Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.08.2001

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Landessozialgericht NRW, L 12 AL 212/00
Datum:
22.08.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 212/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 15 AL 98/00
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 11 AL 71/01 R
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen
vom 21.09.2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind unter den Beteiligten
auch im zweitinstanzlichen Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision
wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger höheres Insolvenzgeld zusteht.
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Der im Jahre 1966 geborene Kläger kündigte zum 06.03.1999 sein Arbeitsverhältnis als
Schachtmeister bei der Firma B ... GmbH. Seit dem 08.03.1999 arbeitet er bei der
Strabag D ...
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Wegen der Insolvenz der Firma B ... GmbH beantragte der Kläger am 15.03.1999 bei der
Beklagten die Gewährung von Insolvenzgeld. Der Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Firma wurde durch Beschluss des
Amtsgerichts A ... vom 27.07.1999 mangels Masse abgewiesen. Aus den vom Kläger
vorgelegten Lohnabrechnungen ergaben sich noch ausstehende Beträge von 16,88 DM
für Januar 1999 und von 83,58 DM für März 1999. Durch Versäumnisurteil des
Arbeitsgerichts A ... vom 16.08.1999 wurde die Firma B ... GmbH verurteilt, an den
Kläger 18.519,00 DM brutto abzüglich gezahlter 8.471,58 DM netto zuzüglich Zinsen zu
zahlen. Aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen (Probeabrechnung für März 1999
in Verbindung mit seiner Klageschrift im Arbeitsgerichtsverfahren) ergibt sich, dass in
diesem Betrag eine Urlaubsabgeltung für 1998 in Höhe von 5.042,00 DM enthalten ist.
Den Betrag von insgesamt 18.519,00 DM bescheinigte die Firma B ... GmbH auf der
Lohnsteuerkarte des Klägers für das Jahr 1999 für die Zeit vom 01.01. -06.03.1999 als
Bruttoarbeitslohn.
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Mit Bescheid vom 21.03.2000 bewilligte die Beklagte dem Kläger Insolvenzgeld in Höhe
von 100,46 DM. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und trug zur Begründung vor,
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er habe noch Anspruch auf die Urlaubsabgeltung. Dies ergebe sich aus einem Urteil
des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27.09.1994 (- 10 RAr 6/93 -). Mit
Widerspruchsbescheid vom 20.04.2000 wies die Widerspruchsstelle des Arbeitsamtes
Aachen den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde
ausgeführt: Da das Insolvenzereignis nach dem 01.01.1999 eingetreten sei, seien die
Vorschriften des SGB III anzuwenden. Nach § 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III habe der
Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die
er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe. Dieser Anspruchsausschluss erfasse nach
dem Willen des Gesetzgebers auch die Urlaubsabgeltung im Sinne von § 7 Abs. 4 des
Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG). Die für das Konkursausfallgeld ergangene
Rechtsprechung sei damit gegenstandslos.
Gegen diesen ihm am 25.04.2000 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger
genau einen Monat später Klage vor dem Sozialgericht A ... erhoben. Dort hat er
weiterhin die Auffassung vertreten, er könne Insolvenzgeld auch in Höhe der
Urlaubsabgeltung verlangen. Bei dem Betrag von 5.042,00 DM handele es sich um die
Urlaubsabgeltung für 1998.
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Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.03.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.04.2000 zu verurteilen, ihm höheres Insolvenzgeld
unter Berücksichtigung der ihm zustehenden Urlaubsabgeltung zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Urteil vom 21.09.2000 hat das Sozialgericht A ... die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Gewährung des Insolvenzgeldes
richte sich hier nach den § 183 ff. SGB III, weil das Insolvenzereignis nach dem
01.01.1999 eingetreten sei (vgl. § 430 Abs. 5 SGB V).
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Nach § 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III habe der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf
Insolvenzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die er wegen der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung habe. Der Ausschluss
betreffe nur Arbeitsentgelt, das mit der Beendigung in ursächlichem Zusammenhang
stehe. Dies sei bei der Urlaubsabgeltung unzweifelhaft der Fall. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG
sei der Urlaub nämlich nur dann abzugelten, wenn er wegen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden könne. Damit falle
die vom Kläger begehrte Urlaubsabgeltung vom Wortlaut her unter den
Anspruchsausschluss des § 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Dies entspreche auch dem Willen
des Gesetzgebers, wie den Gesetzgebungsmaterialien zu entnehmen sei (BT-
Drucksache 13/4941 S. 188 zu § 184).
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Die gegenteilige Auffassung von Peters-Lange (in Gagel SGB III § 184 Rdn. 8 und § 183
Rdn. 114) überzeuge nicht. Nach dieser Auffassung werde der
Urlaubsabgeltungsanspruch nicht vom Anspruchsausschluss des § 184 Abs. 1 Nr. 1
SGB III erfasst, weil es sich bei der Urlaubsabgeltung nicht um Arbeitsentgelt für die
Zeiten nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses handele und der Anspruch auf
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Urlaubsabgeltung als im Zeitpunkt der Arbeitsleistung bedingt entstehender Anspruch
nicht wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehe. Auf den
Entstehungszeitpunkt des Anspruchs stelle § 184 SGB III aber gerade nicht ab, sondern
auf dessen Durchsetzbarkeit.
Gegen dieses ihm am 02.10.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger einen Monat später
Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Nach Ansicht von
Gagel/Peters-Lange (SGB III, § 184 Rdnr. 8) sei der Anspruch auf Urlaubsabgeltung
grundsätzlich den Tagen vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses
zuzuordnen. Nur diese Ansicht vertrage sich mit der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (SozR 3-4100, § 141 k Nr. 2 Sp.11), nach der das Insolvenzgeld
nicht nur der Sicherung des Arbeitnehmers diene, sondern zugleich das Ziel habe, die
Arbeitnehmer zu bewegen, bei Lohnzahlungsschwierigkeiten nicht die Arbeit
einzustellen, sondern durch Verbleiben im Arbeitsverhältnis zur Überwindung der
Schwierigkeiten beizutragen und damit auch ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Da das BSG
die Abgeltung bei der Prüfung des Insolvenzschutzes den Tagen vor dem Ende des
Arbeitsverhältnisses zuordne, sei die Urlaubsabgeltung auch kein Arbeitsentgelt für die
Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Sozialgericht Aachen habe nicht
ausreichend berücksichtigt, dass es sich bei der Urlaubsabgeltung um ein Entgelt
handele, dass nur anlässlich der Beendigung gezahlt werde. Wegen der Beendigung
würden Abfindungen und Überbrückungsgeld gezahlt. Die Urlaubsabgeltung dagegen
werde als Urlaubsanspruch in der Zeit des Arbeitsverhältnisses erdient, und dieser sei
seinem Charakter nach nicht auf das Ende des Arbeitsverhältnisses bezogen.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
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1. das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.09.2000, den Bescheid der Beklagten
vom 22.03.2000 und den Widerspruchsbescheid vom 20.04.2000 aufzuheben,
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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger den sich aus 5.042,00 DM brutto zu
errechnenden Nettolohn als Insolvenzgeld zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.09.2000
zurückzuweisen.
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Sie bringt ergänzend vor: Das Insolvenzverfahren sei am 27.07.1999 mangels Masse
abgewiesen worden; als maßgebliches Insolvenzereignis sei deshalb der 27.07.1999
zugrunde gelegt worden.
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Im Übrigen ergebe sich aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG und den
Gesetzesmaterialien zu § 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, dass die Urlaubsabgeltung genau
dem Wortlaut des § 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III unterfalle.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den der Kläger beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die
Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Im Einverständnis mit den Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung
entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zur
Vereidung von überflüssigen Wiederholungen nimmt der Senat zunächst in vollem
Umfang Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils
des Sozialgerichts Aachen (§ 153 Abs. 2 SGG).
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Das Insolvenzereignis ist hier nach dem 01.01.1999 eingetreten, als der Antrag der
Firma B ... GmbH auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 27.07.1999 mangels Masse
abgewiesen wurde (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 430 Abs. 5 SGB III). Nach § 183
Abs. 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie bei Eintritt
des Insolvenzereignisses für die vorausgehenden 3 Monate des Arbeitsverhältnisses
Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle
Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Anders als in § 141 b Abs. 1 Satz 3
Arbeitsfördderungsgesetz (AFG) ist nun in § 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III geregelt, dass der
Arbeitnehmer kein Insolvenzgeld für solche Ansprüche beanspruchen kann, die er
wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat. Um einen solchen Anspruch handelt
es sich bei dem auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG. Denn nach dieser
Vorschrift ist der Urlaub nur dann abzugelten, wenn er wegenBeendigung des
Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.
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Dass der Gesetzgeber mit dem neu geregelten Anspruchsausschluss insbesondere die
Urlaubsabgeltung erfassen wollte, ergibt sich aus den Gesetzesmotiven. Zu § 184 SGB
wurde in der Begründung zum 1. AFRG-Entwurf ausgeführt (Bundestagsdrucksache
13/4941, S. 188): "Die Vorschrift entspricht weitgehend §§ 141 b Abs. 1 Satz 3, 141 c
Satz 1, schließt jedoch den Anspruch auf Insolvenzgeld für die Urlaubsabgeltung und
die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
aus ..."
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Die frühere zum AFG ergangene, für die Arbeitnehmer großzügigere Rechtsprechung
des BSG zur Urlaubsabgeltung und insbesondere deren Berücksichtigung beim
Konkursausfallgeld dürfte dem Gesetzgeber bekannt gewesen sein; angesichts der
bewussten Neuregelung durch den Gesetzgeber kann die frühere zum AFG ergangene
Rechtsprechung des BSG bei der Auslegung des § 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III deshalb
keine Anwendung mehr finden.
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Die Auffassung des Senats und des Sozialgerichts Aachen wird geteilt von Niesel-
Roeder (§ 184 SGB III Rdnr. 3, § 183 SGB III Rdnr. 56), Hennig-Estelmann (Stand:
Februar 2000, § 184 SGB III Rdnr. 1 + 36), Hauck/Noftz-Voelzke (Stand: Mai 2000, §
184 SGB III Rdnr. 16) sowie dem "Leitfaden für Arbeitslose", Der Rechtsratgeber zum
SGB III (17. Auflage 2000, S. 265).
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Die Auffassung des Klägers dagegen wird gestützt von Gagel/Peters-Lange (Stand:
März 2000, § 183 SGB III Rdnr. 114, § 184 SGB III Rdnr. 8+9) sowie GK-SGB III/Hess
(Stand: Dezember 1999, § 183 SGB III, Rndr. 116 ff, § 184 SGB III Rndr. 6 ff).
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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Der Senat hat die Berufung zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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