Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.10.2005

LSG NRW: arbeitsunfall, unfallversicherung, schmerz, berufskrankheit, gewissheit, wirbelsäulenleiden, rücknahme, handel, anerkennung, spekulation

Landessozialgericht NRW, L 15 U 84/05
Datum:
13.10.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 15 U 84/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 1 U 28/04
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 2 U 409/05 B
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 21. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu
erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung eines Ereignisses aus dem
Jahre 1969 als Arbeitsunfall.
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Der 1946 geborene Kläger war vom 01.07.1968 bis zum 15.10.1969 als
Warenannahmeassistent bei der S Handel GmbH und Co.KG beschäftigt. Im Rahmen
eines Verwaltungsverfahrens wegen der Anerkennung einer Berufskrankheit nach den
Nrn. 2108/2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) gab der Kläger
unter dem 10.04.1992 an, dass er sich 1969 verhoben habe, als er einen Karton mit 80
Paar Skistiefeln auf eine Ameise (Hubwagen) cirka 15 cm hochgehoben habe. Dabei
sei ihm schwindelig geworden und er habe einen Schmerz im ganzen Körper verspürt.
Etwas später sei er mit dem Rücken an eine Regalwand gelehnt wieder zu sich
gekommen. Die Frage des Abteilungsleiters, ob er weiter arbeiten könne, habe er
bejaht. Innerhalb eines Jahres seien schleichend seine Beine und sein Gesäß erkaltet.
Seit 1975 habe er immer häufiger ein Ziehen und ein Druckgefühl besonders im rechten
Bein. Sein Wirbelsäulenleiden führe er auf den Arbeitsunfall von 1969 zurück.
Anlässlich der Rücknahme seiner Klage in dem Berufskrankheitenverfahren beantragte
der Kläger am 14.02.2002, ihm wegen des Unfalls von 1969 einen Bescheid zu erteilen.
Die S GmbH und Co.KG teilte auf Anfrage der Beklagten mit Schreiben vom 21.08.2002
mit, dass das Unfallbuch für das Jahr 1969 keinen Eintrag über einen Unfall des Klägers
enthalte. Im September 2003 übersandte die Firma Kopien des Unfallbuchs aus dem
maßgeblichen Zeitraum, wobei die Seiten durchgehend nummeriert und die Unfälle
chronologisch geordnet sind. Mit Bescheid vom 26.11.2003, bestätigt durch den
Widerspruchsbescheid vom 12.03.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von
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Leistungen mit der Begründung ab, dass das behauptete Ereignis nicht bewiesen sei.
Darüber hinaus fehlten dem vom Kläger beschriebenen Vorgang die charakteristischen
Merkmale eines Unfallgeschehens.
Der Kläger hat am 15.04.2004 Klage erhoben und vorgetragen: Das Ereignis sei
zunächst nicht als Unfall erkannt worden. Erst 1992 sei ein Piriformissyndrom
festgestellt worden. Beim Anheben des Kartons sei er ohnmächtig geworden; Zeugen
für das Ereignis könne er nicht benennen. Das Unfallbuch müsse gefälscht sein oder es
fehlten Seiten hieraus, auf denen ursprünglich der von ihm beschriebene Unfall
dokumentiert worden sei.
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Mit Urteil vom 21.02.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen das ihm am 10.03.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.04.2005 Berufung
eingelegt. Er trägt vor: Er bleibe dabei, dass im Unfallbuch eine Eintragung vorhanden
gewesen sei. Da der einzige unmittelbare Zeuge Analphabet gewesen sei, sei der
Unfall 1988 zusätzlich nachgemeldet worden. In der Unfallanzeige sei die Tatsache,
dass er ohnmächtig gewesen sei, bereits erwähnt worden.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.02.2005 zu ändern und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 26.11.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12.03.2004 zu verurteilen, ihm wegen eines
Arbeitsunfalls von 1969 Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die ebenfalls
beigezogenen Verwaltungsakten der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel
betreffend den Unfall vom 23.12.1987 Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
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Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat wegen des von
ihm geltend gemachten Ereignisses aus dem Jahre 1969 keinen Anspruch auf
Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn ein Arbeitsunfall im Sinne
von § 548 Reichsversicherungsordnung (RVO), der hier gemäß Art. 36
Unfallversicherungseinordnungsgesetz (UVEG) i.V.m. § 212 Siebtes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VII) noch anwendbar ist, lässt sich nach dem ermittelbaren
Sachverhalt nicht feststellen.
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Nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei
einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten
Tätigkeiten erleidet. Dass der Kläger im Jahre 1969 bei seiner versicherten Tätigkeit als
Warenannahmeassistent bei der S Handel GmbH und Co.KG einen Unfall erlitten hat,
ist nicht erwiesen. Das Unfallereignis selbst muss ebenso wie der zu entschädigende
Körperschaden mit Gewissheit feststehen (ständige Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts - BSG -, vgl. BSGE 58,80; 83,29). Eine Tatsache ist mit
Gewissheit bewiesen, wenn ein vernüftiger, die Lebensverhältnisse klar
überschauender Mensch keinen Zweifel mehr hat (BSGE 32, 203, 207). Der Senat
konnte sich indes nicht davon überzeugen, dass der Kläger den von ihm behaupteten
Unfall tatsächlich erlitten hat.
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Augenzeugen für das von ihm behauptete Geschehen konnte der Kläger nicht
benennen. Der Vorgang ist auch in dem bei der Arbeitgeberin geführten Unfallbuch
nicht verzeichnet, wie durch die von ihr übersandten Kopien aus dem Unfallbuch belegt
wird. Soweit der Kläger geltend macht, das Unfallbuch müsse gefälscht sein und es
fehlten Seiten hieraus, handelt es sich um eine haltlose Spekulation, die durch nichts
erhärtet wird. Das Sozialgericht hat im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen eine
Manipulation des Unfallbuches ausgeschlossen erscheint. Den entsprechenden
Ausführungen des Sozialgerichts, denen sich der Senat anschließt und auf die er zur
Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt , ist nichts hinzuzufügen.
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Allein auf die Angaben des Klägers lässt sich der erforderliche Nachweis nicht stützen.
Denn bei der Beweiswürdigung ist auch zu bedenken, dass der Kläger den Vorgang
gegenüber der Berufsgenossenschaft erstmals 1992 und damit mehr als 20 Jahre später
im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens wegen einer Berufskrankheit nach den Nrn.
2108/2110 geltend gemacht hat. Die von ihm behauptete "Nachmeldung" des Unfalls im
Jahre 1988 ist in den Akten nicht dokumentiert. Die Geltendmachung des Vorfalls aus
dem Jahre 1969 erfolgte zudem erst, nachdem mit bindend gewordenen Bescheid vom
08.02.1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.07.1988 der vom
Kläger behauptete Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall vom 23.12.1987 und
seinem Wirbelsäulenleiden verneint und mit Bescheid vom 28.07.1989 eine
Rücknahme der vorgenannten Bescheide abgelehnt worden war. Darüberhinaus
enthalten die zahlreichen in dem Verwaltungsverfahren wegen des Unfalls vom
23.12.1987 zu den Akten gelangten medizinischen Unrterlagen keinerlei Hinweise auf
ein Unfallgeschehen im Jahre 1969. Dass sich die vom Kläger 1981 gegenüber Prof. Dr.
P gemachten Angaben, er habe sich vor vielen Jahren verhoben und dann plötzlich eine
Gefühlseinschnürung am rechten Unterschenkel verspürt, auf das angeschuldigte
Ereignis beziehen, erscheint wenig wahrscheinlich, weil der Kläger bei dem von ihm
behaupteten Geschehen im Jahre 1969 seinen Angaben aus April 1992 zufolge einen
Schmerz im ganzen Körper verspürt haben will.
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Die Nachteile, dass sich ein Arbeitsunfall nicht feststellen lässt, gehen zu Lasten des
Klägers, weil er die objektive Beweislast für die von ihm behaupteten
anspruchsbegründenden Tatsachen trägt (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 103 Rz.
19a mwN).
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Unbeschadet dessen, dass das vom Kläger angeschuldigte Ereignis nicht erwiesen ist,
ergeben sich aus den zahlreichen zu den Verwaltungs- und Gerichtsakten gelangten
medizinischen Unterlagen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die beim Kläger
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vorliegenden Gesundheitsstörungen Folge eines Traumas sein könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Anlass für eine Revisionszulassung (§ 160 Abs. 2 SGG) bestand nicht.
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