Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.09.2007

LSG NRW: berufungsfrist, wohnung, rechtsverordnung, eigenhändig, rechtsmittelbelehrung, berufungsschrift, rechtskraft, unterkunftskosten, zivilprozessordnung, sozialhilfe

Landessozialgericht NRW, L 9 SO 24/06
Datum:
13.09.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 9 SO 24/06
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 16 (2) SO 54/06
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg
vom 22.11.2006 wird als unzulässig verworfen. Kosten sind nicht zu
erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Gewährung von höheren Leistungen nach dem Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.07.2006 und von
höheren Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) für die Zeit vom
01.07.2003 bis zum 31.12.2004 unter Berücksichtigung der nach seinem Vorbringen
teilweise tatsächlich gezahlten, teilweise in Höhe einer Differenz von 30 Euro
geschuldeten Kaltmiete für die ab dem 01.07.2003 mit seiner Ehefrau angemieteten
Wohnung in der T-straße 00 in P.
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Mit schriftlichem Mietvertrag von Juni 2003 mieteten der Kläger und seine zunächst
Arbeitslosengeld und später Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) beziehende Ehefrau ab dem 01.07.2003 die Wohnung in der T-straße zu einem
schriftlich vereinbarten Gesamtmietzins von 375 Euro (270 Euro Kaltmiete, 65 Euro
Vorauszahlung, 40 Euro Heizkosten) an, die die Eheleute bis Februar 2006 gemeinsam
bewohnten. Bis April 2006 bewohnte der Kläger diese Wohnung dann allein.
Ausgehend von dem schriftlich vereinbarten Mietzins bewilligte die Beklagte dem
Kläger vom 01.07.2003 bis zum 31.12.2004 Leistungen nach dem GSiG und vom
01.01.2005 bis zum 31.07.2006 Leistungen nach dem SGB XII (Bescheid für die Zeit
vom 01.07.2003 bis zum 28.02.2004, Bescheide vom 30.04.2004, 17.12.2004,
26.01.2005, 29.03.2005, Bescheide vom 14.12.2005 und 02.03.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.05.2006).
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Gegen den Widerspruchsbescheid vom 22.05.2006 hat der Kläger am 01.06.2006 mit
eigenhändig unterschriebenem Schriftsatz Klage erhoben, die das Sozialgericht (SG)
mit Urteil vom 22.11.2006 abgewiesen hat. Es hat gemeint, streitig sei eine Mietdifferenz
von 15 Euro für 36 Monate, nämlich die Zeit vom 01.07.2003 bis zum 31.07.2006, was
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540 Euro ergebe, so dass die Berufungssumme erreicht sei. Das Urteil ist dem Kläger
am 27.11.2006 zugestellt worden.
Mit nicht unterschriebener, an das SG gerichteter E-Mail vom 05.12.2006 hat der Kläger
hiergegen "Rechtsmittel/Berufung/Beschwerde" eingelegt. Nach Weiterleitung dieser E-
Mail an den erkennenden Senat hat dieser den Kläger mit Schreiben vom 13.12.2006
darauf hingewiesen, dass seine unter dem Absender "Goya2000@gmx.net"
eingegangenen Schriftsätze die Frist zur Berufungseinlegung nach § 151
Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht wahrten (vgl. §§ 65 a, 108 Abs. 1 Satz 1 SGG). Auf die
Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils werde Bezug genommen.
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Mit weiterer E-Mail vom 15.12.2006, in die er seine nach eigenen Angaben
eigenhändige Unterschrift eingescannt hat, hat der Kläger diese Ausführungen für falsch
gehalten. Er habe sich vielmehr eindeutig an die Rechtsmittelbelehrung in dem
angefochtenen Urteil gehalten. Der Kläger hat sich ferner mit E-Mails vom 14.12.2006,
27.12.2006 und 28.12.2006, die teilweise seine eingescannte Unterschrift enthalten, an
das SG Duisburg und an den erkennenden Senat gewandt. Mit unterschriebenem Fax
vom 16.08.2007 hat der Kläger an seinen "Eingaben/Anträgen/Ausführungen"
festgehalten.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger nicht erschienen; er war in diesem
Termin auch nicht vertreten.
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Seinem schriftsätzlichen Vorbringen ist zu entnehmen, dass er beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 22.11.2006 zu ändern, den Bescheid über
die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.07.2003 bis zum
28.02.2004 zu ändern, den Bescheid vom 30.04.2004 zu ändern, die Be- scheide vom
17.12.2004, 26.01.2005 und 29.03.2005 zu ändern, die Bescheide vom 14.12.2005 und
02.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2006 zu ändern und
die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.07.2003 bis zum 31.12.2004
monatliche Grundsicherungsleistungen in Höhe von 539,21 Euro, für die Zeit vom
01.01.2005 bis zum 31.12.2005 monatliche Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von
538,41 Euro und für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 31.07.2006 monatliche Leistungen
nach dem SGB XII in Höhe von 299,43 Euro zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat konnte die Streitsache im Termin trotz der Abwesenheit des Klägers
verhandeln und entscheiden. Der Kläger ist auf diese Möglichkeit für den Fall seines
Nichterscheinens hingewiesen worden (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 SGG).
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Die Berufung ist statthaft. Der Beschwerdewert von 500,01 Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr.
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1 SGG) wird überschritten. Soweit Leistungen nach dem GSiG in Streit sind, begehrt der
Kläger für Juli 2003 bis Dezember 2004 um monatlich 15 Euro höhere Leistungen, was
270 Euro ergibt. Für Entscheidungen über die Höhe der Grundsicherungsleistungen ist
der Senat auch zuständig. Denn § 188 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in seiner
bis zum 14.12.2004 geltenden Fassung ergibt eine Zuständigkeit der
Verwaltungsgerichtsbarkeit nur bis Dezember 2004. Abzustellen ist demnach darauf,
wann das Verfahren bei Gericht anhängig geworden ist. Ist es - wie hier - ab dem
01.01.2005 anhängig geworden, ist die Sozialgerichtsbarkeit zuständig (vgl. Leitherer in
Meyer-Ladewig u.a., Komm. zum Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl., 2005, Rn. 2 zu § 206
SGG). Selbst wenn man dies anders sieht, ergibt sich die Zuständigkeit des Senats
jedenfalls aus § 17 a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
Ebenso begehrt der Kläger für das Jahr 2005 monatlich um 15 Euro höhere Leistungen,
was weitere im Streit stehende 180 Euro für dieses Jahr ergibt. Für Januar bis Juli 2006
begehrt der Kläger monatlich um 30 Euro höhere Unterkunftskosten, was für das Jahr
2006 210 Euro ergibt. Insgesamt beträgt der Wert des Beschwerdegegenstandes somit
660 Euro, weshalb die Berufung nicht gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG der
Zulassung bedarf und damit statthaft ist.
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Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger sie nicht innerhalb der
Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG formgerecht eingelegt hat.
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Denn der Kläger hat die Berufung innerhalb der bis zum 02.01.2007 (Montag) laufenden
Frist lediglich per E-Mail eingelegt. Nach Hinweis des Senats vom 13.12.2006 hat er
dies mit weiteren E-Mails innerhalb der Berufungsfrist der Sache nach bloß wiederholt,
wobei er offenbar seine eigenhändige Unterschrift nunmehr eingescannt hat, womit er
die Schriftform der Berufung (§ 151 Abs. 1 SGG) nicht gewahrt und die Berufung
deshalb nicht wirksam eingelegt hat.
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Hierbei kann die streitige Frage, ob die Berufungsschrift zu unterschreiben ist oder ob es
sich hierbei wegen §§ 153 Abs. 1, 92 Satz 2 SGG um eine bloße Sollvorschrift handelt
(dazu: Zeihe, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, Rn. 5 b zu § 151 SGG),
dahinstehen. Denn jedenfalls reicht die eingescannte Unterschrift aus, weil die
Übersendung des eigenhändig gezeichneten Originals nicht unbedingt erforderlich ist
(Zeihe, a.a.O., Rn. 5 k zu § 151 SGG).
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Die Berufung ist deshalb unzulässig, weil der Kläger sämtliche innerhalb der
Berufungsfrist liegenden Verfahrensäußerungen per E-Mail übersandt hat, was der in §
151 Abs. 1 SGG geforderten Schriftform nicht genügt.
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Bei der E-Mail handelt es sich um ein elektronisches Dokument (Zeihe, a.a.O., Rn. 5 zu
§ 151 SGG; Rn. 11 a zu § 174 Zivilprozessordnung/ZPO). Nach § 65 a Abs. 1 Satz 1
SGG können die Beteiligten dem Gericht elektronische Dokumente jedoch nur
übermitteln, soweit dies durch Rechtsverordnung zugelassen ist. Ohne eine solche
Zulassung besteht die rechtliche Möglichkeit zur verfahrenserheblichen Kommunikation
mit dem Gericht demnach nicht (vgl. Zeihe, a.a.O., Rn. 15 zu § 65 a SGG). Eine
entsprechende Rechtsverordnung existiert für die Sozialgerichtsbarkeit in Nordrhein-
Westfalen nicht, weshalb Berufung nicht wirksam per E-Mail eingelegt werden kann.
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Demgegenüber wahrt das an das Landessozialgericht gerichtete, die eingescannte
Unterschrift des Klägers enthaltene Telefax vom 16.08.2007 zwar die Schriftform (vgl.
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Zeihe, a.a.O., Rn. 5 zu § 151 SGG), nicht aber die Berufungsfrist.
Damit hat der Kläger die Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist formgerecht
eingelegt.
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Ob Wiedereinsetzung bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil § 67 SGG nur die
Wiedereinsetzung in versäumte Fristen, nicht aber die Heilung von Formverstößen
ermöglicht (so Zeihe, a.a.O., Rn. 5 ff. zu § 151 SGG; a.A.: Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl., 2005, Rn. 2 a zu § 67 SGG), kann
dahinstehen. Denn jedenfalls hat der Senat mit Schreiben vom 13.12.2006 und damit
deutlich innerhalb der Berufungsfrist den Kläger darauf hingewiesen, dass die
Berufungseinlegung per E-Mail die Frist nicht wahrt, so dass der Kläger jedenfalls nicht
ohne Verschulden gehindert war, die Berufungsfrist durch Vorlage eines formgerechten
Schriftsatzes zu wahren. Die Voraussetzungen einer möglicherweise zu prüfenden
Wiedereinsetzung liegen deshalb nicht vor.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn.
1 und 2 SGG).
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