Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.07.2004

LSG NRW: mahnung, vertrauensverhältnis, unzumutbarkeit, zeitung, befreiung, hauptsache, rechtskraft, drucksache, auskunft, zahlungsaufforderung

Landessozialgericht NRW, L 11 B 6/04 KA ER
Datum:
06.07.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 11 B 6/04 KA ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 19 KA 4/04 ER
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 27.01.2004 wird zurückgewiesen. Der
Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert
wird auf 38.700,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf
Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.
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Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige
Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis ergehen (Anordnungsanspruch), wenn sie zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Hierzu muss der
Antragsteller einen Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft machen (§ 86 b Abs. 2
Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
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Ein Anordnungsanspruch gegenüber den Antragsgegnern besteht nicht. Denn der
Antragsteller begehrt von den Antragsgegnern, ihn von der Pflicht zu entbinden,
quartalsmäßige Zuzahlungen von Patienten (sogenannte Praxisgebühr) anzufordern,
entgegenzunehmen und anzumahnen. Damit begehrt der Antragsteller von den
Antragsgegnern rechtlich Unmögliches. Die Antragsgegner können ihn nicht von diesen
Pflichten entbinden, da die entsprechende Verpflichtung des Antragstellers auf
Bestimmungen im Gesetz sowie im Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) beruht. Dabei
bedarf es keiner weiteren Begründung dafür, dass die Antragsgegner als
Bundesverbände der gesetzlichen Krankenkassen nicht in der Lage sind, den
Antragsteller von seiner grundsätzlichen Verpflichtung als Leistungserbringer von der
gesetzlich in §§ 28 Abs. 4, 43 b Abs. 2 Satz 1 SGB V angeordneten Einbehaltung von
Zuzahlungen zu entbinden. Soweit die streitigen weiteren Verpflichtungen des
Antragstellers (z.B. Mahnung) auf Regelungen im BMV-Ä beruhen, ist es den
Antragsgegnern ebenfalls nicht möglich, den Antragsteller einseitig davon zu entbinden.
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Zwar wirken die Antragsgegner an der Vereinbarung dieser untergesetzlichen Normen
im BMV-Ä mit, jedoch ist es ihnen (alleine) nicht möglich, die daraus resultierende
Verpflichtung des Antragstellers aufzuheben. Denn die Vereinbarung der streitigen
Bestimmungen im BMV-Ä erfolgt nicht durch die Antragsgegner alleine, sondern gemäß
§ 82 Abs. 1 SGB V durch die Spitzenverbände aller Krankenkassen mit der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Daraus folgt zwangsläufig, dass auch eine
Änderung nur gemeinsam mit diesen weiteren Partnern des BMV-Ä möglich ist, gegen
die der Antrag sich aber nicht wendet.
Ein Anordnungsanspruch besteht weiterhin auch deshalb nicht, weil der Antragsteller in
keinerlei Rechtsbeziehung zu den Antragsgegnern steht. Hinsichtlich der Einbehaltung
von Zuzahlungen, die in Einzelheiten in Bestimmungen des BMV-Ä geregelt ist, besteht
ein Rechtsverhältnis des Antragstellers allenfalls zu der örtlich zuständigen
Kassenärztlichen Vereinigung bzw. den örtlichen Krankenkassen. Insoweit ist das
Verfahren dem Senat jedoch nicht mehr zur Entscheidung angefallen. Der Antragsteller
begeht vielmehr die abstrakte Kontrolle einer untergesetzlichen Norm, die das SGG
nicht vorsieht. Die Überprüfung der entsprechenden Bestimmungen des BMV-Ä stellt
sich im Verhältnis zu den Antragsgegnern auch nicht aus einem konkreten Anlass
(BSG, SozR 3-5540 § 25 Nr. 2).
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Ein Anordnungsgrund besteht ebenfalls nicht. Soweit der Antragsteller vorträgt, die
Einhaltung der ihm obliegenden Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Einführung
der sogenannten Praxisgebühr sei ihm nicht zuzumuten, weil dadurch das
Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinen Patienten zerstört würde, ist eine
Glaubhaftmachung nicht erfolgt. Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, dass die
Entgegennahme von Geld als Honorar für ärztliche Dienstleistungen (zu dieser
Beurteilung des Bundesfinanzministeriums siehe Ärzte Zeitung Nr. 106 vom
09.06.2004) das grundlegende Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient
bedrohen oder zerstören könnte. Diese subjektive Besorgnis des Antragstellers
erscheint angesichts der jahrzehnte langen bundesdeutschen Praxis der
Privatliquidation durch Ärzte in allen Bereichen der privatärztlichen Behandlung auch
durch Krankenhausärzte, Vertragsärzte im Rahmen der Kostenerstattung oder IGeL-
Leistungen usw. eher fernliegend und ist auch von ihm nicht näher belegt oder glaubhaft
gemacht worden.
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Soweit der Antragsteller die hohe Kostenbelastung für das Inkasso und die damit
verbundenen Sicherheitsvorkehrungen als Grund für die Unzumutbarkeit der
Beitreibung der Praxisgebühr vorträgt, ist dies ebenfalls nicht glaubhaft gemacht
worden. Zum einen geht der Senat davon aus, dass der Antragsteller auch schon bisher
Zahlungen von Patienten (z. B. für IGeL-Leistungen) entgegengenommen hat und
insoweit über eine entsprechende Praxisstruktur verfügt. Im Übrigen ist für den Senat
nicht erkennbar, inwieweit dem Antragsteller die Einhaltung der streitigen
Verpflichtungen aus diesen Gründen auch nur vorübergehend finanziell nicht
zuzumuten sein sollte. Der Antragsteller hat auf die ausdrückliche Anfrage und
Erinnerung des Senates zur Vorlage von Aufstellungen über die Umsätze, die
Fallzahlen, die Anzahl der Privatpatienten, die Mitwirkung von Vertretern, Assistenten
etc. sowie die durch die Praxisausstattung bedingten Praxiskosten lediglich mitgeteilt,
dass die Praxiseinnahmen im Jahr 2003 ca. 219.000,00 Euro betrugen, und denen
Praxiskosten in Höhe von 153.000,00 Euro gegenübergestanden haben. Daraus ist für
den Senat nicht zu entnehmen, dass es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, bis zur
Entscheidung in der Hauptsache bestimmte nicht näher spezifizierte finanzielle
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Aufwendungen für die Einbehaltung der streitigen Zuzahlungen zu treffen. Auf Grund
der mangelnden Mitwirkung des Antragstellers (fehlende Mitteilung seiner Fallzahlen)
ist es dem Senat insbesondere verwehrt, Feststellungen dahingehend zu treffen, in wie
vielen Fällen der Antragsteller pro Quartal bzw. im Kalenderjahr die Praxisgebühr
einzuziehen hat. Im Übrigen ist mit dem Einbehalt der Zuzahlung auch ein
wirtschaftlicher Vorteil für den Antragsteller verbunden. Er erhält bereits zu Beginn des
Behandlungsfalles größtenteils zu Beginn des Quartals einen Honoraranteil, über den
er - anders als über das ihm von der Kassenärztlichen Vereinigung gezahlte Honorar -
sofort und endgültig verfügen kann.
Hinsichtlich der Befreiung von der Pflicht zur Mahnung teilt der Senat nicht die
Besorgnis einer Unzumutbarkeit nicht, weil bundesweit lediglich in 0,2 % (BT-
Drucksache 15/2953 - Auskunft der Parlamentarischen Staatssekretärin im
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Caspers-Merk) oder
möglicherweise 0,4 % der Behandlungsfälle (Mitteilung der KBV, siehe Ärzte Zeitung
Nr. 119 vom 29.06.2004 - Seite 1) eine Zahlungsaufforderung oder Mahnung
erforderlich gewesen ist. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, dass die Situation in
seiner Praxis grundlegend anders sei.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154
Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
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Die Festsetzung des Streitwertes erfolgte gem. § 13 Abs. 1 Gerichtskostengesetz.
Hinsichtlich der Höhe hat sich der Senat den zutreffenden Ausführungen des
Sozialgerichts angeschlossen.
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Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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