Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20.03.2001

LSG NRW: gerichtshof der europäischen gemeinschaften, versorgung, arzneimittel, behandlung, krankenversicherung, firma, programm, zustand, anerkennung, kommission

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 216/00
Datum:
20.03.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 216/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 17 KR 145/00
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Gelsenkirchen vom 02.11.2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht
zu erstatten.
Tatbestand:
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Umstritten ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger mit Vitaminpräparaten aus dem
Dr. R. Zellular-Programm zu versorgen.
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Der am ...1921 geborene Kläger, der bei der Beklagten krankenversichert ist, beantragte
am 31.01.2000 die Erstattung von 834,80 DM, die er für die Beschaffung der Präparate
Vitacor Plus, Metavicor, Arteriforte und Enercor der Firma M., Niederlande, aufgewandt
hatte. Seinem Antrag fügte er eine Bescheinigung des Dr. L ..., B., vom 16.01.2000 bei,
wonach dem Kläger wegen der Diagnosen "Rezidiv-Dreigefäßerkrankung bei Zustand
nach Aortenklappenersatz 1983, Zustand nach 2-fach AVB 1983, Zustand nach 3-fach
ACVB 4/97, ausgeprägtem postthrombotischem Syndrom, Zustand nach
Leistenhernienoperation 7/98 und chronischer Periarthritis humeroscapularis links" die
genannten Präparate der Firma M. verordnet wurden.
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Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung durch den Bescheid vom 10.04.2000 ab. Den
dagegen vom Kläger am 17.04.2000 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch
den Widerspruchsbescheid vom 31.05.2000 zurück: Bei den Präparaten des Dr. R.
handele es sich um eine sog. Zellularmedizinformulas. Dies seien komplex
zusammengesetzte Nahrungsergänzungsmittel, in denen Vitaminspurenelemente,
Aminosäuren sowie weitere Bestandteile enthalten seien. Diese Präparate seien nicht
als Arzneimittel zugelassen. Der Leistungsanspruch der Versicherten sei aber
ausdrücklich auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln begrenzt (§ 31
Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, SGB V). Zudem sei die Verordnung der Zellular
medizinformulas durch die Arzneimittelrichtlinien (AMRL) ausgeschlossen.
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Dagegen hat der Kläger am 30.06.2000 Klage vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen
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erhoben. Während des laufenden Streitverfahrens hat die Beklagte durch Bescheid vom
11.07.2000 die Erstattung weiterer dem Kläger durch die Beschaffung der
Vitaminformulas Vitacor Plus, Arteriforte, Relacor, Enercor und Metavicor entstandener
Kosten unter Hinweis auf die Arzneimittelrichtlinien abgelehnt. Nach dem Hinweis des
Sozialgerichts, dass eine Erstattung der von ihm für die Beschaffung der
Vitaminpräparate aufgewandten Kosten jedenfalls an § 13 Abs. 3 SGB V scheitere, hat
der Kläger sein Klage begehren auf die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur
Erstattung ihm künftig entstehender Kosten beschränkt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die bei ihm vorliegenden Leiden nur
mittels der Vitaminpräparate des Dr. R. erfolgreich behandelt werden könnten. Die
Beklagte habe deshalb die ihm durch die Beschaffung dieser Präparate entstehenden
Kosten zu erstatten.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm die weiteren durch die Einnahme der
Produkte aus dem Dr. R.-Zellular-Programm Vitacor Plus, Metavicor, Arteriforte und
Enercor entstehenden Kosten zu ersetzen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass der Kläger auch die Erstattung ihm
künftig entstehender Kosten nicht verlangen könne.
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Durch Urteil vom 02.11.2000 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen die Klage
abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die
Entscheidungsgründe Bezug genommen.
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Gegen das ihm am 09.11.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.11.2000 Berufung
eingelegt.Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.03.2001 hat der Kläger die
Klage gegen den Bescheid vom 11.07.2000 zurückgenommen und sein Begehren auf
die Verpflichtung der Beklagten zur künftigen Versorgung mit den Vitaminpräparaten
aus dem Dr. R.-Zellular-Programm beschränkt.
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Zur Begründung hat er vorgetragen: Es bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit den
Vitaminpräparaten des Dr. R ... Bei diesen handele es sich nicht um Arzneimittel i.S.d.
Arzneimittelgesetzes. Nach bundesdeutschem Recht würden die Vitaminpräparate des
Dr. R. zu Unrecht als Arzneimittel eingestuft. Dies ergebe sich aus der Klage der
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen die Bundesrepublik
Deutschland, eingereicht am 08.10.1999 (Rechtssache C 387/99), die vor dem
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängig sei. Die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zu den sog. neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
stehe seinem Anspruch nicht entgegen. Es liege ein sog. Systemfehler vor, weil sich der
zuständige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bislang nicht mit der von
Dr. R. propagierten Behandlungsmethode befasst habe. Hierzu sei der
Bundesausschuss aber verpflichtet gewesen, weil sich der Einsatz von Vitaminen bei
der Bekämpfung einer Vielzahl von Krankheiten, insbesondere auch von
Herzkrankheiten, in der Praxis bewährt habe, wie die zahlreichen von ihm vorgelegten
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Veröffentlichungen in der medizinischen Wissenschaft und der Tagespresse zeigten.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.11.2000 zu ändern und die
Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 10.04.2000 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2000 zu verurteilen, ihm die Produkte
aus dem Dr. R.-Zellular-Programm Vitacor Plus, Metavicor, Arteriforte und Enercor zu
gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält an ihrer Ansicht fest, dass ein Anspruch des Klägers auf Versorgung mit den
Vitaminpräparaten des Dr. R. nicht bestehe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den
übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage
zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf
Versorgung mit den Produkten aus dem Dr. R.-Zellular-Programm Vitacor Plus,
Metavicor, Arteriforte und Enercor nicht zu.
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Nachdem der Kläger einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für von ihm in der
Vergangenheit selbst beschaffte Vitaminpräparate der Firma M. nicht mehr geltend
gemacht hat, ist Streitgegenstand allein die Frage, ob er von der Beklagten die
Versorgung mit den Präparaten Vitacor Plus, Metavicor, Arteriforte und Enercor
verlangen kann. Richtige Klageart ist entgegen der Ansicht des Sozialgerichts nicht die
Feststellungsklage, sondern vielmehr die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage
gemäß § 54 Absatz 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Klagebegehren ist auf die
Abänderung des Bescheides vom 10.04.2000 und des Widerspruchsbescheides vom
31.05.2000 und Verurteilung der Beklagten zur Leistung der von ihm begehrten
Präparate aus dem Dr. R. Zellularprogramm gerichtet. Dabei sind die Bescheide so
auszulegen, dass die Beklagte nicht allein die Erstattung von Kosten für die vom Kläger
selbst beschafften Vitaminpräparate abgelehnt, sondern vielmehr zugleich auch eine
künftige Versorgung des Klägers mit den streitgegenständlichen Präparaten der Firma
R. verweigert hat. Die Beklagte hat nämlich zur Begründung ihrer ablehnenden Haltung
darauf abgehoben, dass eine Pflicht zur Versorgung Versicherter der gesetzlichen
Krankenversicherung mit den Produkten aus dem Dr. R. Zellularprogramm in keinem
Falle bestehe.
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Ein Anspruch auf Versorgung mit den Vitaminpräparaten Vitacor Plus, Metavicor,
Arteriforte und Enercor der Firma M. R. B.V. steht dem Kläger gegen die Beklagte unter
keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
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Ein derartiger Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus den §§ 27, 31 SGB V. Der
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Anspruch auf Krankenbehandlung gemäß § 27 Absatz 1 Satz 1 SGB V umfasst nach
Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Dieser wird durch §
31 Abs. 1 Satz 1 SGB V spezifiziert: Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit
apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34
ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und
Blutteststreifen. Dabei besteht die Leistungspflicht der Krankenkasse jedoch nicht für
jede Art der Versorgung. Einschränkungen ergeben sich aus §§ 12 Absatz 1, 2 Absatz 1
SGB V. Leistungen, die nicht zweckmäßig oder unwirtschaftlich im Sinne dieser
Vorschriften sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die
Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (vergl. BSG
Urteil vom 08.03.1995, Az 1 RK 8/84, SozR 3-2500 § 31 Nr.3).
Der Kläger hat keinen Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte, weil die streitigen
Präparate als Arzneimittel anzusehen und als solche nicht zugelassen sind.
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Nach der Rechtsprechung sind Arzneimittel Substanzen, deren bestimmungsgemäße
Wirkung darin liegt, Krankheitszustände zu heilen oder zu verbessern
(Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09.12.1997, Az 1 RK 23/95, SozR 3-2500 § 27
Nr. 9). Dies trifft auf die Präparate aus dem Dr. R. Zellularprogramm zu. Ihrer
Zweckbestimmung nach sollen sie sich durch die Einnahme bessernd auf die bei dem
Kläger vorliegenden Krankeitszustände auswirken; sie werden auch eigens zur
Behandlung von Krankeitszuständen hergestellt. Darüber hinaus sind die Präparate
auch Arzneimittel im Sinne von § 2 Absatz 1 Nr. 1 Arzneimittelgesetz (AMG), weil sie
dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten,
Leiden Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten
oder zu erkennen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es sich bei den Präparaten
aus dem Dr. R.-Zellularprogramm um Arzneimittel sowohl im Sinne des SGB V wie auch
des AMG handelt.
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Wäre die vom Kläger unter Hinweis auf die Klage der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften gegen die Bundesrepublik Deutschland (Rechtssache C 387/99)
vertretene Ansicht zutreffend, die fraglichen Präparate des Dr. R. würden in der
Bundesrepublik Deutschland zu Unrecht als Arzneimittel eingestuft, so wäre ein
Anspruch gegen die Beklagte bereits deshalb nicht gegeben, weil § 31 SGB V den
Versicherten nur einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln einräumt. Dabei ist
der Ausgang des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften für
das vorliegende Streitverfahren ohne Bedeutung. Es betrifft nämlich nur die Frage der
Verkehrsfähigkeit bestimmter Vitaminpräparate, befaßt sich aber nicht mit dem Umfang
der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung hinsichtlich solcher
Präparate.
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Als Arzneimittel sind die Präparate aus dem Dr. R.-Zellular programm gemäß § 21
Absatz 1 AMG zulassungspflichtig, denn es handelt sich um Fertigarzneimittel im Sinne
des § 4 Absatz 1 AMG, d.h. um Arzneimittel, die im voraus hergestellt und in einer zur
Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden.
Eine derartige arzneimittelrechtliche Zulassung liegt für die Präparate aus dem Dr. R.
Zellularprogramm nicht vor. Die fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung bewirkt
ebenso wie deren ausdrückliche Versagung, dass die Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit des Arzneimittels in dem gesetzlich vorgeschriebenen
Zulassungsverfahren nicht nachgewiesen ist. Der Einsatz dieses Arzneimittel ist
deshalb nicht zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne des § 12 Absatz 1 SGB V; dieses
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ist somit nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig (vergl.
BSG Urteil vom 23.07.1998, Az B 1 KR 19/96, SozR 3-2500 § 31 Nr.5).
Ferner besteht ein Sachleistungsanspruch des Klägers auch deshalb nicht, weil die
Präparate aus dem Dr. R. Zellularprogramm nach den Arzneimittelrichtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (AMRL) von den an der
vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte nicht verordnet werden dürfen (vgl.
Abschnitt F, Nr. 17.1 m bzw. 17.2 h AMRL vom 31.08.1993, Bundesanzeiger 1993 Nr.
446). Nach diesen Vorschriften sind Zellulartherapeutika und Vitaminpräparate von der
Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
ausgeschlossen. Die dortgenannten Ausnahmefälle sind ersichtlich nicht einschlägig.
Die auf der Grundlage des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen AMRL regeln als
untergesetzliche Rechtsnormen den Umfang und die Modalitäten der
Arzneimittelversorgung mit verbindlicher Wirkung sowohl für die Vertragsärzte und die
Krankenkassen als auch für die Versicherten (Bundessozialgericht, Urteil vom
09.12.1997 Az.: 1 RK 23/95, SozR 3-2500 § 27 Nr. 9; allgemein zur Rechtsqualität und
Tragweite der Richtlinien der Bundesausschüsse der Zahnärzte und Krankenkassen:
Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.09.1997 Az.: 1 RK 32/95).
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Ein Anspruch auf Versorgung mit den Vitaminpräparaten des Dr. R. wäre auch dann
nicht gegeben, wenn man auf den Gesichtspunkt der ärztlichen Behandlung abhebt und
die Vitaminpräparate nicht als zulassungspflichtige Arzneimittel, sondern als
Nahrungsergänzungsmittel beurteilen würde. Dann würde ein Anspruch des Klägers
nämlich an § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V scheitern; danach dürfen neue Untersuchungs-
und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der
Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und
Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a.
über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen
Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat
(Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden,
BUB-Richtlinien, in der Fassung vom 10.12.1999 (Bundesanzeiger Nr.56), zuletzt
geändert am 10.04.2000 (Bundesanzeiger Nr. 137); ständige Rechtsprechung,
vergl.Bundessozialgericht, Urteil vom 28.03.2000 Az.: B 1 KR 11/98 R mit weiteren
Nachweisen). Eine derartige Empfehlung des Bundesausschusses liegt hinsichtlich der
Behandlung mit Präparaten aus dem Dr.R. Zellularprogramm nicht vor; diese Therapie
darf von den Krankenkassen deshalb nicht als Sachleistung gewährt werden.
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Unter einer Behandlungsmethode ist nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts die auf einem bestimmten theoretisch-wissenschaftlichen Konzept
fußende Vorgehensweise bei der Behandlung einer Krankheit zu verstehen (vgl.
Bundessozialgericht, Urteil vom 28.03.2000 aaO). Neuartige Arzneitherapien sind von
dem Erlaubnis vorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V nicht grundsätzlich ausgenommen.
Auch hier muss das Erfordernis der vorherigen Prüfung und Anerkennung neuer
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die Qualität nicht nur der ärztlichen
Leistungen im engeren Sinne, sondern aller für die vertragsärztliche Versorgung
relevanten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen gewährleistet sein.
Deshalb sind zumindest solche Pharmakotherapien der Kontrolle durch den
Bundesausschuss zu unterwerfen, bei denen das eingesetzte Medikament ( z.B. als
Rezepturarzneimittel) keiner arzneimittelrechtlichen Zulassung bedarf, weil andernfalls
die Qualitätsprüfung bei neuen Behandlungsmethoden lückenhaft bliebe und die
gesetzliche Regelung teilweise leer liefe (BSG Urteil vom 28.03.2000 aaO). Nichts
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anderes gilt aber auch in dem Fall, dass eine ärztliche Behandlungsmethode nicht auf
Arzneimitteln, sondern auf Nahrungsergänzungsmitteln oder (anderen) Lebensmitteln
beruht. Auch hier erfordert die Qualitätssicherung der ärztlichen Behandlung eine
derartige Prüfung durch den Bundesausschuss. Diese ist weder allgemein hinsichtlich
des Einsatzes von Präparaten aus dem Dr. R. Zellularprogramm erfolgt noch speziell
hinsichtlich der Behandlung bei dem Kläger vorliegenden Herzkrankheit.
Nachdem der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den BUB-Richtlinien
keine positive Empfehlung zugunsten der Vitaminpräparate des Dr. R. abgegeben hat,
durfte die Beklagte die Behandlung dem Kläger nicht als Sachleistung gewähren. Bei
den BUB-Richtlinien handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG um
untergesetzliche Rechtsnormen, die i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V für Ärzte,
Krankenkassen und Versicherte verbindlich festlegen, welche neuen Untersuchungs-
und Behandlungsmethoden zum Leistungsumfang der gesetzlichen
Krankenversicherung gehören (BSG Urteil vom 28.03.2000 aaO).
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Ein Kostenerstattungs- oder Freistellungsanspruch des Versicherten kann allerdings
ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn die fehlende Anerkennung der neuen
Methode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz
Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen
Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird. In einem solchen Fall
widerspricht die Nichtberücksichtigung der Methode in den BUB-Richtlinien
höherrangigem Recht, nämlich der Garantie eines den Anforderungen des § 2 Abs. 1
Satz 3 SGB V entsprechen den Krankenbehandlungsanspruchs in § 27 Abs. 1 SGB V.
Das präventive Verbot in § 135 Abs. 1 SGB V dient allein der Qualitätssicherung; nur
insoweit es dieser Zweck erfordert, ist der Ausschluss ungeprüfter und nicht anerkannter
Heilmethoden aus der vertragsärztlichen Versorgung gerechtfertigt. Ein derartiger
Mangel des gesetzlichen Leistungssystems liegt indes hier nicht vor. Der Kläger
verweist zu Unrecht auf die ihm vorgelegten wissenschaftlichen Untersuchungen zur
Wirksamkeit von Vitaminpräparaten bei der Behandlung verschiedener Krankheiten.
Denn diese wissenschaftlichen Untersuchungen setzen sich nur mit der Wirksamkeit
von Vitaminen im allgemeinen, nicht aber mit den von Dr. R. bzw. seiner Firma
vertriebenen Vitaminprodukten aus dem Zellularprogramm auseinander. Bereits
deshalb fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, hier vom Vorliegen eines Systemfehlers
auszugehen.
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Die Berufung des Klägers war deshalb zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Anlass die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
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