Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.05.2008

LSG NRW: brille, vergleich, körperpflege, umwelt, hausrat, heizung, beihilfe, verfügung, darlehen, sachleistung

Landessozialgericht NRW, L 20 B 59/08 AS
Datum:
15.05.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 59/08 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 35 AS 425/07
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Dortmund vom 14.04.2008 wird zurückgewiesen.
Gründe:
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Zu Recht hat es das Sozialgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, dem
Kläger für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
von Rechtsanwalt F zu bewilligen, weil der Rechtsverfolgung des Klägers eine
hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. von § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114
Zivilprozessordnung (ZPO) fehlt.
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I.
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Mit seiner am 27.11.2007 erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen den Bescheid
der Beklagten vom 15.10.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2007.
Die Beklagte hat es darin abgelehnt, Kosten des Klägers für die Beschaffung einer
neuen Brille in Höhe von 30,00 EUR als Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) zu übernehmen. Derartige Kosten seien aus der mit den
Leistungen nach dem SGB II gewährten Regelleistung zu bezahlen. Einmalleistungen,
wie sie nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt werden konnten,
seien im Recht des SGB II nicht vorgesehen; vielmehr seien entsprechende
Ansparungen aus der Regelleistung zu bilden.
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Der Kläger, der darauf verweist, dass es sich bei den 30,00 EUR nicht, wie von der
Beklagten angenommen, um Kosten für ein Brillengestell, sondern um Kosten für die
Brillengläser handele, ist der Ansicht, Kosten für Brillengläser seien nicht aus der
Regelleistung nach dem SGB II zu bezahlen; es könne einem Leistungsbezieher nicht
zugemutet werden, mehrere 100,00 EUR anzusparen. Er habe eine sehr einfache Brille
erworben. In den Regelleistungen sei lediglich ein Anteil von 4 % für
Gesundheitsvorsorge enthalten. Die Kosten seiner Brille überstiegen diese 4 % bei
weitem. Er sehe sich insofern gegenüber einem Patienten schlechter gestellt, der keine
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Regelleistungen erhalte, dem aber aufgrund seines höheren Einkommens die Tragung
von Kosten für eine Brille viel leichter möglich sei.
Die Beklagte weist demgegenüber darauf hin, das SGB II sehe nur noch wenige
Sonder-bzw. Einmalbedarfe vor. Im Vergleich zu den Regelsätzen nach dem BSHG sei
die Regelleistung nach dem SGB II höher; aus dem Mehrbetrag sollten in
Eigenverantwortlichkeit Ansparungen vorgenommen werden, um Kosten wie etwa für
eine Brille zu bezahlen. Sofern der Kläger darauf verweise, er werde schlechter
behandelt als jemand, der keine Leistungen nach dem SGB II benötige, sondern aus
höherem Einkommen eine Brille selbst bezahlen könne, so sei darauf zu verweisen,
dass Leistungen nach dem SGB II lediglich das sozio-kulturelle Existenzminimum
sichern, Betroffene jedoch nicht mit Bevölkerungsgruppen gleichstellen sollten, deren
Einkommensverhältnisse günstiger seien. Abgesichert werde insofern nur ein
Mindeststandard.
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Das Sozialgericht hat vom Brillenlieferanten des Klägers die dem Kläger unter dem
09.04.2008 erstellte Rechnung angefordert. Danach kam es für den Kläger lediglich zu
einem Zuzahlungsbetrag von 17,50 EUR. Der Kläger verweist insoweit darauf, er habe,
um die Kosten für die Brillengläser klein zu halten, eine Zusatzversicherung bei der
Versicherungsgesellschaft Hanse Merkur abschließen müssen; ohne eine solche
Versicherung wären selbst einfache Brillengläser erheblich teurer.
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II.
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Die Klage hat keinerlei Aussicht auf Erfolg. Denn der vom Kläger geltend gemacht
Anspruch auf Zahlung seiner Kosten für die von ihm gekaufte Brille als Leistungen nach
dem SGB II besteht nicht. Vielmehr sind solche Kosten, wovon auch die Beklagte
ausgeht, aus der Regelleistung des § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu tragen.
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Nach dieser Vorschrift umfasst die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts
insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne
Heizung, Bedarfe des täglichen Lebens und in vertretbarem Umfang auch Beziehungen
zur Umwelt und eine Teilhabe am kulturellen Leben. Im Gegensatz zum früheren BSHG
sind daneben - von den in § 21 SGB II genannten, hier nicht einschlägigen Fällen
abgesehen - weitere Beihilfen bei einmaligen Bedarfen nicht vorgesehen. Vielmehr
werden nunmehr im Vergleich zu den Regelsätzen des BSHG erhöhte Regelleistungen
gewährt, aus denen für den Fall einmaliger Bedarfe entsprechende Ansparungen zu
bilden sind. (vgl. zu den Einzelheiten und der Verfassungsmäßigkeit dieses
gesetzgeberischen Vorgehens BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R). Damit
scheidet eine über die Regelleistung des § 20 SGB II hinausgehende
Leistungsgewährung als einmalige Beihilfe aus (SG Darmstadt, Urteil vom 26.01.2007 -
S 19 AS 238/06). Klarstellend kommt dies auch in § 3 Abs. 3 SGB II (gültig ab
01.08.2006) zum Ausdruck; danach decken die Leistungen nach dem SGB II den Bedarf
der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen (Satz 1, 2. Hälfte). Eine davon abweichende Festlegung der
Bedarfe ist ausgeschlossen (Satz 2).
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Zwar ist abweichend von §§ 20, 21 SGB II eine Leistungserbringung nach § 23 Abs. 1
Satz 1 SGB II als Sachleistung oder als Darlehen möglich, wenn im Einzelfall ein von
den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur
Sicherung des Lebensunterhalts weder durch anzurechnendes Vermögen noch auf
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andere Weise gedeckt werden kann. Der Kläger (der ohnehin ersichtlich keine
Darlehensgewährung, sondern die Gewährung eines nicht rückzahlbaren Zuschusses
begehrt) befindet sich jedoch nicht in einer Lage, in der er den Bedarf für seine Brille
nicht selbst decken kann. Er selbst führt aus, dass in der Regelleistung ein Betrag von 4
% für Gesundheitsausgaben enthalten sei. Bei Grundsicherungsleistungen des in
Bedarfsgemeinschaft lebenden Klägers von monatlich 311,00 EUR im Jahre 2007
bedeutete dies einen monatlichen Betrag von 12,40 EUR, so dass schon bei
Einsparung über drei Monate mehr als die vom Kläger begehrten 30,00 EUR zur
Verfügung gestanden hätten. Der Senat kann deshalb auch offen lassen, ob die
tatsächlichen Kosten des Klägers für die von ihm angeschaffte Brille nicht nur (wie es
die Rechnung seines Lieferanten ausweist) bei 17,50 EUR gelegen haben, oder ob
30,00 EUR wegen eines hinzukommenden Mehrbetrages für den notwendigen
Abschluss einer Brillenglasversicherung angefallen sind, weil (was allerdings
einstweilen unwahrscheinlich erscheint) sonst die Brillengläser erheblich teurer
gewesen wären. Offen bleiben kann auch, ob Kosten für eine Brille tatsächlich als
Gesundheitskosten anzusehen sind, oder ob die notwendigen Ansparungen nicht aus
einem anderen Bezugsrahmen, etwa dem der Kosten für Körperpflege, zumutbar wären
(Aufwendungen für eine Brille sind als Körperpflegekosten angesehen worden von SG
Darmstadt, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.08.2006 - L 19 B 316/06
AS ER). Im Übrigen sind die Regelleistungen nach dem SGB XII erheblich höher als die
Regelsätze nach dem BSHG (für einen Alleinstehenden anfänglich 345,00 EUR
gegenüber 296,00 EUR); auch dies zeigt, dass der Gesetzgeber ein nicht unerhebliches
Ansparpotential für einmalige Anschaffungen schaffen wollte.
III.
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Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs.
4 ZPO).
13
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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