Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.01.2008

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Landessozialgericht NRW, L 20 B 87/07 AY ER
Datum:
30.01.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 87/07 AY ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 25 AY 8/07 ER
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.10.2007 wird zurückgewiesen. Kosten
sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf
Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird
abgelehnt.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde der Antragsteller vom 29.11.2007 gegen den ihnen am
31.10.2007 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts, das der Beschwerde nicht
abgeholfen hat (Beschluss vom 03.12.2007), ist unbegründet.
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Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen (Regelungs-) Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) zu verpflichten,
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den Antragstellern vorläufig, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens Leistungen
gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) abzüglich bereits erhaltener
Leistungen zu gewähren.
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Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung
eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die
tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs (die Rechtsposition, deren
Durchsetzen im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist) sowie des Anordnungsgrundes
(die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung) sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Die Erfolgsaussichten
der Hauptsache sind bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen unter
Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Soweit dies nicht
möglich ist, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. zuletzt
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 565/02 = NVwZ 2005,
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927ff.).
Auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung konnte der Erlass der
begehrten einstweiligen Anordnung nicht in Betracht kommen, da bereits ein
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist. Nach der gebotenen summarischen
Prüfung haben die Antragsteller bereits keinen Anspruch auf sog. "Analogleistungen"
gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Insoweit ist zunächst darauf
hinzuweisen, dass vorliegend das AsylbLG in der Fassung, die es durch Artikel 6 Abs. 2
des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der
Europäischen Union vom 19.08.2007 (im Folgenden: EU-Richtlinienumsetzungsgesetz)
erhalten hat, anzuwenden ist. Durch das EU-Richtlienumsetzungsgesetz ist u.a. mit
Wirkung vom 28.08.2007 die Dauer der Wartezeit in § 2 Abs. 1 AsylbLG von 36 auf 48
Monate verlängert worden.
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Vorliegend kann dahinstehen, ob diese Neuregelung mangels Übergangsregelung
auch für die Beurteilung von Ansprüchen von Leistungsberechtigten heranzuziehen ist,
die bereits erhöhte Leistungen in Anwendung des § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten haben
(vgl. hierzu etwa Hachmann/Hohm, Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes
durch das Gesetz zur Umsetzung von aufenthalts- und asylrechtlicher EU-Richtlinien,
NVwZ 2008, Seite 33ff.). Die Antragsteller stehen im Bezug von Leistungen gemäß § 3
AsylbLG. Jedenfalls für diese Personengruppe geht der Senat davon aus, dass in
Ermangelung einer Übergangsregelung die Neuregelung mit dem Stichtag 28.08.2007
anzuwenden ist. Nach der gebotenen summarischen Prüfung vermag der Senat
jedenfalls für das vorliegende Eilverfahren verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. hierzu
ebenso, Hachmann/Hohm, a.a.O., Seite 36f.) in Ansehung des dem Gesetzgeber
einzuräumenden sozialpolitischen Gestaltungsermessens nicht zu erkennen.
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Unter Berücksichtigung der Wartefrist des § 2 Abs. 1 AsylbLG in der Fassung des EU-
Richtlinienumsetzungsgesetzes kämen Leistungen für die Antragsteller zu 1) bis 3),
denen Leistungen nach dem AsylbLG ab 19.12.2003 gewährt wurden, zwar
zwischenzeitlich ggf. in Betracht. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die
Antragsteller im Zeitraum 01.12.2005 bis 30.11.2005, mithin für ein Jahr, gekürzte
Leistungen gemäß § 1a AsylbLG erhalten haben. Der Senat vermag sich der
Rechtsaufassung der Antragsteller nicht anzuschließen, dass auch gekürzte Leistungen
gemäß § 1a AsylbLG als "Leistungen nach § 3" im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG
anzusehen sind. Mit der wohl h.M. in Literatur und Rechtsprechung (vgl. etwa Hohm in:
Schellhorn u.a., SGB XII, 17. Auflage 2006, § 2 AsylbLG Rn. 7, Birk in LPK-SGB XII, 7.
Auflage 2005, § 2 AsybLG Rn. 3 jeweils m.w.N.; LSG Niedersachsen - Bremen, Urteil
vom 19.06.2007, L 11 AY 59/06, Revision anhängig: B 8 AY 4/07 R) ist vielmehr -
bereits ausgehend vom Wortlaut - davon auszugehen, dass Zeiten eines
Leistungsbezuges nach § 1a AsylbLG nicht als "Leistungen nach § 3 AsylbLG" im Sinne
des § 2 Abs. 1 AsylbLG anzusehen sind. Die Sachlage stellt sich von vornherein anders
dar als bei Bezug höherer und regelmäßiger eine gewisse Integration zum Ausdruck
bringender Leistungen nach dem Bundeshilfesozialhilfegesetz (BSHG), dem
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) oder dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch
(SGB II), die ggf. im Rahmen der Wartezeit Berücksichtigung finden müssen (vgl. zur
Rechtsprechung des Senats in Eilverfahren den Beschluss vom 27.04.2006, L 20 B
10/06 AY ER, und nachfolgend L 20 B 63/07 AY ER; vgl. auch Hessisches LSG,
Beschluss vom 21.03.2007, L 7 AY 14/06 ER).
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Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geht der Senat zudem davon
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aus, dass maßgeblich der faktische Bezug von Leistungen ist und nicht ein etwaiger
Anspruch. Zwar fehlt es vorliegend ohnehin an Anhaltspunkten für eine offensichtliche
Rechtswidrigkeit der Kürzungsbescheide. Angesichts des Wortlauts des § 2 Abs. 1
AsylbLG ("bezogen haben") vermag sich der Senat für die Zwecke des einstweiligen
Rechtsschutzes nicht der in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung anzuschließen,
der Rechtsgedanke des § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X),
anwendbar ggf. über § 9 Abs. 3 AsylbLG (so SG Aachen, Urteil vom 19.06.2007, S 20
AY 4/07), verlange bereits im auf Gewährung von Leistungen gemäß § 2 Abs. 1
AsylbLG gerichteten Klage- oder einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Überprüfung
der Rechtmäßigkeit der Gewährung der Leistungen nach § 1a AsylbLG (vgl. aber SG
Aachen, Beschluss vom 12.10.2007, S 20 AY 12/07 ER).
Da nach alledem ein Anordnungsanspruch nicht als glaubhaft gemacht anzusehen ist,
kann letztlich dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund besteht. Diesbezüglich weist der
Senat allerdings daraufhin, dass er in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass
regelmäßig allein der Bezug von Leistungen gemäß § 3 AsylbLG der Annahme der
Eilbedürftigkeit einer Entscheidung über einen Anspruch nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht
entgegen gehalten werden kann, wenn sich der materiellrechtliche Anspruch nicht als
zweifelhaft erweist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1
Satz 1 SGG.
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Die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag folgt aus § 73a SGG, § 114 ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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