Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.06.2003

LSG NRW: witwenrente, rücknahme, rückwirkung, unfallversicherung, hinterbliebenenrente, sozialleistung, wiederherstellung, verfügung, rechtssicherheit, abgrenzung

Landessozialgericht NRW, L 2 KN 119/99
Datum:
12.06.2003
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 2 KN 119/99
Vorinstanz:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 7 KN 13/98
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 8 KN 18/03 B
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Gelsenkirchen vom 21.05.1999 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat
der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu ¼ zu
erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob für den Zeitraum ab August 1996 die von der Klägerin bezogene
Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die von der Beklagten
gewährte große Witwenrente anzurechnen ist.
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Die 19 ... geborene Klägerin ist die Witwe des 19 ... geborenen und am ...19 ...
verstorbenen, bei der Beklagten versicherten ... R ... (im Folgenden: Versicherter). Der
Versicherte war bis zum ...19 ... im Deutschen Steinkohlenbergbau beschäftigt. Ab dem
...19 ... gewährte ihm die Beklagte vorgezogenes Knappschaftsruhegeld (Bescheid vom
23.09.1983), das zum 01.01.1992 umgewertet und als Regelaltersrente geleistet wurde.
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Nach dem Tode des Versicherten bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem
01.11.1993 eine große Witwenrente (Bescheid vom 30.12.1993). Im Oktober 1994
erkannte die Bergbau-Berufsgenossenschaft beim Versicherten posthum eine
Berufskrankheit Nr. 4103 an (Versicherungsfall 12.05.1989) und bewilligte rückwirkend
ab dem 03.10.1993 Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
(Bescheid vom 20.02.1995). Daraufhin rechnete die Beklagte mit Bescheid vom
10.03.1995 diese ab November 1993 auf die große Witwenrente an, wodurch sich der
monatliche Zahlbetrag erheblich verringerte. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
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Im August 1995 wies die Klägerin unter Bezugnahme auf das Urteil des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Juni 1995, Aktenzeichen (Az) 5 RJ 4/95, darauf
hin, dass die im Bescheid vom 10.03.1995 praktizierte Anrechnung rechtswidrig sei. Da
der Zeitpunkt des Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem
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Beginn des Knappschaftsruhegelds des Versicherten liege, schließe § 93 Abs 5 Nr 1
Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) eine Anrechung aus. Sie bitte daher, den
Bescheid vom 10.03.1995 zu berichtigen und die zu Unrecht vorenthaltenen
Rentenanteile zu erstatten (Schreiben von 09.08.1995).
Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides vom 10.03.1995 ab (auf § 44
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestützter Bescheid vom 16.10.1996;
Widerspruchsbescheid vom 07.09.1998).
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, nach der Rechtsprechung des BSG sei §
93 Abs. 5 Nr. 1 SGB VI in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Reform der
gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vom
18.12.1989 (BGBl I S 2261ff) auch auf Hinterbliebenenrenten im Bereich der
knappschaftlichen Rentenversicherung anwendbar. Die spätere Änderung der Vorschrift
durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) im Jahre 1996
ändere nichts daran, dass der Bescheid vom 10.03.1995 im Zeitpunkt seines Erlasses
rechtswidrig gewesen sei.
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Das Sozialgericht (SG) hat das Verfahren für den Zeitraum vom 01.05.1995 bis zum
31.07.1996 ausgesetzt und durch Teilurteil den Bescheid vom 10.03.1995 insoweit
aufgehoben, als für die Zeit vor dem 01.05.1995 der Bescheid vom 30.12.1993
zurückgenommen worden ist, im Übrigen die Klage abgewiesen und die
Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten (Urteil vom 21.05.1999).
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Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligte Berufung eingelegt. Die Klägerin hat zur
Begründung weiter gemeint, dass der Bescheid vom 10.03.1995 erst nachträglich durch
das WFG rechtmäßig geworden sei, mithin ursprünglich rechtswidrig war.
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Während des Verfahrens ist ein weiterer Bescheid ergangen, der die neue Berechnung
der großen Witwenrente für die Zeit ab November 2000 unter Beibehaltung der
Anrechung der Unfallrente regelt (Bescheid vom 25.09.2000). Unter Berücksichtigung
der im Verlauf des Rechtsstreits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung hat
die Beklagte ihre Berufung zurückgenommen und außerdem die Bescheide vom
10.03.1995, 16.10.1996 und 07.09.1998 aufgehoben, soweit damit der Bescheid vom
30.12.1993 für die Zeit vom 01.05.1995 bis zum 31.07.1996 zurückgenommen worden
ist.In Verfolg dieser Erklärungen hat sie einen weiteren Bescheid "Betr.
Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung des Werner Reuber" erlassen und
darin u.a. verfügt: Der Bescheid vom 10.03.1995 ist gem. § 44 SGB X zurückzunehmen.
Die in der Vorschrift genannten Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides
sind erfüllt. Die Rücknahme erfolgt ab 01.11.1993. Aus dem anschließenden
Begründungsteil ergibt sich, dass die Rente für die Zeit bis einschließlich Juli 1996
ohne Berücksichtigung der Anrechung der Unfallrente gewährt wird, während es ab
August 1996 bei der Anrechnung verbleibt (Bescheid vom 20.02.2003).
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.05.1999 zu ändern und den
Bescheid der Beklagten vom 16.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 07.09.1998 sowie die Bescheide vom 10.03.1995, 25.09.2000 und 20.02.2003
aufzuheben, soweit dadurch der Bescheid vom 30.12.1993 für die Zeit ab dem
01.08.1996 aufgehoben wird, und die Beklagte zur Erstattung der zur Unrecht
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einbehaltenen Leistungen nebst Zinsen zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält für die Zeit ab dem 01.08.1996 ihren Standpunkt unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des BSG weiter aufrecht.
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Wegen der Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt
der Senat Bezug auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der
Beklagten. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Klägerin ist ebenso wie die zweitinstanzliche Klage gegen die
Bescheide vom 25.09.2000 und 20.03.2003 unbegründet. Da die Beklagte ihre
Berufung zurückgenommen und den streitigen Korrekturanspruch nach § 44 SGB X für
den Zeitraum bis einschließlich Juli 1996 mit der Neuregelung im Bescheid vom
20.02.2003 anerkannt hat, streiten die Beteiligten nur noch darüber, ob ein
Korrekturanspruch auf Rücknahme der im Bescheid vom 10.03.1995 zur Anrechung der
Unfallrente getroffenen Regelung auch für die Zeit ab August 1996 besteht und die
Beklagte infolge dessen Witwenrente teilweise nachzahlen muss.
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Das ist nicht der Fall. Die Klägerin ist durch die Ablehnung der Korrektur des
Bescheides vom 10.03.1995 für den Zeitraum ab August 1996 nicht beschwert, § 54
Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG ). Ein Anspruch auf Abänderung des
Bescheides vom 16.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
07.09.1998 (§ 95 SGG), Zurücknahme des Bescheides vom 10.03.1995 und Zahlung
der ungekürzten großen Witwenrente auch ab August 1996 besteht nicht, § 44 Abs. 1
SGB X. Die mit Bescheid vom 10.03.1995 geregelte und durch die Bescheide vom
25.09.2000 und 20.02.2003 bestätigte Anrechnung ist für den hier noch streitigen
Zeitraum rechtmäßig (geworden).
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Gegenstand des Verfahrens ist zunächst der Bescheid vom 16.10.1996 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 07.09.1998. Darin hat die Beklagte den von der
Klägerin behaupteten Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 10.03.1995 und
damit die Wiederherstellung der mit Bescheid vom 30.12.1993 gestellten Rechtslage
abgelehnt. Gegenstand des Verfahrens sind außerdem die
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Bescheide vom 25.09.2000 und 20.02.2003, soweit die Beklagte hierin ausdrücklich an
der mit Bescheid vom 10.03.1995 verfügten Anrechnung für den Zeitraum ab August
1996 festhält, §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG. Dies gilt aus Gründen der Rechtsklarheit
ungeachtet der Grundsätze für die Abgrenzung von Zweitbescheid und wiederholender
Verfügung (vgl zur Abgrenzung zwischen Zweitbescheid und wiederholender
Verfügung: Kasseler Kommentar (Steinwedel), § 44 SGB X, Rdnr 13ff mwN; Meyer-
Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage 2002, Nach § 54 Rdnr 9 mwN).
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Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind für den
Witwenrentenanspruch ab August 1996 nicht erfüllt. Auch wenn man unterstellt, dass
die Anrechung (Bescheid vom 10.03.1995) bei Erlass des Bescheides rechtswidrig war,
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sind insoweit nicht deshalb ab August 1996 Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht
worden. Ab August 1996 durfte die Beklagte dem Anspruch der Klägerin aus § 46 Abs. 2
SGB VI teilweise die rechtsvernichtende Einwendung aus § 93 Abs. 5 SGB VI
entgegenhalten, weil die Ausnahmevorschrift des § 93 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB VI
jedenfalls ab diesem Zeitpunkt keine Anwendung auf Hinterbliebenenrenten findet, § 93
Abs. 5 Satz 3 SGB VI in der Fassung des Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Umsetzung des
Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der
Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und
Beschäftigungsförderungsgesetz - WFG) vom 25.09.1996 (BGBl I 1461ff, verkündet am
27.09.1996, im Folgenden: nF). Da es schon nach § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI nF beim
Grundsatz der Anrechung bleibt, kann offen bleiben, ob sich das gleiche Ergebnis auch
aus § 93 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nF ergibt.
Für die Prüfung der Rechtswidrigkeit eines bestandskräftigen Bescheides im
Korrekturverfahren nach § 44 SGB X ist grundsätzlich - worauf die Klägerin zu Recht
hinweist - auf die Rechtslage abzustellen, die im Zeitpunkt des Erlasses des
Bescheides galt, dessen Korrektur beansprucht wird (BSG SozR 3-2600 § 300 Nrn. 10;
15). Selbst wenn man hier unterstellte, dass § 93 Abs. 5 Nr. 1 SGB VI aF, der damals
noch galt, entgegen der von der Beklagten noch in den angefochtenen
Ausgangsbescheiden vertretenen, aber zwischenzeitlich offenbar aufgegebenen
Auffassung auch für Hinterbliebenenrenten galt und deshalb (oder aus sonstigen
Gründen) die mit Bescheid vom 10.03.1995 vorgenommene Anrechung rechtswidrig
war, besteht ein Korrekturanspruch der Klägerin für den Zeitraum ab August 1996 nicht
mehr. Denn in einem Verfahren nach § 44 SGB X können einem Beteiligen nicht
weitergehende Rechte zugesprochen werden, als ihm nach der materiellen Rechtslage
zustehen (vgl BSG SozR 1300 § 44 SGB X Nr 38 mwN).
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§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X knüpft schon nach seinem Wortlaut " ... und soweit deshalb ...
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind" die Pflicht zur Korrektur einer
früheren Entscheidung an die Voraussetzung, dass der Verwaltungsakt, der zur
Überprüfung gestellt und dessen Rücknahme begehrt wird, ganz oder teilweise
rechtswidrig sein und dem Betroffenen hierdurch ein rechtlicher Nachteil in Form des
unrechtmäßigen Vorenthaltens einer Sozialleistung entstanden sein muss. Erforderlich
ist außerdem, wie sich aus der Formulierung "und soweit deshalb" ergibt, dass ein
Kausalzusammenhang zwischen der Rechtswidrigkeit und dem Nichterbringen der
Sozialleistung besteht. Dies aber läßt sich nur anhand der materiellen Rechtslage
beurteilen. Daher kommt es darauf an, dass die vorenthaltenen Sozialleis- tungen
materiell zu Unrecht nicht erbracht worden sind (grundlegend: BSG aaO). Dass § 44
SGB X so zu verstehen ist, ergibt sich auch aus Sinn und Zweck der Regelung. Sie soll
dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns Geltung verschaffen,
indem Fehler korrigiert werden und materielle Gerechtigkeit hergestellt wird. Die
Aufhebung eines früheren Bescheids soll danach nur in Betracht kommen, wenn und
soweit die Behörde zu Lasten des Betroffenen falsch gehandelt hat. Im Übrigen soll er
bestehen bleiben. Nicht Sinn und Zweck des Korrekturverfahren ist es daher, dem
Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zusteht (BSG aaO).
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In Beachtung dieser Grundsätze durfte die Beklagte entsprechend der materiellen
Rechtslage, die sich im Verlaufe des Verfahrens geändert hat, jedenfalls ab August
1996 die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die große
Witwenrente anrechnen.
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§ 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI nF war jedenfalls ab diesem Zeitpunkt als geltendes Recht
zu berücksichtigen. Das hat das BSG wiederholt entschieden (BSG SozR3-2600 § 93
Nrn. 3 und 11; siehe auch Urteil vom 26.02.2003, Az: B 8 KN 11/02 R). Danach war der
Gesetzgeber - auch von Verfassungs wegen - befugt, ab dem auf den endgültigen
Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages zum WFG am 09.07.1996 folgenden
Monat, also ab dem 01.08.1996, in nach altem Recht bestehende Leistungsansprüche
von Hinterbliebenen dadurch einzugreifen, dass er diese von den zuvor bestehenden
Ausnahmeregelungen ausschloss. Das gesetzgeberische Ziel, sozialpolitisch nicht
erwünschte Doppelversorgungen zu vermeiden, rechtfertigt die getroffene Regelung
auch unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG)). Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht einschlägig, da Ansprüche von
Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung auf Versorgung ihrer
Hinterbliebenen nicht dem Eigentumsschutz unterfallen (BVerfGE 97, 271, 283ff =
SozR3-2940 § 58 Nr.1).
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Ohne Bedeutung ist, dass das WFG erst am 27.09.1996 verkündet wurde und in weiten
Teilen erst mit oder nach diesem Zeitpunkt in Kraft getreten ist, Art. 12 Abs. 1, 3, 4, 5
WFG. Denn Art. 12 Abs. 8 WFG hat der hier maßgeblichen Änderung des § 93 Abs. 5
SGB VI gerade Rückwirkung beigemessen (Fall des rückwirkenden Inkrafttretens). Der
Gesetzgeber war berechtigt, diese Rückwirkung jedenfalls auf den Zeitraum zwischen
Gesetzesbeschluss und Gesetzesverkündung zu erstrecken. Da das WFG hier während
des zugrunde liegenden Verwaltungsverfahrens nach § 44 SGB X verkündet worden ist,
erfasst es auch dieses noch laufende Verfahren (was sich wegen der angeordneten
Rückwirkung von selbst versteht) und ist der abschließenden Entscheidung in diesem
Verfahren als geltendes Recht zugrunde zu legen (vgl. BSG SozR3-2600 § 93 Nr. 3).
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Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen die rückwirkende Änderung
des § 93 Abs. 5 SGB VI greifen nicht durch. Schranken für die Rückwirkung von
Gesetzen resultieren aus dem in Art. 20 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzip, zu
dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit zählt. Das Gebot der
Rechtssicherheit soll verhindern, dass der rechtsunterworfene Bürger durch die
rückwirkende Beseitigung erworbener Rechte über die Verlässlichkeit der
Rechtsordnung getäuscht wird (vgl. BVerfGE 45, 142, 167 mwN) und bedeutet in erster
Linie Vertrauensschutz (BVerfGE 72, 175, 196; 88, 384, 403; Beschluss vom
20.02.2002, 1 BvL 19/97 Abs. 36). Der Senat schließt sich der Auffassung des BSG
(SozR3-2600 § 93 Nr. 3 und 11) an, dass jedenfalls ab dem Monat nach dem
endgültigen Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestags ein solchermaßen
schutzwürdiges Vertrauen nicht mehr besteht. Ab diesem Zeitpunkt mussten die
Betroffenen mit der beschlossenen Gesetzesänderung zu ihrem Nachteil rechnen und
konnten ihr Verhalten danach ausrichten. Daran ändert nichts, dass die endgültige
Gesetzesfassung angesichts der vorgesehenen Mitwirkung des Deutschen Bundesrats
zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststand.
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Auf einen besonderen "verfahrensrechtlichen Vertrauensschutz", wie er z.B. in §§ 45
Abs. 2-4, 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ausgeformt ist, kann sich die Klägerin ebenfalls nicht
berufen. Denn der Eingriff in ihre Rechte ist bereits mit dem bestandskräftigen, die
Rechtslage entsprechend gestaltenden Verwaltungsakt vom 10.03.1995 erfolgt. Seither
konnte die Klägerin gerade nicht davon ausgehen, dass ihr die ungekürzte große
Witwenrente zustand. Sie konnte angesichts der mit dem Urteil des 5. Senats vom
21.06.1995 (BSG SozR3-2600 § 93 Nr. 1) einsetzenden höchstrichterlichen
Rechtsprechung zu § 93 SGB VI allenfalls hoffen, dass sich auch für ihren Fall daraus
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eine Änderung ergibt. Gleichzeitig musste sie aber auch damit rechnen, dass der
Gesetzgeber - wie geschehen - die Rechtslage anders gestalten konnte. Gegenstand
der hier zu entscheidenden kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist aber
gerade, ob ein Anspruch auf Rücknahme dieses nicht begünstigenden Verwaltungsakts
und Wiederherstellung des status quo ante (Bescheid vom 30.12.1993) besteht. Ob in
Fällen des § 48 Abs 1 SGB X Abweichendes gilt, ist hier nicht zu entscheiden.
Aus der Zurückweisung der Berufung folgt unmittelbar, dass auch die Klagen gegen die
Bescheide vom 25.09.2000 und 20.03.2003 unbegründet sind, soweit sie einen
inhaltsgleichen Anspruch (Korrektur der durch Bescheid vom 10.03.1995 erfolgten
Anrechung ab dem 01.08.1996) verneinen. Eines gesonderten Ausspruchs bedurfte es
wegen des identischen Regelungsgegenstandes insoweit nicht. Vielmehr geht mit der
Bestätigung der Bescheide vom 16.10.1995 und 07.09.1998 zwangsläufig auch eine
solche der späteren Bescheide, die die Korrektur aus den gleichen Gründen ablehnen,
einher.
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Obwohl sich die Berufung der Klägerin gegen ein Teilurteil des SG richtet, ist das
Verfahren durch das Urteil des erkennenden Senats insgesamt abgeschlossen. Die
Klägerin hat nämlich ihre Klage für den - vom SG ausgeklammerten und deshalb
insoweit bei diesem noch anhängig gebliebenen - Zeitraum vom 01.05.1995 bis zum
31.07.1996 für erledigt erklärt, nach dem die Beklagte den streitigen Korrekturanspruch
insoweit anerkannt hatte. Da der Senat nicht befugt ist, in seiner abschließenden
Entscheidung auch über die Kosten des Verfahrens zu diesem - nicht in die zweite
Instanz gelangten - Teil des Streitgegenstands mitzuentscheiden, haben die Beteiligten
im Termin zur mündlichen Verhandlung insoweit eine abschließende Regelung durch
angenommenes Anerkenntnis herbeigeführt.
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Die Kostenentscheidung - insoweit für beide Instanzen - beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1
SGG.
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Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.
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