Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.01.2007
LSG NRW: aufschiebende wirkung, ablauf der frist, unterkunftskosten, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufhebung der leistung, zumutbare arbeit, anhörung, anfang, härte, musik
Landessozialgericht NRW, L 20 B 290/06 AS ER
Datum:
10.01.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 290/06 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 35 AS 34/06 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Sozialgerichts Duisburg vom 10.10.2006 geändert. Die aufschiebende
Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14.07.2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31.10.2006 wird angeordnet. Die
Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers für beide Rechtszüge.
Gründe:
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I.
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Der Antragsteller steht bei der Antragsgegnerin seit Januar 2005 im Leistungsbezug.
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Mit einem Schreiben vom 14.12.2005 teilte ihm die Antragsgegnerin mit, bei der
Berechnung seiner Leistungen nach dem SGB II würden bisher die tatsächlichen
Unterkunftskosten in vollem Umfang berücksichtigt. Nach § 22 SGB II seien Leistungen
für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwändungen zu erbringen,
soweit sie angemessen seien. Für einen Ein-Personen-Haushalt wie den des
Antragstellers gelte der Unterkunftsbedarf als angemessen, solange die
Wohnungsgröße von 45 qm nicht überschritten werde. Pro Quadratmeter dürfe ein
Betrag von 6,30 EUR für Grundmiete und Nebenkosten (ohne Heizkosten) nicht
überschritten werden. Ausnahmen seien dann möglich, wenn im Einzelfall besondere
Umstände aufträten, die eine höhere Miete oder einen höheren Wohnraumbedarf
rechtfertigten. Es sei beabsichtigt, den Antragsteller zur Senkung der Unterkunftskosten
aufzufordern. Zuvor bestehe bis zum 30.12.2005 Gelegenheit, sich zu äußern.
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Mit Schreiben vom 11.01.2006 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, derzeit
würden bei seinen Leistungen nach dem SGB II noch die tatsächlichen
Unterkunftskosten in voller Höhe berücksichtigt. Angemessen seien jedoch bei einem
Ein-Personen-Haushalt nur Wohnungrößen bis 45 qm und Quadratmeterpreise für
Grundmiete und Nebenkosten ohne Heizkosten von 6,30 EUR. Die Aufwändungen für
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die Wohnung des Antragstellers überstiegen die als angemessen anzusehende Miete
um monatlich 144,06 EUR. Es seien keine Gründe erkennbar, die im Fall des
Antragstellers eine Ausnahme rechtfertigten. Einer Einladung mit Schreiben vom
14.12.2005 zu einem Gespräch über die Wohnsituation sei der Antragsteller nicht
gefolgt. Tatsächliche Mietkosten würden deshalb nur noch bis zum 31.07.2007 nach
dem SGB II berücksichtigt. Bis zu diesem Termin bestehe ausreichend Gelegenheit, die
Unterkunftskosten auf ein angemessenes Maß zu senken. Nach Ablauf der sechs
Monate könnten nur noch die angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von 283,50
EUR berücksichtigt werden. Mit weiterem Schreiben vom 30.01.2006 wies die
Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hin, dass das Schreiben vom 11.01.2006
hinsichtlich der Frist, bis zu deren Ablauf die tatsächlichen Mietkosten noch
berücksichtigt würden, einen offensichtlichen Schreibfehler enthalte. Tatsächliche
Mietkosten würden noch für sechs Monate bis zum 31.07.2006 (nicht: 2007)
berücksichtigt.
Mit Schreiben vom 24.05.2006 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter
Bezugnahme auf dessen Vorsprache sowie dessen Schreiben jeweils vom 16.05.2006
mit, er habe seine Situation noch einmal in aller Dringlichkeit vorgebracht und erläutert,
dass er sich ohne weitere finanzielle Unterstützung außerstande sehe, das (seit dem
01.02.2006 absolvierte) Referendariat weiter fortzuführen. Da es sich bei dem
Referendariat nach vielen Jahren der Arbeitslosigkeit um eine Chance handele, unter
Beachtung der Neigungen und Fähigkeiten des Antragstellers wieder ins Berufsleben
eingegliedert zu werden, werde empfohlen zu prüfen, ob er an seinen monatlichen
Kosten vorübergehend Einsparungen vornehmen könne. Die Leistungsgewährung
erfolge nach den Maßgaben des SGB II. Fördermöglichkeiten könnten demnach
ausgeschöpft werden, wenn ein Leistungsanspruch nach dem SGB II geltend gemacht
werden könne. Es werde vorsorglich darauf hingewiesen, dass mit der Berücksichtigung
der angemessenen Unterkunftskosten ab dem 01.08.2006 kein Anspruch des
Antragstellers mehr auf Leistungen nach dem SGB II bestehe und somit auch ein
Anspruch auf Fördermöglichkeiten nach diesem Gesetz entfalle. Über die Berechnung
der künftigen Ansprüche aufgrund der Absenkung der Unterkunftskosten werde der
Antragsteller einen rechtsmittelfähigen Bescheid erhalten. Sollte er das Referendariat
abbrechen, müsse eine Leistungskürzung nach § 31 SGB II vorgenommen und ein
Kostenersatz nach § 37 SGB II geprüft werden. Die Arbeitsvermittlung erfolge durch eine
neuerliche Zuweisung zur Job-Service-Agentur; der Antragsteller wäre dann in der
Situation, jede zumutbare Arbeit annehmen zu müssen. Hinsichtlich eines Antrags auf
Einstiegsgeld werde auf einen Widerspruchsbescheid vom 10.03.2006 verwiesen,
gegen den die Klage möglich gewesen wäre. Weitere Unterstützungsleistungen seien
nicht möglich.
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Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Antragstellers wies die Antragsgegnerin
mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2006 zurück. Die Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende seien nach dem SGB II bemessen. Die vom Antragsteller
beantragten unterstützenden Förderleistungen seien über die bereits bewilligten Mittel
hinaus im SGB II nicht vorgesehen. Sie könnten auch nicht im Kulanzwege erbracht
werden, da der Gesetzgeber dem Leistungsträger insoweit keinen Ermessenspielraum
einräume. Daraus folge, dass die vom Antragsteller beantragten Förderleistungen
mangels entsprechender Bewilligungsregelungen abgelehnt werden müssten.
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Mit Bescheid vom 26.06.2006 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGG II für den Zeitraum von
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Juni bis Dezember 2006 in Höhe von 119,40 EUR monatlich. Dabei wurden die
tatsächlichen Unterkunftskosten des Antragstellers in Höhe von 483,98 EUR sowie eine
Regelleistung von 345,00 EUR berücksichtigt; wegen Anrechnung von
Erwerbseinkommen aus dem Referendariat ergab sich ein Leistungssatz in Höhe von
119,40 EUR.
Mit Bescheid vom 14.07.2006 hob die Antragsgegnerin diesen Bewilligungsbescheid
vom 26.06.2006 für die Zeit ab dem 01.08.2006 auf und verfügte die Einstellung der
Leistungen nach dem SGB II. Dem Antragsteller sei mit Schreiben vom 11.01.2006
mitgeteilt worden, dass die tatsächlichen Unterkunftskosten ab dem 01.08.2006 nicht
mehr übernommen werden könnten; er sei zur Senkung der Unterkunftskosten
aufgefordert worden. Bei Berücksichtigung der angemessenen Unterkunftskosten
überschreite das anzurechnende Einkommen den Bedarf um 24,66 EUR. Gegen diesen
Bescheid hat der Antragsteller Widerspruch eingelegt.
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Am 19.09.2006 beantragte er bei bei dem Sozialgericht, die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs gegen den Bescheid vom 14.07.2006 anzuordnen und die
Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm für die Zeit von Juni bis Dezember 2006 monatlich
119,40 EUR zu zahlen. Der Bescheid vom 14.07.2006 sei rechtswidrig, weil kein
gesetzlicher Grund bestehe, den bestandskräftigen Bescheid vom 26.06.2006
aufzuheben. Ein Sachverhalt, der unter § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)
einzuordnen wäre, liege nicht vor; die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse hätten
sich nicht geändert. Im Übrigen sei auch keine entsprechende Anhörung erfolgt. Der
reine Zeitablauf dürfte keine Änderung im Sinne des § 48 SGB X sein. Ein
Leistungsträger habe es in der Hand, eine Leistungsbewilligung so zu befristen, dass
nach Ablauf der Frist, innerhalb derer tatsächliche Unterkunftskosten übernommen
werden sollten, auch ein neuer Bewilligungsbescheid erteilt werden müsse. In diesem
Folgebescheid könne dann geklärt werden, ob die Absenkung der Leistung für
Unterkunft und Heizung zulässig sei. Werde aber wie in seinem Fall ein
Bewilligungsbescheid erlassen, habe dieser für den gesamten Bewilligungszeitraum
zunächst einmal Bestandskraft. Bei Erlass des Bescheides vom 26.06.2006 hätte die
Antragsgegnerin ohne weiteres Leistungen für einen kürzeren Zeitraum bewilligen
können. Die Befugnis folge daraus, dass es sich bei § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II um eine
Sollvorschrift handele.
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Die Antragsgegnerin hat demgegenüber darauf hingewiesen, es habe eine Änderung in
den tatsächlichen Verhältnissen vorgelegen, da mit Ablauf des 31.07.2006 der Sechs-
Monats-Zeitraum abgelaufen sei, innerhalb dessen noch die tatsächlichen
Unterkunftskosten zu übernehmen gewesen seien. Bei Erlass des Bescheides vom
26.06.2006 sei dies noch nicht der Fall gewesen.
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Mit Beschluss vom 10.10.2006 hat das Sozialgericht die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes abgelehnt. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 14.07.2006. Eine Anhörung im Sinne von § 24
Abs. 1 SGB X sei bereits mit den Schreiben vom 11.01. und 30.01.2006 erfolgt. Auch im
Bescheid vom 24.05.2006 und im Widerspruchsbescheid vom 12.07.2006 sei erneut
darauf hingewiesen worden, dass ab dem 01.08.2006 keine Leistungen mehr gewährt
werden könnten. Der Antragsteller habe also die beabsichtigte Aufhebung der Leistung
zum 01.08.2006 gekannt und habe sich auch mehrfach dazu geäußert. Die
Antragsgegnerin habe den Bewilligungsbescheid vom 26.06.2006 nach § 48 SGB X
aufheben können. Die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich zum 01.08.2006 geändert.
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Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II seien die Aufwendungen für die Unterkunft, die den
angemessenen Umfang überstiegen, solange zu berücksichtigen, wie es dem
Hilfebedürftigen nicht zumutbar sei, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten
oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für
sechs Monate. Das Gesetz räume dem Hilfebedürftigen somit eine Übergangsfrist ein,
für die in der Regel davon ausgegangen werden könne, dass eine Kostensenkung noch
nicht möglich sei. Nach Ablauf dieser Frist sei, sofern keine Besonderheiten vorlägen,
davon auszugehen, dass die Mietkosten auf einen angemessenen Umfang hätten
gesenkt werden können. Der Ablauf der Übergangsfrist stelle deshalb eine Änderung
der tatsächlichen, d.h. fallbezogenen Verhältnisse dar, weil ab diesem Zeitpunkt der
Hilfesuchende ohne zwingenden Grund in einer zu großen Wohnung wohne. Der
Antragsteller habe auch keine Gründe geltend gemacht, aus denen es ihm nicht möglich
gewesen sein sollte, eine preisgünstigere Wohnung zu finden. Solche Gründe seien im
Übrigen auch nicht ersichtlich. Ebenfalls sei nicht ersichtlich, dass die Vollziehung des
Bescheides vom 14.07.2006 eine unbillige Härte darstellen würde. Aufgrund seiner
Einkünfte als Referendar sei der Antragsteller in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu
bestreiten und die Kosten für eine angemessene Wohnung zu finanzieren. Der
Antragsteller habe auch keinen näheren Darlegungen zu seiner finanziellen Situation
gemacht, aus denen sich eine unbillige Härte ergeben würde.
Gegen den am 16.10.2006 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 23.10.2006
Beschwerde eingelegt. Er trägt ergänzend vor, sein Referendariat dauere
voraussichtlich bis Januar 2008. Wenn er es erfolgreich beende, habe er, da er eine
Lehrerausbildung im Mangelfach Musik absolviere, beste Aussichten, unmittelbar
anschließend eine Anstellung zu finden. Es gehe also um etwa anderthalb Jahre,
innerhalb derer die Antragsgegnerin den geltend gemachten monatlichen Betrag leisten
solle. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass er bereits seit 39 Jahren im selben Haus
wohne wie jetzt, und zwar zunächst in der Wohnung seiner Eltern, seit Ende 2000
jedoch in einer anderen Wohnung im gleichen Haus. Insofern habe er hier nicht nur sein
dauerhaftes Wohnumfeld gefunden, sondern könne dort auch ungestört und
unangefeindet von Nachbarn seiner Ausbildung nachgehen. Diese gehe mit häufigem
Klavierspielen und Singen einher. Insbesondere in preiswerteren Mietwohnungen
könne dies dazu führen, dass sich Nachbarn beschwerten und eine solche Tätigkeit fast
unmöglich werde. Denn Klavier- und Gesangsübungen könnten für möglicherweise
nicht musikliebende und durch dünne Wände getrennte Nachbarn äußerst nervtötend
sein. Im Übrigen habe er sein Konto derzeit mit 1.400,00 EUR bis 1.500,00 EUR
überzogen. Durch den Wegfall der Leistungen der Antragsgegnerin müsse er zudem
auch Aufwendungen für seine Krankenversicherung selbst tragen. Entscheidend bleibe
aber, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht geändert hätten. Denn nach
Auffassung der Antragsgegnerin seien die Unterkunftskosten nicht erst ab dem
01.08.2006, sondern auch schon zuvor zu hoch gewesen. Ansonsten wäre die
Aufforderung, sich eine preiswertere Wohnung zu suchen, schlechthin nicht
verständlich. Die Höhe der Unterkunftskosten habe sich aber zum 01.08.2006 nicht
verändert. Allein eine Frist, die die Antragsgegnerin gesetzt habe, sei abgelaufen. Darin
liege keine Änderung tatsächlicher Verhältnisse. Gleiches gelte für eine Änderung der
rechtlichen Verhältnisse. Bereits vor dem Bescheid vom 26.06.2006 habe er die
Aufforderung erhalten gehabt, sich eine preiswertere Wohnung zu suchen, und es sei
ihm die Frist gesetzt worden. Dies sei bereits Grundlage des Bescheides vom
26.06.2006 gewesen. Gegenüber der Situation bei Bescheiderteilung am 14.07.2006
sei deswegen keine Änderung eingetreten. Wenn sich die Antragsgegnerin dazu
entschlossen habe, am 26.06.2006 einen Bescheid für den Zeitraum Juni bis Dezember
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2006 zu erlassen, so müsse sie daraus auch die Konsequenzen ziehen. Es hätte ihr frei
gestanden, einen Bescheid zunächst nur für die Monate Juni und Juli 2006 zu erlassen.
Wenn sie trotzdem bis einschließlich Dezember einen monatlichen Leistungsbetrag von
119,40 EUR zuerkannt habe, bestehe insoweit Bestandsschutz, da die
Voraussetzungen nach § 45 oder § 48 SGB X nicht vorlägen. Eine Anhörung sei im
Übrigen deshalb nicht erfolgt, weil nach den Schreiben vom 11. und 30.01.2000 der
Bewilligungsbescheid vom 26.06.2006 ergangen sei. Für den Bescheid vom 14.07.2006
hätte zeitlich nach diesem Bewilligungsbescheid eine Anhörung erfolgen müssen. Denn
ihm hätte mitgeteilt werden müssen, weshalb trotz Vorliegens des Bescheides vom
26.06.2006 doch noch eine Änderung erfolgen solle.
Die Antragsgegnerin verweist demgegenüber darauf, dass es dem Antragsteller
zuzumuten sei, die Wohnung zu wechseln. Es sei noch nicht einmal ersichtlich, ob das
Referendariat erfolgreich abgeschlossen werde. Im Übrigen sei die Zeitspanne bis zur
voraussichtlichen Beendigung des Referendariats viel zu lang, um unangemessen hohe
Unterkunftskosten zu übernehmen. Ein Umzug scheitere auch nicht an der
Notwendigkeit von Klavier- bzw. Gesangsübungen. Der Antragsteller habe sich nach
den Schreiben vom Januar 2006 nicht eine einzige andere Wohnung angeschaut. Vor
diesem Hintergrund sei sein Vortrag, Gesangs- und Klavierübungen seien nur in der
jetzigen Wohnung möglich, unsubstantiiert. Seine finanzielle Situation möge im Übrigen
angespannt sein. Hieraus sei aber für die Frage der Angemessenheit der
Unterkunftskosten nichts herzuleiten. Ein Bewilligungszeitraum betrage im Übrigen
regelmäßig sechs Monate. Insofern habe der Bescheid vom 26.06.2006 keinen
Vertrauenstatbestand geschaffen. Denn er sei bereits im Januar auf die
unangemessenen Unterkunftskosten hingewiesen worden und habe genau gewusst,
dass diese nur bis Ende Juli 2006 gewährt würden. Insofern habe es auch keiner
nochmaligen Anhörung bedurft; der Antragsteller habe nicht vor einer
Überraschungsentscheidung geschützt werden müssen. Mit Ablauf des 31.07.2006
hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert, weil mit diesem Tag die dem
Antragsteller gesetzte Frist abgelaufen sei. Im Übrigen verfüge der Antragsteller
monatlich inklusive vermögenswirksamer Leistungen etwa 1.000,00 EUR netto. Selbst
unter Berücksichtigung einer unangemessenen Mietbelastung und seiner
Krankenversicherungsbeiträge könne er sich deshalb ausreichend unterhalten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin
Bezug genommen.
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II.
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Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.
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Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 14.07.2006 anzuordnen.
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Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der
Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage
keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise
anordnen. Entsprechend § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG soll dies erfolgen, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder
wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegend öffentliche Interessen
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gebotene Härte zur Folge hätte.
Zwar haben Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 14.07.2006 nach § 39 Nr.
1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Es bestehen jedoch ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Bescheides, weshalb die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs anzuordnen ist; etwa verbleibende rechtliche Zweifel sind im
Hauptsacheverfahren zu klären.
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Denn die Beklagte hat mit dem Bewilligungsbescheid vom 26.06.2006 für den Zeitraum
von Juni bis Dezember 2006 Leistungen in Höhe von 119,40 EUR bestandskräftig
bewilligt. Diese Bewilligung hat sie verfügt, obwohl ihr seit geraumer Zeit bekannt war,
dass die Unterkunftskosten des Antragstellers unangemessen hoch waren. Insoweit hat
die Antragsgegnerin in bei summarischer Prüfung nicht zu beanstandender Weise nach
§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zwar eine Frist bis zum 31.07.2006 gesetzt, innerhalb derer
sich der Antragsteller um eine Senkung seiner Unterkunftskosten bemühen sollte.
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Trotz ihrer Ankündigung, ab dem 01.08.2006 würden nur noch Unterkunftskosten in
angemessener Höhe berücksichtigt, hat die Antragsgegnerin jedoch mit Bescheid vom
26.06.2006 Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe bis zum 31.12.2006 bewilligt. Sie
hätte es jedoch in der Hand gehabt, entsprechend ihren vorangegangenen
Ankündigungen die Leistungen nur bis Ende Juli 2006 zu gewähren. Dass § 41 Abs. 1
Satz 2 SGB II eine regelmäßige Leistungsbewilligung von sechs Monaten im Voraus
vorsieht, steht dem nicht entgegen. Denn bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine
Sollvorschrift, von der mithin aus sachlichen Gründen abgewichen werden kann. Ein
solcher sachlicher Grund wäre etwa der Wegfall des Leistungsanspruchs ab dem
01.08.2006 wegen niedrigerer berücksichtigungsfähiger Kosten für Unterkunft und
Heizung gewesen.
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Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes unterliegt den
Einschränkungen der §§ 45 bzw. 48 SGB X. Es kann dahinstehen, ob es sich bei dem
Bescheid vom 26.06.2006 um einen i.S.v. § 48 SGB X ursprünglich rechtmäßigen oder
einen i.S.v. § 45 SGB X von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakt gehandelt hat:
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Wäre der Bescheid von Anfang rechtswidrig gewesen, weil er auch für die Zeit nach Juli
2006 noch Leistungen zuerkannte, hätte bei summarischer Prüfung eine Rücknahme
nicht erfolgen können, weil der Antragsteller auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides
hätte vertrauen dürfen. Insbesondere musste der Antragsteller nicht im Sinne von § 45
Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X davon ausgehen, dass der Bescheid rechtswidrig war. Denn
ihm war aus den vorherigen Kontakten mit der Antragsgegnerin bekannt, dass diese um
die tatsächliche Miethöhe wusste und dass er im Übrigen wirtschaftliche
Schwierigkeiten bei der Durchführung seines Referendariats sah. Wenn die
Antragsgegnerin trotz Kenntnis seiner tatsächlichen Unterkunftskosten und zuvor
erteilter Aufforderung zur Kostensenkung dann doch eine Leistungsbewilligung bis zum
Jahresende 2006 vorgenommen hat, ist nicht ganz auszuschließen, dass der
Antragsteller davon ausgehen konnte, die Antragsgegnerin werde die Rechtmäßigkeit
dieser Leistungsbewilligung vorab geprüft haben und sei zu einer von ihren früheren
Ankündigungen abweichenden Bewertung gelangt.
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Sollte der Bescheid vom 26.06.2006 jedoch von Anfang an rechtmäßig gewesen sein,
so handelte es sich bei summarischer Prüfung bei dem Fristablauf Ende Juli 2006 nicht
etwa um eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse i.S.d. § 48 SGB X. Denn der
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Antragsteller bewohnte nach vor wie nach Ablauf der Frist die gleiche Wohnung zu den
gleichen Kosten. Bei dem Fristablauf handelt es sich auch nicht etwa um eine Änderung
der rechtlichen Verhältnisse. Denn bei Erteilung des Bescheides vom 26.06.2006 war
die Rechtslage hinsichtlich der dem Antragsteller für den gesamten
Bewilligungszeitraum Monat für Monat zustehenden Unterkunftskosten nicht anders als
nach Ablauf der Frist. Die Antragsgegnerin hat es vielmehr lediglich versäumt, insoweit
den Bewilligungszeitraum von vornherein auf die Zeit bis Juli 2006 zu beschränken
bzw. für die Zeit ab August 2006 eine Leistungsversagung zu verfügen.
Soweit der Antragsteller auch die Verpflichtung der Antragsgegnerin beantragt, für die
Zeit von Juli bis Dezember 2006 monatlich 119,40 EUR zu zahlen, so bedarf es
hierüber keiner eigenen Entscheidung, da mit der Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 14.07.2006 der
Bescheid vom 26.06.2006 einstweilen wieder in Rechtswirkung erwächst und den
geltend gemachten Anspruch bereits aus sich heraus begründet. Der Senat geht
deshalb davon aus, dass der diesbezügliche Antrag nur der Verdeutlichung des mit dem
eigentlichen Antrag verfolgten wirtschaftlichen Zieles dient.
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Für den Fall der weiteren Durchführung des Hauptsacheverfahrens hat der Antragsteller
zu gewärtigen, dass er im Falle eines endgültigen Unterliegens bei der Anfechtung des
Bescheides vom 14.07.2006 Leistungen der Antragsgegnerin ab August 2006 wird
zurückzahlen müssen. Dies dürfte ihm bei erfolgreichem Abschluss des Referendariats
und anschließender Tätigkeitsaufnahme als Lehrer für das Fach Musik ggf. auch
unschwer möglich werden.
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Der Senat hält darüber hinaus den Hinweis für angebracht, dass mit dieser
Entscheidung nichts darüber gesagt ist, wie sich die Anspruchssituation des
Antragstellers ab Januar 2006 gestaltet. Insofern erscheint es durchaus naheliegend,
dass der Antragsteller zumutbar auf den Umzug in eine preiswertere Wohnung
verwiesen werden kann. Die Vorbereitung auf den vom Antragsteller zu erteilenden
Musikunterricht dürfte das Maß an musikalischer Betätigung, das in jeder Mietwohnung
mietrechtlich erlaubt ist, kaum überschreiten. Denn üblicherweise gestaltet sich der
Musikunterricht in Schulen nicht allein so, dass der Musiklehrer den Schülern seine
trainierte Singstimme bzw. gesteigerte pianistische Fähigkeit vorträgt. Die für die
musikalische Grundbildung im Rahmen eines Schulunterrichts notwendigen
pianistischen und stimmlichen Fertigkeiten dürften sich vielmehr mit einem
musikalischen Übungsaufwand erhalten lassen, der die Nerven der Nachbarschaft nicht
mehr als im zumutbaren Maße strapaziert. Nur so dürfte sich auch erklären, dass die
große Mehrheit der Lehramtsreferendare für das Fach Musik auch ohne eine Wohnung
im elterlichen Haus und trotz Vorhandenseins etwa nicht musikliebender Nachbarn zum
erfolgreichen Abschluss ihrer Ausbildung in der Lage sind. Letztlich wird darüber jedoch
ggf. in einem folgenden Verfahren zu befinden sein, in dem es um ggf. beanspruchte
Leistungen für die Zeit ab Januar 2007 gehen wird.
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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