Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.01.2003

LSG NRW: körperliche unversehrtheit, therapie, krankenversicherung, auskunft, verbreitung, anerkennung, wirtschaftlichkeit, behandlungskosten, konsens, dermatologie

Landessozialgericht NRW, L 16 KR 199/01
Datum:
23.01.2003
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 16 KR 199/01
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 1 KR 24/00
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 24.09.2001 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten
des Verfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse eine Lasertherapie ihres
Gesichtshaarwuchses (Damenbart).
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Die 00.00 geborene Klägerin leidet infolge einer 1999 diagnostizierten
Normandrogenämie an einer verstärkten Behaarung, insbesondere im Gesicht
(Hypertrichose). Durch den Direktor der Hautklinik der I-Universität E, Prof. Dr. Dr. S,
und den Arzt der dortigen Laserambulanz Dr. G, beantragte die Klägerin im März 1999
die Durchführung einer Lasertherapie mittels Rubin-Laser. Dr. I1 vom Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein sah die Therapie als nicht
genehmigungsfähig an, woraufhin die Beklagte durch formlosen Bescheid vom
04.06.1999 und nach einer weiteren Stellungnahme des Dr. I1 vom 07.10.1999, wonach
die Entfernung der Barthaare durch (Elektro-)Epilation als vertragsärztlicher Therapie
möglich sei, mit förmlichem Bescheid vom 11.10.1999 den Antrag ablehnte.
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Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese sich auf ein ärztliches Attest, in dem ihr
infolge des Bartwuchses Depressionen bescheinigt wurden, sowie darauf berief, dass
die Laser- und die Epilationsbehandlung keine gleichwertigen Therapien seien, wies
die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2000 als unbegründet zurück.
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Die Klägerin hat am 03.04.2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben.
Sie hat geltend gemacht, sie habe vor neun Jahren eine Elektro-Epilation durchführen
lassen. Die Behandlung, die über einen Zeitraum von drei Monaten ein- bis zweimal
wöchentlich erfolgt sei, habe zu einer starken Rötung und Entzündung der Haut geführt
und über längere Zeit pockenartige Rückstände hinterlassen. Sie habe auch nicht zu
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einem Stillstand des Bartwuchses geführt. Es handele sich bei der begehrten
Behandlung auch nicht um eine kosmetische Maßnahme, sondern diese diene der
Beseitigung erheblicher psychischer Beschwerden infolge des starken Bartwuchses.
Das SG hat eine Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen -
Arbeitsausschuss "Ärztliche Behandlung" - vom 19.04.2000 eingeholt, wonach die
Laser-Behandlung bei Hypertrichose nicht zum vertragsärztlichen Leistungskatalog
zähle. Ein Antrag auf Anerkennung dieser Methode sei bisher nicht gestellt und es lägen
keine Unterlagen vor, die erkennen ließen, dass diese die maßgeblichen Kriterien
diagnostischer oder therapeutischer, medizinischer Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit
erfülle. Des weiteren hat das SG eine Auskunft von Prof. Dr. Dr. S/Dr. G eingeholt, die
u.a. bescheinigt haben, dass die Mehrbehaarung der Klägerin über das normale Maß
der akzeptablen Behaarung vom androgenetischen bzw. rassisch bedingten Typ
hinausgehe. Die Epilation mittels Lasergeräten sei seit ca. 10 Jahren in zunehmendem
Einsatz. Natürlich könne über Langzeitfolgen, wie bei vielen anderen hochtechnischen
Therapien, noch keine abschließende Aussage getroffen werden. Andererseits belegten
die bisherigen eigenen und internationalen Ergebnisse die Effektivität der
Rubinlasertherapie bei Hypertrichosis. Die elektrische Epilation könne zu
Narbenbildung führen und sei aufgrund des hohen Zeitaufwandes nur schwer
durchführbar. Obwohl auch sie teilweise zu guten Ergebnissen führen könne, sei sie ein
Mittel zweiter Wahl. Die kosmetischen Resultate der Lasertherapie seien deutlich
überlegen. Die Lasertherapie sei auch bereits heute eine Therapieform, die in vielen
Universitätskliniken, Städtischen Kliniken und dermatologischen Praxen als
Routinetherapie angeboten werde.
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Die Beklagte hat eine Stellungnahme des MDK, Dr. T, vom 21.07.2000 vorgelegt,
wonach die Datenlage hinsichtlich der Lasertherapie noch sehr dünn sei und
insbesondere aussagekräftige Studien über Langzeiterfolge fehlten. Auch bei der
Laserepilation könne eine Narbenbildung, wie sie bei der elektrischen Epilation
gelegentlich vorkomme, nicht sicher ausgeschlossen werden. Ebenso würden
Irritationen der Haut und im Anschluss an die Behandlung auftretende Hyper- oder
Hypopigmentierungen nach Laserepilationen beschrieben. Bei den von der Klägerin
beschriebenen Beschwerden nach Elektro-Epilation handele es sich möglicherweise
um ein anwenderbedingtes Problem.
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Das SG hat schließlich ein Gutachten von der Fachärztin für Dermatologie Dr. Q vom
Laser Medizin Zentrum L.M.Z. Rhein/Ruhr eingeholt. Diese ist in ihrem Gutachten vom
10.04.2001 zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin liege eine krankhafte
Mehrbehaarung vor. Bei endokrinen Ursachen, wie sie hier vorlägen, stelle die
Laserepilation eine sehr wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit dar. Dies werde durch
Studien aus den letzten Jahren belegt. So habe u.a. Grossmann 1998 an vier Patienten
eine "permanente" Epilation nachweisen können. In einer Vergleichsstudie von Januar
2000 habe sich die Laserepilation als doppelt so effektiv wie die Elektroepilation
erwiesen. Im Fall der Klägerin sei daher der Laserepilation der Vorzug zu geben, weil
eine Nadelepilation viele Jahre dauern und möglicherweise nicht den gewünschten
Erfolg bringen werde. Da die Klägerin über eine helle Hautfarbe und dunkle Haare
verfüge, seien die Voraussetzungen für ein gutes Therapieergebnis mittels
Laserepilation erfüllt.
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Mit Urteil vom 24.09.2001 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die
Behandlungskosten einer Lasertherapie zur Entfernung der Gesichtsbehaarung der
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Klägerin zu übernehmen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 02.10.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.10.2001
Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, die begehrte Therapie dürfe nicht zu ihren
Lasten gewährt werden, weil der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen keine
Empfehlung über den Nutzen und die Wirksamkeit dieser Therapie abgegeben hätten.
Entgegen der Auffassung des SG sei der Erfolg der Therapie nicht in einer für die
sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund
wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt. Hierzu bezieht sich die
Beklagte auf ein von ihr vorgelegtes weiteres Gutachten der Dr. T, auf welches Bezug
genommen wird.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des SG Düsseldorf vom 24.09.2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat aus einem Parallelverfahren eine weitere Auskunft des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 21.02.2000 beigezogen und
zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, auf welches verwiesen wird.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist begründet.
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Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, die Behandlungskosten einer
Lasertherapie zur Entfernung der Gesichtsbehaarung der Klägerin zu übernehmen.
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Die Lasertherapie zur Haarepilation zählt nicht zu den vertragsärztlichen Leistungen, so
dass die Klägerin diese weder als Sachleistung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fünftes
Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) noch im Falle der
Selbstbeschaffung die Erstattung der hierfür aufgewendeten Kosten (§ 13 Abs. 3 SGB
V) von der Beklagten begehren kann. Die Feststellung, ob Qualität und Wirksamkeit
dieser Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechen und damit den in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geforderten
Versorgungsstandard genügen, obliegt allein dem Bundesausschuss der Ärzte und
Krankenkassen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urt. vom 19.02.2002 - B
1 KR 16/00 R -). Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen nach § 135
Abs. 1 Satz 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen
nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2
Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und
therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. Hierdurch wird der
Umfang der den in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten von den
Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. BSG
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SozR 3-2500 § 135 Nr. 14).
Die von der Klägerin begehrte Behandlung ist von der Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung ausgeschlossen, weil es sich um eine neue
Behandlungsmethode handelt (vgl. dazu BSG wie vor; SozR 3-2500 § 27a Nr. 2). Sie
beruht auf einem eigenständigen theoretischen Wirksamkeitskonzept - gezielte
Schädigung spezieller Pigmente (Melanine) durch selektive Photothermolyse - und wird
seit 1963, vermehrt seit ca. 1996 in der ärztlichen Behandlungspraxis eingesetzt, ohne
Eingang in den einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen
(EBM-Ä) gefunden zu haben.
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Das Fehlen einer Entscheidung des Bundesausschusses über den therapeutischen
Nutzen sowie die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der von der
Klägerin gewünschten Behandlungsmethode schließt ihren Leistungsanspruch gegen
die Beklagte aus. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz greift auch nicht deshalb ein,
weil die Untätigkeit des Bundesausschusses einen sog. Systemmangel begründet. Ein
solcher liegt dann vor, wenn der neuen Behandlungsmethode in der medizinischen
Fachdiskussion bereits ein solches Gewicht zukommt, dass eine Überprüfung und
Entscheidung durch den Bundesausschuss veranlasst gewesen wäre (vgl. BSG SozR
3-2500 § 135 Nr. 14; Urt. vom 19.02.2002 - B 1 KR 16/00 R -). Maßgeblich ist insoweit,
ob ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend gestützter Konsens in den
einschlägigen medizinischen Fachkreisen über die Qualität und Wirksamkeit der
Behandlungsmethode besteht. Daran fehlt es vorliegend.
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Bezüglich der Haarepilation mittels Rubin-Laser liegen 9 Studien aus den Jahren 1996
bis 2000 mit 13 bis 133 Probanden bezüglich der Behandlung mittels Alexandrit-Laser,
8 Studien aus dem Zeitraum 1997 bis 2000 mit 22 bis 126 Probanden, hinsichtlich der
Anwendung langgepulster Diodenlaser, 6 Studien mit 20 bis 50 Probanden und zum
Einsatz des YAG-Laser weitere 6 Studien aus den Jahren 1996 bis 2001 mit 12 bis 208
Probanden vor. Nach der Auswertung des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen leiden die meisten dieser Studien an methodischen Mängeln und
lassen daher keine hinreichenden Aufschlüsse zur Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit der
Behandlung zu. Andere Studien habe unbefriedigende Ergebnisse erbracht oder sind
von den Untersuchenden selbst dahin interpretiert worden, dass weitere Studien
erforderlich seien. Letzteres deckt sich auch mit den Feststellungen der vom SG
gehörten Sachverständigen. Bei dieser Sachlage lässt sich ein wissenschaftlich
abgesicherter Konsens zum Einsatz der Laserbehandlung zwecks Haarentfernung in
der Dermatologie aber nicht feststellen und ein solcher ist auch von der
Sachverständigen nicht beschrieben worden.
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Auf die Verbreitung dieser Methode in der dermatologischen Praxis ist entgegen der
Ansicht des Sozialgerichts schon deshalb nicht abzustellen, weil diesem Gesichtspunkt
nur ausnahmsweise dort Bedeutung zukommt, wo wegen der Art oder des Verlaufs der
Erkrankung oder wegen unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse der
Wirksamkeitsnachweis auf erhebliche Schwierigkeiten stößt (vgl. BSG SozR 3-2500 §
135 Nr. 4, 14). Dies ist wie die vorliegenden Studien zeigen, bei der Haarepilation
mittels Laser-Therapie aber gerade nicht der Fall. Im Übrigen ist deren hinreichende
Verbreitung als Wirksamkeitsnachweis auch nicht belegt, da auch das SG in Anlehnung
an die Sachverständige davon ausgegangen ist, dass diese Behandlung lediglich in
Universitäts- und Städtischen Kliniken sowie in großstädtischen Praxen Verbreitung
gefunden hat, nicht aber flächendeckend zur allgemeinen Praxis der Dermatologen
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zählt.
Die Klägerin kann ihren Anspruch schließlich auch nicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1
Grundgesetz (GG) herleiten. Diese Bestimmung begründet zwar eine Verpflichtung des
Staates, sich schützend und fördernd vor das Rechtsgut Leben bzw. körperliche
Unversehrtheit zu stellen, hieraus kann aber nicht der Anspruch auf Bereithaltung
spezieller Gesundheitsleistungen hergeleitet werden, so dass hier auch kein Anspruch
auf solche medizinische Leistungen besteht, deren Unbedenklichkeit, Qualität und
Wirksamkeit bisher nicht hinlänglich geprüft worden sind (vgl. BVerfG, NJW 1997, 3085;
BSGE 86, 54, 65 m.w.N.).
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Auf die Berufung der Beklagten musste das angefochtene Urteil daher geändert und die
Klage mit der auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beruhenden Kostenentscheidung
abgewiesen werden.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht
erfüllt.
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