Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.10.2006

LSG NRW: angriff, eröffnung des verfahrens, gaststätte, hinreichender tatverdacht, psychiatrisches gutachten, rechtswidrigkeit, entschädigung, versorgung, beweiserleichterung, rechtfertigungsgrund

Landessozialgericht NRW, L 6 VG 22/06
Datum:
31.10.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 6 VG 22/06
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 3 (29,36) VG 461/04
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 9a VG 1/07 B
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 25.04.2006 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten
haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger zu 1) ein Versorgungsanspruch nach
dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit
dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
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Der 1961 geborene Kläger zu 1) stellte am 02.10.2001 bei dem Beklagten den Antrag,
ihm Versorgung nach dem OEG zu gewähren. Wegen eines Vorfalls am 09.12.2000
habe er seinen Geruchssinn vollständig verloren und Erinnerungsprobleme. Er sei an
diesem Tag auf dem Weg nach Hause von Herrn I G grundlos überfallen und
zusammengeschlagen worden. Anschließend habe er keine Erinnerung mehr.
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Der Beklagte holte einen Bericht des Neurologischen Therapiecentrums E vom
05.11.2001 mit weiteren Arztberichten und einen Bericht der Neurologin/Psychiaterin Dr.
C vom 02.11.2001 ein. Weiter zog er die Akten der Staatsanwaltschaft
Mönchengladbach (104 Js 390/01), u.a. mit Vernehmungsprotokollen des Zeugen L und
der Zeugin T bei. Das Amtsgericht Grevenbroich lehnte den Antrag der
Staatsanwaltschaft auf Eröffnung des Verfahrens gegen G mit Beschluss vom
10.12.2002 ab (Az: 5 Ds 118/02), da kein hinreichender Tatverdacht für eine
vorsätzliche Handlung des G bestehe. Es sei nicht zu widerlegen, dass G in Notwehr
gehandelt habe. Anschließend ließ der Beklagte ein neurologisch-psychiatrisches
Gutachten von Dr. C1 erstellen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 14.11.2002 zu
dem Ergebnis, dass bei dem Kläger als Schädigungsfolgen
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1. eine Frontalhirnverletzung mit Verminderung der Gefühlskontrolle und konzentrativen
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Defiziten und
2. ein Geruchsverlust vorlägen.
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Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei im ersten Unfalljahr mit 50 v.H., im 2. und
3. Unfalljahr mit 30 v.H. einzuschätzen.
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Mit Bescheid vom 16.12.2002 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf
Gewährung von Versorgung nach dem OEG ab, da sich die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 OEG nicht zweifelsfrei feststellen ließen.
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Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 07.01.2003 Widerspruch ein und verwies
auf die sofortige Beschwerde, die er gegen den Nichteröffnungsbeschluss des
Amtsgerichts in der Strafsache erhoben habe. Auf die Beschwerde ordnete das
Landgericht Mönchengladbach mit Beschluss vom 04.06.2003 (Az: 12 Qs 24/03 (4)) die
Einholung eines rechtsmedizinischen Gutachtens von Prof. Dr. C2 sowie die
Vernehmung der Zeuginnen D G und H T1 an. In seinem Gutachten vom 05.11.2003
führte der Sachverständige aus, dass die Verletzungen des Klägers mit den
Schilderungen des G zum Tathergang in Einklang gebracht werden könnten. Alle
Verletzungen ließen sich auf eine einzige Gewalteinwirkung am Hinterkopf
zurückführen, die durch einen ungebremsten Sturz verursacht worden sein könnten. Als
mitursächlich für den nicht abgefangenen Sturz auf den Hinterkopf sei aus
rechtsmedizinischer Sicht die starke Alkoholisierung des Klägers anzusehen. Nach
richterlicher Vernehmung der Zeuginnen wies das Landgericht die Beschwerde gegen
den Nichteröffnungsbeschluss zurück. Es sei dem Angeklagten G nicht zu widerlegen,
dass dieser in Notwehr gehandelt habe.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2004 wies der Beklagte den Widerspruch des
Klägers zurück.
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Der Kläger hat am 22.12.2004 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
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Mit Schreiben vom 20.01.2005 hat der Kläger zu 2) dem Gericht mitgeteilt, dass das
Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers zu 1) eröffnet worden sei
(Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 29.12.2004). Er hat das Verfahren
aufgenommen soweit Leistungen auf Berufsschadensausgleich in Frage stünden.
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Das SG hat die Zeugen G und T vernommen.
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Anschließend hat es der Klage mit Urteil vom 25.04.2006 insoweit stattgegeben als es
den Beklagten zur Gewährung von Entschädigung dem Grunde nach verurteilt hat. Der
Angriff des Zeugen G sei nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewesen, seine
entsprechende Aussage nicht glaubhaft. Die Schilderung des Zeugen G entspreche
nicht dem Eindruck, den die Kammer vom Kläger einerseits (ruhiger Typ) und dem
Zeugen G andererseits (leicht provozierbar, tendenziell aggressiv, körperlich überlegen)
gewonnen habe. Die dokumentierten Verletzungen, die der Zeuge G selbst gehabt
habe, könne er sich auch bei der vorigen Auseinandersetzung in der Gaststätte
zugezogen haben.
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Gegen das am 08.06.2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10.07.2002 Berufung
eingelegt. Die Aussage des Zeugen G könne nicht widerlegt werden. Gegen die
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Annahme des SG, dass dieser sich die eigenen Verletzungen in der Gaststätte
zugezogen habe, spreche die Aussage der Zeugin T, dass G beim Verlassen der
Gaststätte noch keine Verletzung gehabt habe. Aus der Tatsache, dass der Zeuge G
körperlich überlegen und aggressiv sei, könne nichts Verbindliches für die Tatnacht
abgeleitet werden. Insbesondere habe auch der Kläger selbst in der Gaststätte
gegenüber der Zeugin T bereits geäußert, dass er dem G "schon zeigen werde, wer
stärker sei".
Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.04.2006 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie halten die Entscheidungsgründe im Urteil des SG für zutreffend. Der Zeuge G habe
in der mündlichen Verhandlung einen wenig glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Auf
dieser Basis habe das SG richtigerweise sein Urteil verfasst. Daraus, dass die Aussage
des Zeugen erkennbar in vielen Einzelpunkten nicht zutreffe, sei abzuleiten, dass auch
seine Schilderung bezüglich des Tathergangs als Solchem nicht der Wahrheit
entspreche. Der einzige nachvollziehbare Grund, warum sich der G zum Tatzeitpunkt in
der Nähe der Gaststätte aufgehalten habe, sei, dem Kläger zu 1) oder eventuell anderen
die Gaststätte verlassenden Gästen aufzulauern. Hierfür spreche auch, dass der G ein
gleiches Verhalten bereits wenige Wochen zuvor schon einmal an den Tag gelegt habe.
Einen solchen Überfall habe auch die Zeugin T erwartet, die anderen Gästen und auch
dem nur wenige Meter von der Gaststätte entfernt wohnenden Kläger zu 1) empfohlen
habe, ein Taxi zu nehmen.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf den Inhalt
der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten und der Akten 104 Js 390/01 der
Staatsanwaltschaft Mönchengladbach verwiesen. Diese waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
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Zu Unrecht hat das SG den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom
16.02.2002 und 22.11.2004 verurteilt, dem Kläger zu 1) Opferentschädigung dem
Grunde nach zu gewähren. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger
hat keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach dem OEG als Folge des
Vorfalls vom 09.12.2000.
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Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält Versorgung, wer im Geltungsbereich dieses
Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine
Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.
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Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Ein rechtswidriger Angriff gegen den Kläger ist
zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Der Kläger trägt die Beweislast
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dafür, dass der tätliche Angriff des G rechtswidrig war.
Ebenso wie allgemein im Sozialrecht müssen auch für eine soziale Entschädigung nach
dem OEG die anspruchsbegründenden Tatsachen - zu denen die Rechtswidrigkeit
eines Angriffs zählt - nachgewiesen, d.h. mit an Gewissheit grenzender
Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt
worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (BSG, Urteile vom
28.06.2000, B 9 VG 3/99 R m.w.N. = SozR 3-3900 § 15 Nr. 3; Meyer-Ladewig, SGG, 8.
Aufl. 2005, § 118 Rn 5). Fehlt es daran, geht dies zu Lasten des Klägers (objektive
Beweis- oder Feststellungslast).
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Die im Verfahren nach dem OEG häufig auftretenden Beweisschwierigkeiten - z.B.
dadurch, dass die Tat ohne Zeugen geschieht - rechtfertigen keine generelle
Beweiserleichterung oder gar eine Beweislastumkehr. Vielmehr gelten auch hier die
allgemein anerkannten Beweisgrundsätze. Zu diesen zählen auch die Grundsätze des
Beweises des ersten Anscheins sowie die für Kriegsopfer geschaffene besondere
Beweiserleichterung nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der
Kriegsopferversorgung - KOVVfG-, die auch für Gewaltopfer gilt (Urteil des erkennenden
Senats vom 25.01.2000, L 6 VG 76/96 m.w.N. zur Rspr. des BSG). Unter Würdigung
aller Umstände lässt es sich nicht nachweisen, dass der vorsätzliche tätliche Angriff des
G auf den Kläger auch rechtswidrig gewesen ist. Vielmehr ist es gut möglich, dass der
Rechtfertigungsgrund der Notwehr vorgelegen hat. Dieser Rechtfertigungsgrund
schließt eine Rechtswidrigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus.
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Da keine Zeugen vorhanden sind, die den Tathergang als solchen beobachtet haben,
lässt sich nicht feststellen, ob der vom Kläger angenommene oder der von G
geschilderte Geschehensablauf zutreffend ist. Der Kläger selbst ist wegen der
vollständigen Erinnerungslücke außerstande, den Geschehensablauf darzulegen. Er
kann sich deshalb auch nicht auf die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG berufen
(vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R, a.a.O.). Unter Berücksichtigung der
Einlassungen des G im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und seiner
Zeugenaussage im sozialgerichtlichen Verfahren ist der von ihm eingeräumte tätliche
Angriff möglicherweise durch Notwehr gerechtfertigt gewesen. Notwehr beurteilt sich
auch im Verfahren nach dem OEG nach den Rechtsmaßstäben, die zur Notwehr in § 32
Strafgesetzbuch und auch in § 227 Bürgerliches Gesetzbuch durch Gesetz festgelegt
und ergänzend durch die Rechtsprechung entwickelt worden sind (vgl. BSG, Urteil vom
25.06.1986, 9a RVg 2/84 = SozR 1300 § 45 Nr. 24). Unter Berücksichtigung dieser
Rechtsmaßstäbe war der Angriff nach dem von G geschilderten Tatgeschehen durch
Notwehr gerechtfertigt. Wenn G zuerst von dem Kläger angerempelt und mit der Faust
ins Gesicht geschlagen worden ist, durfte er sich seinerseits durch einen Faustschlag
zur Wehr setzen. Hinweise für einen Notwehrexzess finden sich nicht. Die Schwere der
Schädigung ist nicht durch den Faustschlag, sondern nach dem rechtsmedizinischen
Gutachten durch den - wegen Alkoholisierung des Klägers - ungebremsten Sturz auf
den Kopf eingetreten. Es kommt danach die ernsthafte Möglichkeit des
Rechtfertigungsgrundes Notwehr ebenso gut in Betracht wie ein rechtswidriger Angriff.
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Die Grundsätze des Anscheinsbeweises (Prima-Facie-Beweis) helfen dem Kläger nicht
weiter, den vom ihm behaupteten rechtswidrigen Angriff zu belegen. Die Vermutung der
Rechtswidrigkeit ist durch die Aussagen des Zeugen G entkräftet.
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Grundsätzlich indiziert die Verwirklichung eines Unrechtstatbestandes - hier der
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Körperverletzung - auch dessen Rechtswidrigkeit (LSG NRW, Urteil vom 25.01.2000, L
6 VG 76/96 m.w.N.). Damit ist die Tatbestandsverwirklichung der Körperverletzung zwar
ein Indiz für die Rechtswidrigkeit des Angriffs im Sinne eines Anscheinsbeweises. Die
hieraus folgende Vermutung der Rechtswidrigkeit kann aber - wie jeder
Anscheinsbeweis - durch Umstände entkräftet werden, die einen abweichenden
Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lassen und damit die Vermutung
zerstören. Dies bedeutet, dass bereits dann, wenn der Rechtfertigungsgrund der
Notwehr ernsthaft in Betracht kommt, ein rechtswidriger Angriff auch nach den
Grundsätzen des Anscheinsbeweises nicht nachweisbar ist (LSG NRW, a.a.O, m.w.N.,
s. auch Urteil vom 22.06.2006, L 7 VG 16/02).
Unter Würdigung der Einlassungen des G, denen der Kläger mangels
Erinnerungsvermögens keine eigene abweichende Tatverlaufsschilderung
entgegensetzen konnte, war der Angriff durch Notwehr gerechtfertigt. Der von G
dargelegte Geschehensablauf erscheint auch bei Berücksichtigung der sonstig hierzu
ermittelten Umstände ernsthaft möglich. Dies haben im strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren das Amtsgericht Grevenbroich (Beschluss vom 10.12.2002, 5 Ds
118/02) und das Landgericht Mönchengladbach (Beschluss vom 23.06.2004, 12 Qs
24/03) ebenso gesehen und den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung der
Hauptverhandlung zurückgewiesen. Der Zeuge L hat den Vortrag des G, der tätlichen
Auseinandersetzung sei eine ruhige verbale Diskussion vorausgegangen, bestätigt. Ein
Überfall des G aus dem Hinterhalt scheidet damit aus. Nach dem rechtsmedizinischen
Gutachten kann die Verletzung des Klägers durch einen - von G geschilderten -
Faustschlag mit anschließendem Sturz verursacht worden sein. Beweise für
anderweitige Schläge oder sonstige Gewalteinwirkungen des G auf den Körper des
Klägers, sind nicht ermittelt worden. Auch der Zeuge G hatte am Tag nach der Tat
Verletzungen im Gesicht, die von dem - von ihm behaupteten - Faustschlag des Klägers
herrühren könnten.
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Die Ausführungen des Klägers im Klage- und Berufungsverfahren vermögen nicht zu
einem anderen Ergebnis zu führen. Allein die Tatsache, dass die Einlassung des
Zeugen G zu dem, was er zeitlich vor dem Angriff gemacht hat, offensichtlich nicht der
Wahrheit entspricht, lässt keinen zwingenden Rückschluss darauf zu, dass seine
Einlassung auch bezüglich des streitigen Tatgeschehens unrichtig ist. Dies gilt
entsprechend für einen etwaigen Angriff des G auf andere Gasthausbesucher Wochen
vorher. Ob die Verletzungen des G durch einen Schlag des Klägers oder durch eine
vorherige Streiterei in der Gaststätte verursacht worden sind, kann dahingestellt bleiben.
Ein Beweis für den vom Kläger behaupteten Erstangriff des G ergibt sich hieraus nicht.
Die Argumentation des SG, die Schilderung des Zeugen G könne nicht als glaubhaft
angesehen werden, weil diese Schilderung nicht dem Eindruck entspreche, den die
Kammer vom Kläger einerseits (ruhiger Typ) und dem Zeugen G andererseits (leicht
provozierbar, tendenziell aggressiv, körperlich überlegen) gewonnen habe, widerspricht
den Grundsätzen zulässiger Beweiswürdigung. Allein aus Charaktereigenschaften, die
das Gericht allgemein einem am Geschehen Beteiligten zuordnet, lässt sich ein
bestimmter Geschehensablauf nicht verbindlich festlegen und als nachgewiesen
ansehen. Dies gilt hier um so mehr als der von G geschilderte Ablauf des Angriffs wie
dargelegt in einigen Punkten bestätigt worden ist und die Ermittlungen bezüglich des
Tatabends zudem ergeben haben, dass der - alkoholisierte - Kläger im Vorfeld des
Tatgeschehens keineswegs so ruhig gewesen ist, wie dies allgemein sonst der Fall sein
mag. An diesem Abend hat der Kläger der Zeugin T gegenüber vor Verlassen der
Gaststätte bereits geäußert, dass er "dem G schon zeigen werde, wer stärker sei". Das
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hier zum Ausdruck kommende Aggressionspotential des sonst womöglich ruhigen
Klägers lässt einen Angriff seinerseits auf den Zeugen G gut möglich erscheinen.
Lediglich ergänzend sei angeführt, dass Leistungen auch dann zu versagen gewesen
wären, wenn der Kläger hier einen rechtswidrigen Angriff des G hätte beweisen können.
Dies ergibt sich aus dem Versagungsgrund des § 2 Abs. 1 S. 1 2. Alt. OEG. Nach dieser
Vorschrift sind Leistungen zu versagen, wenn es aus Gründen, die im Verhalten des
Antragstellers liegen, unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Dies ist nach
Auffassung des Senates hier der Fall. Aufgrund der vorigen Auseinandersetzungen in
der Gaststätte war ein Angriff des G auf einen Gast und insbesondere auf den Kläger zu
befürchten. Entsprechend hat die Zeugin T die Gäste - und auch den Kläger - bei
Verlassen der Gaststätte aufgefordert, ein Taxi zu nehmen. Auch der Kläger selbst ist
offensichtlich von einem etwaigen Angriff des G ausgegangen. Er hat dennoch auf den
Gebrauch eines Taxis verzichtet und durch die Bemerkung "er werde dem G schon
zeigen, wer stärker ist" deutlich gemacht, dass er eine tätliche Auseinandersetzung nicht
scheue. Wer aber den tätlichen Angriff eines Anderen konkret voraussieht, diesem aber
trotz der einfachen Möglichkeit hierzu nicht ausweicht, sondern ihm bewusst und mit
dem Willen entgegentritt, sich als der Stärkere zu erweisen, kann nicht verlangen, dass
der Staat für die Folgen der späteren Verletzung eintritt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat die Voraussetzungen für
die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht als gegeben
angesehen.
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