O.
Der zwischenzeitlich arbeitslos gemeldete Kläger bat unter dem 05.12.1997 bei der
Beklagten um Auskunft, ob er im Falle eines vorzeitigen Rentenbeginnes unter die
Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 Nr. 1 b SGB VI falle. Hierbei vertrat er die
Ansicht, dass der Interessenausgleich / Sozialplan vom 18.02.1994 als Vereinbarung im
Sinne dieser Vertrauensschutzregelung anzusehen sei. Mit Bescheid vom 30.01.1998 und
Widerspruchsbescheid vom 02.06.1998 stellte die Beklagte fest, eine wirksame
Vereinbarung im Sinne des § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI liege nicht vor. Im
anschließenden Klage- bzw. Berufungsverfahren (Sozialgericht Düsseldorf, Aktenzeichen
S 39 RJ 89/98 und L 14 RJ 168/00) hob die Beklagte im Termin zur mündlichen
Verhandlung vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen am 26.10.2001 die
erteilten Feststellungsbescheide auf und wertete die eingelegte Berufung vom 28.11.2000
als Überprüfungsantrag hinsichtlich des zwischenzeitlich ergangenen
Altersrentenbescheid vom 05.08.1999. In diesem Bescheid hatte die Beklagte die dem
Kläger ab dem 01.11.1999 auf der Grundlage seines Antrags vom 05.06.1999 gewährte
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung eines auf 0,898 gekürzten
Zugangsfaktors wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente berechnet. An Stelle
von 51,8529 wurden der Rente nur 46,5639 persönliche Entgeltpunkte zugrunde gelegt.
Mit Bescheid vom 31.01.2002 lehnte die Beklagte eine Rücknahme bzw. Änderung des
Bescheides vom 05.08.1999 und Gewährung der Altersrente unter Einbeziehung eines
ungekürzten Zugangsfaktors ab. Sie vertrat weiterhin die Auffassung, dass eine wirksame
Vereinbarung im Sinne des § 237 SGB VI voraussetze, dass Gegenstand der Vereinbarung
entweder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder der Abschluss eines befristeten
Arbeitsverhältnisses sei. Die bloße Vereinbarung eines Sozialplanes ohne konkrete
Vereinbarung im Einzelfall führe nicht zur Anwendung der Vertrauensschutzregelung. Im
Rahmen des hiergegen erhobenen Widerspruchs machte der Kläger weiterhin geltend,
auch Sozialpläne oder Tarifverträge seien Vereinbarungen im Sinne des § 237 Abs. 2 Satz
1 Nr. 1 b SGB VI. Dem Wortlaut der Vorschrift lasse sich eine Einschränkung im Sinne
einer individuellen Vereinbarung nicht entnehmen. Nach der Zielrichtung des Gesetzes
solle der Vertrauensschutz auch für solche Arbeitnehmer gelten, deren Arbeitsverhältnis mit
oder ohne eigenes Zutun in der Zeit des Umbruchs der gesetzlichen Regelung beendet
worden sei oder dessen Beendigung eingeleitet worden sei und die bis zum Stichtag auf
den Fortbestand der alten Rechtslage vertrauen durften. Mit Widerspruchsbescheid vom
09.07.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Vertrauensschutzregelung
nach § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI (jetzt § 237 Abs. 4 SGB VI) finde im Falle des
Klägers keine Anwendung. Sein Arbeitsverhältnis sei erst mit Kündigungsschreiben vom
04.12.1996 beendet worden. Eine Kündigung oder Vereinbarung über die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses spätestens bis zum 13.02.1996 (Stichtag) sei nicht erfolgt.
Hiergegen hat der Kläger am 07.08.2002 vor dem Sozialgericht Köln Klage erhoben. Er hat
vorgetragen, es bedürfe keiner individuellen Vereinbarung über die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses vor dem 14.02.1996. Die kollektiv-rechtliche Vereinbarung von 1994
sei ausreichend. Eine solche Auslegung sei auch verfassungsrechtlich geboten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 31.01.2002 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 09.07.2002 aufzuheben und ihm unter Änderung des
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Bescheides vom 05.08.1999 ungekürzte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (Zugangsfaktor
1,0) ab dem 01.11.1999 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Rechtsauffassung festgehalten.
Mit Urteil vom 10.09.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den
Entscheidungsgründen wird im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger gehöre nicht zum
geschützten Personenkreis der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b
SGB VI in der bei Rentenbeginn am 01.11.1999 gültigen Fassung vom 16.12.1997
(Bundesgesetzblatt I 2998). Danach werde bei vor 1941 geborenen Versicherten die
Altersgrenze von 60 Jahren nicht angehoben, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund einer
Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt sei, für eine Zeit nach dem
13.02.1996 beendet werde und der Versicherte anschließend arbeitslos geworden sei. Der
Kläger sei zwar vor dem 14.02.1941 geboren und sei nach Beendigung seines
Arbeitsverhältnisses zum 30.09.1997 bis zum Bezug der Altersrente arbeitslos gewesen.
Sein Arbeitsverhältnis sei jedoch nicht aufgrund einer Kündigung oder individuellen
Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt sei, beendet worden. Vielmehr sei die
Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erst durch die Kündigung des Arbeitgebers mit
Schreiben vom 04.12.1996 und damit nach dem Stichtag 14.02.1996 erfolgt. Entgegen der
Auffassung des Klägers sei der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die
arbeitgeberseitige Kündigung vom 04.12.1996 und nicht bereits der Abschluss des
Sozialplanes/Interessenausgleichs vom 18.02.1994. Der genannte Sozialplan sei keine
Vereinbarung im Sinne des § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI. Als Vereinbarung im Sinne
des genannten Buchstaben b) seien nur individuell-rechtliche Verträge anzusehen. Dies
entspreche nach Auffassung der Kammer dem Sinn und Zweck der
Vertrauensschutzregelung. Die Vertrauensschutzregelung solle solche Versicherte
schützen, die bis zum 14.02.1996 auf den Fortbestand des alten Rechts zur Altersrente u.a.
wegen Arbeitslosigkeit vertraut hätten und im Vertrauen auf diese Gesetzeslage eine
konkret individuelle Vereinbarung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit ihrem
Arbeitgeber getroffen hätten. Diese Voraussetzungen seien im Falle des Klägers nicht
erfüllt. Er habe vor dem 14.02.1996 keine konkrete Disposition zur Beendigung seines
Arbeitsverhältnisses mit der Firma D GmbH getroffen. Der Sozialplan vom 18.02.1994 und
die ergänzende Betriebsvereinbarung vom 7. / 13.03.1996 hätten keine individuellen
Vertragsbeendigungen der einzelnen Arbeitsverhältnisse enthalten. Zur Beendigung der
einzelnen Arbeitsverhältnisse habe es vielmehr einer zusätzlichen individuellen Kündigung
bzw. einer individuellen Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien bedurft. Die
Kammer sehe sich in ihrer Auffassung auch durch das Urteil des BSG vom 30.10.2001,
Aktenzeichen B 4 RA 15/00 R, bestätigt. Danach würden Versicherte von der
Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI auch dann erfasst, wenn
sie aufgrund einer vor dem 14.02.1996 geschlossenen kollektiven und auf die Beendigung
von Arbeitsverhältnissen zielenden Vereinbarung einen sie selbst (und den Arbeitgeber)
gemäß der Betriebsvereinbarung bindenden Antrag auf Beendigung des
Arbeitsverhältnisses gestellt hätten. Das Bundessozialgericht fordere in der genannten
Entscheidung nicht nur das Vorliegen einer kollektiven Vereinbarung vor dem 14.02.1996,
sondern auch das Vorliegen einer konkret-individuellen Disposition des Arbeitgebers oder
Arbeitnehmers vor dem 14.02.1996 aufgrund der kollektiven Vereinbarung. Eine solche
konkret-individuelle Disposition hätten weder der Arbeitgeber noch der Kläger vor dem
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14.02.1996 getroffen. Das Abwarten der Kündigungserklärung des Arbeitgebers im Jahre
1996 könne nach Auffassung der Kammer nicht mit einer den Vertrauensschutz
auslösenden bindenden Entscheidung des Klägers vor dem 14.02.1996 gleichgestellt
werden. Nach alledem habe die Beklagte die Altersrente des Klägers ab dem 01.11.1999
zu Recht auf den Zugangsfaktor 0,898 abgesenkt.
Gegen das am 21.11.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.11.2003 Berufung
eingelegt. Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, auch unter Berücksichtigung der
Rechtsprechung des BSG und des dort dargestellten Sinnes und Zweckes des § 237 Abs.
2 Satz 1 Nr. 2 b SGB VI sei festzustellen, dass auch den Personengruppen
Vertrauensschutz zuzubilligen sei, bei denen vor dem Stichtag am 14.02.1996
festgestanden habe, dass das Arbeitsverhältnis wegen einer Betriebsstilllegung nach dem
14.02.1996 seine Beendigung finden werde. Eine solche Fallgestaltung liege hier vor.
Entsprechend den kollektiven Vereinbarungen von 1994 und 1995 habe festgestanden,
dass der Produktionsbereich in naher Zukunft stillgelegt werde und damit Arbeitslosigkeit
des Klägers nach dem 14.02.1996 eintreten werde. Dass sich die erwartete Schließung der
Produktion zu Ende Juni 1996 bzw. Ende Dezember 1996 auf das Kalenderjahr 1997
verschoben habe, sei entscheidungsunerheblich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. September 2003 zu ändern und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.01.2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 09.07.2002 zu verurteilen, den Rentenbescheid vom
05.08.1999 teilweise zurückzunehmen, den Wert des Rechts auf Altersrente unter
Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,00 statt 0,898 festzustellen und dem Kläger
hieraus ab 01.11.1999 eine entsprechend höhere Rente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich den Entscheidungsgründen im angefochtenen Urteil an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist
Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers
ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage
(§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Feststellung des Werts des Rechts auf Altersrente unter Berücksichtigung eines
Zugangsfaktors von 1,00 statt 0,898 und Gewährung einer entsprechend höheren Rente.
Der nach Maßgabe des § 44 Abs. 1 SGB X zur Überprüfung gestellte Bescheid vom
05.08.1999 entspricht der Sach- und Rechtslage, so dass eine Änderung dieses
Bescheides im Zugunstenwege nicht in Betracht kommt.
Die Beklagte hat bei der Bewilligung der um 34 Monate vorgezogenen Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit und damit bei Ermittlung des Werts des Rechts auf Altersrente zu Recht
einen Zugangsfaktor von 0,898 zugrunde gelegt. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB VI in der
hier bei Rentenbeginn zum 01.11.1999 gültigen Fassung richtet sich der Zugangsfaktor
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nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang
Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente zu berücksichtigen sind.
Entgeltpunkte werden bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats der
Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden
niedrigeren Rentenalters beginnen, in vollem Umfang berücksichtigt (Zugangsfaktor 1,00).
Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI ist der Zugangsfaktor bei Entgeltpunkten, die noch nicht
Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente wegen Alters waren, für jeden
Kalendermonat, für den Versicherte eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch
nehmen, um 0,003 niedriger. Dies ergibt sich aus der Regelung der §§ 38, 41 Abs. 1 SGB
VI in Verbindung mit der Anlage 19 zum SGB VI in der bei Rentenbeginn am 01.11.1999
maßgeblichen Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG)
vom 25.09.1996 (BGBl. I 1461). Danach wird die Altersgrenze von 60 Jahren bei
Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit für Versicherte, die nach dem
31.12.1936 geboren sind, angehoben. Dies führt bei dem im Oktober 1939 geborenen
Kläger dazu, dass er eine abschlagsfreie Altersrente erst ab dem 01.09.2002 hätte erhalten
können und eine Inanspruchnahme unter Inkaufnahme einer Rentenminderung in dem
festgestellten Umfang frühestens ab dem 01.11.1999 - wie in dem Bescheid vom
05.08.1999 festgestellt - möglich war (zur Entwicklung der Vorschriften §§ 38, 41, 237 SGB
VI vgl. BSG, Urteil vom 25.02.2004, Az.: B 5 RJ 44/04 R). Die Voraussetzungen des § 237
Abs. 2 SGB VI (jetzt § 237 Abs. 4 SGB VI), unter denen gleichwohl eine abschlagsfreie
vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch genommen werden kann, erfüllt
der Kläger nicht. Dabei scheiden die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 Nr. 2 und
3 SGB VI im Falle des Klägers ersichtlich aus, da er nicht aus einem Betrieb der
Montanindustrie ausgeschieden ist (Nr. 2) und keine 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine
versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr. 3) belegt hat. Der Versicherungsverlauf des
Klägers weist insoweit Pflichtbeitragszeiten vom 01.04.1954 bis 30.09.1997 aus.
Der Kläger kann auch nicht die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 Nr. 1 b SGB VI
für sich in Anspruch nehmen. Nach dieser Vorschrift wird bei Versicherten, die vor dem
14.02.1941 geboren sind, die Altersgrenze von 60 Jahren nicht bzw. in geringerem Umfang
angehoben, wenn deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung,
die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden ist
und sie daran anschließend arbeitslos geworden sind oder Anpassungsgeld für entlassene
Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben. Der Kläger ist zwar vor dem 14.02.1941
geboren und war auch nach dem 13.02.1996 - hier ab dem 01.10.1997 - bis zum Bezug der
Altersrente arbeitslos. Sein Arbeitsverhältnis ist aber nicht aufgrund einer Kündigung oder
Vereinbarung vor dem Stichtag 14.02.1996 beendet worden. Es endete vielmehr erst durch
die arbeitgeberseitige Kündigung vom 04.12.1996. Zwar hatte diese Kündigung ihren
Hintergrund in dem Interessenausgleich und der Vereinbarung über Sozialplanvolumen
sowie dem Sozialplan vom 18.02. bzw. 15.03.1994 und damit letztlich in der
unternehmerischen Entscheidung einer Werksschließung spätestens im 2. Halbjahr 1996.
Diese kollektiv-rechtlichen Vereinbarungen aus dem Jahr 1994 sind jedoch keine solche
im Sinne der gesetzlichen Vertrauensschutzregelung. Zwar können auch kollektive
Vereinbarungen unter den Anwendungsbereich des § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI
fallen (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2001, SozR 3 - 2600, § 237 Nr. 1 mit weiteren
Nennungen). Danach erfasst der Anwendungsbereich dieser Vorschrift auch diejenigen
Versicherten, die aufgrund einer kollektiven Vereinbarung vor dem 14.02.1996 einen
bindenden Antrag auf Beendigung ihres Arbeitsvertrages gegenüber dem Arbeitgeber
gestellt hatten, der zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führte. Der Versicherte als
Arbeitnehmer, der sich in dem Bewusstsein, sich auf Dauer nicht oder vorübergehend nur
unter Inkaufnahme einer Verschlechterung seiner Arbeitssituation seinem arbeitgeberseitig
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vorgesehenen Ausscheiden widersetzen zu können, zum Ausscheiden bindend bereit
erklärt, ist ebenso schutzwürdig, wie der in § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI erkennbar
angesprochene Personenkreis derer, bei denen das Arbeitsverhältnis aufgrund einer vor
dem 14.02.1996 geschlossenen individuellen Aufhebungsvereinbarung oder durch vorher
ausgesprochene Kündigung mit Wirkung für die Zukunft beendet worden war (BSG, Urteil
vom 30.10.2001 a.a.O.). Somit fordert der Begriff Vereinbarung auch nach seiner
systematischen Stellung bei den Beendigungstatbeständen zumindest einen bindenden
Antrag des Versicherten auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne der §§ 133,
145 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor dem genannten Stichtag oder ein entsprechendes
Angebot des Arbeitgebers, wobei offen bleiben kann, wie die aufgrund dieses Antrags zu
Stande gekommene Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
arbeitsrechtlich zu qualifizieren wäre. Ein solches Vertragsangebot eines Versicherten bzw.
des Arbeitgebers ist nach den Bestimmungen des BGB in den Grenzen der §§ 145, 146
BGB bindend, unabhängig davon, ob es sich insoweit um einen Antrag auf Abschluss
eines Vertrags zur einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses oder auf den
Abschluss eines sogenannten Abwicklungsvertrages handelt. Ein derartiges sie bindendes
"Beendigungsangebot" haben weder der Kläger noch seine Arbeitgeberin unter
Bezugnahme auf den Interessenausgleich / Sozialplan unterbreitet, wobei ein derartiges
Prozedere weder im Sozialplan noch in den ergänzenden Betriebsvereinbarungen
vorgesehen war. Der Interessenausgleich bzw. Sozialplan der D GmbH enthielt nicht
einmal ein Angebot der Arbeitgeberin auf individuelle Vertragsaufhebung, welches bereits
vor der formellen Kündigung vom 04.12.1996 unmittelbar zur Beendigung des
Arbeitsverhältnisses des Klägers hätte führen können. Vielmehr enthielt der Sozialplan
eine Beschäftigungsgarantie bis zum 30.06.1996 und sah Kürzungen der
Sozialplanabfindung vor, sofern das Beschäftigungsverhältnis vor Ablauf der
Beschäftigungsgarantie arbeitnehmerseitig gekündigt würde. Nach Wortlaut und
Interessenlage der Vereinbarung ist deshalb davon auszugehen, dass sich die
Arbeitgeberin nicht bereits abschließend individuell bezüglich des genauen
Beendigungszeitpunkts der einzelnen Arbeitsverhältnisse binden wollte. Vielmehr sollten
diese später durch arbeitgeberseitige Kündigung oder einvernehmliche individuelle
Vereinbarungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten beendet werden. Eine für den Kläger
wie seine Arbeitgeberin gleichermaßen bindende unumkehrbare Disposition über sein
Arbeitsverhältnis wurde daher mit den Sozialplanvereinbarungen nicht getroffen. Vielmehr
entstanden die in den Vereinbarungen begründeten Ansprüche erst zum Zeitpunkt der
rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Auch nach dem Schutzzweck der gesetzlichen Vorschrift des § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b
SGB VI ist es nicht gerechtfertigt, die Vertrauensschutzregelung vorliegend anzuwenden.
Die Norm dient nur dem Vertrauensschutz von Versicherten, die am 14.02.1996 ein
bestimmtes Lebensalter erreicht hatten und zu diesem Zeitpunkt bereits arbeitslos waren
oder die aufgrund der Rentenanwartschaft und dem Vertrauen auf die damaligen
gesetzlichen Regelungen, wegen Arbeitslosigkeit das Recht auf eine Altersrente bereits ab
Vollendung des 60. Lebensjahres erlangen zu können, Dispositionen zur Beendigung des
Arbeitsverhältnisses getroffen hatten, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten
und die später zur Arbeitslosigkeit geführt haben. Es fehlt hier jedoch gerade an einer
eigenen Disposition des am Stichtag noch nicht arbeitslosen und auch noch nicht
gekündigten Klägers. Der Kläger ist rentenrechtlich nicht anders gestellt als andere
Versicherte, die am 14.02.1996 noch nicht arbeitslos, aber von einer betriebsbedingten
Kündigung bedroht waren, denen aber keine Ansprüche aus einem Sozialplan zustanden
(siehe zu einer gleichgelagerten Fallgestaltung BSG, Urteil vom 25.02.2004, Az.: B 5 RJ
62/02 R).
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Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vorgezogene Anhebung der
Altersgrenze bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und insbesondere die
Ausgestaltung der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 SGB VI hat der Senat nicht.
Das BSG hat in mehreren Urteilen, u.a. auch in dem Fall eines 1939 geborenen Klägers,
dessen Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen 1997 gekündigt worden war,
unter verfassungsrechtlichen Aspekten mit diesen Regelungen befasst und sie als mit dem
Eigentumsschutz aus Artikel 14 Grundgesetz (GG), dem rechtstaatlichen Grundsatz des
Vertrauensschutzes und dem Gleichbehandlungsgebot aus Artikel 3 Abs. 1 GG vereinbar
angesehen (vgl. BSG, Urteil vom 25.02.2004, Az.: B 5 RJ 44/02 R und B 5 RJ 62/02 R; vom
05.08.2004, Az.: B 13 RJ 40/03 R sowie vom 07.07.2004, Az.: B 8 KN 3/03 R). In diesen
Entscheidungen wird zusammenfassend ausgeführt, dass die genannten
Abschlagsregelungen bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente wegen Arbeitslosigkeit
im Einklang mit den Grundrechten stünden. Dies gelte ungeachtet der Frage, ob die
gesetzliche Gewährung einer ungeminderten Altersrente bei Vollendung eines bestimmten
Lebensalters und Arbeitslosigkeit vom Eigentumsschutz des Grundgesetzes erfasst werde.
Ebenso wie die beschleunigte Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente für Frauen
und der Abschlag bei vorzeitiger Inanspruchnahme dieser Rente, die das
Bundesverfassungsgericht im Beschluss der 3. Kammer des 1. Senat vom 13.02.2004 (1
BVR 2491/97) bereits als verfassungsgemäß beurteilt habe, sei auch die erweiterte
Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erforderlich und
geeignet, um das Rentenversicherungssystem für die Beitragszahler bezahlbar zu erhalten
und zusätzliche Lohnnebenkosten im Interesse der Schaffung oder jedenfalls des Erhalts
von Arbeitsplätzen zu vermeiden. Ein Gegensteuern sei hier umso mehr geboten, als die
seit dem Rentenreformgesetz 1992 festzustellende und weiterhin zu erwartende erhebliche
Ausweitung der Rentenzugänge mit Vollendung des 60. Lebensjahres wegen
Arbeitslosigkeit den Kostendruck auf die Rentenversicherung im besonderen Maße
verstärkt habe und bei dieser Rentenart in der Praxis nicht nur in den industriellen
Großbetrieben, sondern zunehmend auch im Handel und Dienstleistungsgewerbe die
Kosten betrieblicher Personalanpassungen auf die sozialen Sicherungssysteme verlagert
worden seien. Bei Abwägung des Interesses des Klägers an der Beibehaltung der ihm
durch das Rentenreformgesetz 1992 eingeräumten Rechtsposition und dem öffentlichen
Interesse an deren Veränderung habe letzteres Vorrang. Die Hinnahme des Abschlags bei
Belassung der Wahlmöglichkeit, bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres Rente zu
beziehen, sei zumutbar. Die Übergangsregelungen genügten auch insoweit dem
verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes, als sie die weitere Anwendung
des früheren Rechts davon abhängig machten, ob im Hinblick darauf bereits unumkehrbare
Dispositionen getroffen worden seien. Unter Berücksichtigung der beschriebenen
Interessenlage zur Sicherung des Sozialversicherungssystems sei auch die für alle
vorgezogenen Altersrenten einheitliche Voraussetzung von 45 Pflichtbeitragsjahren für die
Beibehaltung der nach dem Rentenreformgesetz 1992 gegebenen Rechtslage
verfassungsgemäß. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung aus eigener
Überzeugung im vollem Umfang an.
Die Entscheidungen des 4. Senats des BSG vom 28.10.2004, wonach die
Revisionsverfahren B 4 RA 42/02 und B 4 RA 7/03 R gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG
ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden, betreffen eine
Fallgestaltung nach § 237 Abs. 4 Nr. 3 sowie § 237 Abs. 3 SGB VI in der Fassung des
Rentenreformgesetzes 1999 (vgl. Pressemitteilung Nr. 63/04, die schriftlichen
Entscheidungsgründe lagen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht vor). Sie
geben deshalb keinen Anlass zu einer abweichenden verfassungsrechtlichen Beurteilung.
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Aus alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache und im Hinblick auf die
zwischenzeitlich anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des
Bundessozialgerichts vom 25.02.2004 und 05.08.2004 (Az.: 1 BvR 1220/04, 1 BvR
1576/04, 1 BvR 1631/04 und 1 BvR 1662/04 sowie 1 BvR 2230/04) und die
Vorlagebeschlüsse des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 28.10.2004 gemäß § 160
Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen worden.