Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.05.2008

LSG NRW: familie, form, glaubhaftmachung, brot, altersrente, lebensmittel, stadt, zwangsarbeit, unterhalt, firma

Landessozialgericht NRW, L 8 R 58/07
Datum:
14.05.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 8 R 58/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 51 (12) RJ 200/04
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 20.11.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche
Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente. Streitig ist
insbesondere, ob zugunsten des Klägers sogenannte Ghetto-Beitragszeiten nach dem
Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG)
berücksichtigt werden können.
2
Der am 00.00.1930 in Annopol/Polen geborene Kläger ist jüdischen Glaubens und
Verfolgter des Nationalsozialismus iS des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz
(BEG). Im Jahre 1959 wanderte er nach Israel aus. Er besitzt die israelische
Staatsangehörigkeit.
3
Im seinerzeit durchgeführten Entschädigungsverfahren erklärte der Kläger: lm August
1941 sei er trotz seines jungen Alters zu Zwangsarbeiten herangezogen worden. Er sei
ins ZAL Annopol eingewiesen worden und habe dort seit August 1941 bis Oktober 1942
verschiedene Zwangsarbeiten verrichtet. Im Oktober 1942 sei es ihm während der
Aussiedlung gelungen, sich zu verstecken, und so habe er den Krieg in einem Bunker in
Annopol überlebt. Es habe sich um ein in die Erde gegrabenes Versteck gehandelt,
ohne Licht und ohne Nahrung, immer nass, und wegen der ständigen Feuchtigkeit habe
er eine schwere rheumatische Krankheit mitgemacht. Unter diesen schrecklichen
Bedingungen habe er seit Oktober 1942 bis zur Befreiung 1944 gelebt.
4
In dem Antrag auf Gewährung einer Entschädigung gab der Kläger seinerzeit an, von
August 1941 bis Oktober 1942 im ZAL Annopol Freiheitsentziehungen in Form von
Zwangsarbeiten erlitten zu haben.
5
Der 1907 geborene Zeuge E G erklärte im Entschädigungsverfahren an Eides statt: Er
sei im September 1941 ins ZAL Annopol gebracht worden. Hier habe er auch den
Kläger getroffen. Dieser habe den Judenstern getragen und auch Zwangsarbeit
verrichtet, obwohl er noch ein ganz junges Kind gewesen sei. Er - der Zeuge - sei bis
Oktober 1942 in Annopol geblieben, als er in ein anderes ZAL überstellt worden sei. Bis
Oktober 1942 habe er auch den Kläger im ZAL Annopol gesehen. Während der
Aussiedlung habe er ihn aus den Augen verloren.
6
Der Kläger beantragte am 20.02.2003 bei der Beklagten die Gewährung einer
Regelaltersrente unter Bezugnahme auf das ZRBG. In dem Fragebogen für die
Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG gab er an:
Er habe von August 1941 bis Oktober 1942 während seines Aufenthalts im Ghetto
Annopol außerhalb des Ghettos auf dem Gut S (Phosphorgrube) für eine Firma C oder
C1 gearbeitet. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei er durch ukrainische Miliz bewacht
worden. Er habe 10 Stunden täglich phosphorhaltigen Sand abgetragen. Die Arbeit sei
durch zusätzliche Rationen entlohnt worden. Barlohn habe er nicht erhalten. Für seine
Tätigkeit habe er Sachbezüge in Form von Lebensmitteln, Brot und Suppe an der
Arbeitsstelle zusätzlich zu Unterkunft und Rationen im Ghetto erhalten. Der
Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen.
7
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung einer Regelaltersrente nach Beiziehung
der Entschädigungsakte mit Bescheid vom 24.02.2004 ab und führte zur Begründung
aus, eine als Beitragszeit anzurechnende Beschäftigung könne nach dem ZRBG nur für
Zeiten während eines zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto in Betracht kommen.
Während der vom Kläger behaupteten Zeit von August 1941 bis Oktober 1942 habe
dieser sich seinen Angaben im Entschädigungsverfahren zufolge nicht in einem Ghetto,
sondern in einem Zwangsarbeitslager aufgehalten.
8
Dagegen legte der Kläger am 17.05.2004 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er
geltend machte, dass nach den vorliegenden Unterlagen Annopol ausschließlich als
Ghetto ausgewiesen gewesen sei. Ein Auszug aus dem Buch von Schwarz "Das
nationalsozialistische Lager" werde beigelegt. Nachweise über den Bestand eines
Zwangsarbeitslagers lägen nicht vor. Nach Einsichtnahme in die Akte der Jewish
Claims Conference (JCC) habe festgestellt werden können, dass auch dort Annopol als
Ghetto ausgewiesen gewesen sei. Dem Widerspruch fügte der Kläger Ablichtungen aus
dem bei der JCC - Art. 2-Fonds - geführten Verfahren bei. Dort beschrieb er sein
Verfolgungsschicksal u. a. wie folgt: Im Oktober 1939 hätten die Deutschen Annopol
besetzt. Vor der Stadt habe das Gut S gelegen, das einem Juden gehört habe. Dieser
sei mit seiner ganzen Familie deportiert worden. Die SS habe sich ins Gutshaus
einquartiert. Die Juden der Stadt Annopol seien ghettomäßig eingesperrt worden. Sie
hätten die Stadt nicht verlassen und auch nicht zur Schule gehen dürfen. Nur zur Arbeit
seien sie, auch die Kinder, auf das Gut S geschickt worden. Dort habe es
phosphorsauren Kalk gegeben. Sie hätten ihn auf Loren geladen. Dieser sei nach
Cmielow und weiter nach Deutschland zur Herstellung von Munition transportiert
worden. Ab Oktober 1942 hätten die Deutschen begonnen, die Stadt "judenrein" zu
machen.
9
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2004 mit
folgender, den Ausgangsbescheid ergänzender Begründung zurück: Bei den
Arbeitsverrichtungen des Klägers im Ghetto Annopol handele es sich um eine für die
damalige Zeit nationalsozialistischer Verfolgung typische Form der Zwangsarbeit unter
10
direkter Kontrolle und Aufsicht der Besatzer bei Unterbringung im Ghetto und
notdürftiger Versorgung. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger für diese
Zwangsarbeiten Lohn erhalten habe. Ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis auf
freiwilliger Basis im Ghetto Annopol werde nicht für überwiegend wahrscheinlich
gehalten.
Daraufhin hat der Kläger am 16.11.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf
erhoben, zu deren Begründung er ergänzend vorgetragen hat: Er sei in der Zeit von
August 1941 bis Oktober 1942 in der Phosphorgrube auf dem Gut S für die Firma C
einer entgeltlichen Tätigkeit nachgegangen. Die Entgeltlichkeit der Arbeit werde durch
historische Quellen bestätigt. Aufgrund des Arbeitskräftemangels und der
fortschreitenden Massenarmut der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement
habe sich die Regierung ab Herbst 1939 veranlasst gesehen, ihre Politik gegenüber
den jüdischen Arbeitskräften zu ändern. Seien die Juden im Generalgouvernement bis
dahin vor allem zur Zwangsarbeit herangezogen worden, so hätten sie von nun an nach
Möglichkeit im freien Arbeitsverhältnis beschäftigt werden sollen. Nach den seinerzeit
geltenden Bestimmungen sei den ins freie Arbeitsverhältnis vermittelten Juden ein Lohn
in einer festgelegten Höhe zu gewähren gewesen, der 20 % unter dem Lohn für
polnische Arbeitskräfte habe liegen müssen. Falls eine Beschäftigung auf Akkordbasis
nicht möglich gewesen sei, habe ein Stundenlohn nach einer Tarifordnung für polnische
Arbeitskräfte - vermindert um 20 % - gewährt werden sollen. Nach der 9.
Durchführungsverordnung vom 31. Oktober 1939 über die Gestaltung der
Arbeitsbedingungen und den Arbeitsschutz im Generalgouvernement (Regelung von
Arbeitsbedingungen der Juden im Generalgouvernement) vom 15. Dezember 1942
hätten Juden Vergütungen für tatsächlich geleistete Arbeit erhalten. Gemäß §§ 106 ff
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) könnten Kinder vom vollendeten siebten Lebensjahres
an Willenserklärungen abgeben und Rechtsgeschäfte tätigen. Unter den
Voraussetzungen der §§ 112, 113 BGB könne ein Minderjähriger nach Vollendung des
siebten Lebensjahr in Dienst oder Arbeit treten. Es stehe außer Zweifel, dass für seine
freiwillige Suche einer Beschäftigung im Ghetto im Alter von elf Jahren eine
Ermächtigung der Eltern im Sinne des § 113 BGB vorgelegen habe. Unter den
bedrückenden Lebensbedingungen im Ghetto sei davon auszugehen, dass alle Eltern
versucht hätten, die Kinder von der Notwendigkeit der Aufnahme einer Beschäftigung im
Ghetto zu überzeugen, weil dadurch die Möglichkeit bestanden habe, der Deportation in
ein Konzentrationslager oder Vernichtungslager zu entgehen und den Lebensunterhalt
der Familie sicherzustellen. Durch seine Angaben gegenüber der JCC, den
Rentenbehörden und durch die historischen Fakten sei ihm die Glaubhaftmachung einer
entgeltlichen Beschäftigung im Ghetto Annopol gelungen. Für seine Tätigkeit habe er
ein Entgelt in Form von Lebensmitteln erhalten. Diese habe er über den sogenannten
freien Unterhalt, der jedem Ghettobewohner gewährt worden sei, und über ein
Mittagessen am Arbeitsplatz hinaus bekommen.
11
In einer eidesstattlichen Versicherung vom 19.09.2005 hat der Kläger ausgeführt: Er sei
in Annopol geboren und aufgewachsen. Bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht
Mitte September 1939 habe er die Schule besucht. Es seien sofort Einschränkungen für
die Juden erlassen worden, so dass er die Schule nicht habe weiter besuchen können
und als Jude gekennzeichnet gewesen sei. Im August 1941 sei das Ghetto Annopol
offiziell erreichtet worden, sie hätten jedoch weiterhin in ihrem eigenen Haus gewohnt,
da dieses im Ghettobereich gestanden habe. Wirtschaftlich sei es ihrer Familie sehr
schlecht gegangen. Sein Vater sei nur bei Gelegenheitsarbeiten beschäftigt gewesen.
Seine Mutter sei mit seinen jüngeren Geschwistern und seiner Großmutter zu Hause
12
geblieben. Mit Hilfe seines Vaters habe er versucht, über den Judenrat eine Arbeit zu
bekommen, um zur Ernährung der Familie beizutragen. Er sei für sein Alter ziemlich
groß gewesen und schon immer für älter gehalten worden. So habe er einen
Arbeitsplatz bei der Firma C erhalten, die auf dem enteigneten Gut S Phosphorabbau
betrieben habe. Hier hätten fast nur junge Leute gearbeitet. Sie hätten die
phosphorhaltige Erde auf Loren geschaufelt, mit denen sie zur Weiterverarbeitung
abtransportiert worden sei. Als Entlohnung für die Arbeit habe er regelmäßig zusätzlich
zu den Ghettorationen Lebensmittel erhalten, wie zum Beispiel ein Kilo Brot
wöchentlich, Fisch und Kartoffeln. Sein Verdienst sei ein entscheidender Beitrag zum
Unterhalt der ganzen Familie gewesen. Im Oktober 1942 hätten die Deutschen
begonnen, Annopol "judenrein" zu machen. Damals habe man seinen Vater in das ZAL
Janiszow deportiert. Seine Mutter habe auf der Liste für den nächsten Transport nach
Krasnik gestanden. Im letzten Moment sei es ihr gelungen, ihn und seine Schwester zu
einer christlichen Familie zu schicken, um sie vor den Deportationen zu retten. Seine
Mutter sei mit seinem jüngeren Bruder deportiert worden. Er habe bis zu seiner
Befreiung im Sommer 1944 in verschiedenen Verstecken gelebt.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
13
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24.02.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 12.08.2004 zu verurteilen, ihm nach den Vorschriften des
ZRBG unter Berücksichtigung der Zeiten von August 1941 bis Oktober 1942 im Ghetto
Annopol eine Altersrente zu zahlen.
14
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16
Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten und ergänzend
ausgeführt: Nach den Grundsätzen, die das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom
07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, aufgestellt habe, erfülle die Gewährung von guter
Verpflegung auch bei Arbeitsverhältnissen im Ghetto den Entgeltbegriff selbst dann
nicht, wenn diese Verpflegung eine größere Bedeutung gehabt haben könne als die
Zahlung von geringem Barlohn. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe habe für die
vom Kläger im Ghetto Annopol verrichtete Arbeit keine Beitragspflicht bestanden, weil
die Gewährung - wenn auch zusätzlicher - Verpflegung nur als freie
Unterhaltsgewährung zu werten sei. Ein Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltcharakter
sei nicht glaubhaft gemacht.
17
Auf das Begehren des Gerichts, die Entschädigungsansprüche zu übersenden, hat die
Bezirksregierung Düsseldorf mitgeteilt, dass diese nicht aufgefunden werden könne und
offensichtlich auf dem Postweg von der Beklagten zu ihr verloren gegangen sei.
18
Das SG Düsseldorf hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entschieden und die Klage mit Urteil vom 20.11.2006 abgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Altersrentenanspruch bestehe
mangels Beitragszeit in der deutschen Rentenversicherung nicht. Es sei nicht glaubhaft
gemacht, dass der Kläger in der streitgegenständlichen Zeit eine aus eigenem
Willensentschluss zustande gekommene entgeltliche Tätigkeit während seines
zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto Annopol ausgeübt habe. Mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit habe es sich bei den von ihm verrichteten Arbeiten um
19
unentgeltliche Zwangsarbeit gehandelt. Maßgebend seien insoweit zunächst seine
Ausführungen im seinerzeit durchgeführten Entschädigungsverfahren, denen das
Gericht wegen ihrer relativen Zeitnähe zum Verfolgungsgeschehen im Rahmen der
Glaubhaftmachung besonderes Gewicht beimesse. Damals habe der Kläger
angegeben, ins "ZAL Annopol" eingewiesen und dort "trotz seines jungen Alters zu
verschiedenen Zwangsarbeiten herangezogen" worden zu sein. Dies habe der Zeuge E
G seinerzeit bestätigt. Im Übrigen bestehe auch nicht die gute Möglichkeit, dass der
Kläger für seine Arbeit beim Phosphorabbau ein die Versicherungspflicht begründendes
Entgelt erhalten habe. Denn er habe in dem Fragebogen für die Anerkennung von
Zeiten nach dem ZRBG die Frage nach dem Erhalt von Barlohn verneint und die Form
der Entlohnung mit zusätzlichen Rationen neben dem Erhalt von Brot und Suppe an der
Arbeitsstelle beschrieben. Es sei aber nichts dafür ersichtlich, dass die zusätzlichen
Rationen in einem noch angemessenen Verhältnis zu der körperlich schweren Arbeit
auf dem Gut S beim Phosphorabbau gestanden hätten. Es spreche vielmehr vieles
dafür, dass diese Rationen in erster Linie zur Erhaltung der Arbeitskraft des Klägers
bestimmt gewesen seien.
Gegen das ihm am 12.12.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.02.2007 Berufung
eingelegt. Er trägt zu Begründung vor, bei den von ihm auf dem Gut S verrichteten
Arbeiten habe es sich um eine freiwillige und entgeltliche Tätigkeit gehandelt. Die für
die Arbeit erhaltenen Lebensmittel seien ein entscheidender Beitrag zum Unterhalt der
ganzen Familie gewesen.
20
Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend sinngemäß,
21
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.11.2006 zu ändern und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 24.02.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12.08.2004 zu verurteilen, ihm ab dem 01.07.1997
Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beschäftigungszeit im Ghetto Annopol
von August 1941 bis Oktober 1942 und gegebenenfalls weiterer Ersatzzeiten nach
Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
22
Die Beklagte beantragt,
23
die Berufung zurückzuweisen.
24
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
25
Der Senat hat von der JCC die Unterlagen des Art. 2-Fonds und des
Zwangsarbeiterfonds beigezogen. Leistungen des Härtefonds wurden vom Kläger nicht
beantragt.
26
Der Kläger hat in seinen Antworten zu den Fragen im Fragebogen des Senats nach der
Übersetzung der Diplom-Übersetzerin Denzig (= Übersetzung I) erklärt, ab Sommer
1941 habe es ein Ghetto in Annopol gegebenen. Er sei von Sommer 1941 bis Oktober
1942 dort gewesen. Er habe außerhalb des Ghettos bei der Fa. Butler (Übersetzung des
Klägerbevollmächtigten = Übersetzung II: Fa. C) gearbeitet. Er habe Erdarbeiten
"(vermutlich:) im landwirtschaftlichen Betrieb von S" (Übersetzung II: auf dem Gut S)
verrichtet. Er habe von Beginn des Ghettos an bis zum Ende ununterbrochen sechs
Tage in der Woche und ungefähr 10 Stunden pro Tag gearbeitet. Für die Tätigkeit habe
er Brotmarken bekommen, mit denen er jede Woche 1 Laib Brot genommen habe
27
(Übersetzung II: 1 kg Brot abgeholt habe). Er habe auch anderes Essen (Übersetzung II:
andere Lebensmittel) bekommen: Er erinnere sich an Kartoffeln. Die Gegenleistung für
die verrichtete Arbeit habe er wöchentlich erhalten. Im Winter habe es mehr Essen
(Übersetzung II: Lebensmittel) im Ghetto gegeben. Die Gegenleistung für die verrichtete
Arbeit habe er teilweise bei der Arbeit, teilweise im Ghetto bekommen. Der
Arbeitseinsatz sei durch den Judenrat auf seinen Wunsch (Übersetzung II: auf seine
Bitte hin) zustande gekommen. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei eine Bewachung
durch Ukrainer erfolgt. Während der Arbeit sei keine Bewachung erfolgt. Er sei während
der Arbeit nicht misshandelt worden. Er habe Gruben aus der Erde ausgehoben,
"(vermutlich:) um Phosphor herauszuholen" (Übersetzung II: Er habe Gruben
ausgehoben - in der Erde bis zum Phosphor). Mit ihm zusammen hätten sich im Ghetto
aufgehalten: Sohn (?), Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Onkel, Tanten und Großmutter.
Er und sein Vater hätten gearbeitet. Er erinnere sich nicht, in welchem Umfang seinen
Angehörigen im Ghetto Lebensmittel zur Verfügung gestanden hätten. Zeugen könne er
nicht benennen.
Der Internationale Suchdienst in Bad Arolsen hat zum Kläger keine Angaben machen
können.
28
Von Yad Vashem hat der Senat zwei Audio-Kassetten mit dem Zeitzeugenbericht (YV-
Bericht) des Klägers beigezogen und diesen transkribieren und übersetzen lassen. Auf
den Inhalt dieses Berichts wird Bezug genommen.
29
Der Senat hat dem Kläger mit seinen Prozessbevollmächtigten am 15.04.2008 gegen
Empfangsbekenntnis zugestelltem Schreiben vom 07.04.2008, auf dessen Inhalt Bezug
genommen wird, im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen sich aus dem YV-
Bericht des Klägers keine Anhaltspunkte für eine von ihm ausgeübte Beschäftigung
ergäben, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 13.05.2008 eingeräumt, die der
Kläger nicht genutzt hat.
30
Auf Anfrage des Senats hat die Deutsche Botschaft in Tel Aviv, Israel, mitgeteilt, dass
der Zeuge A X am 04.04.1989 verstorben sei.
31
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, Bezug genommen.
32
Entscheidungsgründe:
33
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs.1, 110 Abs.1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in
Abwesenheit des Klägers und seiner Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden,
weil seine Prozessbevollmächtigten in der Terminsmitteilung, die ihnen am 27.04.2008
gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen
worden sind.
34
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch
unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren
den Kläger daher nicht iS von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf Altersrente.
35
Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (zB Urteil v. 06.06.2007,
36
L 8 R 54/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus
dem SGB VI, ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen
würde (ebenso BSG, Urteil v. 26.07.2007, B 13 R 28/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 4, a.A.
BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3). Rechtsgrundlage für
den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall des Klägers nur § 35 SGB VI sein.
Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes des Klägers (vgl. § 30 Abs. 1 Erstes
Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98
R, juris; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr 17).
Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65.
Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf
die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und
Ersatzzeiten i.S.d. §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden
nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor
Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam
entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten",
dh Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG,
Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr 1, m.w.N.).
37
Der Kläger hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten
zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den
Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden
sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs.
1 Satz 2 SGB VI).
38
Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von
Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die
Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom
Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat, und dort eine
Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner
darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der
sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft
gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG iVm § 3 Gesetz zur Regelung der
Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung
[WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem
Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken
sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dh mehr für als gegen sie spricht, wobei
gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom
08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
39
Von den vorgenannten Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG kann schon die
Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung
festgestellt werden.
40
Nicht feststellbar im Sinne einer guten Möglichkeit ist, dass der Kläger im
streitbefangenen Zeitraum beim Phosphorabbau die behaupteten Tätigkeiten verrichtet
hat. Einziges Mittel der Glaubhaftmachung ist der Vortrag des Klägers. Zeugen stehen
nicht mehr zur Verfügung. Der Vortrag des Klägers im Verwaltungs-, Widerspruchs- und
Streitverfahren ist jedoch nicht geeignet, eine von ihm im streitgegenständlichen
Zeitraum ausgeübte Tätigkeit im Sinne einer Glaubhaftmachung feststellen zu können.
Denn dieser Vortrag stimmt nicht mit dem YV-Bericht überein, aus dem sich keine
41
Anhaltspunkte für eine vom Kläger ausgeübte Beschäftigung ergeben. Es finden sich
insbesondere keine Hinweise darauf, dass er selbst bei der Fa. C oder im
Phosphorabbau gearbeitet hat. Die Fa. C findet zwar auf Seite 10 der Übersetzung im
YV-Bericht Erwähnung. Der Kläger hat dort berichtet, dass diese Firma im Straßenbau
tätig gewesen sei. In diesem Zusammenhang hat er auch weitere Firmen erwähnt, die
mit Phosphaten zu tun gehabt hätten. Sein Vater habe dorthin gehen müssen.
Anschließend ist der Kläger ausdrücklich zu seinem Leben bis 1942 befragt worden,
insbesondere dazu, welche Arbeit er gehabt habe. Auch in diesem Zusammenhang hat
der Kläger nicht von einer von ihm selbst verrichteten Arbeit berichtet. Er hat vielmehr
geschildert, dass der Lebensunterhalt seiner Familie durch seinen Vater sichergestellt
worden sei, der Fische gefangen und mit diesen gehandelt habe. Im Übrigen hätten sie
noch ein bisschen Geld gehabt, wovon sie etwas zu essen gekauft hätten. Von
Brotmarken bzw. Gutscheinen, die der Kläger in seinen Antworten auf die Fragen des
Senats angegeben hat, hat er nichts erwähnt. Auch über einen eigenen Beitrag zum
Unterhalt seiner ganzen Familie, den der Kläger in seiner Erklärung vom 18.09.2005
angegeben hat, ist dem YV-Bericht nichts zu entnehmen. Den vorgenannten Umständen
kommt ein erheblicher Beweiswert zu. Denn bei dem YV-Bericht handelt es sich um die
einzige den gesamten Zeitraum der Verfolgung betreffende und detaillierteste
Schilderung des Klägers, insbesondere auch dazu, wie der Lebensunterhalt seiner
Familie gesichert worden ist. Die übrigen Darstellungen des Klägers zu seinem
Verfolgungsschicksal sind demgegenüber weitaus weniger genau und umfassend, was
ihren Beweiswert gegenüber dem des YV-Berichts zurücktreten lässt.
Auf diese Gesichtspunkte ist der Kläger vom Senat unter dem 07.04.2008 hingewiesen
und es ist ihm Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden, die er nicht genutzt
hat. Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen bestehen somit nicht mehr.
42
Da bereits die Ausübung einer Beschäftigung nicht iS einer Glaubhaftmachung
festgestellt werden kann, kann daher letztlich auch dahinstehen, ob die übrigen
Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfüllt sind.
43
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
44
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht
vor.
45