Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.05.2001

LSG NRW: beteiligung am verfahren, verwaltungsakt, versicherungsträger, wartefrist, versicherungspflicht, rücknahme, vergleich, zahlungsverbot, rückforderung, sozialversicherungsrecht

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 3 RJ 24/98
14.05.2001
Landessozialgericht NRW
3. Senat
Urteil
L 3 RJ 24/98
Sozialgericht Münster, S 14 J 120/93
Bundessozialgericht, B 5 RJ 26/01 R
Rentenversicherung
rechtskräftig
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster
vom 25.11.1997 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im
Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Verpflichtung der Klägerin zur Erstattung von 45.405,04 DM nach Aufhebung
eines Beitragserstattungsbescheides.
Der Beigeladene zu 1) ist türkischer Staatsangehöriger und war bei der Beklagten
rentenversichert. Er war mit der Beigeladenen zu 2) verheiratet, die Ehe wurde durch Urteil
des Amtsgerichts Köln vom 22.06.1988 geschieden. Im Juli 1988 leitete die Beigeladene
zu 2) ein Versorgungsausgleichsverfahren ein.
Am 23.06.1988 beantragte der Beigeladene zu 1) die Erstattung sei ner
Rentenversicherungsbeiträge. Er erklärte, er habe im April 1988 zuletzt
versicherungspflichtig gearbeitet und sei im selben Monat in die Türkei verzogen. Der
Antrag wurde von der Klägerin eingereicht. Die Klägerin hatte dem Beigeladenen zu 1)
einen Kredit in Höhe von 64.596,55 DM gewährt und sich zur Sicherung die Forderung des
Beigeladenen zu 1) gegen die Beklagte aus der Beitragserstattung abtreten lassen.
Nach Vorlage einer Abmeldebestätigung sowie einer türkischen Wohnsitzbescheinigung
erstattete die Beklagte mit Bescheid vom 23.08.1988 in Unkenntnis des
Versorgungsausgleichsverfahrens gemäß § 1303 Abs. 1 RV0
Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 64.901,83 DM. Der Bescheid wurde der
Klägerin als Bevollmächtigter des Beigeladenen zu 1) bekanntgegeben. Der Betrag wurde
auf ein Konto des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin ausgezahlt.
Gegen diese Entscheidung legte die Beigeladene zu 2) Widerspruch ein, weil sie davon
ausging, dass der Beigeladene zu 1) Deutschland noch nicht verlassen habe.
Nach Einholung einer Auskunft der Stadt K ... wies die Beklagte den Widerspruch mit
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Bescheid vom 02.02.1990 zurück. Es sei davon auszugehen, dass der Beigeladene zu 1)
sich seit Juli 1988 nicht mehr im Bundesgebiet aufhalte. Der Erstattungsbescheid sei auch
im Hinblick auf das Scheidungsverfahren rechtmässig. Das Amtsgericht Köln habe eine
Anfrage bezüglich des Versorgungsausgleiches im November 1988 an die LVA
Rheinprovinz gerichtet. Deren Akte sei bei der Beklagten erst am 21.06.1989 eingegangen.
Solange der Versicherungsträger vom Ausgleichsverfahren noch keine Kenntnisse erlangt
habe, könne er trotz des anhängigen Scheidungsverfahrens mit befreiender Wirkung die
Erstattung erbringen.
Das SG Köln wies die hiergegen erhobene Klage der Beigeladenen zu 2) ab. Im
Berufungsverfahren vertrat der seinerzeit zuständige Senat die Auffassung, die Beklagte
habe die Wartefrist des § 1303 Abs 1 S. 3 RVO verletzt. Außerdem sei zu monieren, dass
das Antragsformular auf Beitragserstattung nicht nach dem Familienstand oder nach einem
laufenden Scheidungsverfahren frage. Daraufhin erklärte die Beklagte folgendes zu
Protokoll:
"Die Beklagte verpflichtet sich unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 23. August 1988 und
02. Februar 1990, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 23. August
1988 erneut unter Berücksichtigung der Bedenken des Senates zu entscheiden".
Die Klägerin war damit einverstanden und sah den Rechtsstreit als erledigt an.
In Ausführung dieser Erklärung hob die Beklagte mit an die Beigeladene zu 2) gerichtetem
Bescheid vom 04.07.1991 den Beitragserstattungsbescheid vom 23.08.1988 nochmals auf
und teilte mit, über den Beitragserstattungsantrag werde nach Abschluss des Verfahrens
über den Versorgungsausgleich erneut entschieden.
Einen gleichlautenden Bescheid richtete die Beklagte am 29.11.1991 an die Klägerin.
Mit Bescheid vom 10.01.1992 forderte die Beklagte von der Klägerin den Erstattungsbetrag
in Höhe von 64.901,83 DM - gestützt auf § 50 SGB X - zurück.
Gegen beide Bescheide legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie meinte, es gehe nicht an,
dass ein bestandskräftiger Verwaltungsakt ohne ihre Beteiligung am Verfahren zu ihren
Lasten aufgehoben werde. Außerdem sei sie nicht bereichert, weil der Beigeladene zu 1)
lediglich eine Schuld bei ihr beglichen habe. Schließlich sei die Beklagte verpflichtet, die
rechtsgrundlose Zahlung nicht von ihr, sondern von ihrem Versicherten zurückzufordern.
Mit Urteil vom 03.12.1992, dass am 02.04.1993 rechtskräftig wurde, übertrug das
Amtsgericht Köln einen Teil der Rentenanwartschaften vom Konto des Beigeladenen zu 1)
auf das Konto der Beigeladenen zu 2).
Daraufhin berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 04.06.1993 den Erstattungsbetrag
neu. In Anwendung von § 210 Abs. 4 SGB VI minderte sie die Erstattungssumme auf
19.800,85 DM, so dass sich eine Überzahlung in Höhe von 45.405,04 DM ergab.
Mit Bescheid vom 22.07.1993 hob die Beklagte den Bescheid vom 10.01.1992 auf und
forderte - wiederum gestützt auf § 50 SGB X - den Betrag von 45.405,04 DM von der
Klägerin.
Mit Bescheid vom 11.10.1993 wies die Beklagte den Widerspruch im übrigen zurück. Sie
leitete ihre Befugnis hierzu aus § 49 SGB X ab.
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Mit Urteil vom 25.11.1997 hat das Sozialgericht die hiergegen erhobene Klage
abgewiesen. Es hat die Befugnis der Beklagten zur Aufhebung des Erstattungsbescheides
ebenfalls aus § 49 SGB X abgeleitet. Die Beklagte habe die Beitragserstattung zu Recht
aufgehoben, weil sie bei Erlass des Bescheides die Wartefrist nach § 1303 Abs. 1 Satz 3
RV0 nicht beachtet habe. Zudem habe die Beklagte das Zahlungsverbot des § 10 d
VAHRG verletzt. Sie sei von sich aus gehalten gewesen, alles zu tun, um Ansprüche der
geschiedenen Ehefrau nicht zu vereiteln. Sie sei deshalb verpflichtet gewesen, sich durch
entsprechende Gestaltung des Antragsformulares Sicherheit über den Familienstand des
rückkehrwilligen Versicherten sowie über möglicherweise bevorstehende Verfahren zur
Durchführung des Versorgungsausgleiches zu verschaffen. Die Rückzahlungsverpflichtung
resultiere aus § 50 Abs. 1 SGB X. Nach Aufhebung eines Verwaltungsaktes lasse dieser
öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch keinen Raum für die Heranziehung von
zivilrechtlichen Rechtsgrundsätzen.
Gegen diese der Klägerin am 29.12.1997 zugestellte Entscheidung richtet sich die am
26.01.1998 erhobene Berufung.
Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.11.1997 abzuändern und die Bescheide der
Beklagten vom 29.11.1991, 4.6.1993 und 22.7.1993 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.10.1993 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt. Der Beigeladene zu 1) ist im Termin trotz
ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen; er war auch nicht vertreten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der beigezogenen Vorprozeßakte und der Verwaltungsakte der Beklagten,
deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte die Streitsache im Termin am 14.05.2001 trotz der Abwesenheit des
Beigeladenen zu 1) verhandeln und entscheiden, da dieser auf diese Möglichkeit
ausdrücklich hingewiesen worden ist (§§ 153, 110 Abs. 1, 126 SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zurecht
abgewiesen, weil die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig i.S.d. § 54 Abs 2 S. 1
SGG sind.
Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der Beitragserstattung ist § 45 Abs. 1 SGB X.
Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt aufgehoben
werden. § 49 SGB X ist nicht Ermächtigungsgrundlage für das Handeln der Beklagten.
Diese Vorschrift enthält nämlich keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für die
Aufhebung eines Verwaltungsaktes. Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift werden die §§
45 ff. SGB X im Anwendungsbereich von § 49 SGB X nicht vollständig verdrängt, sondern
lediglich die in diesen Vorschriften enthaltenen einschränkenden Rücknahmevorschriften
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sind nicht anzuwenden. Rechtsgrundlage für die Rücknahme eines begünstigenden
Verwaltungsaktes bleibt § 45 SGB X (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht -
Niesel - Rdnr. 7 zu § 49 SGB X).
Die Bescheide sind formell rechtmäßig. Zwar hat die Beklagte vor Erlass des Bescheides
vom 29.11.1991 die Klägerin nicht ordnungsgemäß im Sinne § 24 SGB X angehört. Das
Schreiben vom 31.07.1991 ist als Anhörung nicht ausreichend, denn das Schreiben enthält
keinen Hinweis auf eine Äußerungsmöglichkeit. Dieser Fehler ist jedoch im
Widerspruchsverfahren geheilt worden.
Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig.
1) Die Beitragserstattung war als begünstigender Verwaltungsakt bis zur Höhe von
45.405,04 DM rechtswidrig im Sinne § 45 SGB X.
a) Rechtsgrundlage für die Beitragserstattung war der im Jahr 1988 noch geltende § 1303
RVO: Entfällt die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen
Rentenversicherung, ohne dass das Recht zur freiwilligen Versicherung besteht oder endet
die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung aus einem anderen Grunde als dem
Entstehen einer Versicherungspflicht in einem Zweig der gesetzlichen
Rentenversicherung, so ist dem Versicherten nach Abs. 1 dieser Vorschrift auf Antrag die
Hälfte der für die Zeit nach dem 20. Juni 1948 im Bundesgebiet entrichteten Beiträge zu
erstatten.
Bei Versicherten, von denen Rentenanwartschaften nach § 1587 b Abs. 1 BGB an ihren
früheren Ehegatten übertragen sind, mindert sich der Erstattungsbetrag nach Maßgabe des
§ 1303 Abs. 9 RVO. Eine entsprechende Regelung findet sich jetzt in § 210 Abs. 1, Abs. 4
SGB VI.
Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass der Beigeladenen zu 1) hiernach lediglich
einen Anspruch auf Erstattung von 19.800,85 DM hatte. Die Beitragserstattung war damit in
Höhe - die Berechnung ist zwischen den Beteiligten nicht strittig - von 45.405,04 DM
rechtswidrig, ohne dass es auf die Frage des Aufenthaltes des Beigeladenen zu 1)
ankommt.
b) Die Rechtswidrigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beklagte zum
Zeitpunkt des Erlasses des Erstattungsbescheides am 23.08.1988 noch keine Kenntnis
von dem im Juli 1988 anhängig gewordenen Versorgungsausgleichsverfahren hatte:
Gemäß § 1303 Abs. 1 Satz 3 RVO konnte der Erstattungsanspruch nur geltend gemacht
werden, wenn seit dem Wegfallen der Versicherungspflicht zwei Jahre verstrichen waren
und inzwischen nicht erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit
ausgeübt worden war. Diese Wartefrist hat die Beklagte verletzt, denn der Versicherte hat
nach eigenen Angaben zuletzt bis April 1988 versicherungspflichtig gearbeitet.
Allerdings ist fraglich, ob die Verletzung dieser Norm die Aufhebung der Beitragserstattung
zugunsten der Beigeladenen zu 2) rechtfertigt. Denn die Wartefrist soll in erster Linie
verhindern, dass bei jedem - auch nur kurzfristigen - Ausscheiden aus der
Versicherungspflicht eine Beitragserstattung begehrt wird (so
Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, RNr.
9 zu § 1303 RV0). Die Beigeladene zu 2) wäre dann nicht vom Schutzzweck der Norm
begünstigt, so daß allein eine Verletzung der Wartefrist eine Aufhebung der
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Beitragserstattung zu ihren Gunsten nicht rechtfertigen könnte.
Jedenfalls aber hat die Beklagte auch § 10 d VAHRG verletzt. Nach dieser Vorschrift ist der
Versorgungsträger verpflichtet, bis zum wirksamen Abschluss eines Verfahrens über den
Versorgungsausgleich Zahlungen an den Versorgungsberechtigten zu unterlassen, die auf
die Höhe eines in den Versorgungsausgleich einzubeziehenden Anrechts Einfluss haben
können.
Grundsätzlich beginnt dieses Zahlungsverbot allerdings erst, sobald der
Versicherungsträger von einem Versorgungsausgleichsverfahren erfährt (Palandt, BGB, 60.
Aufl. Rdnr. 3 zu § 1587; Schmeiduch/Krumnack, Mitteilungen LVA Rheinprovinz 1987, 493
(495)). Im vorliegenen Fall war der Beklagten am 23.08.1988 noch nichts über das
anhängige Versorgungsausgleichsverfahren bekannt.
Jedoch steht der positiven Kenntnis das Kennenmüssen gleich.
Der Wortlaut von § 10 d VAHRG ist hinsichtlich der Dauer des Zahlungsverbotes offen. Ein
Vergleich mit der Rechtslage zu § 1587p BGB gebietet eine Gleichstellung der
schuldhaften Nichtkenntnis mit der positiven Kenntnis. Nach dieser Vorschrift muss ein
berechtigter Ehegatte nach Übertragung von Rentenanwartschaften zu seinen Gunsten
eine Leistung des Versicherungsträgers an den verpflichteten Ehegatten gegen sich gelten
lassen, die der Versicherungsträger bis zum Ablauf des Monats an den verpflichteten
Ehegatten bewirkt, der dem Monat folgt, in dem die Entscheidung zugestellt worden ist. Das
BSG hat hierzu entschieden, dass der Kenntnis vom Eintritt der Rechtskraft der
Entscheidung zum Versorgungsausgleich das Kennenmüssen dieses Ereignisses
gleichsteht (BSG, SozR 7610 § 1587p Nr. 2). Es hat aus der allgemeinen Fürsorgepflicht
des Rentenversicherungsträgers gegenüber Versicherten, wie sie sich aus § 17 Abs. 1 Nr.
1 SGB I ergibt, abgeleitet, dass der Versicherungsträger verpflichtet ist, sich z.B. durch
Rückfrage darüber zu informieren, wann die Entscheidung des Familiengerichtes über die
Übertragung der Rentenanwartschaften rechtskräftig wird. Genügt er dieser Verpflichtung
nicht, so kann er sich dem Rentenberechtigten gegenüber nicht auf seine Unkenntnis
berufen.
Diese Ausführungen, denen der Senat sich anschließt, sind auf die vorliegende
Fallgestaltung übertragbar (so auch Palandt a.a.O., a.A. Schmeiduch/Krumnak a.a.O.).
Denn mit der Regelung des § 10 d VAHRG soll verhindert werden, dass dem
Versorgungsausgleich die Grundlage entzogen wird, weil sich ein Ehegatte noch im Laufe
des Verfahrens eine Auszahlung auf ein Versorgungsanrecht leisten lässt und damit für
diese Ansprüche einen Versorgungsausgleich unmöglich macht (Bergner, SV 1987, 97).
Der Versicherungsträger hat daher gegenüber dem Versorgungsausgleichberechtigen die
Pflicht, zumutbare Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass der
Versorgungsausgleichsanspruch durch Verfügungen zu Gunsten des Versicherten vereitelt
wird. Der Versicherungsträger muss daher nach dem Familienstand und danach fragen, ob
ein Scheidungsverfahren anhängig ist. Unterlässt er dies, verletzt er bei Zahlung das
Zahlungsverbot des § 10 d VAHRG.
Hierdurch werden den Versicherungsträgern keine unzumutbaren Ermittlungspflichten
auferlegt, weil eine schlichte Frage im Antragsvordruck ausreichend ist. Wenn der
Antragsteller geschieden oder ein Ehescheidungsverfahren anhängig ist, kann der
Versicherungsträger den geschiedenen Ehegatten gem. § 12 Abs 2 SGB X am Verfahren
beteiligen und hierdurch feststellen, ob und ggf. in welcher Höhe die Beitragserstattung
ausgeschlossen ist.
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2) Die die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes einschränkenden
Vorschriften des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X gelten im vorliegenden Fall nicht.
Die Beklagte beruft sich insoweit zu Recht auf § 49 SGB X. Nach dieser Vorschrift gelten
die einschränkenden Rücknahmevoraussetzungen nicht, wenn ein begünstigender
Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens
oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird,
soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird.
a) Der Beitragserstattungsbescheid ist ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung im Sinne des §
49 SGB X. Kennzeichnend für einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung ist, dass die
Regelung eine Personbegünstigt, während die andere rechtlich belastet wird (Pickel, SGB
X, Rdnr. 10 zu § 49). Ein Beitragserstattungsbescheid erfüllt diese Voraussetzungen, denn
der ausgleichsberechtigte Ehegatte verliert durch die Beitragserstattung den
Ausgleichsanspruch (§ 1303 Abs 7 RVO, jetzt § 210 Abs 6 S. 2 und 3 SGB VI, für den
Versorgungsausgleich ausdrücklich BGH NJW 1995, 135).
Dies gilt auch, wenn die Beitragserstattung unter Verletzung von § 10 d VAHRG erfolgt ist.
Anders wäre dies nur, wenn die Beitragserstattung bei Verletzung dieser Vorschrift dem
ausgleichsberechtigten Ehegatten gegenüber (relativ) unwirksam wäre, d.h. der
Versorgungsausgleich durchgeführt werden könnte, ohne dass dem die Beitragserstattung
entgegenstünde. Dies wäre dann der Fall, wenn die Regelung des § 135 Abs 1 BGB für §
10 d VAHRG einschlägig wäre.
Dies ist entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung
(Hanseatisches OLG v. 1.10.1993 - 7 UF 82/91; Schmeiduch/Krumnack a.a.O.; in diesem
Sinne auch Bergner, a.a.O.) indes nicht der Fall. Gegen eine Anwendung des § 135 BGB
spricht schon der Wortlaut des § 10 d VAHRG, wonach eine Unterlassungsverpflichtung
statuiert wird, nicht eine Verfügungsbeschränkung. Durch § 135 BGB werden
rechtsgeschäftliche Verfügungen des Privatrechts erfasst; dass ein Verwaltungsakt des
öffentlichen Rechts dem Begünstigten gegenüber als wirksam, anderen gegenüber als
unwirksam anzusehen ist, kann dagegen - außerhalb des Anwendungsbereiches von § 39
Abs. 1 SGB X - nicht angenommen werden (so BGH a.a.O.; auch Palandt a.a.0. Rnr 4 zu §
10d VAHRG bezeichnet die Regelung als "echte Unterlassungsverpflichtung").
b) Schließlich wurde der Beitragserstattungsbescheid während des sozialgerichtlichen
Verfahrens aufgehoben.
Die entsprechende Prozesserklärung der Beklagten wurde während der Anhängigkeit des
Berufungsverfahrens LSG NRW, L 14 J 201/90 abgegeben. Allerdings wurde dieser
Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin nicht wirksam, weil er der Klägerin nicht
bekanntgegeben wurde (§ 39 Abs. 1 SGB X). Indes haben die Beteiligten ausdrücklich
erklärt, dass über den Widerspruch der (damaligen) Klägerin gegen den Bescheid vom
23.08.1988 erneut entschieden werden soll. Der Vergleich enthält insoweit perplexe
Erklärungen, denn einerseits hebt die Beklagte den Bescheid vom 23.08.1988 auf,
andererseits verpflichtet sie sich, über einen Widerspruch hiergegen erneut zu entscheiden.
Dem Vergleich ist jedoch zu entnehmen, dass zwar das gerichtliche Verfahren beendet
sein soll, nicht aber der Streit zwischen den Beteiligten über die Rechtmäßigkeit der
Beitragserstattung. Diese sollte weiter angefochten bleiben. Damit ist das Vorverfahren
weiter anhängig gewesen und der Anwendungsbereich von § 49 SGB X ist eröffnet.
Der angefochtene Bescheid vom 29.11.1991 erging auch im Rahmen dieses
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Vorverfahrens. Der Bescheid vom 04.07.1991 ist der zugunsten der Beigeladenen zu 2)
ergangene Abhilfebescheid, der angefochtene Bescheid vom 29.11.1991 ist der
korrespondierende Bescheid zu Lasten der Klägerin.
3) Ermächtigungsgrundlage für die Rückforderung des überzahlten Betrages mit Bescheid
vom 22.07.1993 ist § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Nach dieser Vorschrift sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits
erbrachte Leistungen zu erstatten.
Bei der Zahlung des Erstattungsbetrages handelt es sich um an die Klägerin erbrachte
Leistungen im Sinne dieser Vorschrift. Die Klägerin hatte die Beitragserstattung als
Zessionarin erhalten. Der Beigeladene zu 1) hatte ihr mit Abtretungsvertrag seine
entsprechenden Forderungen abgetreten, so dass die Klägerin nunmehr Inhaberin der
Forderung war. Es ist entgegen der Meinung der Klägerin nicht so, dass die Beklagte an
den Beigeladenen zu 1) gezahlt und dieser dann eine Verbindlichkeit gegenüber der
Klägerin beglichen hat.
Die Klägerin war damit als Rechtsnachfolgerin Inhaberin des Anspruchs auf
Beitragserstattung. Die Rückforderung vom Rechtsnachfolger nach § 50 SGB X ist möglich,
wenn der bewilligende Verwaltungsakt auch ihm gegenüber aufgehoben worden ist. Die
"Rückforderungs-Automatik" bezieht ihre Rechtfertigung daraus, dass die Belange des
Rückforderungschuldners bereits im Rücknahmeverfahren genügend zu berücksichtigen
waren (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht - Steinwedel - Rdnr. 17 zu § 50
SGB X). Deswegen ist ein Abtretungsempfänger nach Aufhebung der Bewilligung auch
ihm gegenüber erstattungspflichtig (so ausdrücklich zur insoweit parallelen Problematik der
Auszahlung einer Sozialleistung an einem Pfändungsgläubiger BSG SozR 1300 § 50 Nr.
17 S. 40, 42; Kasseler Kommentar a.a.O. Rdnr. 18 zu § 50). Die Beklagte ist nicht
verpflichtet, sich lediglich an den Beigeladenen zu 1) zu halten.
Die Beklagte war gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X befugt, die erstattetene Leistung durch
schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. § 160
Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Entscheidungserheblich sind u.a. die Fragen, ob die
Beklagte die Beitragserstattung unter Verletzung des § 10 d VAHRG erbracht hat, und ob
die Beigeladene zu 2) sich auf die Verletzung der Frist des § 1303 Abs 1 S. 3 RVO berufen
kann. Nur bei Bejahung einer der beiden Fragen unterliegt der Erstattungsbescheid zu
Lasten der Klägerin der Rücknahme. Die Fragen sind durch Rechtsprechung des BSG
noch nicht geklärt.